
Es brauche deutlich mehr musische Bildung, sagte der Konzertagent Berthold Seliger im Dlf. Man müsse zurückfinden zu einem Bildungsbegriff, der sich mehr an den "Humanities" orientiere statt an den Bedürfnissen des marktliberalen Systems. Seliger meint: "Musikliteratur, Rhetorik, natürlich auch Sprachen, Notenlesen, das sollte selbstverständlich sein".
Er will den "Klassikkampf" antreten, um die Musik von den Eliten zurückzuholen und wieder 'Kultur für Alle' zu machen. "Johann Sebastian Bach hat 700 Stunden Kantaten in der Thomaskirche in Leipzig dirigiert, er hat aber 1.200 Stunden Unterhaltungsmusik im Kaffeegarten dirigiert. Darüber spricht nur keiner", so Seliger. In seinem Buch empfiehlt er einen neuen Kanon ernstzunehmender Musik: "Wir müssen um die kämpfen, die noch nicht die Leidenschaft für klassische Musik teilen", so Seliger, "weil diese Musik das Leben massiv bereichern kann".
Dilemmata der E-Musik
Die Konzerthäuser in Deutschland plage ein ambivalentes Dilemma, sagte Seliger. "Die Konzerthäuser sind immer noch voll. Es gibt ein sehr treues Abonnement-Publikum. Die Opernhäuser haben aber andererseits seit 1990 die Hälfte ihres Publikums etwa verloren." Die Klassik habe ein "biologisches Problem", weil sich junge Menschen kaum für sie interessierten. Nach Seligers Ansicht liegt das auch an der räumlichen, teils "religiösen" Gestaltung der Konzerthäuser, weil "junge Menschen nicht mehr notwendigerweise zwei Stunden stillsitzen wollen oder auch können".
Seliger forderte ein Umdenken bei den Veranstaltern. "Es gibt haufenweise Musiker, die sagen, wir würden gerne andere Musik aufführen. Wir würden gerne das Ligeti-Violinkonzert spielen, wir müssen dann aber immer Sibelius oder Mendelssohn-Bartholdy spielen. Da gibt es eine große Angst vor dem, dass man die Leute mit moderner und zeitgenössischer Musik verschrecken könnte."
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