"Der konstruktive Journalismus geht davon aus, dass in dieser Welt natürlich nicht nur alles schlecht ist, sondern dass es auch gute Ansätze gibt, und darüber darf man natürlich auch berichten."
Tobias Hochscherf ist Medienwissenschaftler an der Fachhochschule Kiel. Konstruktiver Journalismus bedeutet konkret: Während andere die Missstände anprangern, machen sich konstruktive Journalisten auf die Suche nach Lösungen. Zum Beispiel für die Flüchtlingskrise.
"Oftmals wird berichtet, wenn die Flüchtlinge ankommen. Kaum jemand kümmert sich um diejenigen, die vielleicht nach einigen Jahren bestens in Deutschland integriert sind und berichten darüber, wie sie das geschafft haben, um Beispiele zu liefern für andere."
Ein verzerrtes Bild unserer Welt
Ihren Ursprung hat diese Art der lösungsorientierten Berichterstattung in Skandinavien. Eine der Pionierinnen ist die dänische Journalistin Catherine Gyldensted. Mittlerweile berät sie Medienunternehmen weltweit. Außerdem leitet sie den ersten Studiengang für konstruktiven Journalismus.
"Ausgangspunkt war für mich ein persönliches Erlebnis: Ich wollte nicht mehr diese Journalistin sein, die die Welt nur mit negativen Augen sieht. Früher habe ich geglaubt, dass tatsächlich alles schlecht ist. Aber das stimmt nicht. Bedeutende Statistiken zeigen, dass es uns heute besser geht, als jemals zuvor. Doch darüber wird kaum berichtet. Die Medien zeichnen ein verzerrtes Bild unserer Welt."
Kritik am konstruktiven Journalismus
Kritiker werfen Katherine Gyldensted und anderen Vertretern vor das Gleiche zu tun - nur mit anderem Vorzeichen. Doch konstruktiver Journalismus bedeutet nicht positiver Journalismus.
"Positiver Journalismus sind erbauende Geschichten, die keine gesellschaftliche Relevanz haben, und die sich nicht an journalistischen Maßstäben orientieren. Konstruktiver Journalismus hingegen erfüllt diese Kriterien. Aber darüber hinaus diskutiert er Lösungsansätze und versucht, in einen Austausch mit den Lesern zu treten."
Verabschiedung von der Kurzlebigkeit
"Journalisten bleiben kritische Fremdbeobachter, nur, dass sie eben an andere Orte gehen und mit anderen Menschen reden, als immer nur schnell von einer Nachricht zur anderen zu springen. Konstruktiver Journalismus hat also auch was mit guter Recherche, mit langer Recherche zu tun und bedeutet, dass man sich so ein bisschen verabschiedet von der Kurzlebigkeit von kleinen Meldungen und Nachrichten und wieder hinkommt zu Hintergrundberichten oder längeren journalistischen Formen."
In Dänemark und Schweden hat sich der konstruktive Journalismus längst als Grundsatz in verschiedenen Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen etabliert.
Auch in Großbritannien und den Niederlanden gibt es erste Netzwerke. Die Macher des Onlineportals "Perspective-Daily" möchten den konstruktiven Journalismus jetzt auch nach Deutschland bringen. Eine von ihnen ist die Wissenschaftsjournalistin Maren Urner:
Auch in Großbritannien und den Niederlanden gibt es erste Netzwerke. Die Macher des Onlineportals "Perspective-Daily" möchten den konstruktiven Journalismus jetzt auch nach Deutschland bringen. Eine von ihnen ist die Wissenschaftsjournalistin Maren Urner:
"Es geht nicht darum, dann blind irgendwelche Visionen ins Blaue rein zu malen. Der konstruktive Journalismus praktiziert im Prinzip konstruktive Kritik. Also nicht nur Kritik im Sinne von das ist schlecht gelaufen, sondern auch das ist gut gelaufen oder so könnte man es besser machen. Und jede Idee, die präsentiert wird, kritisch zu hinterfragen."
Aktuell läuft die Crowfunding-Kampagne des Start-up-Unternehmens. Im Frühjahr soll "Perspective Daily" als erstes deutsches Onlinemagazin für konstruktiven Journalismus starten. Vorbild ist der niederländische "De Correspondent" mit mittlerweile fast 50.000 Mitgliedern. Auch in Deutschland ist die Nachfrage nach einer neuen Form der Berichterstattung hoch meint Gründerin Marein Urner. Der mediale Umgang mit der aktuellen Flüchtlingssituation scheint ihr recht zu geben.
"Dadurch dass ich andere Fragen stelle und eben nicht frage, Was ist schlecht? Wer ist hier der Sündenbock, sondern eben frage: Wer hat bei der Situation geholfen?, liefert eine komplett andere Berichterstattung, obwohl sich an der Situation selber nichts geändert hat. Wenn man diese Fragen stellt, merkt man als Interviewer auch, dass die Menschen in den meisten Fällen viel mehr Auskunft geben. Und man merkt, dass man auf einmal Teil einer Berichterstattung wird, die etwas vorantreibt, und die wirklich dafür sorgt, dass Menschen sich auch abgeholt fühlen."