Frühjahr 2015: Ein Mann, Mitte 30, geht nach gesundheitlichen Beschwerden zum Arzt. Er hat drei Kinder und ist zu diesem Zeitpunkt der Hauptverdiener in seiner Familie. Im Monat verdient er etwa 2.600 Euro. Dann erhält er die Diagnose – er hat Krebs. Weil der Vater deshalb länger nicht arbeiten kann, bekommt er zunächst Krankengeld, also etwa zwei Drittel seines Einkommens. Eigentlich kann man dieses Krankengeld bis zu anderthalb Jahre lang bekommen. Aber in der Praxis sieht das anders aus, erklärt der Leiter des Sozialdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, Jürgen Walther.
"Theoretisch ja, aber faktisch ist das nicht so. Wenn sich vorher bestätigt, dass die Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, dann kann die Krankenkasse dafür sorgen, dass dieser Mensch aus dem Krankengeld in die Erwerbsminderungsrente geht. Und wenn jemand ein normales durchschnittliches Einkommen hatte, dann ist diese Belastung oftmals extrem hoch."
Auch bei dem mehrfachen Vater meldet sich die Krankenkasse und stellt fest – er soll in Zukunft Erwerbsminderungsrente erhalten. Das bedeutet für ihn etwas mehr als 1.000 Euro im Monat. Der Lebensunterhalt seiner Familie ist in Gefahr. Solche Fälle erlebt Jürgen Walther häufig. Im Jahr 2014 sind rund 20.000 Krebskranke in die Erwerbsminderungsrente gerutscht. Die lag dort durchschnittlich unter der Armutsgrenze, also bei weniger als 980 Euro im Monat. Beim Sozialdienst in Heidelberg geht es deshalb mittlerweile in einem großen Teil der Beratungen um finanzielle Sorgen.
Belastungen schwächen Kranke zusätzlich
"Ein klassisches Gefühl ist diese Angst vor Kontrollverlust. Das erleben Patienten durch die Erkrankung, das erleben sie aber auch häufig, wenn sie merken, dass sich durch eine Erkrankung die wirtschaftliche Situation stark verändert. Und wenn dann das Gefühl entsteht, ich kann das selber nicht mehr steuern. Da ist diese Angst vor Kontrollverlust, dann auch das Ausgeliefert sein, teilweise auch Scham, Schuld, da was falsch gemacht zu haben."
Diese Belastung kann die Gesundheit der Betroffenen zusätzlich schwächen. Manche finden ihre wirtschaftliche Situation sogar belastender als ihre Krankheit. Sie können ihre Kinder nicht mehr gut versorgen, geben ihre Karriere auf und können es sich nicht mehr leisten, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Manche haben auch Probleme, die Anfahrt zur Therapie alleine zu bezahlen.
"Bei einer Krebserkrankung steigen die Ausgaben heftig und die Einnahmen gehen nach und nach zurück. Das ist eine Leiter, die sie runter gehen auf der einen Seite, vom Arbeitseinkommen zum Krankengeld, zur Erwerbsminderungsrente, unter Umständen zum Arbeitslosengeld, je nachdem in welcher Situation Sie sind. Auf der anderen Seite steigen die Zuzahlungen, durch die Gesundheitsreformen sind die Eigenbeteiligungen enorm gestiegen. Dann ist es so, dass gerade Menschen mit onkologischen Erkrankungen viel probieren im komplementären Bereich. Und das belastet die Betroffenen finanziell ganz erheblich."
Krankheiten häufig Ursache von Überschuldung
Noch gibt es keine belastbaren Daten darüber, wie hoch das Armutsrisiko von Tumorpatienten allgemein ist. Eine erste Studie mit 65 Krebskranken hat aber gezeigt, dass ein Drittel von ihnen unter finanzieller Not leiden. Als nächstes sollen größere Untersuchungen stattfinden, um die Erfahrungen der Beratungsstellen mit wissenschaftlichen Daten zu belegen. Jürgen Walther hofft, dass sich dann etwas an den heutigen Strukturen verändert.
"Es gibt zwei Dinge, die aus unserer Praxis wichtig wären, gerade für diese betroffenen Patientengruppen. Zum einen ein verlässlicher längerer Anspruch auf Krankengeld. Auch für Menschen, die chronisch krank sind. Und das andere ist, wenn jemand in eine Rentensituation rutscht, das Anheben des Erwerbsminderungsrentenniveaus, das ist ein klassisches Armutsrisiko. Die Entwicklung der letzten 15 Jahre, es ist im Schnitt 20 bis 25 Prozent gesunken. Das muss angehoben werden."
Vielleicht stehen Krankheiten dann bald nicht mehr auf Platz Drei der häufigsten Ursachen von Überschuldung. Dann können sich die betroffenen Patientinnen und Patienten, die unter Krebs leiden, wieder ganz darauf konzentrieren, gesund zu werden.