Archiv

Klima im Bundestag
"Die AfD nimmt Ängste auf, um sie zu verschärfen"

Der Vizepräsident des Bundestags, Thomas Oppermann (SPD), rät zu Gelassenheit, Widerspruch und Wachsamkeit im Umgang mit der AfD. Die Demokratie brauche eine starke Opposition, sagte Oppermann im Dlf. Die AfD aber mache Stimmung gegen Flüchtlinge und schüre Ängste, ohne inhaltliche Lösungen anzubieten.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann
    Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann ist tot. (picture alliance/ dpa/ Michael Kappeler)
    Stefan Heinlein: Ein Antrag zur Altersfeststellung von Flüchtlingen durch Genitaluntersuchung, eine Anfrage im Bundestag, wie viele Fälle durch Heirat in der Familie entstandene Schwerbehinderungen einen Migrationshintergrund haben, oder schlicht der Antrag zur Abschaffung des Familiennachzugs für Flüchtlinge – seit die AfD im Bundestag sitzt, hat sich die Arbeit und das Klima im Plenum verändert. Die größte Oppositionspartei beherrscht das Spiel mit der Provokation, gezielte Tabubrüche, um Schlagzeilen zu provozieren – meist gegen die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung, oft bewusst politisch inkorrekt, angereichert mit alternativen Fakten, um einer Gegenöffentlichkeit zu gefallen. In dieser Woche will die AfD im Bundestag eine Änderung des Paragrafen zur Volksverhetzung erreichen.
    Mitgehört hat ein sehr erfahrener Parlamentarier, seit 2005 im Bundestag und aktuell Vizepräsident des Parlamentes: Thomas Oppermann (SPD). Guten Morgen, Herr Oppermann.
    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    "Die AfD hat das Klima im Bundestag verändert"
    Heinlein: Produktiv, provokativ und widersprüchlich – ist das auch Ihr Eindruck nach sechs Monaten AfD im Bundestag?
    Oppermann: Nun, die AfD hat in der Tat das Klima im Bundestag verändert. Die Debatten sind schärfer, es herrscht eine andere Tonlage. Die AfD versucht, immer wieder zu provozieren und Tabus zu verletzen. Damit versucht sie, Aufmerksamkeit zu bekommen. Und sie hat natürlich davon profitiert, dass wir monatelang ein politisches Vakuum hatten durch die fehlende Bundesregierung, durch die langen Koalitionsverhandlungen. Dadurch sind die Themen der AfD stärker in den Mittelpunkt gekommen. Und wir haben ihr insgesamt vielleicht auch zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber es ist deutlich geworden: Diese AfD ist eine Partei, die stramm nationalistisch auftritt, die völkisch argumentiert und die sich im Laufe der Zeit immer weiter radikalisiert. Sie muss ernst genommen werden als eine Gefahr für unsere demokratische Entwicklung im Land. Aber wir müssen auch die richtige Methode finden, mit dieser Partei umzugehen.
    Heinlein: Darüber, Herr Oppermann, müssen wir gleich noch reden. Scharfe Debatten im Bundestag, Sie haben es selber festgestellt. Gerade in Zeiten einer Großen Koalition, braucht eine lebhafte Demokratie dann nicht gerade diese starke Opposition, die auch mal vielleicht über das Ziel hinausschießt?
    Oppermann: Ja, das brauchen wir, und das hat ja gerade in der letzten Wahlperiode gefehlt. Da hatten wir eine Große Koalition mit 80 Prozent Mehrheit, hatten schwache Oppositionsparteien, die überhaupt keine Alternative zur Regierung dargestellt haben. Aber was wir wirklich brauchen, wären Debatten um die entscheidenden politischen Fragen in Deutschland: In welche Zukunft entwickelt sich dieses Land? Wie bewältigen wir die Probleme der Digitalisierung? Wie können wir Familien stärken? Wie können wir Arbeitnehmer entlasten? Wie können wir soziale Sicherheit schaffen? Wie können wir Einwanderung so organisieren, dass nicht einzelne Gruppen in der Bevölkerung gegeneinander ausgespielt werden? – Das sind die entscheidenden Fragen. Aber da liefert die AfD überhaupt keine Problemlösungen oder Konzepte. Sie will eigentlich immer auf bestimmte Punkte hinaus, und die spalten die Bevölkerung.
