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Katrin Göring-Eckardt
"CO2-Steuer ist das richtige Instrument"

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) wirft der Bundesregierung Versäumnisse in der Klimaschutzpolitik vor. Sie sagte im Deutschlandfunk, "Worte reichen nicht, da müssen jetzt Taten folgen". In der nächsten Legislaturperiode des Bundestages müsse eine CO2-Steuer die "überkommene" Stromsteuer ersetzen. Mit Blick auf die Bundestagswahl sprach sie von einer "Richtungsentscheidung, wie sie größer nicht sein kann".

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 04.06.2017
    Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl
    "Die Bundeskanzlerin sagt ja jetzt schöne Worte von der Bewahrung der Schöpfung", sagt Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, im Interview der Woche im Dlf. "Das finde ich auch alles gut, aber da müssen eben dann auch wirklich Taten folgen." (picture alliance / Michael Kappeler/dpa)
    Barbara Schmidt-Mattern: Frau Göring-Eckardt, lassen Sie uns gleich einsteigen mit dem Donnerschlag, den wir diese Woche in Washington erlebt haben, der weit nachhallt natürlich auch bis nach Berlin. Einen größeren Gefallen hätte Donald Trump Ihnen, den Grünen, wahrscheinlich gar nicht tun können mit seinem Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, denn mit dem Grünen-Wahlkampf läuft es ja noch nicht so richtig rund.
    "Die Natur wird nicht warten, bis Donald Trump wieder weg ist"
    Katrin Göring-Eckardt: Na wünschen tut sich das dennoch natürlich niemand. Was Donald Trump jetzt gemacht hat, ist auszusteigen aus einem Vertrag, den alle Länder dieser Welt verabredet haben; 195 Länder im Jahr 2015, den wir jetzt dringend umsetzen müssen, und man kann zwar aus dem Vertrag aussteigen, aber eben nicht aus der Klimakrise. Die Natur wird auch nicht warten, bis Donald Trump wieder weg ist und deswegen ist das schon eine gravierende Ansage auf der einen Seite, auf der anderen Seite an uns ein Aufruf, ein Weckruf, tatsächlich mehr zu tun und entschlossener zu handeln.
    Schmidt-Mattern: Barbara Hendricks, die deutsche Umweltministerin, hat am Freitagmorgen gesagt, der Schulterschluss international würde jetzt größer werden in der Welt. Ist das denn richtig oder setzt eher umgekehrt aus Ihrer Sicht jetzt ein Domino-Effekt ein, dass auch andere Staaten dann aussteigen?
    Göring-Eckardt: Erstens ich sehe, dass sich die Länder der Welt ja nicht umsonst verabredet haben. Es gab ja nicht einen hohen Druck von dem einen Land auf das andere, sondern es gab eine gemeinsame Einsicht, dass man nur vorankommt, wenn man beim Klimaschutz vorankommt. Dass die Erderwärmung eine Frage ist, die uns alle betrifft, die unsere Lebensgrundlagen zerstört, die Fluchtbewegungen auslöst und deswegen haben sich die Länder der Welt verabredet. Und ich sehe, dass zum Beispiel China, wo wir heute schon wissen, die setzen auf Elektromobilität, weil sie merken, sie können die Luft nicht mehr atmen, in der sie da leben müssen. Dass die eher ein Partner sind. Das ist gut, zugleich heißt es aber natürlich auch was für Deutschland. Wir können nicht so tun, als ob das bisschen, was wir bisher gemacht haben, ausreicht. Es reicht noch nicht mal aus, um unsere eigenen Klimaschutzziele zu erfüllen.
    "Wir brauchen jetzt eine europäische Klimaunion"
    Schmidt-Mattern: Es heißt aus der Bundesregierung jetzt auch, wenn die USA aussteigen und damit ja auch eine sehr, sehr hohe Geldsumme wegfällt, die Amerika eigentlich mit in den Klimaschutz stecken wollte im Rahmen dieses Abkommens, dass aber dann nicht andere dafür einspringen würden finanziell. Was glauben Sie? Muss Deutschland jetzt dafür zahlen, wenn Amerika aussteigt?
    Göring-Eckardt: Also ob das geht oder ob das nicht geht, gar nicht mehr zu zahlen, ist ja mal die eine Frage, was ist ein internationaler Vertrag? Gleichzeitig finde ich, die Verhandlung muss man dann führen, was die Finanzen angeht, aber zuerst mal sind natürlich die eigenen Hausaufgaben da, zuerst mal ist auch das da, dass die Europäer sich jetzt gemeinsam verabreden müssen. Was wir doch brauchen, ist jetzt eine europäische Klimaunion.
