Tobias Armbrüster: Was ist da wirklich los bei der Bundeswehr? Herrscht da wirklich so viel Chaos, wie von der Bundesverteidigungsministerin behauptet, oder war diese Kritik am Wochenende nur ein cleverer politischer Schachzug? Viele Fragen sind noch offen. Fest steht: Die Bundesverteidigungsministerin hat mit deutlichen Worten auf Missstände bei der Truppe hingewiesen und sie hat der Bundeswehr ein Problem mit der Führung attestiert. Seitdem gibt es jede Menge Kritik an der Ministerin und hier und da auch ein wenig Zustimmung. Nun gibt es zahlreiche Gruppen und Vereinigungen, in denen sich Soldaten und Angehörige der Bundeswehr zusammengeschlossen haben, um dort ihre Interessen zu vertreten. Eine besonders kritische Gruppierung ist der sogenannte Arbeitskreis Darmstädter Signal. Dessen Sprecher ist Hauptmann Florian Kling und er ist jetzt bei uns im Deutschlandfunk am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Kling.
Florian Kling: Guten Tag, Herr Armbrüster.
"Sie schaut nicht selbst in den Spiegel"
Armbrüster: Herr Kling, wie leicht ist das, innerhalb der Bundeswehr auf Missstände hinzuweisen und Kritik zu üben?
Kling: Das hängt davon ab, an welcher Position man sitzt. Offensichtlich gibt es ein Führungsproblem, zum Beispiel auch ganz oben, auch bei den Generälen, die ja scheinbar nichts mehr kritisieren dürfen, sich nicht mehr äußern dürfen, weil sie sonst direkt von Ursula von der Leyen geschasst werden und rausgeworfen werden aus der Bundeswehr. Genau das ist natürlich das Problem, das jetzt ganz viele sehen bei der Kritik von Ursula von der Leyen. Sie schaut nicht selbst in den Spiegel und wirft der gesamten Truppe im Gießkannensystem ein Führungsproblem vor.
Armbrüster: Aber dann hat sie doch zumindest damit recht, wenn sie sagt, dass es dort Tendenzen gibt, Missstände eher unter dem Tisch zu halten und nicht offen anzusprechen.
Kling: Sie hat recht mit der Symptomatik. Sie hat aber kein recht mit der Ursache. Die Ursache liegt natürlich oben in der Führung, nämlich im Verteidigungsministerium. Das Verteidigungsministerium führt seit über drei Jahren ein Mikromanagement bis auf die kleinste Ebene hinunter. Ein Vorgesetzter bekommt gar nicht mehr das Vertrauen zugesprochen, überhaupt noch selbst zu führen und selbst Verantwortung zu tragen, und genau das ist das Problem, das jetzt natürlich auch alle Soldaten sehen, und deswegen wird sie zurecht kritisiert.
"Wir haben in der Führungsetage ein Absicherungsproblem"
Armbrüster: Das heißt, Sie schieben die Kritik jetzt vor allen Dingen auf das Bundesverteidigungsministerium selbst, auf die Beamten dort?
Kling: Wir haben insgesamt in der Führungsetage der Bundeswehr ein Absicherungsproblem, eine Absicherungsmentalität, weil sich niemand mehr traut, überhaupt noch verantwortlich zu agieren, Entscheidungen zu treffen und auch mal einfach Rückgrat zu haben. Weil genau dann passiert das, was sonst auch passiert für Beamte: Sie werden vielleicht rausgeworfen. Genau das ist das Problem. Ein Beamter, der nichts tut, der wird nach oben befördert und der steigt auf.
Armbrüster: Woran liegt das denn? Woran liegt der Grund für dieses mangelnde Rückgrat, das Sie beschreiben?
Kling: Na ja. Zum einen liegt das sicherlich auch daran, dass Frau von der Leyen bisher diejenige ist, die alle Informationen zuallererst braucht, um sich in den Medien dann gut zu positionieren. Das heißt, ein Vorgesetzter darf seiner Arbeit gar nicht mehr richtig nachgehen, darf ermitteln. Die Bundeswehr selbst kann überhaupt keine Fälle mehr aufarbeiten, weil schon am selben Tag in den Nachrichten Frau von der Leyen proaktiv mit der Flucht nach vorn dieses Problem aufgreift und da schon im Grunde das Ganze vorverurteilt.
"Die Soldaten haben bisher alles mitgetragen"
Armbrüster: Kann man ihr denn nicht zugutehalten, dass sie jetzt, sagen wir mal, zumindest ein Schlaglicht auf diese ganzen Missstände wirft?
