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Kontinuierliche Kulturpolitik statt Glamour

Eine Kulturpolitik, die ganz bewusst auf die großen Coups verzichtet: Dafür steht die neue französische Kulturministerin Aurélie Filippetti. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bücher und der Einsatz für Kunsterziehung in Schulen und öffentliche Bibliotheken werden unter anderem die solide Arbeit der Politikerin bestimmen, sagt Jürgen Ritter in Paris.

Jürgen Ritte im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Anders als in Deutschland gibt es im zentral regierten Frankreich einen Kulturminister. Allerdings haben die wenigsten Inhaber dieses Postens in der letzten Zeit von sich reden gemacht. Der vorige Präsident Frankreichs, Nicolas Sarkozy, hatte immerhin den Coup geschafft, Frédéric Mitterrand für dieses Amt zu gewinnen – den Neffen des früheren Präsidenten. Und der hat es immerhin geschafft, die Mittel für den Medienbereich seines Ministeriums zu erhöhen. Die Kultur hingegen hat an Unterstützung eingebüßt, und überhaupt stand Frédéric Mitterrand im Schatten des Präsidenten, der alle Glanztaten der Minister als seine eigenen verbuchte.

    Die neue Kulturministerin nun ist eine Parlamentsabgeordnete aus dem Département Moselle. Ich habe meinen Kollegen Jürgen Ritte in Paris gefragt: Was für ein Typ Politikerin ist denn diese Aurélie Filippetti?

    Jürgen Ritte: Sie ist eine sehr atypische Figur in der französischen Politik. Sie kommt aus dem Département Moselle, sie kommt aus ganz einfachen Verhältnissen, ihr Vater war Bergarbeiter, ihr Großvater auch, ihr Vater war kurzfristig kommunistischer Bürgermeister des Dorfes, in dem sie groß geworden ist, und aus diesen einfachen Verhältnissen heraus hat es Aurélie Filippetti dank der französischen öffentlichen Schule geschafft, in die höchsten Etagen der französischen Bildungsanstalten vorzustoßen. Sie ist Absolventin der prestigereichen École normale supérieure de Fontenay in Paris, dort wo auch ein Sartre oder eine Simone de Beauvoir studiert haben, und von dort aus ist sie nun Ministerin geworden.

    Das ist die französische Version des Tellerwäscher-Märchens amerikanischer Provenienz. In Frankreich geht die Geschichte eben so, dass man nur Kraft seiner Anstrengung und Kraft der französischen republikanischen und egalitären Schule es schaffen kann, sehr hoch zu kommen, sehr weit zu kommen, bis hin, zum Repräsentanten der Republik zu werden. Das ist Aurélie Filippetti, die auch jederzeit darauf hinweist, dass sie diese vergleichsweise bescheidenen Herkünfte hat und in Erinnerung an diese Herkunft auch ihre Kulturpolitik zu betreiben gedenkt.

    Netz: Die Absage an die Glamour-Politik von Hollandes Vorgänger ist das eine. Aber ist Aurélie Filippetti denn vor ihrem Amtsantritt schon mit kulturpolitischen Themen aufgefallen?

    Ritte: Nicht wirklich. Allerdings war sie im Wahlkampf-Team von Francois Hollande verantwortlich für die Bereiche Kultur und Medien. Sie war auch sieben Jahre lang Präsidentin eines Festivals des Dokumentarfilms in Marseille und, was man auch nicht weiß, zumindest in Deutschland nicht weiß, sie ist auch schon als Romanautorin hervorgetreten. Sie hat 2003 einen viel beachteten Roman geschrieben, ihren Début-Roman. Der hieß "Les Derniers Jours de la classe ouvrière", die letzten Tage der Arbeiterklasse, und das ist so ein Familienfresko, wo man sehr viel Autobiografisches oder zumindest sehr viel aus ihrer eigenen Familiengeschichte erkennt. Dem folgte dann drei Jahre später ein weiterer Roman, das war eher ein Liebesroman, "Un homme dans la poche". Und sie ist vom Fach, sie ist eine geprüfte Lehrerin für alte Sprachen. Also sie ist nicht vollkommen kulturfremd.

    Netz: Sie hat sich bisher allerdings vor allem zu Medienthemen geäußert, also zum Beispiel zum Quellenschutz für Journalisten, um die Besetzung von Posten bei den französischen Fernsehsendern. Stimmt der Eindruck, dass sie sich bisher vorrangig um Medienthemen gekümmert hat, oder ist das eine falsche Wahrnehmung?

    Ritte: Das sind in gewisser Weise auch die brennendsten Themen, dort, wo Hollande im Wahlkampf versprochen hat, auf bestimmte Entwicklungen, die von Sarkozy eingeleitet worden sind, zurückzukommen. Die Ernennung der Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hatte Sarkozy zur Privatsache, zur Präsidentensache gemacht, was in einem demokratischen Staat eigentlich ein Unding ist, und eine der wichtigsten Aufgaben, eine der ersten Aufgaben von Aurélie Filippetti wird sein, ein neues Verfahren für die Ernennung der Verantwortlichen von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein demokratischeres Verfahren in die Wege zu setzen.

    Aber sie hat sich auch verpflichtet, die wesentlichen Themen aus Hollandes Wahlkampf umzusetzen, und da geht es vor allen Dingen um technische Themen in erster Linie. Es geht also darum, die Mehrwertsteuer auf Bücher wieder zu senken, von sieben Prozent auf 5,5 Prozent - auch das ist sozusagen eine Zurücknahme einer Maßnahme von Nicolas Sarkozy.

    Es geht darum, das Gesetz zum Urheberschutz im Internet zu verbessern. Das war ein sehr umstrittenes Gesetz, das es in Frankreich schon gibt, das aber nachgebessert werden muss. Und darüber hinaus – das war eines der Herzensanliegen von Hollande -, mehr zu tun für die Kunsterziehung im Bereich der Schulen und für die Bibliotheken, für die öffentlichen Bibliotheken. Also es ist eine Kulturpolitik, die ganz bewusst auf die ganz großen Coups verzichtet. Es ist eher eine ganz seriöse, solide Arbeit in die Breite.

    Netz: Herr Ritte, es heißt, im Regierungsprogramm des parti socialiste gebe es überhaupt nur zwei Seiten zur Kultur. Muss man sich Sorgen um den Stellenwert von Kultur in Frankreich machen?

    Ritte: Francois Hollande hat selbst zwischen den beiden Wahlgängen zur Präsidentschaftswahl zugegeben, dass die Kultur die große Abwesende dieses Wahlkampfes war. Aber im Gegensatz zu anderen Ministerien hat Aurélie Filippetti das Versprechen von Francois Hollande, dass ihr Etat nicht eingeschmolzen wird, und ich glaube, man muss sich keine Sorgen um die Kultur machen und es ist nach der Zeit des Bling-Bling, der großen Coups und so weiter, die wir von Nicolas Sarkozy kennen, durchaus angenehm, mal ein oder zwei Jahre jetzt sich wieder auf das Wesentliche im Zeichen von Kultur zu konzentrieren.

    Netz: Ende des Bling-Bling - ein Ausblick von Jürgen Ritte auf die Arbeit der neuen französischen Kulturministerin Aurélie Filippetti.