Auswärts denken, das kann man ja eigentlich überall:
"Aber nur im Kabarett gibt´s: Auswärts denken mit Getränken."
Sozusagen die Grunddefinition für das Genre. Oft jedenfalls - und bei Matthias Reuter ganz besonders, glaubt man dem Titel seines neuen Programms.
"Ist auch tatsächlich das, was das Kabarett der Volkshochschule voraus hat."
Doch eigentlich ist es vor allem ein Akt der Notwehr. Denn zuhause, da kommt der Klavierkabarettist aus Oberhausen nicht mehr so richtig dazu. Sagt er.
"Zuhause gibt’s Internet, Radio, Whats-App-Nachrichten, E-Mails, was weiß ich, das lenkt einen ab."
Schräge Stories im Angebot
Auf der Bühne dagegen findet er Muße genug und bietet schräge Stories, die er mal als freien Stand-up präsentiert, mal als vorgelesene Geschichte und dann wieder als umfangreiche Ballade: zum Beispiel über die merkwürdigen Erfahrungen eines Zeitgenossen beim Umzug, der eigentlich ganz vielversprechend begann:
"Es schellt und vor der Tür da steht ein Monster und will rein. Ich denke 'Was für ein Glück, das wird der Möbelpacker sein.' Durch den Spion sieht man schon seine baggergroßen Klauen mit den bloßen Händen kann er Braunkohle abbauen. Er ist selbst wie ein Möbel und kann Eisen verbiegen, Du musst werden wie der Feind, um den Feind zu besiegen, darum ist er halb Mensch und zur anderen Hälfte Schrank, stärker als ein Gallier voll Zaubertrank. Er frisst rohe Elche und säuft Möbelpolitur. Drück ihm nicht die Hand, sonst gibt´s ne Mittelhandfraktur. Glücklich öffne ich die Tür und begrüße den Koloss und er sagt: 'Ich schlepp hier gar nix. Wozu bin ich denn der Boss?'"
"Es gibt auch einfach Songs, die einfach n bisschen Quatsch machen. Es gibt nicht ausschließlich Klavierkabarett, wenn man den großen Begriff mal benutzen möchte, sondern einfach lustige Lieder."
Matthias Reuters inzwischen viertes Programm bietet ein breites, humoriges Spektrum: karnevaleske Beobachtungen zur Einordnung der Flüchtlinge in entsprechendes Brauchtum, Lieder zum EU-Gezänk, der Entwurf eines ersten deutschen Flüchtlingsmusicals und immer wieder Absurd-Skurriles aus dem Ruhrgebietsalltag. Wie zum Beispiel jene Beobachtung einer regelrechten Revolte Essener Biergartenbesucher, die den Redeversuch eines AfDlers nach dem Petry-Heil-Parteitag handfest deutlich unterbanden, was in dem Satz kulminierte:
"Komm geh wech mit deiner Scheiße und mach die Musik wieder an."
Könnte man glatt auch einen Countrysong draus machen.
"Komm geh weg mit deiner Scheiße und mach die Musik wieder an, das ist dann und wann das beste, was ein Mann noch sagen kann. Lass nicht jeden miesen Schwätzer mit einem Mikro an dich ran. Komm geh weg mit deiner Scheiße und mach die Musik wieder an - Geht doch!" Ist doch Super!"
Kein politisches Kabarett
Matthias Reuter ist allerdings kein politischer Kabarettist, obwohl er seinen Unmut über den politischen Alltag in Deutschland immer wieder einfließen lässt. Vom Umgang mit Flüchtlingen über die Exzesse der AfD bis zu den Verbaltorpedos aus Bayern. Oder über diesen Trump-le aus Amiland.
"Wer wählt diesen Mann? Es geht ja nicht so sehr um diese Person. Aber es muss in den USA eine größere Gruppe von Menschen geben, die von sich sagen: Aus unseren Reihen ist Donald Trump am besten geeignet für das Amt des amerikanischen Präsidenten. Da frage ich mich immer: Wie sind denn die andern? Wie müssen denn dann die anderen sein? Ich mein, in der Fabel ist ja auch der Löwe der König der Tiere. Und kein ulkig ondulierter Gorilla, der alle mit seinen Exkrementen bewirft und eine Mauer um den Dschungel baut."
Matthias Reuter propagiert die kleinen subversiven Handlungen im Alltag, provozierend, absurd, komisch. Etwa wenn er uns eines seiner seltsamen Hobbys präsentiert:
"Ich habe mir nämlich einen Neufundländer gekauft, also einen dicken Hund, sowie einen gebrauchten britischen Opel Corsa mit dem Lenker auf der rechten Seite. Damit mache ich nun Folgendes: Ich stelle den Rechtslenker auf die niedrigstmögliche Höhenstufe ein und setze mich davor. Den Neufundländer setze ich auf den linken Vordersitz, wo ich für ihn eigens ein zweites Lenkrad als Attrappe angebracht habe. So fahren wir mit halbgeöffneten Fenstern durch die Innenstadt. Immer, wenn wir neben einem anderen Auto halten, hebe ich seitlich ein Pappschild hoch mit der Aufschrift: 'Hilfe! Der dicke Hund hat mich entführt.'"
Das ist recht amüsant, doch in der Vorpremiere merkt man auch, dass hier noch Luft nach oben ist. Aber vielleicht ist es auch nur geschmäcklerisch, Karnevalserinnerungen oder Oktoberfestbeobachtungen aus dem Ruhrgebiet derzeit als anachronistische Saisonnummern zu empfinden. Auch wenn sie für sich noch so gut sein mögen. In einem Nummernprogramm ist eben vieles möglich. Prädikat: ausbaufähig.