Dirk-Oliver Heckmann: Zugehört hat Claudia Kemfert. Sie ist die Energie- und Klimaexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Schönen guten Tag, Frau Kemfert!
Claudia Kemfert: Guten Tag, Herr Heckmann. Ich grüße Sie.
Heckmann: Frau Kemfert, im Vorfeld gab es ja Streit um die Zusammensetzung der Kommission. Die Opposition muss draußen bleiben. Ist das eigentlich eine sinnvolle Entscheidung aus Ihrer Sicht?
Kemfert: Na ja. Es ist vor allen Dingen eine politische Entscheidung. Es ist ein politisches Gremium, was zwar keine Gesetze selber definiert, aber Empfehlungen aussprechen wird, und deswegen hat man sich da so lange gestritten und nicht einigen können, wer alles dabei sein sollte. Wichtig ist ja, dass die einzelnen Interessengruppen auch mit am Tisch sitzen, dass jedes Bundesland auch vertreten ist und dass man auch Expertise mit am Tisch hat. Klar gibt es dann Enttäuschungen, dass auch jede Partei noch meint, da müssen weitere dabei sein. Das Gremium ist ja schon sehr groß. Man kann es jetzt auch nicht unendlich erweitern, denn der Zeitplan ist ja sehr eng, und da muss man jetzt auch mal zu Potte kommen und mal vorwärts gehen.
Heckmann: Sie gelten selbst ja als Kapazität in dem Bereich, zurecht natürlich. Welche Gründe hat es, dass Sie nicht dabei sind?
Kemfert: Ich denke, es geht hier vor allen Dingen darum, dass man einzelne Aspekte mit berücksichtigt. Wir vom Sachverständigenrat für Umweltfragen haben ja ein Gutachten vorgelegt zum Kohleausstieg. Wir begleiten auch mit unseren wissenschaftlichen Fachexpertisen im Rahmen verschiedener Projekte diese Kommission. Und jeder hat da seine unterschiedliche Rolle, unabhängig davon, ob man jetzt mit am Tisch sitzt oder ob man durch wissenschaftliche Expertise dies begleitet. Hier geht es jetzt erst mal darum, Empfehlungen zu erarbeiten, und da können wir auch einen Beitrag dazu leisten, weil wir seit Jahrzehnten dazu Forschungen machen.
"Ich hoffe schon, dass man ein gutes Ergebnis erzielen wird"
Heckmann: Und genau deswegen haben wir Sie auch im Programm, um Empfehlungen und Ihre Expertise einzuholen in das Thema. – Eine Aufgabe der Kommission ist es ja, ein Ausstiegsdatum vorzuschlagen. Wird man da zu einem guten Ergebnis am Ende kommen und was wäre ein gutes Ergebnis?
Kemfert: Ich hoffe schon, dass man ein gutes Ergebnis erzielen wird. Wir empfehlen ja den sogenannten Budget-Ansatz, dass man mit einer maximalen Menge an CO2-Emissionen, die noch ausgestoßen werden dürfen durch Kohlekraftwerke, dort ansetzt. Das sind 2.000 Millionen Tonnen CO2. Wenn wir jetzt acht Jahre so weitermachen würden, wäre dieses Budget schon aufgebraucht.
Wir schlagen da drei Phasen vor. Die erste Phase, da geht es darum, alte und ineffiziente Kohlekraftwerke aus dem System zu nehmen. In der zweiten Phase dann eine Drosselung von Kapazitäten. Und die dritte Phase muss begleitet sein durch einen konkreten Ausstieg, der dann sich entwickeln würde, je nachdem wie früh man beginnt, im Jahre 2030, 2035 allerspätestens. Insofern wird es auch darauf hinauslaufen, dass man ein Ausstiegsdatum definieren wird. Das wäre auch wichtig für die Planungssicherheit aller Investoren, nicht nur für die zukünftigen Jobs, aber auch jetzt der Kohleindustrie.
"Je schneller wir beginnen, desto einfacher wird es"
Heckmann: Wenn ich hier mal ganz kurz einhaken darf, Frau Kemfert? Die Forderung der Bündnis-Grünen, bis spätestens 2030 komplett auszusteigen, die ist im Prinzip richtig? Verstehe ich Sie richtig?
Kemfert: Sie ist wissenschaftlich begründet, weil wir zeigen können, dass wenn man eine bestimmte maximale Menge an CO2-Emissionen noch zulässt, die sich ergeben aus dem Pariser Klimaabkommen, aus dem Klimaschutzabkommen, was wir unterzeichnet haben, ratifiziert haben, aus dem Klimaschutzplan, den wir in Deutschland entwickelt haben, dann lässt sich da kaum eine andere Antwort finden als: Je schneller wir beginnen, je früher wir beginnen, alte und ineffiziente Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, desto einfacher wird es. Desto länger kann man dann am Ende auch noch Kapazitäten flexibel steuern. Aber es ist in der Tat, je länger man wartet, umso schwieriger. Desto eher rückt auch dann ein Ausstiegsdatum sehr nahe, weil wir dann sehen müssen, dass es dann 2030 schon sein muss. Je länger wir warten, desto eher wird das Ausstiegsdatum sein.
