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Korruption in Spanien
Ein Untersuchungsrichter packt aus

Es geht um Korruption und illegale Finanzierung: Die konservative spanische Volkspartei muss sich vor Gericht verantworten. In dem Verfahren war bereits 2012 der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón suspendiert worden. Dieser hat nun seine umfangreichen Memoiren vorgelegt und fordert, den amtierenden spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy höchstpersönlich vorzuladen.

Von Hans-Günter Kellner |
    Spanien: Vertrauensabstimmung im Parlament, Spaniens amtierender Ministerpräsident Mariano Rajoy ist bei seiner Wiederwahl gescheitert.
    Spaniens amtierender Ministerpräsident Mariano Rajoy: Seine Partei, die konservative Volkspartei, steht im Zentrum einer Korruptionsaffäre. (imago / Agencia EFE)
    Es ist nur das erste von mehreren Gerichtsverfahren im Fall "Gürtel". 37 Unternehmer und Politiker sind angeklagt, sollen Schmiergelder gezahlt beziehungsweise kassiert haben und dafür öffentliche Aufträge vergeben haben. Dabei sind der Anklage zufolge auch illegale Spenden in die Kasse der Volkspartei geflossen. Die Partei, die aktuell mit der Regierungsbeteiligung beauftragt ist. Wie das Schwarzgeld gewaschen wurde, erzählt ein Bauunternehmer vor Gericht:

    "Wir suchten Investoren für ein Bauprojekt. Herr Correa stellte mir in einem Restaurant den Bürgermeister vor. Der gab mir einen Umschlag. Auf der Toilette zählte ich das Geld, es waren 150.000 Euro."

    Für den mutmaßlichen Drahtzieher des Firmennetzwerks, Francisco Correa, fordert die Anklage 125 Jahre Haft. Sein Nachname Correa bedeutet übersetzt Gürtel, so wählte die Polizei für die Untersuchungen den Decknamen "Fall Gürtel". Die beschuldigte Volkspartei fordert die Einstellung des Verfahrens, ihre Rechte seien missachtet worden, argumentiert eine Sprecherin. Baltasar Garzón, der erste Ermittlungsrichter in dem Fall, ist nicht einverstanden.

    "Das ist schon eine abenteuerliche Theorie. Im 'Fall Gürtel' sind die Rechte der Angeklagten so sehr beachtet worden wie in keinem anderen Strafverfahren in Spanien. Es ist ja sogar der Ermittlungsrichter aus dem Justizdienst entfernt worden, weil ein Teil des Obersten Gerichthofs fand, dass er bei der Untersuchung gegen das Gesetz verstoßen habe. Ich bin natürlich nicht damit einverstanden."
    Ermittlungsrichter sieht sich als Opfer eines Komplotts konservativer Juristen
    Der betroffene Richter war natürlich der 60-Jährige selbst. Garzóns 1000 Seiten starke Memoiren sind insofern auch eine Abrechnung: Er hatte die Gespräche der mutmaßlichen Drahtzieher mit ihren Rechtsanwälten in der Untersuchungshaft abgehört. Der Oberste Gerichtshof bewertete das 2012 als illegal und suspendierte den Richter. Garzón, der wie in aktiven Zeiten immer noch mit teurer Designerbrille und streng nach hinten gekämmten Haaren auftritt, hält die Entscheidung für ein Komplott konservativer Juristen. Noch nie sei ein Untersuchungsrichter wegen seiner Rechtsinterpretation aus dem Amt entfernt worden. Das Abhören sei notwendig gewesen, um das System des Korruptionsnetzwerks aufzudecken, erklärt Garzón.

    "Hinter der Korruption steckt ja auch eine Struktur, ein System. Deshalb muss man mehr machen als nur die Korrupten vor Gericht zu stellen. Die politisch Verantwortlichen, die dieses korrupte System geduldet haben, müssen zurücktreten."
    Hat die Volkspartei Schmiergeldzahlungen zum System gemacht?
    Damit zielt der Jurist direkt auf den amtierenden spanischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Volkspartei, Mariano Rajoy. Das Gericht plant nicht, ihn vorzuladen, aber Garzón findet, Rajoy sollte freiwillig aussagen. Schließlich werde die Volkspartei ja beschuldigt, die Schmiergeldzahlungen zum System gemacht zu haben.

    "Wir werden seit der Diktatur von Korruption überschwemmt. Und die Medien banalisieren das Thema. So gewinnen die betroffenen Parteien sogar Stimmen hinzu. Ich respektiere natürlich den Wählerwillen, aber ich verstehe ihn nicht. Erst empören sich die Leute und hinterher wählen sie die mutmaßlich Korrupten. Natürlich gilt immer die Unschuldsvermutung, aber es gibt doch auch eine politische Verantwortung. Doch in Spanien wird nie jemand zur Verantwortung gezogen."

    Für seine Erinnerungen hat Baltasar Garzón den Titel "Im Fadenkreuz" gewählt. Denn es geht dabei auch um die Todesdrohungen, die er im Laufe seiner 24 Jahre am Nationalen Gerichtshof von der Drogenmafia, der ETA oder den aus dem Innenministerium gesteuerten und gegen die ETA gerichteten Todesschwadronen der sogenannten GAL erhielt.

    Letztlich hatten er und seine Kollegen am Gericht gegen all diese Widerstände Erfolg: Die Drogenkartelle von einst gibt es nicht mehr, der Staatsterrorismus ist juristisch zumindest zu großen Teilen aufgearbeitet und die ETA löst sich gerade auf. Nur mit seinem Versuch, die Franco-Diktatur juristisch aufzuarbeiten, ist Garzón letztlich gescheitert. In seinem letzten Fall sieht er keine Niederlage. Denn auch wenn es stimmen mag, dass er am Ende seiner Karriere Opfer eines Komplotts geworden ist - diese Attacke war letztlich zwecklos, sagt Garzón mit Genugtuung:

    "Es stimmt nicht, dass die Verhandlung jetzt stattfindet, weil die Volkspartei das ermöglicht, wie konservative Politiker immer wieder behaupten. Eine Regierung mag in Spanien sehr viel Macht haben. Sie kann auch einen einzelnen Richter ins Fadenkreuz nehmen. Aber keine Partei kann letztlich Ermittlungen aufhalten oder ein rechtsstaatliches Verfahren mit allen Rechten für die Angeklagten verhindern."