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Kritik an Türkei-Anzeige in SZ
"Kaum verständlich, ausweichend und selbstgerecht"

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht eine ganzseitige Anzeige zum Jahrestag des Türkei-Putschversuchs und viele fragen sich angesichts der Entwicklung des Landes: Warum? Der Verlag verteidigt sich – und befeuert damit die Kritik noch.

Volker Lilienthal im Gespräch mit Stefan Fries / Text von Michael Borgers |
    Die Süddeutsche Zeitung musste für eine ein Jahr nach dem Türkei-Putsch vom 15.07.2016 erschienene Anzeige viel Kritik einstecken.
    Die Süddeutsche Zeitung musste für eine ein Jahr nach dem Türkei-Putsch vom 15.07.2016 erschienene Anzeige viel Kritik einstecken. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    Weiße Schrift auf rotem Hintergrund. In großen Lettern wird in der Überschrift der "Sieg der Demokratie über den Terror" gefeiert. "Nur durch den gemeinsamen Einsatz für demokratische, freiheitliche und rechtsstaatliche Gesellschaften können wir eine bessere Zukunft gestalten", heißt es weiter im Text.
    Verantwortlich für die am Samstag erschienene Anzeige auf der fünften Seite der Süddeutschen Zeitung ist die Union der Kammern und Börsen der Türkei (TOBB), ein Dachverband von Unternehmen in der Türkei. Die TOBB musste für die Anzeige laut SZ-Mediadaten mindestens 86.200 Euro zahlen. Ein Gewinn, für den der Verlag allerdings viel Kritik einstecken muss.
    Klöckner: Muss man eine solche Anzeige annehmen?
    So gaben kurz nach Erscheinen "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer und "Bild"-Chefredakteurin Tanit Koch via Twitter zu Protokoll, sie hätten sich dagegen entschieden, weil ihnen diese politische Anzeige "zu weit" gegangen sei. "Ob man eine solche Anzeige annehmen muss?", fragte CDU-Vize Julia Klöckner in dem Kurznachrichtendienst in Richtung der Süddeutschen.
    Zuvor hatte der Verlag bereits seine Entscheidung verteidigt: Grundsätzlich veröffentliche man Anzeigen, "wenn und solange Absender oder Inhalt nicht gegen den Geist der Verfassung oder sonstiges Recht und Gesetz verstoßen", erklärte Geschäftsführer Stefan Hilscher gegenüber "Horizont Online". Die Anzeige sei entlang dieser Kriterien vorab geprüft worden, die Frage, "wie der Verlag zum Inhalt der Anzeige steht bzw. ob er diesen für unbedenklich hält", sei "somit für die Entscheidung, ob diese Anzeige veröffentlicht wird, nicht ausschlaggebend".
    Volker Lilienthal findet diese Argumentation wenig überzeugend: Die Stellungnahme der SZ sei "grausig", weil "kaum verständlich, ausweichend und selbstgerecht", twitterte der Journalistikprofessor von der Universität Hamburg.
    Deutsche Tageszeitungen müssten immer wieder über politische Anzeigen entscheiden, sagte Lilienthal im Gespräch mit @mediasres. Der Fall der Süddeutschen Zeitung nun sei ein "extremer": Die Vorfälle des gescheiterten Putsches vom 15. Juli 2016 würden in der Anzeige beschönigt und seine Folgen verschwiegen. Die Redaktion der SZ dagegen habe seit damals regelmäßig darüber berichtet. Die Anzeige konterkariere dies nun und erzeuge einen "schrägen Eindruck", und dies müsse sich nun die Redaktion vorhalten lassen.
    Putschversuch am 15. Juli 2016
    Am 15. Juli des vergangenen Jahres versuchten türkische Soldaten, die Regierung und Präsident Erdogan zu stürzen. Sie setzten Panzer, Kampfflugzeuge und Hubschrauber ein. Die Putschisten bombardierten das Parlament und andere Gebäude, wurden aber letztlich gestoppt.
    Kritiker werfen Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, er instrumentalisiere den gescheiterten Putsch, um weiter demokratische Strukturen abbauen zu können.