"Zum Dschihad ist folgendes zu sagen, dass die islamische Expansion im 7. und 8. Jahrhundert in einem rasanten Tempo erfolgt ist. Sie war im Wesentlichen eine militärische Expansion, auch wenn sie in manchen Regionen relativ unblutig erfolgt ist, weil sich manche Städte kampflos ergeben haben. Aber der Druck zur Unterwerfung unter die neuen Herrscher, der wurde ohne Zweifel durch militärische Mittel erzeugt."
Berthold Pelster, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der katholischen Hilfsorganisation "Kirche in Not", erläutert das eigene Faltblatt "Glaubenskompass Islam". Fünf kleine Abschnitte im Hosentaschenformat. Man habe sich bei der Darstellung der anderen Religion auf die Hauptströmung, den sunnitischen Islam, beschränkt. Und da sei klar: Islam ist Dschihad - ohne Dschihad kein Islam.
Pelster: "Im Koran ist an vielen Stellen vom Dschihad die Rede. Man muss aber wissen, dass in mehr als 80 Prozent der Stellen im Koran dabei die Rede ist von einem Krieg um des Glaubens willens, also eher von der militanten Auslegung des Dschihad."
"Dschihad als moralische Anstrengung"
Mouez Khalfaoui, seit 2012 am Lehrstuhl für Islamisches Recht an der Universität Tübingen, sieht das ganz anders. Die Darstellung von "Kirche in Not" sei fahrlässig, weil nicht die ganze Wahrheit gesagt würde.
"Die Ausbreitung des Islam durch das Schwert ist ein bisschen kurz gedacht, es gibt hier eine große Informationslücke, dass der Islam sich auch friedlich verbreitet hat in den meisten Gebieten von Asien und Afrika."
DEN Islam gebe es zudem genauso wenig, wie DAS Christentum. Vielmehr habe man es mit einer Pluralität in beiden Weltreligionen zu tun - eine Vielzahl von Gruppierungen und Strömungen, von erzkonservativ-fundamentalistisch bis modern-liberal und aufgeklärt. "Kirche in Not" würde dagegen eine verkürzte Darstellung propagieren: einerseits die friedvollen Katholiken, andererseits die aggressiven Muslime. Das sei einfach falsch, sagt Islamwissenschaftler Mouez Khalfaoui:
"Die meisten reden über Dschihad als Anstrengung, als moralische Anstrengung, als Entwicklung für die Menschheit und nicht mehr als einen Krieg. Ich habe die Angst, dass diese Informationen (aus der Broschüre) zu einer Missinterpretation auch der christlichen Rezeption des Islam führen und Menschen aufeinander stoßen, die mit falschen Informationen versorgt werden."
Kooperation statt Krieg
Wenn man etwas über eine andere Religion erfahren möchte, solle man doch zuerst deren Vertreter als Experten zu Wort kommen lassen, meint Khalfaoui. Zumindest an der Universität Tübingen sei das gängige Lernpraxis. Doch "Kirche in Not" sieht das anders. Der "Glaubenskompass Islam" wurde allein von Christen geschrieben, unter Heranziehung entsprechender Fachliteratur und weniger Berater, sagt "Kirche in Not"-Referent Berthold Pelster.
"Der Glaubenskompass ist von studierten Theologen und Journalisten geschrieben worden. Dass ,Kirche in Not schon' lange in Kontakt steht mit renommierten Islamwissenschaftlern wie zum Beispiel dem renommierten Jesuitenpater Samir Khalil Samir, ein enger Berater der Päpste in Islamfragen, ein anderer wäre Professor Pater Hans Vöcking, das ist der Begründer und langjährige Leiter der CIBEDO, der christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle, das ist eine Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz."
Seltsam nur, dass sich weder die katholische Arbeitsstelle für den christlich-islamischen Dialog CIBEDO noch die übergeordnete Deutsche Bischofskonferenz trotz mehrfacher Anfrage in einem Interview äußern wollten. Weder zu "Kirche in Not" im Allgemeinen, noch zu deren "Glaubenskompass Islam" im Besonderen. Dabei ist der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von "Kirche in Not". Und sich nun bei der Kurzbroschüre auf den Jesuitenpater Samir Khalil zu stützen, statt auf modernere Interpreten des Koran, hält der Tübinger Islamwissenschaftler Mouez Khalfaoui für problematisch. Mehr noch: Einiges sei regelrecht falsch:
"Der Stand der Dinge ist, dass Muslime in Europa und in der modernen Welt nicht mehr von Krieg zwischen Christentum und Islam reden, sondern als Kooperation, als friedliche Auseinandersetzung zwischen den Religionen. Und das ist seit dem 19. Jahrhundert der Stand der Dinge, seit dem Osmanischen Reich, wo man versucht hatte, die anderen Religionen nicht als Feinde zu sehen."
Ziel ist auch, den christlichen Glauben in Europa zu fördern
Auch dass "Kirche in Not" die Muslime als Gehorchende, die Christen hingegen vorrangig als Liebesgemeinschaft darstellt, sei alles andere als auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion.
Khalfaoui: "Diese muslimische Unterwerfung unter die Macht Gottes ist kurzsichtig, das ist nur eine Position innerhalb der muslimischen Theologie. Es gibt andere Positionen, die Gott als lieb und Mitmenschlichkeit und barmherzigen Gott sehen."
Wenn es aber um ein sachgerechtes Kennlernen zwischen Muslimen und Christen gehen soll, sei der Glaubenskompass von "Kirche in Not" dafür herzlich ungeeignet.