    AfD will "alle politischen Fragen auf vier Grunddinge herunterführen"
    Heinlein: Herr Oppermann, das sind die SPD-Themen, die Sie gerade nennen. Aber zum Beispiel das Thema Flüchtlingskriminalität, das ist ein Thema, das nur die AfD aufgreift, das aber viele Menschen interessiert und das bislang ohne die AfD unter den Teppich gekehrt wurde.
    Oppermann: Ja, da ist was dran, und ich glaube, wir müssen Kriminalität von Flüchtlingen auch zu einem politischen Thema machen. Aber nicht so wie die AfD. Die AfD schürt gezielt Ängste. Sie tut so, als ob die Kriminalität der Flüchtlinge exorbitant unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, und sie erweckt den Eindruck, als ob die Deutschen demnächst eine Minderheit im eigenen Land sind. Davon sind wir nicht nur meilenweit entfernt; das wird auch so nicht kommen.
    Die AfD will immer alle politischen Fragen eigentlich auf vier Grunddinge herunterführen. Sie ist entweder gegen die europäische Integration, gegen den Islam, gegen Flüchtlinge beziehungsweise Einwanderer und gegen das sogenannte politische Establishment. Alles was sie macht, lässt sich im Grunde genommen auf diese vier Themen zurückführen. Sie macht keine konkreten Vorschläge, wie das Zusammenleben, auch wie Flüchtlingskriminalität durch bessere Integration überwunden werden kann, sondern sie macht Stimmung gegen Flüchtlinge und damit auch Stimmung gegen einen großen Teil unserer Gesellschaft, gegen Menschen, die einen Migrationshintergrund haben. Die fühlen sich in diesem Lande dann nicht mehr wohl. Das ist das Ziel der AfD, die sozusagen zu vergraulen und an den Rand der Gesellschaft zu drängen.
    Heinlein: Aber greift die AfD nicht genau diese Stimmen und Stimmungen auf von Teilen der Bevölkerung, stellt dann die Fragen, die sonst sich keiner traut zu stellen, aber eben viele Menschen interessieren?
    Oppermann: Ich glaube, die demokratischen Parteien müssen diese Ängste selbst aufgreifen.
    Gelassenheit, Widerspruch und Wachsamkeit
    Heinlein: War das ein Versäumnis der Vergangenheit?
    Oppermann: Zweifellos! Das ist so. Wir haben auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sehr viel Euphorie und Begeisterung über die Hilfsbereitschaft der Deutschen gehabt, und das war ja auch ein sehr positiver Zug unseres Landes. Damit haben wir uns international Respekt erworben. Aber wir haben nicht gesehen, dass auch ganz viele Menschen Ängste vor dieser Entwicklung hatten, weil sie glaubten, dass sie dann vielleicht mit den Flüchtlingen um gute Jobs oder bezahlbare Wohnungen konkurrieren müssen, und insofern muss man die Menschen immer mitnehmen in solchen politischen Entwicklungen und darf sie nicht alleine lassen. Das hat die AfD für sich genutzt. Aber sie löst ja nicht die Probleme, sondern sie nimmt diese Ängste auf, um sie zu verschärfen, um den Menschen noch mehr Angst zu machen, und dann leitet sie diese Ängste und diese Stimmung gegen Flüchtlinge, gegen Minderheiten, gegen Menschen, die sich dagegen nicht wehren können. Das ist eine Spaltung unserer Gesellschaft und das dürfen wir nicht zulassen.
    Heinlein: Ein Thema, Herr Oppermann, haben wir zu Beginn unseres Gespräches zurückgestellt: den richtigen Umgang mit diesen Provokationen der AfD. Die Empörung, die ich auch zum Teil aus Ihren Antworten gerade höre, scheint ja nicht zu helfen. Man kann sich nicht ständig aufregen über die AfD, das holt keinen Wähler zurück.
    Oppermann: Ich rate zu einem Dreiklang: zu Gelassenheit, Widerspruch und Wachsamkeit.
