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Kinder der Reformation
Wer die Lutheriden sind

Wie die eigenen Vorfahren gelebt haben, das weiß kaum jemand von uns. Drei, vier Generationen kann man sich vielleicht noch zurückerinnern, danach wird es schwierig. Anders ist es bei Christian Priesmeier aus Hameln. Er kennt die Namen und Berufe seiner Vorfahren der vergangenen 500 Jahre. Denn er stammt von Marin Luther ab.

Von Christian Röther |
    Christian Priesmeier - Vorsitzender der Lutheriden.
    Christian Priesmeier, Vorsitzender der Lutheriden (privat)
    Der Reformator Martin Luther hat mit seinen Lehren nicht nur den Lauf der Weltgeschichte grundlegend verändert. Er hat damit auch sich selbst befreit – vom Zölibat. So zeugte der Ex-Mönch mit der Ex-Nonne Katharina von Bora sechs Kinder: Johannes, Elisabeth, die schon als Säugling starb, Magdalena, Martin, Paul und Margarete. Heute leben weltweit etwa 5.000 Nachkommen Luthers, schätzt Christian Priesmeier. Er stammt in der 14. Generation von Martin Luther ab.
    "In der Schule war das immer ein großes Unverständnis. Wenn ich gesagt habe, ich bin Nachfahre von Martin Luther, dann haben die Kinder oder auch die Lehrer es oft nicht geglaubt und dann musste ich halt mein Ahnenbuch, was ich damals hatte, wo ich nicht selbst drin stand, sondern meine Mutter nur, halt mitbringen und hab's dann präsentiert und hab dann gezeigt: Guck! Das stimmt wirklich, hier steht es geschrieben! Es ist aber immer noch so ein bisschen skeptisch dann aufgenommen worden."
    "Geist und Sinn" Martin Luthers erhalten
    In der neusten Ausgabe des Ahnenbuches steht jetzt auch der Name von Christian Priesmeier. Er holt es aus seinem Bücherregal zwischen zahlreichen Werken über Martin Luther hervor. Herausgegeben wird das Ahnenbuch von den Lutheriden. In diesem Verein haben sich etwa 180 Nachkommen Luthers zusammengeschlossen. Sie müssen nicht evangelisch sein, sollen aber zumindest einer christlichen Gemeinschaft angehören. Seit einem Jahr ist Christian Priesmeier Vorsitzender der Lutheriden. Ihr Ziel ist es, den "Geist und Sinn" Martin Luthers zu erhalten.
    "Was Luther ausmacht, was Luther gesagt hat, wofür Luther gestanden hat. Das versuchen wir halt zu erklären. Das verstehe ich unter Geist und Sinn Luthers in der Öffentlichkeit und in der Familie - zu verkündigen, kann man schon fast sagen."
    Die Großfamilie Luther
    Wenn Christian Priesmeier "Familie" sagt, dann meint er nicht nur seine Frau, seine drei Kinder und seine fünf Enkel, sondern die Großfamilie Luther. Von den 5.000 Nachkommen heißt heute allerdings niemand mehr Luther. Die männliche Linie ist im 18. Jahrhundert ausgestorben. Priesmeier hat Luthers Stammbaum genau studiert und ihm ist aufgefallen: Der Reformator hat tatsächlich besonders viele Theologen hervorgebracht – und Kaufleute.
    "Bei mir in der Familienlinie ist es so, dass wir mehr Kaufleute in der Familie hatten als Theologen. Ich selber bin ja auch aus der kaufmännischen Zunft vorgetreten und habe dann in späteren Jahren erst das Theologische nachgeholt."
    Christian Priesmeiers Stammbaum im Ahnenbuch der Lutheriden - und eine Luther-Postkarte, die er aus den USA mitgebracht hat.
    Christian Priesmeiers Stammbaum im Ahnenbuch der Lutheriden - und eine Luther-Postkarte, die er aus den USA mitgebracht hat. (Röther )
    Christian Priesmeier lebt in der "Rattenfängerstadt" Hameln. Er ist 50 Jahre alt, trägt einen Vollbart und ein auffälliges Holzkreuz um den Hals. Er arbeitet für eine IT-Firma, aber ist auch Prädikant, ein evangelischer Laienprediger. Als solcher hält er einen Gottesdienst im Monat, manchmal auch mehrere. In seinem Büro im Dachgeschoss seines Wohnhauses steht auch ein Mikrofon. Das hat Priesmeier an einen seiner drei Computer angeschlossen. In einem Lokalsender hält er regelmäßig Radioandachten. Außerdem studiert er Interkulturelle Theologie und ist Mitglied im evangelischen Kloster Amelungsborn.
