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Kritik an Rüstungsexporten
"Wie beim Schüler, den sie beim Schummeln erwischen"

Die deutschen Waffenexporte sind erneut gestiegen, die Erklärungen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nennt der Linken-Politiker Jan van Aken "verzweifelte Rechtfertigungsversuche". Die Bundesregierung habe erneut ihr Versprechen gebrochen, die Zahlen zu senken, sagte der Rüstungsexperte im DLF.

Jan van Aken im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
    Van Aken sieht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wie einen Schüler, "der beim Schummeln erwischt wurde" (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
    Der SPD-Vorsitzende hätte die Genehmigungen noch stoppen und mögliche Schadenersatzklagen gegen die Bundesregierung abwarten können, so van Aken. Nun verhalte sich Gabriel ein "Schüler, den sie beim Schummeln erwischen und der dann stotternd irgendwie eine Entschuldigung nach der anderen vorbringt, und nichts davon ist stichhaltig".
    Gestern war bekannt geworden, dass sich die deutschen Rüstungsexporte 2015 im Vergleich zum Jahr davor auf 7,86 Milliarden Euro nahezu verdoppelt haben. Gabriel begründete dies unter anderem mit Sonderfaktoren. Er verwies er auf nicht widerrufbare Genehmigungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung und darauf, dass viele Exporte an Verbündete gegangen, also politisch unproblematisch seien. Außerdem gehe die Ausfuhr von Kleinwaffen stark zurück.
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion (imago/Müller-Stauffenberg)
    Beim Thema Kleinwaffen seien in der Tat "gute Schritte" eingeleitet worden, sagte van Aken im Deutschlandfunk. Doch Gabriel müsse nun auch den letzten Schritt gehen und Kleinwaffen ganz verbieten. Deutschland sei Europameister bei Waffenexporten. Dies bringe allerdings "wenig Geld für die Außenhandelsbilanz, dafür aber viel Tod", kritisierte van Aken.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Waffenexporte aus Deutschland, die sind mal wieder in den Schlagzeilen an diesem Montagmorgen. Aktuelle Zahlen belegen, dass sich die Umsätze mit deutschen Waffen im vergangenen Jahr verdoppelt haben. Es ist ein Thema, das vor allem dem Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel so einiges an Ungemach bringen könnte.
    Mitgehört hat Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Außerdem ist er ehemaliger Waffeninspekteur der UNO, jemand, der sich mit Waffenverkäufen international sehr gut auskennt. Schönen guten Morgen, Herr van Aken.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Herr van Aken, kann man Sigmar Gabriel wirklich einen Vorwurf machen?
    van Aken: Ja! Und wie! Ich finde ja seine ganzen Rechtfertigungsversuche und Ausreden schon ziemlich verzweifelt. Irgendwie wirkt das ein bisschen wie beim Schüler, den Sie beim Schummeln erwischen und der dann stotternd irgendwie eine Entschuldigung nach der anderen vorbringt, und nichts davon ist stichhaltig.
    "Er hätte auch Nein sagen können"
    Armbrüster: Na ja. Dann lassen Sie uns mal die Erklärungsversuche genauer anschauen. Da ist ja durchaus was dran, dass der derzeitige Bundeswirtschaftsminister nichts für solche Waffenverkäufe kann, die die Vorgängerregierung eingefädelt hat oder genehmigt hat.
    van Aken: Ja das sind zwei verschiedene Sachen. Wenn irgendwas früher genehmigt worden ist, hat Gabriel die nicht genehmigt. Das taucht in den Zahlen aber auch nicht auf. In diesen Zahlen, 12,8 Milliarden im letzten Jahr, taucht nur das auf, wo Gabriel persönlich seine Unterschrift druntergesetzt hat, was er genehmigt hat. Und jetzt zu sagen, na ja, es wurde vorher schon irgendwie politisch genehmigt und ich musste jetzt die Unterschrift druntersetzen, das ist nicht so. Er hat die Genehmigung unters Außenwirtschaftsgesetz erteilt. Er hätte auch Nein sagen können. Dann wären vielleicht Klagen auf die Bundesregierung zugekommen, weil eine frühere Regierung vielleicht eine Teilzusage gemacht hat, aber dann muss er das mal durchrechnen. Wenn er wirklich möchte, was er im Wahlkampf versprochen hat, dass die deutschen Waffenexporte reduziert werden, dann darf er keine Panzer nach Katar schicken, und das hat er genehmigt, ganz alleine.