Kling: Was man Frau von der Leyen zugutehalten kann, ist ihre bisherige Arbeit, was Personal und Material in der Bundeswehr in dieser Amtszeit angeht. Das haben aber alles die Soldaten mitgemacht, mitgetragen. Auf ihrem Rücken wurde das Ganze ausgetragen. Sie wurden versetzt, sie müssten flexibel sein. Und jetzt auf einmal, dass diese Kritik jetzt einfach an alle Soldaten geht, das darf natürlich überhaupt nicht sein, denn genau die Soldaten haben bisher alles mitgetragen von der Ministerin.
"Sie hat den Soldaten nicht genug Vertrauen ausgesprochen"
Armbrüster: Wenn das nun alles tatsächlich so ist, wie Sie es beschreiben, dann, würde ich sagen, gäbe es in jeder anderen Organisation dieser Größe einen Punkt, an dem die Menschen, die dort arbeiten, die auch auf unterstem Level dort arbeiten, dass die aufstehen und sagen, Leute, so geht es nicht weiter. Dann gibt es entweder Proteste oder es gibt Brandbriefe, es gibt öffentliche Äußerungen in Zeitungen. Warum ist das im Fall der Bundeswehr so selten oder eigentlich fast gar nicht zu hören?
Kling: Ich glaube, das große Problem, das ein Soldat hat, ist, dass er nicht einfach die Firma wechseln kann. Auch ein General, der auftritt und mal mit der Hand auf den Tisch schlägt, der kann nicht einfach sagen, jetzt gehe ich zu einem anderen Arbeitgeber, ich gehe zum Beispiel als General zur niederländischen Armee. Das ist in der freien Wirtschaft was anderes als bei der Bundeswehr, wo natürlich der Primat der Politik auch eine sehr wichtige Rolle spielt. Hier die richtige Grenze zu finden zwischen Staatsbürger in Uniform, der kritisch seinem Dienst nachgeht und das Ganze auch selbstverantwortlich, auf der anderen Seite aber trotzdem immer noch die Führung im Auge hat und die Idee der Vorgesetzten, das ist genau das Schwierige.
Armbrüster: Das heißt, man kann dem Verteidigungsministerium oder Frau von der Leyen vorwerfen, dass sie das eigentlich ausnutzt?
Kling: Sie können Frau von der Leyen vorwerfen, dass sie jetzt das Ganze auf die Soldaten versucht abzuschieben, wobei sie vorher den Soldaten, vor allem den Vorgesetzten nicht genug Verantwortung und Vertrauen ausgesprochen hat, damit die überhaupt erst mal ihren Job machen.
"Rechtsextremismus ist ein Problem"
Armbrüster: Herr Kling, ich möchte ganz kurz noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das dabei natürlich eine besondere Rolle spielt: Rechtsextremismus bei der Bundeswehr wird auch immer wieder in diesem Zusammenhang hervorgerufen. Auch Frau von der Leyen hat das gemacht. Wie gravierend ist dieses Problem tatsächlich in der Truppe?
Kling: Rechtsextremismus ist ein Problem, tendenziell so wie sonst auch in der Gesellschaft. Das Problem, das wir aber haben, ist: Die Bundeswehr ist inzwischen schon so sensibilisiert auf Rechtsextremismus, dass niemand mehr die Möglichkeit hat, auch noch Fehler abzustellen, weil sofort ein besonderes Vorkommnis daraus wird, wenn irgendjemand sich einmal falsch äußert. Und das wissen natürlich auch die Rechtsradikalen und die Rechtsextremisten. Die werden jetzt natürlich nicht mehr öffentlich auftreten und ihre blöden, dumpfen Sprüche hinausproleten und mit einem Hitler-Gruß auftreten, und damit kann man sie natürlich auch nicht mehr erwischen, sondern die gehen lieber in den Untergrund.
Armbrüster: Haben Sie das selbst erlebt bei der Bundeswehr?
Kling: Das habe ich selbst so erlebt. Eigentlich sind die Vorgesetzten sehr sensibel und wissen eigentlich auch, dass so was nicht tolerabel ist, und genau deswegen sind Rechtsextremisten in den Untergrund gegangen.
Armbrüster: Hier bei uns live in den "Informationen am Mittag" war das Hauptmann Florian Kling. Er ist Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal. Vielen Dank, Herr Kling, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten.
Kling: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.