    "Eine gravierend schlechte Bilanz"
    Schmidt-Mattern: Angela Merkel wurde ja einmal, das ist inzwischen zehn Jahre her, die Klima-Kanzlerin genannt. Verdient sie diesen Titel überhaupt noch?
    Göring-Eckardt: Ja, Sie werden sich jetzt nicht wundern, wenn eine Grüne sagt Nein, aber wir können es auch ganz banal an den Fakten machen und sachlich. Wir haben den CO2-Ausstoß in den letzten zehn Jahren eben nicht verringert. Wir haben nach wie vor genauso viel CO2-Ausstoß wie im Jahr 2006, das ist das Jahr 2016. Das ist eine gravierend schlechte Bilanz. Wenn man sich anschaut, wie zurückhaltend – vornehm ausgedrückt – die Bundesregierung ist beim Kohle-Ausstieg, wir können die Klimaziele nur erreichen, wenn wir den Kohle-Ausstieg jetzt voranbringen, wenn wir wenigstens die dreckigsten 20 Meiler sofort abschalten und insofern kann man zu Angela Merkel alles Mögliche sagen. Sie findet auch gerade wirklich freundliche, nette, fast emotionale Worte. Aber Worte reichen eben nicht, da müssen jetzt Taten folgen.
    Merkels "bisschen Lyrik" reicht nicht
    Schmidt-Mattern: Die finanzielle Frage, das haben wir eben gerade schon mal angesprochen, bleibt aber auch der andere Punkt, ob jetzt nicht doch ein Domino-Effekt einsetzt und ob nicht gerade da die Bundesregierung jetzt stärker gefordert wäre, international die Reihen zu schließen. Was konkret erwarten oder auch fordern Sie da von der Kanzlerin?
    Göring-Eckardt: Also das in der Tat sich jetzt mit Frankreich gemeinsam voranzustellen, dass wir zunächst mal europäisch zusammenarbeiten, deswegen die europäische Klimaunion. Dass wir bei der Frage des internationalen Handels zusammenarbeiten und klar machen, bei solchen Handelsverträgen müssen natürlich Klimaschutzstandards der Standard sein und nicht die Ausnahme und nichts, was man jetzt auf der Straße erdemonstrieren oder erbitten muss. Und insofern hat die Bundeskanzlerin da eine große Aufgabe. Also Herr Macron hat sich ja sehr eindeutig positioniert und hat sehr deutlich gesagt, dass der Planet jetzt die Aufgabe ist auch für die Europäer. Und insofern sage ich ja, das ist der richtige Weg und dann reicht es eben nicht, ein bisschen Lyrik jetzt zu verbreiten, sondern dann muss man international gemeinsam handeln, national die Hausaufgaben machen.
    Schmidt-Mattern: Wen meinen Sie damit, mit der Lyrik?
    Göring-Eckardt: Ja, die Bundeskanzlerin sagt ja jetzt schöne Worte von der Bewahrung der Schöpfung und so. Das finde ich auch alles gut, aber da müssen eben dann auch wirklich Taten folgen.
    Die Bilanz von Angela Merkel als "Klimakanzlerin" sei gravierend schlecht, sagt Katrin Göring-Eckardt.
    Die Bilanz von Angela Merkel als "Klimakanzlerin" sei gravierend schlecht, sagt Katrin Göring-Eckardt. (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Trump aktiviert Gegenbewegung
    Schmidt-Mattern: Wir haben ja vor wenigen Tagen, noch bevor Donald Trump seine Androhung wahrgemacht hat, schon von Frau Merkel gehört, die Europäer müssten ihr Schicksal jetzt wieder in ihre eigene Hand nehmen. Das ist ja doch ein deutlicher Vertrauensverlust, auch ein Beleg des Misstrauens gegenüber den Amerikanern gewesen. Ist das eigentlich ein Fehler, die USA so zu behandeln?
    Göring-Eckardt: Nein, es ist kein Fehler, Donald Trump so behandeln und ihm deutlich zu machen, dass die Zusammenarbeit natürlich eine gravierende Störung erfährt auf die Art, wie er das macht. Und das war ja bei dem G7-Gipfel sehr, sehr deutlich. Weder beim Klimaschutz noch beim Thema Flüchtlinge ist da irgendetwas vorangekommen. Aber das heißt natürlich nicht, dass man nicht mehr mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeitet. Es gibt eine unglaublich aktive Zivilgesellschaft und ich glaube, dass Donald Trump sich heute noch gar nicht vorstellen kann, wie viele Menschen er jetzt aktiviert durch seine Absage an das Klimaschutzabkommen. Das werden Menschen auf der Straße sein, das werden Menschen in der Politik sein. Und diese Gegenbewegung, die macht natürlich auch Druck auf die Vereinigten Staaten. Und die Bundeskanzlerin sollte sich da einreihen, aber noch mal, das geht nur mit Taten. Das geht nicht mit Überschriften.
