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Kita-Urteil
"Natürlich müssen wir noch mehr Plätze schaffen"

Eltern ohne Kita-Platz können Verdienstausfall einklagen, das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Eine Klagewelle befürchtet Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund aber nicht. "Die Betroffenen wollen eine gute Betreuung für ihre Kinder" und keine Rechtsstreitigkeiten mit der Stadt führen, sagte Landsberg im Deutschlandfunk.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    "Natürlich müssen wir noch mehr Plätze schaffen, wir strengen uns an", ergänzte Landsberg. "Wir haben einfach Probleme, es fängt mit den Grundstücken an", so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Einen Kindergarten wolle niemand in der Nachbarschaft haben.
    Es gebe gesellschaftliche Entwicklungen, die die wenigsten vorhergesagt hätten: mehr Kinder, immer mehr junge Frauen, die früher in den Beruf zurück wollten, zu wenige Erzieherinnen. "Wenn die Zahlen weiter so steigen, brauchen wir mehr Geld."
    "Wir müssen mehr Leute ausbilden, wir brauchen mehr Grundstücke und wir brauchen auch mehr Unterstützung von Bund und Land", betonte Landsberg.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Das Grundsatzurteil am Bundesgerichtshof gestern, das hat aufhören lassen. Eltern haben bei fehlenden Krippenplätzen für Kleinkinder grundsätzlich Anspruch auf Ersatz für ihren Verdienstausfall. Heißt also konkret: Bietet eine Kommune zu wenig Plätze an, kann sie haftbar gemacht werden.
    Am Telefon ist jetzt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen!
    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Frau Kaess.
    "Es ist nicht so dramatisch, wie ich es teilweise jetzt höre"
    Kaess: Herr Landsberg, wir haben gerade die Kalkulation gehört von unserem Korrespondenten: etwa 110.000 Kita-Plätze, die fehlen. Befürchten Sie jetzt eine Klagewelle?
    Landsberg: Nein, wir befürchten keine Klagewelle. Ich habe auch große Zweifel, ob diese Zahl so richtig ist. Das ist von Stadt zu Stadt, von Land zu Land sehr unterschiedlich. Zum Beispiel habe ich heute Morgen im Info-Radio Berlin gehört, dass Berlin im Moment über tausend freie Plätze hat.
    Natürlich müssen wir noch mehr Plätze schaffen, wir strengen uns an, aber wir haben ja schon seit drei Jahren den Rechtsanspruch. Das heißt, schon jetzt hätten Menschen klagen können. Trotzdem sind die Klagen bundesweit im zweistelligen Bereich und deswegen glaube ich, dass es so dramatisch nicht ist, wie ich es teilweise jetzt höre.
    "Wenn die Eltern sauer werden, dann kommt der Rechtsstreit"
    Kaess: Aber dieses Urteil von gestern kann ja auch durchaus motivierend sein für Eltern, eben doch zu klagen, und wir wissen, Sie haben es angesprochen, in vielen Großstädten gibt es zu wenig Plätze. Was sollte die Betroffenen davon abhalten zu klagen?
    Landsberg: Na ja, zunächst mal wollen die Betroffenen ja eine gute Betreuung für ihre Kinder und nicht unbedingt Rechtsstreitigkeiten mit der Stadt führen. Auch dieser Rechtsstreit, der jetzt der Anlass war, der läuft jetzt auch schon Jahre. Ich glaube, die Mehrheit der Eltern hat was anderes zu tun. Und es wird vielleicht auch zu wenig in den Blick genommen, als habe der BGH entschieden, ich kriege keinen Platz, zack kriege ich Verdienstausfall.
    Nein, das hat er gerade nicht gesagt. Er hat gesagt, es ist möglich, dass ich ihn kriege, aber unter einschränkenden Voraussetzungen, nämlich dass die Stadt schuldhaft gehandelt hat. Und er hat da ja zwei Beispiele nur genannt und er hat gesagt: Wenn etwa die Kita nicht fertig wird, weil der Bauunternehmer insolvent ist, dann liegt kein Verschulden vor. Oder ein weiteres Beispiel, was ich für ein ganz ernsthaftes halte: Wenn der Markt leergefegt ist und es keine Erzieherin gibt trotz Ausschreibung, auch dann kein Verschulden der Stadt, kein Schadensersatz.
