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Konfessionen im Vergleich
"Die katholische Kirche ist das Aschenputtel"

"Deutschland ist ein eher evangelisches Land mit einer anti-katholischen Unterströmung", sagte der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann im Dlf. Kulturprotestantismus sei Konsens. Für das Wahlverhalten ist der Unterschied zwischen liberal und autoritär eingestellten Christen bedeutsamer als der konfessionelle.

Andreas Püttmann im Gespräch mit Christiane Florin |
    Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx umarmen einander bei einem Gottesdienst in Hildesheim im März 2017
    Hier gehen Katholizismus und Protestantismus auf Tuchfühlung. Tatsächlich gebe es aber reale Differenzen zwischen den Konfessionen, so der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. (imago stock&people / Jens Schulze)
    Christiane Florin: Die Volksparteien haben bei den Bundestagswahlen stark verloren, die Volkskirchen schrumpfen. Besteht da ein innerer Zusammenhang?
    Andreas Püttmann: Ja, weil wir insgesamt einen Trend zur Individualisierung und Pluralisierung haben und in den Echokammern des Internets natürlich viele einzelne Nischen entstehen - und Organisationen, die große Teile der Bevölkerung abdecken und zusammenfassen wollen, es von daher schwerer haben. Ich glaube aber, dass dann doch mal ein kategorialer Unterschied ist, weil für das Christentum ist wirklich die Plausibilität seiner Kern-Glaubensaussagen noch mal stark rückläufig, während die Parteien ja mehr Interessen vertreten. Insofern hat die Kirche sozusagen nicht nur dieses Integrationsproblem, was die Parteien haben, sondern auch noch mal tatsächlich haben die Kirchen ein tatsächliches Glaubensproblem. Man muss aber auch sehen, dass die CDU ja bei den vorletzten und vor-vorletzten Wahlen ungefähr auf dem Niveau lag, wo sie heute liegt. Insofern sehe ich das jetzt nicht so dramatisch. Aber die SPD ist in der Tat dauerhaft auf dem absteigenden Ast.
    Florin: Nun haben ja Bischöfe in ihren Kathedralen das Licht ausgeknipst, wenn Pegida und die AfD demonstriert haben – sie wollten den Populisten keine Kulisse bieten, das war zum Beispiel in Köln so, das war in Erfurt so. Bischöfe, aber auch Laienkatholiken, haben vor der AfD regelrecht gewarnt. Welche Durchschlagskraft haben solche Appelle angesichts des Wahlergebnisses?
    "Von der Vorstellung, dass die Kirche eine Haltung vorgibt, muss man sich verabschieden"
    Püttmann: Tja, ich könnte jetzt etwas sarkastisch antworten und sagen: Die gleiche Durchschlagskraft wie die Lehre zur Pille.
    Florin: Das heißt: keine?
    Püttmann: Das heißt, es hat ja mal jemand gesagt - ich glaube sogar ein höherrangiger Geistlicher: "Die jungen Frauen stehen auf dem Petersplatz, jubeln dem Papst zu und in der Handtasche haben sie die Anti-Baby-Pille." Also was man damit sagen kann ist, dass die Kirche nicht mehr die Kraft hat, das Verhalten der Gläubigen wirklich durch normative Vorgaben zu verändern in umfangreichem Maße. Also als Benedikt XVI. zum letzten Mal nach Deutschland kam, gab es eine Umfrage: Wie wichtig ist Ihnen eigentlich, was der Papst sagt? Und da antworteten 58 Prozent der Katholiken: nicht wichtig. Also von der Vorstellung muss man sich verabschieden, dass die Kirche eine Haltung vorgibt noch, zumal gegenüber einer Partei, und die Mehrheit der Katholiken verhält sich entsprechend. So funktioniert das nicht mehr, dafür reicht die Autorität nicht mehr.
    "Je näher Katholiken der Kirche stehen, desto weniger wählen sie AfD"
    Florin: "Jesus war kein Deutscher, er war ein Flüchtlingskind", "die Katholische Kirche ist eine Weltkirche." Stimmt diese Grundannahme, das Christentum imprägniere gegen irgendetwas Extremes?