Heckmann: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, der hat das aber schon zurückgewiesen. Der hat gesagt, mit 2030, das wird wohl nichts werden. Es könnte vielleicht auch vor 2045 sein, das Datum. Was wäre von einem solchen Szenario zu halten?
Kemfert: Es wird kaum kompatibel sein mit den Klimazielen, die wir nun mal vereinbart haben und die auch die gesamte Bundesregierung vereinbart hat.
Heckmann: Wenn man in anderen Bereichen einspart?
Kemfert: Wenn man in anderen Bereichen einspart, ist es vielleicht zu erreichen. Aber es wird extrem schwer, weil der Verkehrssektor im Moment ja so schwerfällig ist, dass man dort kaum die notwendigen Emissionen einsparen kann oder vermindern kann. Es ist der Kohlesektor, der hier zu den Klimazielen beitragen muss. Wenn man jetzt aber sehr früh beginnt, sehr viele Kraftwerke rauszunehmen, kann sich das Ausstiegsdatum dann noch flexibel nach hinten verschieben, weil das CO2-Budget dann noch da wäre. Aber je länger man jetzt wartet – und so verstehe ich Nordrhein-Westfalen auch, dass man jetzt die alten ineffizienten Kohlekraftwerke, die stehen fast alle in Nordrhein-Westfalen, jetzt nicht sofort aus dem System nehmen will -, dann wird man es nicht schaffen, die Klimaziele zu erreichen bis 2045.
Heckmann: Wie viele alte Kohlekraftwerke müssten denn aus Ihrer Sicht ganz schnell stillgelegt werden?
Kemfert: Das sind die Zahlen, die auch schon damals in den Koalitionsverhandlungen durch die Gegend geisterten, diese sieben Gigawatt, neun Gigawatt Kohlekraftwerkskapazitäten. Das ist die Größenordnung an alten und sehr ineffizienten Kohlekraftwerken, die fast alle in Nordrhein-Westfalen stehen, bis hin in der Lausitz ein paar noch betreffen. Aber um die Größenordnung geht es ungefähr, die wir sofort aus dem Netz nehmen müssten. Dann hätte man auch ausreichend Flexibilität, um die restlichen Kapazitäten dann zu drosseln und den Kohleausstieg dann so vorzubereiten, wie sich das ja alle wünschen, nämlich diesen Strukturwandel zu begleiten, den Menschen dort Perspektiven zu geben, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen und dann auch diesen Strukturwandel klug zu begleiten.
Angst um Arbeitsplätze "ist absolut verständlich"
Heckmann: In diesem Strukturwandel geht es ja darum – und das ist auch ein Zielkonflikt in einer gewissen Hinsicht: Tausende haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Eine Angst, die verständlich ist.
Kemfert: Die ist absolut verständlich. Nur je länger man wartet, desto schlimmer macht man es doch für die Menschen. Je früher man beginnt, auch Jobs zu entwickeln, Perspektiven zu erarbeiten, Unternehmen dort ansiedeln zu lassen, die jetzt auch zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten, durch Umschulung, durch Qualifizierungsmaßnahmen das begleitet, desto einfacher wird es für die Menschen, auch einen Job zu finden beziehungsweise auch ein Programm zu finden, in dem sie ihre Arbeit noch einbringen können.
Das verstehe ich absolut. Ich finde es auch richtig, dass man diesen Strukturwandel klug begleitet. Man muss es aber auch heute beginnen und man muss dann auch sowohl die Landespolitik als auch die Bundespolitik hier zwingen, dass man entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, dass der Strukturwandel auch wirklich durch Programme begleitet wird. Nur dann macht es ja tatsächlich Sinn und das sind dann nicht nur hohle Worte, sondern für die Menschen auch ganz konkrete Perspektiven, die erarbeitet werden.
Heckmann: Hört sich nachvollziehbar an. Trotzdem könnte die Versuchung für die politischen Akteure groß sein zu sagen, nein, nein, wir ziehen die Verstromung von Kohle noch ein bisschen weiter mit Blick auch auf die Arbeitsplätze, damit da die Stimmung nicht kippt. Wie groß ist diese Gefahr?
Kemfert: Ja, die Gefahr ist sehr groß, weil sonst wären wir ja schon sehr viel weiter mit dem Kohleausstieg. Der hätte ja schon vor zwei Jahrzehnten begonnen werden müssen, damit wir jetzt diese Probleme nicht hätten. Aber man erkennt ja daran, dass es immer so lange hinausgezögert wird, dass es hier fundamentale politische Probleme gibt, die schwer zu lösen sind. Umso wichtiger ist es jetzt, dass man das auch wirklich umsetzt, dass alle da einig sind, dass man diese Perspektiven jetzt erarbeitet, einen Strukturfonds beispielsweise auferlegt, wo dann auch Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, wo Gelder bereitgestellt werden für neue Unternehmen, für Forschung, für Startups. Um das geht es ja letztendlich, um diesen Strukturwandel auch wirklich möglich werden zu lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.