
"Die Jungs und das Meer", "Malchiki i More", so heißt dieses federleichte Stück von Mikael Tariwerdijew, mit dem die Dreifach-CD seines Werks, die gerade auf Earth Records erschienen ist, beginnt. Das Stück ist ideal gewählt. Programmatisch und biografisch. Es markiert Tariwerdijews Durchbruch und es transportiert doch schon viel von dem, wofür ihn Millionen in allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion bis heute verehren.
"Die Jungs und das Meer" entstand 1961 für den Film "Auf Wiedersehen, Jungs", eins der wichtigsten Werke der sowjetischen Neuen Welle jener Jahre. Regisseur war Tariwerdijews Freund Michail Kalik. Drei weitere gemeinsame Filme sollten folgen. Nach dem Tode Stalins hatte in allen Künsten eine junge Generation das Zepter übernommen. Dichter wie Bella Achmadulina, Filmemacher wie Tarkowskij und Kalik und Komponisten wie Tariwerdijew. Wie weggeblasen waren die klassizistische Schwere der Stalinjahre, die Prunksucht, der ewige Appell ans Kollektiv. Tariwerdijew schrieb moderne romantische Musik, individualistisch, leise und filigran. Und die Stars des Landes rissen sich darum, seine Lieder zu singen.

"U tebya takie glasa", haucht Maya Kristalinskaya - "Du hast solche Augen", und dann "als ob in jedem zwei Pupillen wären, wie bei den Scheinwerfern der allerneuesten Autos."
Mikael Tariwerdijew wurde 1931 als Kind armenischer Eltern im georgischen Tbilisi geboren. 1957 beendete er sein Kompositionsstudium bei Aram Chatschaturjan am legendären Moskauer Gnessin-Institut. Und Moskau blieb seine Stadt. Tariwerdijew war talentiert, sah fabelhaft gut aus, konnte komponieren, Klavier spielen und selbst singen. Praktisch vom Diplomkonzert weg geriet er zum Film. Im Lauf seiner langen Karriere schrieb er die Musik zu weit über 100 Filmen. Viele seiner Lieder wurden Hits.
Alla Pugatschowa: "Mne nravitsja - Es gefällt mir" - nach einem Gedicht von Marina Zwetajewa. Dass Tariwerdijew es sich erlauben konnte, für seine Texte selbst zu praktisch heiligen Autoren der russischen Literatur zu greifen, bezeugt seinen Status. "Mne nravitsja" stammt aus dem Film "Ironie des Schicksals" von 1976, einem der größten Kassenschlager des sowjetischen Kinos, der seit Jahrzehnten zu Silvester im Fernsehen läuft.
Die jetzt erschienene Drei-CD-Box enthält 51 mithilfe von Tariwerdijews Witwe sorgsam ausgewählte Tracks. Das ist viel und doch nur ein Bruchstück aus Tariwerdijews Werk. Zu den Filmscores kommen Opern, Kammermusik, Liederzyklen und zum Beispiel auch ein Orgelkonzert, das Tariwerdijew kurz nach dem GAU in Tschernobyl schrieb. Tariwerdijew hatte 1986 selbst in Tschernobyl für die Arbeiter gespielt, die ihre Gesundheit riskierten, um die Folgen der Katastrophe einzudämmen. 1996 starb Tariwerdijew in Sotschi am Schwarzen Meer, wo er seit Jahrzehnten den Sommer verbrachte. 20 Jahre nach seinem Tod hat Westeuropa das Vergnügen, einen Mann zu entdecken, der in einer Reihe steht mit Nino Rota, Ennio Morricone oder Georges Delerue.
Weitere Informationen
"Film Music" von Mikael Tariwerdijew ist beim britischen Label Earth Recordings erschienen. Dort ist der Name nach englischer Konvention als "Tariverdiev" transkribiert.