"Ich hab das Gefühl, dass diese Broschüre auf eine Auffassung zurückgreift, die bei konservativen Muslimen zu finden ist. Wenn diese Broschüre in den Händen einer konservativen Strömung im Islam landet, dann betrachten sie die Kirche als Feind, betrachten sie Christen als Feinde und sagen: Sehen Sie, was sie über uns reden."
Diese Gefahr aber sieht Berthold Pelster von "Kirche in Not" nicht. Man verteile die katholische Broschüre aus voller Überzeugung.
Pelster: "Wir geben den Pfarrgemeinden Hilfe an die Hand, dass sie in ihrer Katechese, im Kommunionunterricht, in der Erwachsenenbildung Material bekommen, mit dem sie Menschen tiefer in den christlichen Glauben einführen können."
Zentralratsvorsitzender fordert Dialog auf Augenhöhe
Sieht so aber nun der katholisch-muslimische Dialog der Zukunft aus? Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ist entsetzt.
"Dialog, Frieden und Austausch zwischen den monotheistischen Religionen stelle ich vor allem her, indem, zumindest was den Sachverstand oder die Information über die jeweilige Religion angeht, das auf Augenhöhe stattfindet und nicht mit dieser Art und Weise."
Gerade in den letzten Jahren seien die Muslime zumindest von katholischer Seite sachgerechtere Töne gewohnt gewesen. Aiman Mazyek fordert die Bischöfe zum Einschreiten gegen "Kirche in Not" auf.
"Ich kann natürlich wärmstens empfehlen, das zu übearbeiten bzw. das aus dem Verkehr zu nehmen, weil ich die Deutsche Bischofskonferenz in den letzten Jahren so wahrgenommen habe, dass das nicht die Politik der DBK ist. Insofern sollte man die Fehler und die Polemik, die man hier in dieser Handreichung findet, rausnehmen."
"Das ist ein richtiges Netzwerk"
Die Deutsche Bischofskonferenz äußert sich vielleicht deshalb nicht zu dem Fall, weil "Kirche in Not", international auch bekannt als "Aid to the Church in Need" (ACN) direkt dem Vatikan untersteht. Papst Benedikt XVI. hatte das Hilfswerk 2011 zur Stiftung päpstlichen Rechts erhoben. Für den Soziologen Andreas Kemper kein Zufall: Nicht nur in Rom, sondern auch im deutschen Katholizismus gebe es Kräfte, die solch anti-modernistische Gruppierungen wie "Kirche in Not" relativ ungehindert agieren ließen. Den Bischöfen fehle auch das Druckmittel. Denn "Kirche in Not" sei vermutlich gar nicht auf Kirchensteuergelder angewiesen, die man im Streitfall kürzen könnte. "Kirche in Not" ist eng verbandelt mit den "Legionären Christi", einer geistlichen Gemeinschaft, erläutert Andreas Kemper.
"Mit 'Legionäre Christi' ist ein Zusammenhang herzustellen: Der Geschäftsführer von 'Kirche in Not' ist Johannes von Heeremann - und sein Sohn ist einer der vier führenden Chefs von den 'Legionären Christi' weltweit, das ist der Sohn Sylvester von Heeremann. Und 'Kirche in Not' ist selber auch Geldgeber, die finanzieren (das Portal) 'kath.net'. Da hängt dann wieder 'kath.tube' dran. Also das ist ein richtiges Netzwerk."
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit haben sich längst katholische Substrukturen gebildet, auf die die Bischöfe kaum Einfluss hätten, wenn sie denn welchen nehmen wollten. Andreas Kemper sagt:
"Die 'Legionäre Christi' kommen aus Mexiko. Da werden sie auch die 'Millionäre Christi' genannt, weil die über sehr viele Geldgeber verfügen, eng auch an Unternehmensverbänden dran sind. Sind ultrakatholisch, haben einen Schwerpunkt Pädagogik, bilden Knaben aus, schon mit 12-14 Jahren. Die stehen in Opposition zu Franziskus. Die sind sehr rückschrittlich da. Der Islam wird dargestellt als eine archaische Religion, die nicht zu Europa passt. Es geht um das christliche Europa. Europa solle gefälligst wieder christlich werden. Von den beiden vorletzten Päpsten wurde die Neu-Evangelisierung Europas ausgerufen. Da geht es um eine De-Islamisierung Europas."
Kooperation mit der Rechten
"Kirche in Not" sei im Grunde nur Teil eines größer werdenden Netzwerkes erzkatholischer, fundamentalistisch-evangelikaler und politisch neurechter Bestrebungen, nicht nur in Deutschland.
Kemper: "Es gab letztes Jahr einen Kongress in Ungarn, den 'Weltkongress der Familien', der findet ein Mal im Jahr statt, der geht aus von einer evangelikalen Gruppierung, die gegen Sex vor der Ehe ist und natürlich auch gegen Homosexualität. Und der wurde getragen von Victor Orban, dem Präsidenten, zwei Ministerien waren da drin, evangelikal, aber auch von der katholischen Seite waren dann auch Geistliche mit dabei. Und natürlich viele Neu-Rechte. Beatrix von Storch war anwesend. Das ist halt die Gefahr, dass man sich gegenseitig stärkt."
Das Hilfswerk kann auch Themen setzen, indem es die Ablehnung des Islam mit dem Thema Christenverfolgung verbindet. Vor einigen Tagen färbte "Kirche in Not" das Kolosseum in Rom blutrot, um an die verfolgten Glaubensgeschwister zu erinnern.