Tobias Armbrüster: Die Auftritte von Donald Trump, die haben ja auch leicht etwas Aschermittwochhaftes. Wir sind da aus den vergangenen Wochen und Monaten so einiges gewohnt. In der vergangenen Nacht, später Abend Ortszeit Washington, da hatte der neue US-Präsident nun seinen ersten großen Auftritt vor dem Kongress. Solche Reden vor den Mitgliedern von Senat und Abgeordnetenhaus auf dem Kapitol, die haben einen sehr hohen Rang im politischen Betrieb der USA. Sie werden viel beachtet und natürlich war das erst recht so bei diesem Präsidenten Donald Trump, der sonst ja mit staatsmännischem Auftreten, mit staatsmännischen Reden eher, na sagen wir mal, fremdelt.
Am Telefon ist Christian Lammert, Politikwissenschaftler am John F. Kennedy Institut der Freien Universität Berlin. Schönen guten Tag, Herr Lammert.
Christian Lammert: Guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Lammert, haben wir da jetzt einen neuen Donald Trump erlebt?
Lammert: Das kommt auf die Kriterien an. Wenn man als Kriterium nimmt, dass jemand eine Rede ablesen kann und diese Rede vielleicht auch vorher schon mal gelesen hat, was man bei ihm vorher nie den Eindruck hatte, dann war das jetzt ein neuer Trump. Aber ansonsten haben wir den alten Trump gesehen, der seine inhaltsleeren Parolen aus dem Wahlkampf wiederholt hat, der immer noch seine Programmatik und seine Politik aufbaut auf einem USA-Bild, was nicht der Realität entspricht, der dadurch Ängste schürt und dieses Land weiter teilt. Ich sehe eigentlich mehr den alten Donald Trump als einen neuen Donald Trump.
"Da ist nichts Konkretes, da ist nichts Neues hinzugekommen"
Armbrüster: Und wenn er seine Rede jetzt tatsächlich abgelesen hat, zeigt das nicht zumindest, dass er sich, sagen wir mal, ein bisschen mehr Gedanken darüber macht, wie seine Worte draußen wohl ankommen?
Lammert: Da müssen wir uns aber auch wirklich langsam fragen, was wir für ein Bild von diesem Präsidenten haben, wenn man das schon als Qualitätsstandard ansetzen kann. Sich dauernd hinstellen und alle anzugreifen, zu diffamieren, die Medien als Feinde des amerikanischen Volkes darzustellen, das ist inzwischen so eine Abstumpfung, die wir hier erleben, dass man dann schon froh ist, wenn ein Präsident nicht mehr rhetorisch mit dem Baseball-Schläger hantiert, und ich glaube, das ist der falsche Weg, einzuschätzen wie er sich jetzt hier präsentiert. Man muss sich angucken, was er gesagt hat. Da ist nichts Konkretes, da ist nichts Neues hinzugekommen, und die Fact Checker, die geprüft haben, inwieweit seine Aussagen der Realität entsprechen, da kann man nur wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Er hat hier wieder eine Unwahrheit nach der anderen präsentiert.
Armbrüster: Können Sie uns mal ein Beispiel nennen?
Lammert: Immer wieder diese Aussagen, dass die Kriminalitätsraten so extrem gestiegen sind in den USA, dass die Innenstädte vor Zerrüttung und Auseinanderbrechen stehen würden. Das deckt sich überhaupt nicht mit der Realität. Die Kriminalitätsraten sind in den letzten 15 Jahren in vielen Großstädten massiv zurückgegangen. Diese Behauptung, dass die Grenzen durchlässig sind und die Bad Hombres, die schlechten Leute reinkommen, das ist ein Mythos, das ist eine Mär, die nicht der Realität entspricht. Jeder der mal in die USA eingereist ist oder einreisen will, weiß, wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen sind. Er hat wieder behauptet, alle Terrorverdächtigen und Anschläge wären von Einwanderern verübt worden. Auch das stimmt nicht. Er baut hier Angst auf auf der Grundlage von Lügen und einer Repräsentation der Realität, die so nicht stimmt.
Armbrüster: Man könnte allerdings auch sagen, er greift bestimmte Ängste auf, die in den USA durchaus existieren, und anders als Sie es jetzt gesagt haben kann er damit durchaus zur Einigung des amerikanischen Volkes beitragen.
"Es deutet sich wieder vier Jahre Blockade und politischer Stillstand an"
Lammert: Das sehe ich nicht. Ich sehe nur eine Demagogie. Wenn man auf bestimmten Ängsten aufbaut, die vielleicht vorhanden sind, aber die sich nicht auf Realitätsargumenten gründen können, dann wird hier mit diesen Ängsten nur gespielt und von Einigkeit kann keine Rede sein. Das Bild im Repräsentantenhaus und im Kongress allgemein gestern bei der Rede, das ist nichts Neues, dass immer nur die eine Hälfte klatscht und die andere sitzen bleibt. Aber gucken Sie sich die Zustimmungsraten für diesen Präsidenten an. Die sind historisch niedrig. Viele Leute haben Angst vor ihm und er zeigt keinerlei Bereitschaft, auch wenn er gestern ein bisschen gesagt hat, wir müssen mit den Parteien zusammenarbeiten. Aber dann guckt er süffisant auf die Seite der Demokraten und sagt, jetzt folgt endlich dem, was ich euch sage, und dann wird es Amerika besser gehen. Das ist keine Strategie, das Land zu einen; das ist eher eine Strategie, es weiter zu zertrennen.
