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Klavierkonzerte
Ragna, Clara und Ludwig

Pianistin Ragna Schirmer hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit Clara Schumann auseinandergesetzt. Auf ihrer neuen CD kombiniert sie das Klavierkonzert von Clara Schumann mit Musik von Ludwig van Beethoven. Dessen Klavierkonzert Nr. 4 hat Clara Schumann vielfach aufgeführt und eigene Kadenzen dazu geschrieben.

Am Mikrofon: Uwe Friedrich |
    Bereit fürs Konzert: die Pianistin Ragna Schirmer
    Die Pianistin Ragna Schirmer (Jochen Hubmacher, Deutschlandradio)
    Clara Schumann war die herausragende Klaviervirtuosin des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland. Sie setzte sich unermüdlich für das Werk ihres verstorbenen Mannes Robert Schumann ein, unterrichtete am Hoch'schen Konservatorium in Frankfurt und reiste als Solistin durch Europa. Dass sie auch selbst komponierte und während ihrer Konzerte am Instrument improvisierte, geriet ein wenig in Vergessenheit. Die Pianistin Ragna Schirmer setzt sich schon seit vielen Jahren für die Komponistin Clara Schumann ein und hat nun deren Klavierkonzert, op. 7 und das vierte Klavierkonzert Ludwig van Beethovens mit der Staatskapelle Halle unter Leitung der Dirigentin Ariane Matiakh aufgenommen. Diese neue CD erscheint demnächst beim Label Berlin Classics.
    Musik: Clara Schumann - Konzert für Klavier, op. 7
    Felix Mendelssohn dirigierte die Uraufführung
    Der erste Satz von Clara Schumanns Klavierkonzert steht am Ende der Entstehungsgeschichte. Denn nachdem sie die folgenden beiden komponiert hatte, revidierte sie den Anfang ihres Jugendwerks grundlegend. Das Finale spielte sie als Einzelsatz schon lange vor der Vollendung des gesamten Konzerts. Eine im 19. Jahrhundert übliche Praxis, einzelne Sätze eines Solokonzerts oder einer Sinfonie zu isolieren und in den für unseren heutigen Geschmack oft überlangen und verblüffend gemischten Konzertprogrammen zu präsentieren. Anfang der 1830er Jahre begann die etwa fünfzehnjährige Clara Schumann, als Komponistin auch die Möglichkeiten des Sinfonieorchesters zu erkunden. Sie schrieb eine Ouvertüre und ein Scherzo für Orchester, orchestrierte eigene Klavierkompositionen. Diese Werke sind wohl verloren. Ihr späterer Mann Robert Schumann, den sie als Achtjährige kennenlernte, als der im Haus ihres Vaters, des Klavierpädagogen Friedrich Wieck, lebte, half ihr bei der Orchestrierung. Die Uraufführung des Klavierkonzerts dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy im November 1835 im Leipziger Gewandhaus. In dieser Neuaufnahme mit Ragna Schirmer spielt die Staatskapelle der Nachbarstadt Halle/Saale unter Ariane Matiakh.
    Musik: Clara Schumann - Konzert für Klavier, op. 7
    Große Hände für große Neuerungen
    Wenn Solisten für ihr Instrument komponieren, wollen sie selbstverständlich ihre eigenen Stärken herauskehren. Clara Schumann hatte auffällig große Hände. Sie konnte auch weite Sprünge problemlos greifen und hatte auch bei jenen Werken keine spieltechnischen Probleme, die ihren Zeitgenossen als unspielbar galten. Die Mitte des 19. Jahrhunderts brachte gleich mehrere große Neuerungen für Pianisten. Frédéric Chopin hatte gerade das moderne Klavierspiel mit dem virtuosen Pedalgebrauch sozusagen erfunden, Klavierbauer entwickelten klangvollere Instrumente, vor allem aber bildete sich ein neuer Typus des Klaviervirtuosen heraus: Der Tastenlöwe. Franz Liszt ist der bis heute bekannteste Vertreter, immer wieder wird gerne erzählt, dass er durch sein hemmungsloses Spiel auch die besten Konzertflügel ruinieren konnte. Kein Wunder, dass Clara Schumann sich mit ihm messen wollte, und so erinnert manche Passage in ihrem Klavierkonzert an das große Vorbild.
    Musik: Clara Schumann - Konzert für Klavier, op. 7
    Die Pianistin Ragna Schirmer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Leben und Werk Clara Schumanns. Vor einigen Jahren kaufte sie einen Flügel der Leipziger Klavierbaufirma Blüthner aus dem 1856 und ließ ihn aufwendig restaurieren. Aus ihren Erfahrungen mit dem Instrument, das Clara Schumann gespielt haben könnte, möchte sie ihre Interpretationen herleiten. Schirmers Zugriff auf dem modernen Steinway-Flügel, mit dem diese Aufnahme entstand, fällt allerdings eher robust aus, zupackend und auftrumpfend. Das ändert sich jedoch im zweiten Satz, einer Romanze für Cello und Klavier.
    Musik: Clara Schumann - Konzert für Klavier, op. 7
    Clara Schumann inspiriert von "Zaubercello"
