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Krieg in Syrien
Unicef-Sprecher: Bildung genau so wichtig wie sauberes Trinkwasser

"Hinter diesen Fassaden, den ausgebombten Häusern, die wir gesehen haben, steckt das Leid der Bevölkerung", sagte Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider im Dlf über seinen letzten Besuch in Syrien. Besonders die Kinder bräuchten das Gefühl, dass es wieder nach vorne gehe, zum Beispiel durch Schulen.

Christian Schneider im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Foto zeigt das sieben Jahre alte syrische Mädchen Baraa, das vor ihrer zerstörten Schule in Idlib im Norden Syriens steht. (Archivbild)
    Ein syrisches Mädchen steht vor seiner zerstörten Schule im Norden Syriens. Bildung sei vor dem Hintergrund der Dinge, die diese Kinder erlebt hätten, genauso wichtig wie das saubere Trinkwasser, sagte Christian Schneider von Unicef im Dlf. (UNICEF)
    Jasper Barenberg: Sie werden sicherlich auch über Syrien sprechen, Russlands Präsident und der türkische Staatschef, der den Kreml-Chef heute in Sotschi trifft. Militärisch hat Putin mit der Intervention Russlands das Blatt ja gewendet, zu Gunsten von Machthaber Assad. Ein Ende der Gewalt ist aber dennoch nicht in Sicht. Gerade erst hat Amnesty International beispielsweise dem Regime in Damaskus wieder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt, weil die Truppen Assads Gebiete belagern würden und von Hilfslieferungen abschneiden, weil sie Einwohner gezielt vertreiben und aushungern.
    Als Geschäftsführer von UNICEF Deutschland ist Christian Schneider gerade am Wochenende aus Syrien zurückgekehrt. Er ist jetzt bei uns im Studio. Herzlich willkommen, Herr Schneider.
    Christian Schneider: Hallo!
    Barenberg: Sie haben sich Hilfsprogramme des UN-Kinderhilfswerks vor allem, nehme ich an, in Aleppo angeschaut, in Homs und in Damaskus. Erst mal ganz allgemein gefragt: Wie haben Sie die Situation dort erlebt und wahrgenommen?
    Schneider: Das eine ist sicherlich, zum ersten Mal selbst diesem unglaublichen Ausmaß der Zerstörung gerade in Aleppo ausgesetzt zu sein, auch bei der Durchfahrt durch Homs links und rechts in die Straßenzüge der besonders betroffenen Stadtgebiete zu schauen und wirklich über hunderte von Metern eine unglaubliche Verwüstung zu erleben und dabei darüber nachzudenken, was das für die Zivilbevölkerung bedeutet hat.
    Hinter diesem Ausmaß an rein physischer Zerstörung ist mir besonders hängen geblieben, dass im Grunde in allen Gesprächen mit Kindern, mit Müttern, die wir dort in den vergangenen Tagen getroffen haben, unglaubliche Verletzungen bei den Menschen zu finden sind. Das heißt, wir hatten eigentlich kein Gespräch, in dem eben nicht aufkam, dass der Mann seit einem Jahr verschwunden ist, dass auch Kinder unmittelbar miterlebt haben, wie ein Mörser in die Schule eingeschlagen ist, wie ein Lehrer, wie Freunde dabei auf grausamste Art und Weise ums Leben gekommen sind, und diese tiefen Verletzungen, dieses unglaubliche Leid ist so nah unter der Oberfläche, dass das eigentlich in jedem Gespräch aufkommt und die Menschen schon nach wenigen Minuten in der Begegnung mit uns in Tränen ausgebrochen sind. Das hat mir gezeigt, hinter diesen Fassaden, den ausgebombten Häusern, die wir gesehen haben, steckt eben das Leid der Bevölkerung.
    Ich glaube, ganz wichtig: Die Not ist nicht vorbei, auch die Gefahr ist nicht vorbei. Unser UNICEF-Team in Aleppo, gut 20 Leute, die dort auch im vergangenen Jahr auf dem Höhepunkt der Krise ausgeharrt und weitergearbeitet haben, hat das selbst erlebt. Wir wissen, dass auch im September noch jeden Tag Mörser über die Stadt geflogen sind und irgendwo einschlagen und damit Kinder und Familien in Gefahr bringen. Es sind Landminen verlegt, es sind nicht explodierte Sprengkörper, die die Kinder in Gefahr bringen, und ich glaube, wir haben manchmal schon das Gefühl ein wenig der Entwarnung nach dem Höhepunkt der Krise vor ziemlich genau einem Jahr, aber wir haben einfach ein riesen Ausmaß an alltäglicher Not, den großen Anspruch, diese Bevölkerung zu versorgen, und wir haben weiter Kinder, die dort in Gefahr geraten.