    Püttmann: Zunächst mal würde ich sagen: Es imprägniert für etwas. Man merkt schon, dass die Lehre der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, dass es eine fundamentale, gleiche Würde und Freiheit jedes Menschen gibt, schon auch eine prägende Kraft hat. Ich halte es nicht für Zufall, dass wir in den entchristlichten Gebieten der Bundesrepublik, in Ostdeutschland, wo wir noch 20 bis 25 Prozent der Christen haben, eben besondere Resonanz für nationale und nationalistische Positionen haben, die eben gegen diesen universalen "Humanitarismus" sind, wie es dann auch oft abwertend genannt wird. Also generell ist es schon so, dass die Hilfsbereitschaft bei christlichen Gläubigen auch etwas überdurchschnittlich angegeben wird, Geld gespendet zu haben, sich ehrenamtlich für andere zu engagieren, auch Vertrauen in andere Menschen zu haben, auch außerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft. Also im positiven Sinne gibt es eine Imprägnierung. Das bedeutet natürlich dann immer auch einen Anti-Reflex. Bei der katholischen Konfession ist es so, dass eigentlich alle Umfragen gezeigt haben: Je näher sie der Kirche stehen, die Katholiken, desto weniger wählen sie AfD.
    Christen demonstrieren im April 2017 gegen den AfD-Parteitag - sie tragen ein Transparent mit dem Schriftzug "Unser Kreuz hat keine Haken"
    Im April 2017 haben Kölner Christen gegen den Parteitag der AfD demonstriert (imago stock&people / Guido Schiefer)
    Florin: Wir haben noch nicht diese ganz genauen, anhand der Konfessionen aufgeschlüsselten Daten für die aktuelle Bundestagswahl. Aber, bei allem Respekt für Ihre Thesen und für Ihre Zahlen: Es gibt doch Berührungspunkte, etwa wenn es darum geht, die Ehe für alle zu verteufeln oder Gender zu verteufeln. Es gibt hochrangige Geistliche, die auch im Vatikan angesiedelt sind, die das Christentum gegen den Islam in Stellung bringen. Die Distanz zu populistischen Parteien und Positionen ist doch nicht überall im Katholizismus gleich ausgeprägt.
    Püttmann: Selbstverständlich muss man differenzieren. Es gibt in Deutschland traditionell auch eine rechtskatholische Strömung. Das waren die, die in der Weimarer Republik sich etwa im Katholikenausschuss der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei, organisiert haben. Diese Strömung gibt es, aber sie ist minoritär.
    Florin: Aber laut.
    Püttmann: Die ist sehr laut. Und sie hat auch ein, zwei Themen, wo sie sich scheinbar auch auf die katholische Lehre berufen kann. Also beim Abtreibungsthema ist es ganz offensichtlich. Aber da bringen eben die Rechten demografische Gründe hauptsächlich und nicht eigentlich die katholische Begründung gegen die Abtreibung vor. Bei der Homo-Ehe ist es auch noch mal so. Allerdings gibt es dann eben andere Themen – und vor allen Dingen das Flüchtlingsthema -, wo sich wirklich die Spreu vom Weizen trennt und wo man sieht: Es gibt offensichtlich zwei Grundformen des Christentums. Die eine betrachtet das Christentum als bloßen Identitätsmarker und Ordnungsfaktor, da kommt es im Grunde zu einer Überlagerung des Christlichen durch das Konservative. Die andere Grundform des Christlichen geht aus von der Imago-Dei-Lehre, nämlich von dem Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes, mit einer einmaligen Würde und Freiheit ausgestattet und meint eben sozialethisch auch, daran müsse sich die ganze kirchliche Gesellschaftslehre orientieren und von daher entfalten.
    Also ich meine schon, dass diese neuere … dieses neuere Verständnis von Christentum doch näher beim Evangelium ist als dieses autoritative Ordo-Christentum, was im Grunde das Christentum nur als ein System von Geboten und Verboten betrachtet, wo der Mensch sich gefälligst einfügen muss - und dann ist die christliche Gesellschaft da.
