Selbstbestimmung bedeute in erster Linie ein Recht auf Autonomie, also auf eine relativ freie autonome Gestaltung der politischen wie kulturellen Lebensverhältnisse, sagte Robin Geiß. Und das sei auf der ukrainischen Halbinsel Krim bereits der Fall.
Zu bemängeln sei allerdings, dass Russisch keine Amtssprache auf der Krim sei. Das sei "problematisch" und "sicherlich ein Punkt, über den zu streiten ist", so der Völkerrechtler. Aber im Großen und Ganzen sei die Autonomie schon jetzt gewährleistet.
Um ein Recht auf Abspaltung zu haben, müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. "In extremen Fällen kann dieses Recht auf Autonomie in ein Recht auf Abspaltung erstarken". Die Schwelle dafür werde im Völkerrecht allerdings sehr hoch angesetzt. "Das Völkerrecht setzt grundsätzlich auf Kontinuität in den Staaten. Grenzverschiebungen, Veränderungen nimmt das Völkerrecht nicht leichtfertig hin."
Abspaltung nur unter bestimmten Voraussetzung möglich
Grundsätzlich müsse hier in zwei Punkten unterschieden werden: Geschehe es mit Zustimmung des Zentralstaates, dann sei eine Abspaltung möglich. Als Beispiel hierfür nannte Geiß Osttimor und Südsudan - und demnächst möglicherweise auch Schottland. Ohne die Zustimmung des Zentralstaates sei eine Abspaltung - mit "sehr, sehr hoher Schwelle" - nur dann möglich, "wenn die Autonomie quasi verunmöglicht wird, wenn das Selbstbestimmungsrecht nicht wahrgenommen werden kann und wenn schwerwiegende, wirklich eklatante Menschenrechtsverletzungen hinzukommen". Dann könne sich eine Region auch einseitig abspalten.
"Völkerrechtswidriger Status lässt sich nicht über Jahre aufrechterhalten"
Das Referendum auf der Krim sei völkerrechtlich und verfassungsmäßig nicht gedeckt, so der Völkerrechtler. Sollten die Bewohner mehrheitlich für eine Abspaltung stimmen - wovon auszugehen sei, denn die Beibehaltung des Status Quo sei in der Fragestellung bei der Abstimmung gar nicht vorgesehen - dann bedeute das "rechtlich zunächst einmal nichts" - weil das Referendum eben nicht rechtmäßig sei. "Es wird aber (...) darauf ankommen, wie viele Staaten, welche Staaten, das Ergebnis dann in welcher Form anerkennen", so Geiß.
Man könne davon ausgehen, "dass heute in allen Botschaften der Welt die Drähte heißlaufen und besprochen wird, wie man sich dazu positioniert." Interessant werde sein, welche Stellung etwa China bezieht. Ein völkerrechtswidriger Status lasse sich nicht über Jahre aufrechterhalten. Sollte es also zu einer Abspaltung kommen, müsse sich die internationale Gemeinschaft über kurz oder lang an einen Tisch setzen und neu beraten.