    Ausstieg aus der Kohle nach dem Ausstieg aus der Atomkraft
    Schmidt-Mattern: Nun besteht ja Gelegenheit, beim anstehenden G20-Gipfel, Deutschland hat dieses Jahr die Präsidentschaft inne und in Hamburg kommen Anfang Juli alle G20-Staaten zusammen. Muss da dann eine konkrete Botschaft gesetzt werden und wenn ja, welche würden Sie sich da wünschen?
    Göring-Eckardt: Ja definitiv. Bei den G20 könnte man ja sehr deutlich machen, was Klimaunion heißt, beispielsweise indem man sagt, CO2 muss einen Mindestpreis bekommen. Und damit hat man auch ein finanzielles Mittel, was man nutzen kann, um dann zu investieren, aber wo vor allen Dingen klar ist, das bedeutet auch ökonomisch etwas, wenn man schmutzige Kohle weiter verstromt, weiter als Energieträger einsetzt. Deswegen ist der Ausstieg aus der Kohle nach dem Ausstieg aus der Atomkraft natürlich ein ganz entscheidendes Signal. Das könnten die G20 in der Tat gemeinsam verabreden, das könnten die Europäer gemeinsam verabreden. Und vielleicht muss es am Ende sogar so sein, dass Deutschland vorangeht. Aber dann hat man auch wieder mal in dem internationalen Wettbewerb um den besten Klimaschutz und um die besten ökonomischen Möglichkeiten, die daraus entstehen, eine Vorreiterrolle.
    CO2- statt Stromsteuer
    Schmidt-Mattern: Sie haben eben schon das Stichwort CO2-Steuer selber angesprochen in Ihrem 10-Punkte-Programm, was Sie, die Grünen, in dieser Woche vorgestellt haben hier in Berlin, eine Art Best-of-Wahlprogramm. Da kommen Sie auch auf diese CO2-Belastung zu sprechen. Sie nennen den Klimaschutz eine Menschheitsaufgabe und kündigen an, ich zitiere "Die Stromsteuer schaffen wir ab und führen im Gegenzug eine aufkommensneutrale CO2-Bepreisung ein." Das heißt, Sie fordern im Rahmen des Bundestagswahlkampfes konkret die Einführung einer CO2-Steuer für jeden deutschen Bürger.
    Göring-Eckardt: In Zukunft werden wir eine Bepreisung von CO2 einführen.
    Schmidt-Mattern: Bepreisung heißt Steuer.
    Göring-Eckardt: Bepreisung, man kann sagen Steuer, man kann sagen Bepreisung, das ist jetzt nicht das Entscheidende, wie man es macht. Aber es heißt dann eben, es kommt nicht unmittelbar bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern immer das Gleiche an, man kann sich entscheiden. Als Unternehmen kann man sich entscheiden, nehme ich den Strom aus sauberer Energie oder eben aus anderer Energie und das kann man dann auch als Bürgerin oder als Bürger.
    Schmidt-Mattern: Sie haben die Erfahrung aus dem letzten Bundestagswahlkampf 2013, als gerade das Thema Steuererhöhung zum Stolperstein für die Grünen geworden ist. Ich höre da jetzt eine gewisse Scheu heraus, das Wort Steuer und damit ja auch Steuererhöhung oder eine neue Steuer, die da kommen würde, das auch auszusprechen. Warum können Sie sich da als Grüne nicht klar bekennen?
    Göring-Eckardt: Nein, es ist keine Steuererhöhung, sondern es ist eine andere Schwerpunktsetzung. Und deswegen haben wir gesagt, die Stromsteuer fällt weg und aufkommensneutral gibt es die CO2-Bepreisung. Das ist ein Fachwort.
    Keine Steuermehreinnahmen
    Schmidt-Mattern: Was heißt aufkommensneutral?