    Die Kluft verläuft zwischen Liberal und Autoritär
    Florin: Halten Sie die Unterscheidung in Rechts- und Linkskatholisch – Sie haben sie ja jetzt selber getroffen -, halten Sie die für sinnvoll?
    Püttmann: Ja, es ist schon so, obwohl ich sagen würde: Politisch ist die große Schnittlinie heute gar nicht mal so sehr rechts gegen links, sondern autoritär gegen liberal. Es kommt ja nicht umsonst, dass Herr Gauland in einer Talkshow nach 20 Minuten Sahra Wagenknecht lobt und sagt, es stimmt alles, was sie gesagt hat. Natürlich berühren sich die Extreme. Insofern glaube ich, in Europa haben wir jetzt einen Kulturkampf, liberal gegen autoritär. Aber es besteht eine gewisse Kongruenz mit dieser alten Kluft links und rechts. Die Rechtskatholiken haben schon eher autoritäre Einstellungen und Linkskatholiken – jetzt im Sinne der Linkspartei – gibt es ja kaum noch.
    Florin: Ihr Buch heißt: "Wie katholisch ist Deutschland?" Warum ist es überhaupt wichtig, zu wissen, wie katholisch Deutschland ist? Erst recht noch im Jahr des Reformationsjubiläums?
    Püttmann: Ja zunächst mal beeinflussen religiöse Überzeugungen unser Denken, Fühlen und Handeln mehr als wir glauben. Es sind sehr tiefe, existenzielle Prägungen und Überzeugungen, die dann auch kulturell vermittelt werden, auch an diejenigen, die selbst vielleicht gar nicht mehr zur Kirche gehen. Und wenn man das weiß, dass Religion auch eine gesinnungsprägende und handlungsorientierende Kraft hat, dann macht es wissenschaftlich natürlich Sinn, danach zu fragen. Und da die Katholiken ja etwas misstrauisch und kritisch in Deutschland beäugt werden, wie wir aus Umfragen wissen …
    Florin: … Ist das so? Aus welchen Umfragen weiß man das?
    Püttmann: Ja, es gibt Umfragen, wo man zum Beispiel auf einer siebenpunktigen Skala sein Vertrauen äußern soll, 1 würde also bedeuten: Überhaupt kein Vertrauen; und wo die Katholische Kirche mit 27 Prozent, also mehr als ein Viertel der Bevölkerung mit einem ausgeprägten, tiefen Misstrauen vor sich hat. Die Evangelische Kirche, der wird viel weniger misstraut, nur halb soviel auf dieser Stufe. Dann hat man natürlich als jemand, dem immer am Gleichgewicht gelegen ist, auch so den Impuls mal, das Aschenputtel, das konfessionelle Aschenputtel hier etwas zu rehabilitieren und gegen den Strich zu bürsten in dem Reformationsjubiläumsjahr und mal eine kleine, katholische Leistungsschau zu versuchen. Hans Conrad Zander hat ja mal über seine Konfession, die katholische, gesagt: "Wir kommen gleich hinter Hare Krishna und Scientology." So schlimm ist es zwar nicht.
    Florin: Bevor wir zu einzelnen Befunden kommen, die Sie als Leistungsschau bezeichnen, noch eine grundsätzliche Frage: Wissen Sie ganz genau, dass Menschen sich so und so verhalten, weil sie katholisch sind? Oder kann es nicht auch sein, dass sie sich so verhalten, obwohl sie katholisch sind?
    Püttmann: Natürlich beruht Verhalten immer auf einer Gleichung von mehreren Variablen, auf verschiedenen Einflüssen und Lebensdimensionen. Es ist sehr schwer, von Korrelationen in der Tag auf Kausalitäten zu schließen, aber man muss schon berücksichtigen, dass die Religion eine sehr prägende – und zwar über Jahrhunderte bei uns –, eine gesinnungsprägende Kraft hatte und dass die Datenunterschiede, die man sieht, auch durchaus plausibel gemacht werden können. Allerdings nie in dem Sinne, dass man vernachlässigt: Eine Aussage über alle ist keine Aussage über jeden.
    Das Lebensschutz-Gen
    Florin: Also wie sind sie denn so, die Katholiken? Welches ist der überraschendste Befund?