    Ein dritter Fall, den ich auch noch gerne nennen will: Wenn jemand 10.000 Euro verdient, kann er nicht zuhause bleiben. Dann muss er gegebenenfalls für 2.000 Euro, was ja sehr teuer ist, eine private Kita in Anspruch nehmen. Auch das ist in der Urteilsbegründung thematisiert worden. Diese Automatik gibt es nicht. Natürlich erhöht die Sache den Druck, das ist völlig unstreitig. Das ist vielleicht auch gut. Man kann übrigens auch an diesem Fall sehen: Es ist häufig eine Frage der Kommunikation. Wenn die Eltern sauer werden, dann kommt der Rechtsstreit.
    "Wir haben viel zu wenig Erzieher und Erzieherinnen"
    Kaess: Herr Landsberg, Sie sagen, das erhöht den Druck. Was machen denn Städte und Kommunen falsch, dass der Kita-Ausbau immer noch hinterherhinkt?
    Landsberg: Ich muss natürlich bestreiten, dass wir etwas falsch machen. Wir haben einfach Probleme. Es sind übrigens noch nicht mal so sehr die finanziellen Probleme. Es fängt mit den Grundstücken an. Jeder möchte gerne mehr Kinderbetreuung. Aber bitte schön: den Kindergarten nicht in der Nachbarschaft. Wir haben viel zu wenig Erzieher und Erzieherinnen. Die kann eine Stadt nicht zaubern, die müssen eine vierjährige Ausbildung durchlaufen, da gibt es Kapazitäten der Länder, die sind weitgehend ausgeschöpft.
    Dann versuchen wir, Kinderfrauen zu engagieren. Das machen wir auch, das gelingt auch teilweise. Aber viele Eltern sagen nein, wir möchten das nicht zur Kinderfrau geben, sondern lieber in eine Einrichtung. Ob das immer klug ist, ist eine andere Frage. Das heißt, es gibt Umstände, auf die wir nur einen ganz beschränkten Einfluss haben. Wir werben in der Politik der Länder und auch des Bundes für mehr Geld, für mehr Ausbildung, und da zeigen sich ja auch Erfolge. Wir haben jetzt 719.600 Plätze. Wenn Sie mir das vor drei Jahren gesagt hätten, hätte ich gesagt, träum weiter.
    "Immer mehr junge Frauen wollen noch früher wieder in den Beruf"
    Kaess: Aber, Herr Landsberg, Sie sagen auch gleichzeitig, seit drei Jahren besteht dieser Rechtsanspruch. Wieso gibt es immer noch diese großen Hürden?
    Landsberg: Das ist natürlich mit mehreren Umständen begründet. Zunächst mal hat ja vor zwei Jahren die Öffentlichkeit gesagt, Deutschland stirbt aus, die Geburtenrate geht zurück. Das Gegenteil war der Fall. Niemand hat mit 900.000 Flüchtlingen, die auch viele Kinder haben, für die wir auch Plätze brauchen, gerechnet.
    Es kommt ein Weiteres hinzu, auch das ist schwer vorherzusagen: Immer mehr junge Frauen wollen noch früher wieder in den Beruf und fragen diese Plätze nach. Das war vor einigen Jahren auch anders. Das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die die wenigsten Leute in dieser Form vorhergesehen haben, und das erhöht natürlich den Druck. Aber wie gesagt, es gibt viele Städte, da funktioniert das auch sehr gut. Es ist nicht so, dass überall die Eltern hinterherlaufen müssen.
    "Wir brauchen mehr Grundstücke und auch mehr Unterstützung von Bund und Land"
    Kaess: Das haben wir verstanden. Aber zum Schluss noch: Was muss jetzt getan werden, damit der Kita-Ausbau wieder Fahrt aufnimmt?
    Landsberg: Wir müssen mehr Leute ausbilden. Wir brauchen mehr Grundstücke und wir brauchen auch mehr Unterstützung von Bund und Land.
    Kaess: Aber der Bund unterstützt Sie ja schon finanziell.
    Landsberg: Ja, das tut er schon. Aber wenn die Zahlen weiter so steigen, die Geburtenraten und auch die Flüchtlingskinder, dann brauchen wir nicht nur das Geld, was wir jetzt schon bekommen, sondern mehr Geld. Mal eine Zahl: Im Moment kostet die Kinderbetreuung etwa 26,8 Milliarden im Jahr. Davon zahlen 60 Prozent die Kommunen und 40 Prozent Bund und Länder.
    Kaess: Die Kommunen sind ja auch zuständig.
    Landsberg: Das ist richtig. Aber den Rechtsanspruch haben nicht die Kommunen formuliert, sondern der Bund.
    Kaess: … sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Danke für das Interview heute Morgen.
    Landsberg: Bitte schön, Frau Kaess!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.