    Gelassenheit – ich finde, man sollte nicht jede Provokation der AfD annehmen. Man sollte sie auch mal ins Leere laufen lassen. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, auch wenn das schwerfällt.
    Widerspruch – ja, Demokraten müssen mit klaren Worten widersprechen, wenn AfD-Vertreter sich rassistisch, wenn sie sich menschenverachtend äußern, oder wenn sie geschichtsrevisionistisch auftreten oder den Boden unserer Verfassung verlassen.
    Drittens: Wir brauchen Wachsamkeit. Die demokratischen Parteien müssen versuchen, die AfD wo immer möglich in der Sache zu stellen, aber zeigen, dass sie keine inhaltlichen Lösungen haben. Ich bin für das Motto "inhaltlich abgrenzen, aber nicht formal ausgrenzen". Ich halte es für den falschen Weg, immer wieder die AfD-Vertreter im Plenum des Deutschen Bundestages durchfallen zu lassen, wie das jetzt seit Wochen geschieht. Es ist zwar eine Zumutung, diese Leute zu wählen in bestimmte Gremien des Bundestages, aber unser Wahlrecht unserer parlamentarischen Demokratie sieht vor, das Verhältniswahlrecht, dass alle Fraktionen nach ihrer Stärke in den Gremien vertreten sind. Und wir dürfen jetzt nicht einen verfassungsrechtlich unhaltbaren Zustand erzeugen und wir dürfen nicht zulassen, dass unsere parlamentarische Demokratie ihre Probleme nicht lösen kann. Deshalb bin ich dafür, dass diese AfD-Leute in diese Gremien kommen.
    Abwertung anderer und Aufstacheln zum Hass gegen andere
    Heinlein: Herr Oppermann, blicken wir zum Schluss unseres Gespräches auf den aktuellen Antrag der AfD zum Volksverhetzungsparagrafen. Können Sie mit diesem Änderungsantrag etwas anfangen, auch das deutsche Volk soll zum Tatobjekt einer Volksverhetzung werden können?
    Oppermann: Ja das ist ein schönes Beispiel dafür, wie die AfD die Dinge umdreht. Der Tatbestand der Volksverhetzung in Paragraf 130 Strafgesetzbuch, der schützt ja den öffentlichen Frieden dadurch, dass strafbar wird, wer zum Beispiel zum Hass aufstachelt, zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen einzelne Gruppen oder auch gegen einzelne Personen aufruft oder die Menschenwürde anderer angreift, indem sie als Gruppe oder als Einzelner, der einer Gruppe angehört, beschimpft oder verleumdet oder böswillig verächtlich gemacht werden. Und jetzt sagt die AfD, dieser Tatbestand muss auch die Deutschen insgesamt schützen. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Die Deutschen werden durch das gesamte Strafgesetzbuch geschützt und hier geht es um den Schutz von Minderheiten.
    Heinlein: Ganz praktisch, Herr Oppermann. Könnte das bedeuten, wenn die AfD sich durchsetzt mit ihrem Änderungsantrag, dass eine Merkel-Puppe am Galgen künftig strafbar ist, oder die Kanzlerin mit Hitler-Bärtchen auf griechischen Titelblättern?
    Oppermann: Ich weiß nicht, ob die AfD genau das im Auge hat. Aber jedenfalls darf der Tatbestand der Volksverhetzung nicht so weit gefasst werden, dass kritische Meinungsäußerungen nicht mehr möglich sind. Die AfD ist ja total widersprüchlich in der Frage. Dieser Herr Maier, den Sie vorhin zitiert haben, der fordert ja an anderer Stelle auch, dass die Volksverhetzung insgesamt aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Ich glaube, sie wollen diese Debatte nur führen, um zu zeigen, die Deutschen sind eine bedrohte Minderheit im eigenen Land, die müssen sozusagen von Übergriffen radikaler Einwanderer oder Flüchtlinge geschützt werden. Und damit haben sie dann wieder die Grundmelodie, Abwertung anderer und Aufstacheln zum Hass gegen andere. Das ist die Politik der AfD.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Thomas Oppermann (SPD). Herr Oppermann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Oppermann: Ich danke Ihnen! – Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.