    Armbrüster: Und dann müsste Deutschland zur Not auch Geldzahlungen, Strafzahlungen leisten?
    van Aken: Das muss man jetzt erst mal durchkämpfen, denn das ist juristisch noch überhaupt nicht einmal tatsächlich bis zum Ende durchdekliniert worden. Und ich finde, er müsste sich an dem Punkt einmal trauen, tatsächlich erst mal eine Schadensersatzklage abzuwarten. Andere Länder, England zum Beispiel, haben es gemacht. Die haben sogar schon richtig final erteilte Genehmigungen - da ging es um Saudi-Arabien - einmal zurückgezogen. Und ehrlich muss ich Ihnen sagen: Wenn ein Land wie Katar dann in den Krieg zieht im Jemen und dort Menschen, Zivilisten zu Tode kommen, ich glaube, dann hat man auch vor deutschen Gerichten gute Argumente.
    "Der Jahrhundertmeister in den Waffenexporten"
    Armbrüster: Da ist jetzt zum anderen die Rede von einem sehr großen Auftrag an Großbritannien über eine Milliarde Euro. Ich meine, das ist ja nun wirklich ein Partner, da kann man eigentlich nichts gegen sagen, auch wenn man Panzer an den liefert. Das ist ja nun wirklich kein Krisenland, da geht ja keine Gefahr von aus.
    van Aken: Nun, das sind drei Punkte. Erstens bringt Gabriel diese Entschuldigung jedes Jahr. Jedes Jahr gibt es irgendeinen großen Sondereffekt. Im Jahr davor war es ein U-Boot nach Israel. Im Jahr davor gab es da auch andere Großprojekte. Zweitens tue ich ihm sogar den Gefallen. Ich rechne diese eine Milliarde raus und dann ist er immer noch der Jahrhundertmeister in den Waffenexporten. Dann hat er immer noch mehr genehmigt als alle seine Minister vor ihm. Und der dritte Punkt ist: Wie vertrauenswürdig sind denn solche Länder? Wir würden wahrscheinlich alle auch sofort unterschreiben, auch die Amerikaner sind absolut vertrauenswürdig. Aber der letzte richtig große Skandal der deutschen Waffenexporte, der betraf genau so einen vertrauenswürdigen Partner. Da haben die Amerikaner 100.000 deutsche Pistolen illegal nach Kolumbien weitergeliefert, bewusst die deutschen Exportrichtlinien umgangen. So ganz trauen würde ich auch den ganz befreundeten Staaten nicht.
    "Es gibt überhaupt keine verlässlichen Partner"
    Armbrüster: Aber Sigmar Gabriel sagt auch: Was diese aktuellen Zahlen belegen ist, dass vor allem die Zahl der Kleinwaffen rapide gesunken ist, auf den niedrigsten Stand - wir haben es gehört - seit 15 Jahren. Also da doch durchaus ein Erfolg, vor allen Dingen, weil diese Waffen ja besonders viel Not und Leid und auch Tod über die Bevölkerung bringen.
    van Aken: Da hat er Recht. Da hat er auch richtig gute Schritte gemacht. Es ist weniger geworden. Nun ist das natürlich noch zu viel. Es ist auch nicht richtig zu erklären, warum er sogar im letzten Jahr 2015 immer noch ein paar hundert Kleinwaffen auch in die arabischen Länder exportiert hat. Aber da hat er wirklich einiges dafür getan. Was ich mich jetzt frage und das muss er uns diese Woche - auch am Freitag diskutieren wir das ja auch im Bundestag - mal erklären: Wenn er da wirklich jetzt so weit gegangen ist, warum traut er sich nicht, den letzten Schritt zu gehen und zu sagen, diese Kleinwaffen, das sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit, die verbieten wir ganz für den Export. Er hat zwei Schritte in die richtige Richtung gemacht, es fehlt noch der dritte.
    Armbrüster: Was glauben Sie denn, was wird er sagen?
    van Aken: Na ja, sein Argument ist immer, na ja, es gibt dann hier im Einzelfall dann doch den einen Partner, den kann man beliefern, das macht doch Sinn. Und dann sage ich immer, diese Kleinwaffen, die sind eben so klein, dass sie von Krieg zu Krieg ziehen. Wenn ich im letzten Jahr 500 Gewehre in die Arabischen Emirate exportiere, dann können die übermorgen schon im Jemen auftauchen und in zwei Jahren in Libyen. Da gibt es keine, überhaupt keine verlässlichen Partner. Das Beispiel USA hatte ich gerade auch schon genannt. Deswegen würde ich sagen, Herr Gabriel, lassen Sie es sein, verzichten Sie auf die 30 Millionen Exporte und dann haben wir ein sauberes Kleinwaffen-Exportverbot, das brauchen wir in Deutschland.