    Göring-Eckardt: Aufkommensneutral heißt, dass wir nicht mehr Geld einnehmen wollen durch diese Bepreisung von CO2, sondern dass wir sagen, wer mit sauberem Strom arbeitet, wer mit sauberer Energie arbeitet, wird natürlich weniger bezahlen als diejenigen, die aus dreckiger Kohle ihre Energie ziehen. Und das ist der Unterschied, damit sagt man, dass die Ressourcen, die man verwendet, die Naturzerstörung, die man macht, sich auch auf das auswirkt, was man bezahlt. Das ist eigentlich eine ganz einfache Rechnung, die man dann damit macht. Und nein, davor habe ich ehrlich gesagt gar keine Sorge, weil das wird niemand anders von den Grünen erwarten, als dass sie sagen: Na klar, dass der Verbrauch von natürlichen Ressourcen eine Rolle spielen muss bei der Besteuerung, das ist selbstverständlich: Und insofern bleibe ich dabei, diese CO2-Bepreisung oder diese CO2-Steuer ist das richtige Instrument. Die Stromsteuer ist alt und sie ist überkommen inzwischen, wenn man über die Frage der Ressourcen redet.
    Schmidt-Mattern: Wann wollen Sie diese CO2-Steuer einführen, wenn Sie an die Regierung kommen? In welcher Koalition auch immer.
    Göring-Eckardt: Na ja, ich meine, so was ist ja dann die Frage von Verhandlungen und das ist auch nicht mal mit einem Hebel umlegen zu machen. Aber für uns ist das ein sehr wichtiges Ziel und ich glaube, es ist auch ein sehr lohnendes Ziel. Da kann man einen Schwerpunkt setzen.
    Schmidt-Mattern: Sie wollen uns kein festes Datum nennen?
    Göring-Eckardt: Nein, ich meine, wir werden ja wahrscheinlich keine 50 Prozent bekommen und alleine regieren im Bund und deswegen macht es wenig Sinn, wenn ich jetzt sage, und das führen wir am 25.02. Zweitausendsowiesoviel ein. Sondern dafür muss es ja einen Übergang geben, das ist nicht einfach und deswegen bleibe ich da mal realistisch. Was ich aber sagen kann ist, so was muss in der nächsten Legislaturperiode dann kommen. Also es geht mir nicht darum, dass man sagt, das nehmen wir uns mal für in zehn Jahren vor, sondern das muss in der nächsten Legislaturperiode kommen.
    Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir vor einem Plakat mit ihrem 10-Punkte-Plan in Regierungsverantwortung.
    Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir vor einem Plakat mit ihrem 10-Punkte-Plan in Regierungsverantwortung. (dpa/Wolfgang Kumm)
    Schmidt-Mattern: Frau Göring-Eckardt, selbst China, einer der größten Klimasünder weltweit, ist zu konkreten Daten bereit und hat sich bereit erklärt, den Ausstoß von Klimagasen bis 2030 zu senken. Da ist eine konkrete Jahreszahl genannt worden. Wenn ich mir das 10-Punkte-Programm der Grünen anschaue, auf der Suche nach einem konkreten Datum für den Kohleausstieg, dann finde ich keine Jahreszahl. Anders noch beim Parteitagsbeschluss der Grünen aus dem letzten Herbst, als vom Jahr 2025 die Rede war und anders auch als im Wahlprogrammentwurf, wo das Jahr 2037 drinsteht. Warum verzichten Sie jetzt auf eine konkrete Ausstiegsjahreszahl?
    Göring-Eckardt: Nein, wir verzichten gar nicht darauf, weil das, was im Wahlprogrammentwurf steht, natürlich gilt und es wird auch beschlossen und das wird auch der Maßstab sein für alles, was wir verhandeln. Wir haben in dem 10-Punkte-Plan gesagt, was wir als Erstes machen und wir wollen anfangen. Darum geht es vor allen Dingen. Also man kann ja viel über Pläne und über Ziele und über noch ein Endjahr reden, wenn man gar nicht anfangen kann, dann hat man ein richtiges Problem. Und deswegen sage ich, wir wollen anfangen und die Erfahrung, die wir gemacht haben als Grüne, als es um den Ausstieg aus der Atomkraft und den Umstieg in die Erneuerbaren ging, das ging viel schneller, als selbst wir uns das vorgestellt haben. Und deswegen kann es gut sein, dass wir lange vor dem Jahr 2037 – und diese Jahreszahl gilt natürlich, die im Programm steht – dass wir lange vor dem Jahr 2037 damit fertig sind, aber erst mal …
    "20 dreckigste Meiler sofort abschalten"
    Schmidt-Mattern: Das können Sie ja so reinschreiben.
    Göring-Eckardt: Erst mal anfangen und erst mal verbindlich sagen, das muss jetzt losgehen. Und wir haben unser 10-Punkte-Programm nicht mit 10.000 Zahlen angereichert, sondern wir haben gesagt, was sind die Ziele und das Programm? Und der Programmentwurf gilt natürlich gleichermaßen, gilt natürlich trotzdem. Aber wenn Sie mich fragen, was werde ich als Erstes auf den Tisch legen in einer potenziellen Koalitionsverhandlung, dann sage ich, dass man sofort anfängt mit den 20 dreckigsten Meilern.
