Fotos an schlichten Holzgerüsten, daneben Faksimiles von Dokumenten wie Briefen, Visa, Auszügen aus Tagebüchern, kleinen Zeichnungen – Fundstücke aus dem umfangreichen Archiv der Akademie der Künste. Zu sehen sind Zeugnisse von Eva und Peter Dessau, die Kinder des Komponisten Paul Dessau, von Pierre und Ruth Radvanyi, die Kinder von Anna Seghers, von Adam Zweig, dem Sohn des Schriftstellers Stefan Zweig und vielen anderen. Erstaunlicherweise ist es das erste Mal, dass eine Ausstellung ihnen Beachtung schenkt. Kuratorin Gesine Bey sucht nach einer Erklärung:
"Diese Dokumente der Kinder findet man immer schon in den Nachlässen im Archiv, der Akademie, in den Nachlässen ihrer Eltern, in den Werkmanuskripten oder den Fotosammlungen. Man hat sie oft zur Seite gelegt, weil man zu einem bestimmten Werk geforscht hat oder zur Biografie. Es ist tatsächlich so, dass die Kinder der Künstler zwar Materialien zur Verfügung gestellt haben, aber oft gesagt, hier ist alles über die Eltern, aber über uns selbst bitte nicht berichten. Später haben mehrere Kinder des Exils von 1933 bis 1945 selbst Erinnerungen aufgeschrieben, zum Beispiel George Herzfelde oder Pierre Radvanyi, der Sohn von Anna Seghers und andere auch."
Es sind anrührende Zeugnisse einer jungen Generation auf der Suche nach neuen Wurzeln. Barbara Brecht, die Tochter von Bert Brecht, verfasst im kalifornischen Exil ein ironisches Testament: "Mein letzter Wunsch und Wille" – auf Englisch, das die 12-Jährige offenbar schnell gelernt hat. Ihrem Bruder Steff will sie ihre Taschentücher hinterlassen, die würde er ohnehin immer benutzen, aber auch die Hälfte des Geschirrs, das sie abtrocknen muss. Der spätere Filmemacher Konrad Wolf und sein Bruder Markus, der in der DDR bei der Stasi den Auslandsnachrichtendienst leiten wird, folgen ihrem Vater Friedrich Wolf in die Sowjetunion. Markus Wolff erinnert sich an den Spott, den die Brüder mit ihren kurzen Hosen ernteten, in Russland trugen selbst kleine Kinder lang. Kuratorin Gesine Bey:
"Den Kindern sind andere Dinge wichtig als ihren Eltern, zum Beispiel die Trennung von ihren Spielgefährten oder von ihren Schulkameraden, von denen sie sich zum Teil nicht verabschieden durften, sie sind zum Teil mit Schuldgefühlen, manchmal aber auch mit Abenteuerlust ins Exil gegangen."
Trauer und Abenteuerlust, diese Gefühle kennen auch Flüchtlingskinder heute, die aus Afrika oder dem Nahen Osten nach Deutschland kommen. Davon erzählt der zweite Teil der Akademie-Ausstellung. Bei der Eröffnung wuselten zahlreiche Schüler durch die heiligen Hallen am Hanseatenweg in Berlin, normalerweise eher ein Klub der Älteren. Die Bundesbeauftrage für Migration, Aydan Özoguz, betonte in ihrem Grußwort:
"Auf unserer Welt, wir sagen 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Zumindest die Erwachsenen denken häufig an Männer, auch junge Männer. Aber dass die Hälfte derjenigen, die im letzten Jahr zu uns nach Deutschland gekommen sind, unter 18 Jahre alt sind, das sagen wir selten."
Mit ihrem Schülerprojekt "Kunstwelten" ist die Akademie in den vergangenen Monaten in Willkommensklassen von Berliner und Brandenburger Grundschulen und Oberschulen zu Gast gewesen. Künstler der Jungen Akademie arbeiteten mit den Schülern. Es entstanden Zeichnungen, Musik- und Theaterstücke sowie Filme, die erahnen lassen, was Flucht für Kinder heute bedeutet.
Nachdenklich stimmt der gleichwohl amüsante kleine Film, den Constanze Witt und Claus Larsen mit Schülern einer Oberschule erstellten. Sein zweideutiger Titel: "Shok" – albanisch für "Freund". Jugendliche aus Afrika, aus Syrien und dem Balkan schildern, was sie ihnen in Deutschland besonders auffiel.
Ein afrikanischer Jugendlicher wundert sich darüber, dass deutsche Schüler auf dem Pausenhof immer im Kreis herumlaufen, mittlerweile tut er es auch. Ein anderer staunt, dass man – anders als in seiner Heimat - vormittags nur alte Leute auf den Straßen sieht, weil die Kinder in der Schule sind.
Und schließlich erfährt ein Junge, der auf dem S-Bahnhof eine Süßigkeit aus dem Automaten ziehen will, dass in Deutschland Kondome an Automaten verkauft werden. Es sind eindrückliche Geschichten vom Ankommen in der Fremde. "Ist ein Flüchtling jemand, der von zu Hause hat weggehen müssen", fragt Anna, die Protagonistin in Judith Kerrs Buch: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Der Vater antwortet: "Jemand, der in einem andere Land Zuflucht sucht." Weggehen und ankommen – darum geht es auch heute.