    "Deutschland ist Europameister bei den Waffenexporten"
    Armbrüster: Herr van Aken, jetzt aber mal ganz im Ernst. Kann es sein, dass wir alle bei deutschen Rüstungsexporten vielleicht etwas zu genau hinschauen? Es ist ein im Vergleich zu vielen anderen Industrien relativ kleiner Beitrag und auch im Vergleich zu den weltweiten Rüstungsexporten ja nur eine kleine Summe, um die es hier geht, und bei uns in Deutschland sorgen solche Waffenverkäufe dann regelmäßig für einen Aufschrei und dafür, dass ein führender Politiker unter Druck gerät.
    van Aken: Nein. Erst mal ist Deutschland da nicht klein, sondern groß. Deutschland ist Europameister bei den Waffenexporten. Das ist leider immer noch so. Und deswegen müssen wir das hier besonders kritisch diskutieren. Und zweitens: Gerade bei den Kleinwaffen geht es um ziemlich wenig Geld. Wissen Sie, so ein G36-Sturmgewehr, das kostet gerade mal tausend Euro. Dann ist das, wenn Sie Kleinwaffen für 30 Millionen Euro exportieren, ganz, ganz wenig Geld für die Außenhandelsbilanz, aber sehr, sehr viel Tod.
    Armbrüster: Langfristig können wir aber sagen hat Sigmar Gabriel dafür gesorgt, dass die deutschen Rüstungsexporte zurückgehen werden?
    van Aken: Verdoppelt hat er sie erst mal. Ob sie wirklich zurückgehen, hat er bis jetzt nicht gezeigt. Einzig bei den Kleinwaffen, da hat er richtige Schritte gemacht. Das ist mir viel zu wenig. Das Erste, was er machen muss, ist ein richtiges generelles Kleinwaffen-Exportverbot. Aber an die anderen muss er auch ran. Er kann doch nicht im Wahlkampf einen Rückgang der Waffenexporte versprechen und sie dann verdoppeln.
    Armbrüster: Hat er hier ein Versprechen gebrochen?
    van Aken: Ja. Versprochen gebrochen, ganz klar.
    Verteidigungsausgaben reduzieren statt steigern
    Armbrüster: Herr van Aken, die deutsche und die europäische Rüstungsindustrie, die sind zurzeit noch aus einem anderen Grund in den Schlagzeilen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich ja am Wochenende länger dazu geäußert und unter anderem angeraten, im Zuge einer weiteren europäischen Integration dafür zu sorgen, dass auch europäische Rüstungsvorhaben künftig EU-weit koordiniert werden, um so auch Rüstungsausgaben in den einzelnen Ländern zu sparen und auch die Rüstungsindustrie möglicherweise etwas anzukurbeln. Was halten Sie von solchen Vorschlägen, europäische Integration über den Umweg einer Integration der Rüstungsindustrien?
    van Aken: Ich weiß überhaupt nicht mehr, ob Schäuble nicht mittlerweile vollkommen die Bodenhaftung verloren hat. Europa brennt, die Briten haben für den Austritt gestimmt, wir haben eine fundamentale Krise, und das einzige was Schäuble einfällt ist, darüber nachzudenken, wo lassen sich besser die Waffenverkäufe koordinieren. Ich finde, das ist das allergeringste Problem, was Europa im Moment hat.
    Armbrüster: Aber ist das nicht immer ein riesiger Ausgabenposten in den einzelnen EU-Budgets, die nationalen Verteidigungsbudgets? Würde es da nicht Sinn machen, das zu poolen, das stärker zusammenzuführen?
    van Aken: Ja, es würde auf jeden Fall Sinn machen, diese Verteidigungsausgaben zu reduzieren und nicht zu steigern, wie das jetzt geplant ist. Aber die Reduktion der Verteidigungskosten, die kriegen Sie darüber hin, dass Sie unsinnige Projekte gar nicht erst anfangen. Denn selbst bei den Projekten, wo gepoolt wurde militärisch, sei es Flugzeuge, sei es Panzer, dort sind die Kosten trotzdem in die Höhe getrieben worden. Und die Lehre daraus ist, glaube ich: Wenn man sagt, wir haben hier eine Verteidigungsarmee in Deutschland, verzichten wir auf alles, was für Auslandseinsätze nötig ist, und dann haben wir so viel Geld gespart, dann hat Schäuble noch die eine oder andere Milliarde übrig.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns live im Deutschlandfunk Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr van Aken, für das Gespräch.
    van Aken: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.