Wie in einer Mondlandschaft liegt die ockerfarbene Lehm-Stadt Kidal eingebettet im schwarzen Fels des Ifoghas-Gebirges. Das perfekte Rückzugsgebiet für Terroristen. Mit drei Pick-Up-Geländewagen haben uns mehr als zwanzig schwer bewaffnete malische Soldaten 300 Kilometer durch die Sahelzone nach Norden eskortiert. Jetzt rollen wir an einem riesigen schwarzen Monolithen vorbei: KIDAL steht darauf in großen weißen Buchstaben, auf einem anderen Stein sehe ich die Fahne von Azawad: grün, rot, schwarz, mit dem gelben Dreieck an der Seite.
Auch wenn die UN-Friedenstruppe MINUSMA hier Truppen stationiert hat, auch wenn die malische Armee über eine Kaserne verfügt - hier hat nicht der malische Staat die Kontrolle, hier regiert die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA.
Die staubige Stadt scheint wie leer gefegt. Es ist später Nachmittag in Kidal, Marktzeit, aber fast alle Stände und Geschäfte entlang der Hauptstraße sind geschlossen, Kinder gehen noch immer nicht zur Schule – die Tuareg-Rebellen halten die Schulgebäude besetzt. Unter dem Hemd rücke ich meine Schussweste zurecht. Ich trage einen beigefarbenen Turban und unternehme lächerliche Versuche, nicht als Ausländer aufzufallen, als Toubab.
In Kidal regiert die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA
"Wir leben hier in einer Geisterstadt. Niemand traut sich aus dem Haus. Wir haben große Angst. In Kidal gibt es viele schwer bewaffnete Gruppen, alle belauern sich. Kidal ist ein Pulverfass – es kann jeden Moment hochgehen. Es ist ja schon so viel passiert…"
Tiefolo Coulibaly zittert beim Interview. Er ist einer der wenigen, die sich überhaupt vor dem Mikrofon äußern wollen. Er kommt aus Kidal, arbeitet für eine Hilfsorganisation. Er hat hier die Zeit unter den Islamisten von Ansar Dine erlebt, den radikalislamischen Tuareg, dann die Befreiung durch die Franzosen, und schließlich den Einmarsch der MNLA.
"Wir sind sehr enttäuscht von Frankreich, wir fühlen uns verraten. Die Franzosen haben mit ihrem Militäreinsatz den Weg freigebombt und die Islamisten verjagt, und dann durften sich die Tuareg-Rebellen hier breitmachen – nur weil Frankreich sich Hilfe bei der Befreiung von Geiseln verspricht, weil es unsere Bodenschätze will, weil es sich einwickeln lässt von diesen Leuten."
Anders als oft behauptet, hat sich die Lage in Kidal nicht verbessert, seit Frankreich die Islamisten bis ins Ifoghas-Gebirge vertrieben hat. Dschihadistische Gruppen sind zwar von der Bildfläche verschwunden – aber haben sich nur in kleinere Einheiten verwandelt – als Trittbrettfahrer der Tuareg. Jede Nacht ist rund um die Stadt Maschinengewehrfeuer zu hören, Granaten explodieren vor den Kasernen. Ende vergangenen Jahres hat ein Selbstmordattentäter vor einer Bank in Kidal senegalesische UN-Soldaten mit in den Tod gerissen. Französische Truppen haben gerade erst ein Lager mit Tonnen von Ammoniumnitrat entdeckt – und ein Trainingslager der Islamisten.
Jede Nacht Maschinengewehrfeuer und explodierende Granaten
Der Gouverneur von Kidal kann kaum in der Stadt arbeiten, er hat kein Büro und muss rund um die Uhr bewacht werden. Jederzeit kann es zur Eskalation von Gewalt zwischen Rebellen und der kasernierten malischen Armee kommen. Schon das Tragen eines T-Shirts mit den malischen Nationalfarben ist inzwischen lebensgefährlich. Mittlerweile werden Einwohner Kidals umgebracht, nur weil sie zu anderen ethnischen Gruppen wie den Songhay oder den Peul gehören.