    "Weckruf für die Automobilindustrie"
    Schmidt-Mattern: Nächstes Beispiel ist das Verbrennungsauto. Dort hatten Sie im Entwurf für das Wahlprogramm noch gesagt, bis 2030 oder 2030 soll in Deutschland Schluss sein mit der Produktion von Verbrennungsmotoren. Im 10-Punkte-Wahlprogramm taucht auch diese Jahreszahl nicht mehr auf, warum nicht, Frau Göring-Eckardt? Steckt da Winfried Kretschmann dahinter, der in Baden-Württemberg die Automobilindustrie vor der Tür hat?
    Göring-Eckardt: Na, Winfried Kretschmann steht jedenfalls unter diesem Regierungsplan und das ist auch gut so, dass er darunter steht, weil im Moment ist er der Einzige, der darüber real und tatsächlich verhandelt. Aber ich will Ihrer Frage gar nicht ausweichen, sondern einfach nur sagen, es ist eine größere Aufgabe. Wir haben im Programmentwurf stehen, dass wir ab dem Jahr 2030 wollen, dass kein Verbrennungsmotor-Auto mehr vom Band geht. Das Jahr 2030 ist genauso ein Jahr, wie als wir vorhin über den Kohleausstieg geredet haben, vielleicht sind wir schon im Jahr 2027 soweit und vielleicht im Jahr 2031, aber diesen Weckruf für die Automobilindustrie, den braucht es genau jetzt.
    Schmidt-Mattern: Aber genau dann wäre doch ein konkretes Datum umso hilfreicher, wenn Sie gerne einen Weckruf aussenden wollen.
    Göring-Eckardt: Deswegen steht das konkrete Datum ja auch im Wahlprogramm und da bleibt es auch. Ich nehme auch an, dass die Partei das beschließen wird auf dem Parteitag.
    Wahlprogramm oder 10-Punkte-Programm
    Schmidt-Mattern: Gucken Sie da nun in das Wahlprogramm rein, das auf der Bundesdelegierten-Konferenz in zwei Wochen beschlossen wird oder gucken Sie da in das 10-Punkte-Programm der beiden Spitzenkandidaten?
    Göring-Eckardt: Also wie ich unsere Wählerinnen und Wähler kenne, werden sie sich über alles genau informieren, weil die zu den Bestinformierten gehören. Natürlich gucken sie in das Bundestagswahlprogramm und das haben wir noch nicht beschlossen, da haben wir einen Entwurf vorgelegt, hinter dem Cem Özdemir und ich natürlich auch stehen. Und wir haben jetzt gesagt, diese zehn Punkte, die wir aufgeschrieben haben, das sind die, über die würden wir in einer potenziellen Koalitionsverhandlung oder Sondierungsgesprächen als Erstes reden. Und wenn wir dann da sitzen in einer Arbeitsgruppe, die sich die Frage stellt, wie schaffen wir das mit der Transformation der Industrie, wie schaffen wir es mit der Einhaltung der Klimaziele von Paris, dann wird das sehr konkret werden und dann gilt auch das, was im Wahlprogramm steht.
    "Überhaupt nicht beliebig"
    Schmidt-Mattern: Das heißt, wenn ich noch mal versuche zu sehen, ob ich das verstanden habe, das Wahlprogramm ist für den Wähler, das 10-Punkte-Programm für potenzielle mögliche Koalitionspartner, etwa in einem Jamaika-Bündnis?
    Göring-Eckardt: Also das Wahlprogramm ist für die Wählerinnen und Wähler und wir wissen, glaube ich, beide gemeinsam nicht, was in vier Monaten sein wird, welche potenziellen Mehrheiten es gibt. Wir haben inzwischen im Bundesrat, also sozusagen in den Bundesländern Deutschlands zwölf verschiedene Regierungskoalitionen, zwölf von 16 Ländern. Und wenn man sich das vorstellt, dann wird man heute gar nicht sagen können, das ist potenziell die Regierungskonstellation, über die man spricht. Ich finde, das macht uns frei. Das macht uns als Grüne auch sehr selbstbewusst.
    Schmidt-Mattern: Sie sagen, die zwölf Konstellationen, die wir in den Bundesländern haben, wo die Grünen in Regierungsbeteiligung sind, machen Sie frei und selbstbewusst. Ihre Kritiker sagen, die machen Sie beliebig.