    Die Kombination Cello-Klavier in einem Klavierkonzert erinnert an das zweite Konzert von Johannes Brahms, entstand aber schon viele Jahre vor der Bekanntschaft und Freundschaft der beiden, viele Jahre vor dem Brahms-Konzert. Als Clara Wieck, damals noch lange nicht mit Robert Schumann verheiratet, 1834 zu einer Tournee nach Magdeburg, Braunschweig und Hannover aufbrach, ahnte die Fünfzehnjährige noch nicht, dass sie sich in Braunschweig Hals über Kopf in einen Cellisten verlieben würde. Theodor Müller habe ein "Zaubercello", spiele "zart" und "gefühlvoll", schrieb sie ihrer Stiefmutter von unterwegs. Hier fand sie wohl die Inspiration für das intime Zwiegespräch zwischen Klavier und Cello im zweiten Satz des Klavierkonzerts, dem das Publikum ebenso lauschen darf wie das Orchester. Das Finale des Konzerts bildet jenes beschwingte Rondo, das Clara Schumann zuerst schrieb und ihrem Publikum vorstellte, lange bevor das Gesamtwerk vollendet war.
    Musik: Clara Schumann - Konzert für Klavier, op. 7
    Die junge französische Dirigentin Ariane Matiakh leitet die Staatskapelle Halle beherzt zupackend. Das Orchester entstand im Jahr 2006 aus der Fusion von Philharmonischem Staatsorchester und Opernorchester Halle. Was einst widerwillig dem Spardiktat gehorchte, hat sich inzwischen zu einem homogenen Klangkörper zusammengefunden. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass auch bei diesem Zusammenschluss zahlreiche Musikerstellen verloren gingen. Das neue Orchester machte in den letzten Jahren vor allem wegen origineller Konzertprogramme von sich reden, für die es auch mit einem Preis des Deutschen Musikverleger-Verbands geehrt wurde. Selbstverständlich gehört auch Beethoven zum Konzertrepertoire der Staatskapelle Halle.
    Musik: Ludwig van Beethoven - Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58
    Clara Schumann liebte Beethovens viertes Klavierkonzert
    Der Anfang von Beethovens viertem Klavierkonzert muss bei der Uraufführung 1807 eine Sensation gewesen sein. Keine auftrumpfenden Orchesterakkorde, keine Vorstellung jener Themen, die dann vom Solisten weiterentwickelt werden. Stattdessen verhaltene Klavierakkorde, als wüsste der Komponist beziehungsweise Solist selbst noch nicht, ob das Konzert bereits begonnen hat. Nach Beethovens Tod wurden seine Sonaten und auch die Konzerte nur von relativ wenigen Pionieren gespielt, darunter, Mendelssohn Bartholdy, Liszt und eben Clara Schumann, die vor allem das vierte Klavierkonzert sehr liebte. Die Noten wurden erst im Jahr 1861 gedruckt, auch das sicher ein Hindernis für die weitere Verbreitung des faszinierenden Konzerts. Beethoven war noch einer jener komponierenden Pianisten, die auch im Konzert noch improvisierten, wie wir vom Umblätterer der Uraufführung des vierten Klavierkonzerts wissen. Ihm stockte der Atem, weil er beim Umblättern fast nur weiße Seiten sah. Beethoven hatte sich nämlich bloß einen Leitfaden aus nur für ihn selbst lesbaren Hieroglyphen notiert, wie Ignaz Seyfried später berichtete. Diesen Improvisationscharakter will auch Ragna Schirmer in ihr Spiel einbringen.
    Musik: Ludwig van Beethoven - Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58
    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ändert sich das Selbstverständnis der Musiker. Im Zuge des Historismus entsteht ein Bewusstsein dafür, dass großartige Werke der Vergangenheit lebendig erhalten werden müssen. Zwar wird weiterhin erfolgreich Musik geschrieben, dem spezialisierten Solisten fällt nun jedoch in erster Linie die Aufgabe zu, die Meisterwerke möglichst akkurat zu reproduzieren. Auch Clara Schumann widmet sich in dieser Zeit der Herausgabe und Förderung der Musik ihres verstorbenen Mannes Robert und der Aufführung jener Werke, die bis heute ihren Platz auf dem Konzertpodium haben. Raum zur Improvisation bleibt noch in den Kadenzen, in denen der Solist das thematische Material nach eigenem Vermögen verarbeiten darf, eigentlich sogar soll. So sind diese Momente des musikalischen Innehaltens noch bis in die Romantik hinein ausdrücklich gemeint. Diesen Freiraum nutzte Clara Schumann für eine ausgedehnte Kadenz im abschließenden dritten Satz des vierten Beethoven-Konzerts. Die Kadenz wird zu einem eigenen Teil des Konzerts, den Clara Schumann selbstbewusst dem Werk des von ihr verehrten Beethoven hinzufügt.
    Musik: Ludwig van Beethoven - Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur, op. 58
    Clara Schumann schrieb diese Kadenz für den dritten Satz des vierten Klavierkonzerts Ludwig van Beethovens, das die Pianistin Ragna Schirmer auf ihrer neuen Platte dramaturgisch mit dem Klavierkonzert Clara Schumanns verknüpft. Sie wird von der Staatskapelle Halle unter Leitung der französischen Dirigentin Ariane Matiakh begleitet. Die CD erscheint Anfang September beim Label Berlin Classics und bietet einen Einblick in jene Epoche der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der sich das Selbstverständnis der Musiker, Solisten wie Komponisten grundlegend änderte und sich die noch heute vertraute Form des Konzertabends herausbildete.
    Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll

    Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur

    Ragna Schirmer, Klavier
    Staatskapelle Halle
    Leitung: Ariane Matiakh

    Label: Berlin Classics (LC 06203) EAN: 885470009285