Armbrüster: Viele Leute fühlen sich jetzt möglicherweise an das erinnert, was wir auch während der Präsidentschaft von Barack Obama immer wieder erlebt haben. Stehen wir jetzt auch mit Donald Trump, wenn wir uns die Bilder von gestern Abend vor Augen halten mit den zwei geteilten Kammern, stehen wir jetzt wieder vor vier Jahren Blockade, diesmal Demokraten-Republikaner, immer wieder Demokraten, die Nein sagen zu allem, was die Republikaner vorschlagen? Ist das das, was jetzt in den nächsten vier Jahren auf uns zukommt?
Lammert: Ja, das deutet sich an, und das scheint sich noch zu verstärken. Wenn man sich anguckt: Obama hatte am Anfang viel stärker versucht, die Republikaner auch einzubinden in seine Politik. Er hat immer gesagt, macht Vorschläge, wie wir zum Beispiel die Gesundheitsreform gestalten können. Auch als er seine Reform durchgebracht hat, hat er häufiger gesagt, sobald mir Republikaner einen Reformvorschlag auf den Tisch legen, der besser ist als das, was wir jetzt haben, bin ich offen für Debatten. Das ist nicht wahrgenommen worden. Aber Trump bietet das jetzt gar nicht mehr an. Ich will aber jetzt hier nicht nur die Schuld allein auf Trump schieben. Auch die Demokraten müssen sich überlegen, wie sie ihre Rolle als Opposition wahrnehmen wollen, und verharren momentan noch in ihrer Selbstbemitleidung, dass sie diese Wahl verloren haben. Sie sind innerlich zerstritten und gar nicht in der Lage, eine kohärente Oppositionspolitik zu betreiben. Diese müsste kommen, es müssten Alternativen auf den Tisch gelegt werden zur Politik Trumps, und es müsste auch die Bereitschaft signalisiert werden, dass diese Partei zur Zusammenarbeit bereit wäre, wenn Trump mal konkrete Vorschläge macht. Das kommt leider momentan von den Demokraten nicht und deswegen deutet sich wieder vier Jahre Blockade und politischer Stillstand an.
Armbrüster: Sehen Sie denn, dass die Demokraten Donald Trump personell etwas entgegenstellen können, eine Person, die möglicherweise ähnlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann wie Donald Trump?
"Die Partei ist mit sich selbst beschäftigt"
Lammert: Es gibt einige jüngere Gouverneure, die diese Funktion wahrscheinlich erfüllen könnten, aber solange die Parteiorganisation noch so zerstritten ist – wir haben es gesehen; sie haben jetzt kürzlich wieder einen neuen Parteivorsitzenden gewählt. Gut: Diese Position ist nicht ganz so wichtig in den USA, wie Parteivorsitzende hier in Deutschland sind. Aber da hat sich schon der Riss wieder gezeigt, den wir im Vorwahlkampf gesehen haben zwischen dem Clinton-Lager und dem eher progressiven Lager von Bernie Sanders. Momentan hat sich wieder einer der zentristischen Clinton-Anhänger durchgesetzt als Parteivorsitzender. Und die Partei ist mit sich selbst beschäftigt und leider momentan nicht in der Lage, irgendeine politische Persönlichkeit als Gegenposition zu Trump aufzubauen.
Armbrüster: Herr Lammert, wir hören jetzt schon wieder die Ansichten eines deutlichen Trump-Kritikers und ich sage es mal so: Es ist für uns auch hier im Deutschlandfunk teilweise schwierig, Trump- Unterstützer in Deutschland und in Europa zu Interviews zu gewinnen. Kann es sein, dass wir hier einfach uns als Europäer, als Deutsche politisch, in der politischen Wahrnehmung auch deutlich weit von den USA fern entwickelt haben, dass wir die Dinge eigentlich heute völlig anders wahrnehmen als die Amerikaner auf der anderen Seite des Atlantiks?
Lammert: Ich glaube das nicht, weil wir hier in europäischen Ländern ähnliche Phänomene sehen, die vielleicht in den USA durch spezifische Faktoren zur Unkenntlichkeit verzerrt sind und damit vielleicht auch so schwer verständlich sind. Aber was wir hier mit dem Brexit gesehen haben, was wir hier in Frankreich mit dem Front National sehen, in den Niederlanden mit Geert Wilders und auch in Deutschland mit der AfD, sind ähnliche Probleme, wo wir ähnliche Debatten führen über das Misstrauen gegenüber der politischen Elite, über das Misstrauen gegenüber den Medien, wo die Leute ihre Ängste artikulieren und sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Ich glaube, das ist ein Phänomen, was alle westlichen Demokratien betrifft, in den USA extrem ausgeprägt ist, und da kann man fragen, was die Gründe sind, und da kann man sicherlich viele nennen. Aber ich glaube, was wir hier aus europäischer Perspektive sehen ist das, was in Europa auch kommen kann, und deswegen sollte man sich das auch genau anschauen und gucken, was wir daraus lernen können.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Christian Lammert, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Vielen Dank, Herr Lammert, für das Gespräch heute Mittag.
Lammert: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.