    "Kloster ist für mich eine spirituelle Heimat. Etwas, was ich in Gemeinde nie gefunden habe und das habe ich halt in der klösterlichen Umgebung in der Bruderschaft gefunden."
    Martinus und Franzikus
    Bruder Priesmeier geht also den umgekehrten Weg wie sein berühmter Vorfahre Martin Luther. Der kam als junger Mann ins Kloster und trat später wieder aus. Christian Priesmeier kam als Spätberufener ins Kloster und verbringt dort nun ein Wochenende im Monat. Einen Widerspruch zu den Lehren Martin Luthers sieht er darin nicht. Dennoch würde Priesmeier mit dem Reformator ein paar Dinge diskutieren, wenn er könnte.
    "Wenn ich ihn heute mal zu Gesicht kriegen würde, würde ich sicherlich die heutige römische Kirche mit ihm diskutieren zu dem, wie er sie empfunden hat. Ich denke mal, dass sich die Kirche selber gewandelt hat. Ich denke, es wäre ganz interessant, wenn man heute mal Papst Franziskus mit Luther zusammentun würde. Die beiden würden unwahrscheinlich viele Dinge zusammen bewirken können bzw. ich denke mal, dass sie auf einer sehr guten gleichen Basis sein würden."
    Als Lutheride und evangelischer Christ ist Christian Priesmeier nicht nur in seiner Heimat Hameln aktiv, sondern auch in den USA.
    Christian Röther: "Ich stelle mir das so vor: Also erst mal natürlich sind die Kirchen voll in den USA. Dann ist da der Gottesdienst und dann wird der special guest angekündigt und Sie haben da so einen kleinen Star-Auftritt. Ist das so korrekt oder ist das meine Hollywood-Fantasie?"
    Christian Priesmeier: "Nein, das trifft das Ganze schon relativ genau. Wenn man dann sagt, ich bin direkter Nachfahre von Martin Luther, dann wird man irgendwie so gleich zwei Stufen höher gestellt, auch wenn man eigentlich das gar nicht will."
    Auf Tour in den USA
    Christian Priesmeier ist bereits drei Mal als Luther-Nachfahre in den USA unterwegs gewesen. Er hat in Gemeinden gesprochen, eine Luther-Statue eingeweiht und war in einer Radioshow zu Gast.
    Moderator Hal Row: "Good morning, welcome back to first talk with Hal Row on 1290 WHKY Talk Radio. This morning we will be talking with a direct descendent of Martin Luther. Christian Priesmeier of Hameln, Germany. Thank you so much for joining us this morning. I certainly do appreciate it."
    Priesmeier: "Well, thank you for the invitation."
    "Also auf meiner letzten USA Reise, wo ich jetzt im April war, da war es so, dass das Interesse an Martin Luther doch sehr viel größer ist als in Deutschland", sagt Christian Priesmeier.
    Martin Luther King bekannter
    Dennoch kennt nicht jeder in den USA den deutschen Reformator. Bei seiner ersten Reise in die Staaten hatte Christian Priesmeier feststellen müssen, dass der Bürgerrechtler Martin Luther King dort offenbar deutlich bekannter ist. Er erinnert sich an die Einreise:
    "Ich stehe nun vor diesem Officer von der Einwanderungsbehörde und werde gefragt: 'Was wollen Sie hier in den USA machen?' Ich habe dann gesagt: 'Ich reise in die USA ein, weil ich hier über Martin Luther sprechen will, weil ich ein direkter Nachfahre von Martin Luther bin.' Dann ist auf der anderen Seite ein großes Schweigen, ein erstaunter Blick und dann kommt der Satz dazu: 'Das kann ich Ihnen gar nicht glauben.' Und dann sage ich: 'Warum können Sie mir das nicht glauben?' - 'Na ja, Sie sind halt weiß.'"
    Die Hautfarbe hat Christian Priesmeier mit Martin Luther King nicht gemeinsam. Was sie gemeinsam haben: die Faszination für Martin Luther.