    Püttmann: Also überraschend ist, dass die Katholiken zwar, wie wir ja auch aus der Wahlforschung kennen, konservativer sind, auch konservativer wählen und bei der inneren Sicherheit, bei allen Maßnahmen wie Schleierfahndung, Internetüberwachung, verschiedene Maßnahmen polizeilicher Repressionen eher auf Seiten des Staates auch stehen. Fragt man aber nach der Todesstrafe für Terroristen, Schwerverbrecher, Vergewaltiger, dann sind die Katholiken die Gruppe, die am meisten der Todesstrafe widerspricht. Also dieses eingebaute Lebensschutz-Gen, was wir vom Thema Abtreibung kennen, das zeigt sich auch bei so einem Thema wie Todesstrafe, wo man sagen könnte: Na ja, die sind doch ansonsten etwas staatsgläubiger und konservativer, wer weiß. Schaut man sich mal in den USA an, wie die Christen da zur Todesstrafe stehen. Dieses Lebensschutz-Gen zeigt sich hier bei den Katholiken in Deutschland sehr deutlich. Bei den klassischen Fragen, wie Abtreibung und Sterbehilfe, haben die kirchennahmen Katholiken zum Teil Antworten, die sich zu 30 Prozent von den Antworten anderer unterscheiden. Das ist schon mal ein wichtiger Punkt.
    Porträtaufnahme des Politikwissenschaftlers und Journalisten Andreas Püttmann
    Andreas Püttmann bricht in seinem neuen Buch eine Lanze für den deutschen Katholizismus (privat)
    Und dann sieht man generell beim Rechtsgehorsam, bei der Loyalität zur Bundesrepublik Deutschland, etwa in den großen Widerstandsschwemmen so der 80er-Jahre, Nachrüstung, Wackersdorf et cetera, dass sie doch ein unverbrüchlicheres Vertrauen in die Gerechtigkeit der staatlichen Rechtsordnung haben und den Polizisten auch mehr helfen wollen bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten, das Gewaltmonopol mehr bejahen. Hier sind die Katholiken etwas rechtsgehorsamer. Nicht bei der heimlichen, bei der Alltagskriminalität, Steuerhinterziehung, Versicherungsbetrug et cetera. Da sieht man, dass die Kirchennahen beider Konfessionen etwas gesetzestreuer antworten als die Kirchenfernen und Konfessionslosen. Aber da gibt es diesen konfessionellen Unterschied nicht. Und die Katholiken waren auch in Umfragen, schon in den 50er-Jahren, häufiger der Meinung, dass sich in der Bundesrepublik Deutschlands beste Zeit in diesem Jahrhundert entfalte. Sie haben auch den "Tag der Befreiung" 1945 im Mai mehr als Tag der Befreiung wirklich und nicht der "Niederlage" in Erinnerung. Also die Identifikation mit diesem Staatswesen, die ja auch durch Konrad Adenauer und Helmut Kohl, durch zwei katholische Kanzler, erleichtert wurde, die ist in den Zahlen auch recht deutlich zu erkennen.
    "Wie sie das inszeniert hat, das fand ich kritikwürdig"
    Florin: Da haben Sie in Ihrem Buch ein Beispiel für das Verhältnis Kirche – Staat, oder in dem Fall auch Papst – Staat, nämlich: Angela Merkel, Bundeskanzlerin, hat den damaligen deutschen Papst Benedikt XVI. dafür kritisiert, dass er die Aussöhnung mit den Piusbrüdern gesucht hat, weil einer der Bischöfe dieser Piusbrüder ein Holocaust-Leugner war. Das ist ja nun in Deutschland ein Straftatbestand, den Holocaust zu leugnen. Warum kritisieren Sie eine Bundeskanzlerin dafür, dass sie in diesem Fall ja auch auf das Recht pocht?