    Schneider: Zugang zu vielen Menschen in Syrien besteht nach wie vor nicht
    Barenberg: Lässt denn das Regime Hilfe durch die Vereinten Nationen zum einen und von Seiten von UNICEF im Besonderen denn auch zu?
    Schneider: Ja. Wir konnten – und daran war UNICEF beteiligt, aber auch viele Freiwillige, viele Organisationen - ganz konkret in Aleppo ein Großteil der humanitären Hilfe wirklich erfolgreich durchführen. Die gesamte Wasserversorgung zum Beispiel von Aleppo, mittlerweile in beiden Teilen der Stadt, ist im Wesentlichen von den Hilfsorganisationen erfolgt. UNICEF versorgt tatsächlich jeden Tag anderthalb Millionen Menschen mit sauberem Trinkwasser. Dadurch ist es gelungen, dass zum Beispiel anders als im Jemen keine große Epidemie bisher stattgefunden hat und dadurch wirklich Leben gerettet werden konnten.
    Ich muss aber auch darauf hinweisen, dass der Zugang zu vielen Menschen in Syrien nach wie vor nicht besteht, wie Sie es vorhin schon gesagt haben. Etwa zwei Millionen Kinder leben in Syrien nach wie vor entweder in belagerten, oder sehr schwer zu erreichenden Gebieten. Es sind 200.000 Kinder nach wie vor unter Belagerung. Wir wissen, dass in Ost-Ghuta hunderttausende Menschen weitestgehend über Monate von Hilfe abgeschnitten wurden und erst vor zwei Wochen ein erster UNICEF-Konvoi ein wenig Hilfe dort reinbringen konnte, also auch da große Not.
    Syrische Mütter: "Versorgt uns bitte schnell mit warmer Kleidung - vor allen Dingen für die Kinder"
    Barenberg: Wenn es jetzt darum geht, auf die nächsten Monate zu schauen. Der Winter naht. Was bedeutet das für Menschen, die, sagen wir, in so zerstörten Stadtvierteln leben müssen, wie Sie das in Aleppo und in Homs geschildert haben?
    Schneider: Mein Eindruck ist, die Kinder und auch die Menschen insgesamt brauchen im Moment zwei Dinge. Das eine ist, dass gerade die Kinder irgendwie das Gefühl haben müssen, es geht auch wieder was nach vorne. Da sind die Schulen sehr wichtig, auch kinderfreundliche Orte, die wir einrichten können. Ich habe einige dieser Orte besucht, auch Schulen besucht. UNICEF ist es zum Beispiel gelungen, schon im vergangenen Januar die ersten Container aufzustellen, damit Kinder wieder lernen können. Das ist vor dem Hintergrund der Dinge, die diese Kinder erlebt haben, ich glaube, genauso wichtig wie das saubere Trinkwasser.
    Wenn wir Mütter gefragt haben, was sie jetzt in den nächsten Wochen besonders dringend brauchen, ist es tatsächlich die Hilfe gegen den Winter. Es sind nach wie vor Decken und Kleidung. Wir haben viele Kinder auch jetzt noch gesehen mit Schläppchen, Sandalen und barfuß. Die Familien gerade aus dem Osten Aleppos mussten von jetzt auf gleich ihre Häuser verlassen und sind nach wie vor sehr, sehr schlecht ausgestattet. Unsere Winterhilfe für Aleppo und ganz Syrien braucht im Moment dringend noch finanzielle Mittel, um im Wettlauf gegen den Winter, der so in zwei, drei Wochen ja erwartet wird, diese Dinge beschaffen zu können. Auch jetzt wird es schon in der Nacht empfindlich kalt, feuchtkalt, und wirklich alle Mütter haben auf die Frage geantwortet, versorgt uns bitte schnell mit warmer Kleidung vor allen Dingen für die Kinder.
    Barenberg: Syrien und die Menschen dort vor dem 7. Kriegswinter. Vielen Dank, dass Sie Ihre Eindrücke zu uns gebracht haben, Christian Schneider von UNICEF. Danke für den Besuch.
    Schneider: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.