    Göring-Eckardt: Nein, das ist überhaupt nicht beliebig, deswegen haben wir auch gesagt, an welchen inhaltlichen Fragen kann man uns messen? Da kann man uns messen daran, dass wir die Klimaziele einhalten. Da kann man uns messen daran, dass wir sagen, wir brauchen eine Agrarwende. Das Essen, was wir auf dem Tisch haben, muss anständig produziert werden, ohne Tierleid. Aus einer kranken Natur kommt nun mal kein gesundes Essen. Man kann uns auch daran messen, dass es keine Obergrenze geben wird für die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir werden das Grundgesetz dafür jedenfalls nicht ändern, wenn Herr Seehofer das gern möchte.
    Harte Forderungen bei möglichen Koalitionsgesprächen
    Schmidt-Mattern: Ich würde gerne, um das Thema Koalition dann auch abschließen zu können, eine Frage noch loswerden. In Schleswig-Holstein läuft alles auf eine Jamaika-Koalition hinaus, in Hessen und Baden-Württemberg, zwei anderen Bundesländern, in denen die Grünen in Regierungsbeteiligung sind, regieren Sie mit der Union. In allen drei Bundesländern, soweit man das von Berlin aus mitbekommen kann, läuft es eigentlich relativ geräuschlos. Auch die Koalitionsverhandlungen in Kiel scheinen friedlich zu verlaufen bislang. Ist das nicht eine ganz deutliche Empfehlung auch an die Bundespartei, sich im Herbst auf Jamaika zumindest auf ein Zusammengehen mit der Union einzuschließen?
    Göring-Eckardt: Also in Baden-Württemberg regiert erst mal die Union mit uns. Das ist der Unterschied, weil da stellen wir den Ministerpräsidenten und das machen wir auch gerne und das merkt man auch, dass es so herum ist. Und ich habe für alle möglichen Koalitionsoptionen, über die immer geredet wird, über die wir reden, wo wir Empfehlungen bekommen, höre ich alle paar Wochen auch was anderes. Also Anfang des Jahres, als man den Eindruck hatte, dass die SPD plötzlich sehr stark werden könnte, gab es ganz viele, die gesagt haben, jetzt stellt euch mal darauf ein, dass ihr Rot-Grün verhandeln werdet und wo sind eigentlich die größten Knackpunkte mit der SPD? Da fallen mir natürlich einige ein, weil wenn ich sehe, dass Martin Schulz natürlich an der Kohle festhält, dass das eine Partei ist, die strukturkonservativ ist in vielen Industriefragen, gesellschaftspolitisch näher bei uns und so. Ja, kann ich mir vorstellen, dass das gar nicht so einfach wird. Jetzt sind wir ein paar Wochen später, wirklich ein paar Wochen später und jetzt sagen alle "Jetzt stellt euch bitte mal auf Jamaika ein". Ich stelle mich darauf ein, dass wir, wenn wir in Gespräche gehen, kein einfacher Partner sind. Natürlich werden harte Forderungen auf dem Tisch liegen und es wird darum gehen, nicht was kommt da für die Grünen raus? Sondern was muss man für die Zukunft …
    Schmidt-Mattern: Das wäre ja gar nicht so unehrenhaft.
    Göring-Eckardt: Das ist auch ehrenhaft, aber so ticken wir gar nicht, sondern es geht um die Frage, welche wichtigen Entscheidungen stehen eigentlich für dieses Land an?
    "Mit einem Europa der zwei Geschwindigkeiten werden wir nicht schneller insgesamt"
    Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Katrin Göring-Eckardt. Braucht es gerade in der europäischen Flüchtlingspolitik doch ein Kern-Europa und sollten wir die Lösung eines Europas der zwei Geschwindigkeiten wählen, um endlich voran zu kommen?
    Göring-Eckardt: Nein, ich glaube, mit einem Europa der zwei Geschwindigkeiten werden wir nicht schneller insgesamt. Ich würde mir von Angela Merkel eigentlich sehr wünschen, dass sie sozusagen jede Woche einmal nach Brüssel fährt, damit das Sterben im Mittelmeer beendet wird und damit wir das, worüber immer alle reden, die gemeinsamen Werte Europas, auch tatsächlich zeigen können.
    Was tun mit straffällig gewordenen Asylbewerbern?