    Püttmann: Also zunächst mal geht es um das Setting. Es war eine Pressekonferenz mit einem muslimischen Diktator, Nasarbajew, von Kasachstan. Da als deutsche Bundeskanzlerin, quasi von Berlin aus, einen Papst zu rüffeln, da schwingen historische Vorereignisse mit, sodass ich sagen würde: Die Bundeskanzlerin hätte nicht untätig bleiben müssen, aber gerade weil Joseph Ratzinger selbst über den Verdacht des Antisemitismus weit erhaben ist und es ja offensichtlich auch eine Panne gab in der Vorbereitung dieser Entscheidung in der Kurie …
    Florin: …Das musste die Kanzlerin ja nicht wissen. Also kritisieren darf sie ja trotzdem.
    Püttmann: … Ja, aber das konnte sie in Erfahrung bringen. Da hatte man doch den Eindruck, dass sie versucht, sich ein bisschen auf eine Stimmung draufzusetzen. In der Sache selbst, gegenüber den Piusbrüdern, ist jede Kritik wirklich angebracht. Aber wie sie das inszeniert hat, das fand ich schon kritikwürdig.
    "Kulturprotestantismus als Kompromiss"
    Florin: Angela Merkel ist die Tochter eines evangelischen Pastors, in der letzten Bundesregierung waren sehr viele evangelische Christen, als Minister, deutlich mehr als katholische. Interessanterweise war auch kein Mitglied der Bundesregierung konfessionsfrei. Jetzt mal unter Ihrem Aspekt der Leistungsschau: Was läuft denn da falsch für die Katholiken in puncto Elitenrekrutierung, wenn sie es nicht mehr in die Bundesregierung schaffen, im Unterschied zu früheren Legislaturperioden?
    Püttmann: Wenn man die CDU-Politiker betrachtet, die in der Bundesregierung Minister waren und dann noch den Fraktionsvorsitzenden und den Generalsekretär dazu nimmt, also mal so die zehn mächtigsten CDU-Politiker auf Bundesebene, dann hatten wir neun Protestanten und einen Katholiken – Peter Altmaier. Es stimmt. Es scheint so etwas wie eine Protestantisierung der CDU gegeben zu haben. Da muss ich allerdings auch sagen, weil das gerne so gegen Angela Merkel auch ins Feld geführt wird: Es haben sich halt auch einige Katholiken selbst aus dem Rennen geschossen.
    Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) kommt am 29.03.2017 zur wöchentlichen Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt in Berlin.
    Als Katholik im letzten Kabinett auf einsamem Posten - Kanzleramtsminister Peter Altmaier (dpa/picture alliance/ Michael Kappeler)
    Florin: Christan Wulff zum Beispiel?
    Püttmann: Christian Wulff zum Beispiel, Annette Schavan, Herr Röttgen hat im Wahlkampf durch unglückliche Äußerungen es sich mit Frau Merkel verdorben …
    Florin: Und das hat mit der Konfession zu tun?
    Püttmann: Nein. Aber ich will ja gerade begründen, warum es keine systematische Entfernung von Katholiken aus der Politik gibt durch eine evangelische Kanzlerin. Das haben sich also die Katholiken auch selbst zuzuschreiben. Ich mache allerdings eine Einschränkung: Ich glaube, dass in einer Situation, wo gesellschaftlich der Atheismus – oder sozusagen die Konfessionslosigkeit – wächst, ein liberaler Kulturprotestantismus gewissermaßen als historischer Kompromiss zwischen dem katholischen Deutschland und dem atheistischen oder nicht-christlichen Deutschland am ehesten akzeptabel ist. Es ist ja auch vielleicht kein Zufall, dass unsere Bundespräsidenten, bis auf Lübke und Wulff, alle evangelisch waren. Deutschland ist schon noch, vom Konsens her betrachtet, ein eher evangelisches Land mit einer anti-katholischen Unterströmung. Die Katholiken sind zwar seit 1997 wieder in der Mehrheit, aber das hat daran wenig geändert.
    "Das Aussprechen von Differenzen nützt dem Dialog"
    Florin: Anti-katholische Unterströmungen, das würde ich jetzt gern umkehren und sagen: Vielleicht gibt es auch eine anti-protestantische Strömung, gar nicht so sehr unter der Oberfläche, sondern diese Woche ganz offenkundig. Es treffen sich gerade die katholischen deutschen Bischöfe in Fulda zu ihrer Herbstvollversammlung. Und der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat schon vor dem Treffen dafür gesorgt, dass nicht allzu viel Harmonie aufkommt. Er hat nämlich auf die Differenzen zwischen katholischer und evangelischer Kirche hingewiesen und auch gesagt, ihm sei eigentlich viel zu viel Annäherung oder Umarmung im Reformationsjahr. Warum diese Betonung der Differenzen?