In einem dreckigen Hinterhof sitzen Frauen in bunten Kleidern auf niedrigen Schemeln. Auf einer Feuerstelle kochen sie Bananen in einem großen Topf, ein kleiner Junge spielt mit schmutzigem Geschirr. "Wir wussten hier nicht, was Krieg ist", sagt Fatoumata. "Es war hier immer friedlich, bis das hier alles losging. Und jetzt können wir vor lauter Angst kaum noch atmen." Es sei mittlerweile unmöglich, noch zwischen Tuareg-Rebellen und Islamisten zu unterscheiden, sagt Fatoumata, die Kriminellen wechselten ihre Hüte, wie es ihnen passt.
"Jetzt können wir vor lauter Angst kaum noch atmen"
Die Macht über Kidal liegt im extrem gefährlichen Viertel von Aliyou. Hier sind alle Einwohner bis an die Zähne bewaffnet, die malische Armee traut sich dort nicht hinein. Hier stehen die Häuser von Iyad Ag Ghaly, dem ehemaligen Anführer der radikalislamischen Tuareg-Gruppe Ansar Dine, und von Alghabass Ag Intallah, Gründer der "Islamischen Bewegung für Azawad". Vor vielen Jahren ging von diesem Ort der Kampf der malischen Tuareg für Freiheit und Mitbestimmung aus – heute scheint dieser Aufstand völlig degeneriert.
"Es sind nicht unbedingt die Islamisten, die böse sind", sagt Fatoumatas Freundin Bintou. "Unter ihnen gab es kaum Entführungen, Diebstähle oder Vergewaltigungen. Sie waren streng, aber sie waren korrekt. Aber die MNLA, die haben uns geschlagen, bestohlen, entführt, sie sind es, die unsere Schwestern, Töchter, Mütter in Massen vergewaltigen, sie sind es, die uns hier töten. Sie sind die wahren Terroristen!"
Ich frage mich, ob im Norden Malis die Zeichen wieder auf Krieg stehen. Wie lange kann, wie lange will die malische Armee noch still halten und sich von Frankreichs Operation Serval diktieren lassen, wann sie in der Gegend patrouilliert? Wenn malische Soldaten in Kidal gegen die MNLA kämpfen sollten, wären Racheakte an der arabischstämmigen Bevölkerung vorprogrammiert. Und das in einer Gesellschaft, die ohnehin schon zerrissen scheint zwischen "peaux rouges", also Tuareg und Arabern auf der einen Seite, und "peaux noirs", also Bambara, Peuls und Songhay auf der anderen. Und ich frage mich noch etwas: Warum stützt Frankreich eine so unhaltbare, so explosive Situation?
Stehen im Norden Malis die Zeichen wieder auf Krieg?
In der Nacht mache ich kein Auge zu. Ich liege in einem Verschlag aus Lehmziegeln und Beton, dem einzig sicheren und bewachten Ort in der Stadt. Hier haben auch Ghislaine Dupont und Claude Verlon übernachtet. Im vergangenen November waren sie hier in Kidal entführt und erschossen worden – Frankreich macht Al Kaida für die Morde verantwortlich. In Kidal spekulieren sie darüber, dass der französische Geheimdienst seine Finger im Spiel haben könnte.
Am nächsten Morgen krähen nicht einmal die Hähne. Dafür lauern in der Stadt die "indicateurs", die Spione auf ihren Motorrädern, auf der Suche nach neuer Ware – nach Entführungsopfern. Meine Kollegen machen bei einem befreundeten Dieselverkäufer einen Termin zum Tanken. Ich liege so auf dem Rücksitz, dass mich keiner sieht. Dennoch spüre ich die Blicke auf mir. Jeder vermummte Motorradfahrer, sagen meine Begleiter, könnte ein Selbstmordattentäter sein.
Jeder vermummte Motorradfahrer könnte ein Selbstmordattentäter sein
Unsere Eskorte tritt den Rückweg an – 300 Kilometer nach Süden – über die Sandpisten des Sahel. Am Ortsausgang von Kidal sehe ich Stofffetzen und Reste eines Motorrads: Hier hatte sich vor ein paar Tagen ein Dschihadist in die Luft gesprengt – vor dem Checkpoint der senegalesischen UN-Blauhelmsoldaten.