    Schmidt-Mattern: Die Fluchtpolitik ist unmittelbar verbunden auch mit der deutschen Asylpolitik. Wir haben diese Woche einen verheerenden Anschlag in der afghanischen Hauptstadt erlebt und daraufhin eine Debatte hier in Deutschland über die Frage, wie die Sicherheitslage am Hindukusch neu bewertet werden muss und was das für die Asylverfahren von Bewerbern hier in Deutschland bedeutet. Wir haben dann eine Meldung von Zeit Online in dieser Woche gehabt, auch andere Medien haben das berichtet, demzufolge ein afghanischer Berufsschüler, der eigentlich abgeschoben werden sollte aus Nürnberg, aus Deutschland, im Falle seiner Abschiebung damit gedroht hat "Ich bin in einem Monat wieder da und dann bringe ich Deutsche um." Zitat Ende. Vor dem Hintergrund solcher Äußerungen, Frau Göring-Eckhardt, können Sie weiter dazu stehen, einen kompletten Abschiebestopp zu fordern oder sagen Sie, solche Menschen müssen das Land verlassen und dürfen auch nicht zurückkommen?
    Göring-Eckardt: Ich weiß nicht, in welcher Situation dieser Berufsschüler das gesagt hat.
    Schmidt-Mattern: Bei der Festnahme und das Zitat stammt vom Nürnberger Polizeidirektor, Hermann Guth.
    Göring-Eckardt: Ja, das habe ich auch alles gelesen, genau und es gibt andere, die sagen, der war in einer wahnsinnigen Drucksituation. Aber das ist auch nicht wichtig, weil so eine Aussage ist natürlich eine Gefährdung bei uns. Und deswegen muss man jetzt herausfinden, ist der tatsächlich ein Gefährder? Und wenn er ein Gefährder ist, dann muss man zunächst mal schauen, dass man den hier unterbringt, und zwar dann hier festsetzt, wenn das so ist, wenn er so eine Ankündigung gemacht hat, wenn die so gefährlich ist, wie das hier aussieht, dann wird man erst mal sagen müssen, wenn der abgeschoben wird und dann wiederkommt, haben wir überhaupt nichts gewonnen. Also dann muss man den beobachten und muss danach schauen, ob man ihn nicht hier in Deutschland festsetzen kann. Das wäre mir jedenfalls sicherer und lieber, als ihn abzuschieben. Ich würde auch nicht darüber diskutieren, ob jetzt Straffällige nach Afghanistan abgeschoben werden können.
    Schmidt-Mattern: Aber genau da wünschen sich sehr viele Bürger ein klares Wort aus den Parteien. Was man tun soll mit straffällig gewordenen Asylbewerbern? Zwar nicht in juristischer Hinsicht, das ist kompliziert genug, sondern die Bürger wollen wissen, was politisch die Parteien da vorschlagen.
    Göring-Eckardt: Und ich gehörte immer zu denen, die gesagt haben, natürlich wenn wir Abschiebungen vornehmen, dann gilt das zu allererst für Leute, die hier straffällig geworden sind, das ist ja selbstverständlich, dass das so sein muss und dass das gilt.
    Schmidt-Mattern: Also doch kein kompletter Abschiebestopp?
    Göring-Eckardt: Was Afghanistan angeht, muss man sich anschauen, was das bewirkt. Die kleine Gruppe derjenigen, die straffällig geworden sind oder Gefährder sind mit solchen Ankündigungen, über die soll man gern extra reden.
    "In einem deutschen Gefängnis erst mal sicherer aufgehoben"
    Schmidt-Mattern: Was heißt das konkret, Frau Göring-Eckardt? Ist ein kompletter Abschiebestopp, den Sie fordern, komplett oder nicht komplett?
    Göring-Eckardt: Der komplette Abschiebestopp ist in dieser Situation komplett und wenn es eine Möglichkeit gibt zu sagen, da ist jemand, der straffällig geworden ist, den können wir nach Afghanistan abschieben, weil wir genau wissen, wo er hinkommt und dass er doch dann auch sicher ist, weil das gehört ja dazu, dann soll man so machen … Erst mal würde ich sagen, wahrscheinlich ist der, wenn der straffällig geworden ist, in einem deutschen Gefängnis erst mal sicherer aufgehoben, als dass er dann später wieder zurückkommt, so wie diese Ankündigung ja klingt dieses Jungen aus Nürnberg. Und dann geht es mir natürlich auch um die Sicherheit hier und dann muss man das Mittel wählen, was am meisten Sicherheit hier schafft und nicht das Mittel, was am besten aussieht.
    Schmidt-Mattern: Mit Ihrer Forderung nach einem kompletten Abschiebestopp könnten Sie der AfD gar kein schöneres Wahlgeschenk machen.