    Püttmann: Also so wie ich Kardinal Woelki kenne und wahrnehme ist es keine antiökumenische Gesinnung, aber der Wunsch, über den demonstrativen Umarmungen reale Differenzen nicht völlig unter den Tisch fallen zu lassen. Ich persönlich glaube übrigens auch, etwa auch im Verhältnis zum Islam, dass das Aussprechen auch von Differenzen eher dem Dialog nützt, mittel- und langfristig, als das immer nur Betonen von Gemeinsamkeiten. Die Punkte, die Woelki angesprochen hat, etwa bei der Ehe und Familie oder bei Bioethik, da haben wir ja, tatsächlich auch in der empirischen Sozialforschung sichtbar, konfessionelle Differenzen. Katholiken sind zum Beispiel etwas mehr der Meinung, dass ein Kind in seinen ersten Lebensjahren die Mutter braucht, sie sind schärfer gegen Ehebruch, sie sind schärfer gegen Prostitution eingestellt.
    Florin: Aber Sie zeigen ja auch in Ihrem Buch, dass es, ich sage mal, eine Protestantisierung der Katholikinnen und Katholiken gegeben hat an der Basis. Dass sie sich in vielen Punkten doch auf Positionen der Evangelischen Kirche zubewegt haben. Ist das nicht eine Luxusdebatte angesichts einer Ökumene der Schrumpfung?
    Püttmann: Jein. Also, Sie haben in der Tat recht, dass die Katholiken lange in Deutschland schon auf Tuchfühlung mit dem Protestantismus leben. Wenn Sie unseren Katholizismus vergleichen jetzt etwa mit dem polnischen, dann sieht man schon beträchtliche Unterschiede und auch gar nicht nur zum Negativen, sondern vielleicht auch eher zum Positiven. Man sieht auch bei einigen Fragen, etwa bei der Homo-Ehe, wo die offizielle Haltung der Katholischen Kirche ja klar contra war, dass die Protestanten zu 78 Prozent dafür waren, die Katholiken zu 70 Prozent, also dass da gar kein besonders großer Unterschied mehr war.
    Florin: Also warum muss man die Unterschiede dann gerade jetzt betonen?
    Püttmann: Weil gerade dadurch, dass man Unterschiede benennt, man ja auch klar macht: Wir sind auch als Christen zusammen in vielen Fragen auch noch nicht am Ende der Erkenntnis angekommen. Und dieses Übertünchen von Unterschieden, das dient letzten Endes niemandem.
    Florin: Da möchte ich noch mal zurückkommen auf das, was Sie zur politischen Rolle der Christen gesagt haben. Sie sagten vorhin, die Trennlinie sei eigentlich gar nicht mehr zwischen Rechts und Links, sondern zwischen Liberal und Autoritär. Ist das vielleicht sogar die schärfere Trennlinie als die zwischen Evangelisch und Katholisch?
    Püttmann: Ja. Also generell, muss ich sowieso noch nachschieben, stehen sich Kirchen nah, Katholiken und Protestanten in ihrem sozilogischen Profil näher als Kirchennahe und –ferne innerhalb der selben Konfession. Also sozusagen das Herausragende ist wirklich: Je ernster jemand seinen Glauben nimmt, ihn praktiziert in der Gemeinschaft der Gläubigen, desto klarer erkennt man auch Entsprechungen in seinem politischen, ethischen Denken und Handeln. Und die konfessionelle Differenz ist nur sekundär. Also das ist sozusagen die gute ökumenische Erkenntnis. Aber deswegen ist sie nicht völlig belanglos. Und solange das so ist, darf man darüber sprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Andreas Püttmann: Wie katholisch ist Deutschland ... und was hat es davon? Bonifatius Verlag. 240 Seiten, 16,90 Euro.