    Göring-Eckardt: Na, die AfD hat ja irgendwie, glaube ich, im Moment vor allen Dingen mit sich selber zu tun, aber darum geht es mir auch nicht. Das Auswärtige Amt ist der Ort, wo eine Lageeinschätzung gemacht werden muss. Als Joschka Fischer Außenminister war, hat er zum Beispiel gesagt "Das mache ich als Außenminister mit denjenigen, die sich vor Ort auskennen". Also sprich mit denjenigen, die da in der Botschaft arbeiten, mit den Menschenrechts-Organisationen etc. Der jetzige Außenminister Sigmar Gabriel macht das so, dass er sich mit Herrn de Maizière zusammensetzt und dass die beiden dann miteinander beschließen, ob das Land sicher ist. Und dass Herrn de Maizière als Innenminister da natürlich einen anderen Fokus hat und einen anderen Schwerpunkt setzt, liegt ja auf der Hand. Das hat aber nichts mit der Lage in Afghanistan zu tun. Und deswegen fände ich sehr gut, zurückzukehren zu dem, was Joschka Fischer damals eingeführt hat.
    Drohen bei der Bundesdelegierten-Konferenz Mitte Juni in Berlin Flügelauseinandersetzungen?
    Drohen bei der Bundesdelegierten-Konferenz Mitte Juni in Berlin Flügelauseinandersetzungen? (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    "Richtungsentscheidung kann größer nicht sein"
    Schmidt-Mattern: Frau Göring-Eckardt, zum Abschluss unseres Gespräches wollen wir zurückschwenken noch ein letztes Mal nach Deutschland, und zwar zu Ihrer Bundesdelegierten-Konferenz, die hier Mitte Juni in Berlin stattfindet. Der letzte wichtige Parteitag vor der Bundestagswahl. Ihr Parteifreund Konstantin von Notz, auch Mitglied der Grünen Bundestagsfraktion, hat in einem Interview mit der Tageszeitung Anfang März gesagt im Hinblick auf Ihre Partei, ich zitiere wörtlich "Vor allem braucht heute niemand diese Flügelscheiße". Zitat Ende. Heißt das jetzt, dass wir auf der Bundesdelegierten-Konferenz keine Flügelauseinandersetzungen mehr erleben werden oder raufen Sie sich weiter bei den Grünen?
    Göring-Eckardt: Na, wenn Konstantin von Notz das sagt, wird es das nicht geben und…
    Schmidt-Mattern: Das war ironisch, das muss man dazu sagen.
    Göring-Eckardt: Ja, das war ironisch. Mein Spitzenkandidat und Kollege Cem Özdemir ist ja Erzieher und sagt, man soll solche Worte auch nicht sagen, das ist schlecht für die Kinder. Aber…
    Schmidt-Mattern: Sie haben ja selber gesagt "Wir sind gerade nicht der heiße Scheiß der Republik."
    Göring-Eckardt: Ja, habe ich selber gesagt und er hat mich sehr streng angeschaut dabei und ich soll das bitte nicht wieder tun, weil er seinen Kindern immer erklärt "Scheiße sagt man nicht". So. Aber jetzt wirklich diesen ironischen Teil beiseite. Es geht auch nicht darum, ob die Partei sich untereinander in Flügel aufteilt. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist wirklich eine große. Und die Richtungsentscheidung, die am 24. September ansteht, ist eine, wie sie größer nicht sein kann. Und wir erleben das in diesen Tagen so stark, wie wir es selber nicht gedacht hätten mit der Absage von Donald Trump an das Klimaschutzabkommen wissen wir, Klimaschutz kann man am 24. September wählen, und zwar mit einem Kreuz bei Bündnis 90/Die Grünen. Und dahinter werden sich alle versammeln. Und wir werden aber keine Partei sein, die nur abnickt, die Personenkult macht, wie das andere ja können, die nicht mehr diskutiert. Im Gegenteil, wir werden ringen, wir werden um die Frage der Europa-Politik ringen, wir werden sicherlich über die ökologischen Fragen, über die Energiefragen ringen, was sind die besten Instrumente, die wir vorschlagen werden? Na klar, da wird es Diskussionen geben auf dem Parteitag, also kommt keine Langeweile auf, das kann ich garantieren. Aber wir werden uns nicht aufteilen in Flügel oder in Mitte oder in sonst irgendwas, sondern am Ende werden wir gemeinsam für das stehen, was wir voranbringen wollen. Wir wären auch verrückt, wenn wir es anders tun würden. Weil es geht nicht um internen Streit, sondern es geht um das, was wir außen erreichen und das spüre ich, dass jetzt alle aufgewacht sind und alle merken, es geht jetzt wirklich um deutlich, deutlich mehr als um uns selbst.
    Schmidt-Mattern: Katrin Göring-Eckardt, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Göring-Eckardt: Vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.