El Cobre, westlich von Santiago de Cuba, am Rande einer Bergkette. Schon von weitem ist die Wallfahrtskirche auf dem Hügel zu sehen. Händler verkaufen am Straßenrand Sonnenblumen. Gelb gekleidete Gläubige steigen die breite Freitreppe zur Basilika hinauf. Gelb ist die Farbe der Virgen de la Caridad del Cobre, der barmherzigen Jungfrau von Cobre.
Seit 1612 wird sie hier verehrt. Der spanische Besitzer einer Kupfermine ließ sie in den Ort bringen, nachdem zwei Indios und ein afrikanischer Sklave sie in der Bahia de Nipe am Atlantik gefunden haben sollen. So die Legende. Daran erinnert das Boot zu Füßen der Heiligen mit den drei betenden Figuren.
"Tausende Menschen kommen jede Woche hierher", sagt ein Priester nach einem Familien- Gottesdienst mit Taufe. Auch das Kind trägt ein gelbes Kleid.
Die barmherzige Jungfrau einige alle Kubaner, sagen diese Frauen, die aus Santiago nach El Cobre gekommen sind. Sie wollen die Heilige Messe feiern und die Virgen um Beistand bitten.
Gelbe Blumen für die Virgen
Unter den Gläubigen befinden sich auch zahlreiche Santeros, erkennbar an ihren weißen Kleidern und Halsketten mit gelben Glasperlen. Anhänger der kubanischen Santeria sehen in der barmherzigen Jungfrau Ochún, die Orisha der Flüsse und der Liebe.
"Viele Santeria-Anhänger fahren nach El Cobre, um der Virgen gelbe Blumen zu Opfern.
In unserer Religion ist der Babalao die wichtigste Person. Er sagt dir, was du tun sollst. Er ist nicht nur der Chef, er ist auch Vermittler zwischen Mensch und Gott", erzählt Silvio Ruiz Lasse.
Von Beruf ist der 30-jährige Mechaniker. Er repariert Kühlschränke. Auch er musste ein Jahr lang Weiß tragen, nachdem er sich einem Santeria-Priester, einem Babalao, anvertraut hatte. Zur Initiations-Kleidung der Santeros und Santeras gehört stets ein weißer Regenschirm. Sie dürfen nicht nass werden, dürfen nur tagsüber auf die Straße gehen, müssen zeitweise auf dem Boden essen und schlafen. Silvio trägt inzwischen Jeans und ein kurzes Hemd. Aber das grün-gelbe Armband verrät seine Verbindung zur Virgen de la Caridad del Cobre, seiner Orisha.
"Man muss katholisch sein, um der Religion anzugehören"
"Meine Familie hat eine große Rolle gespielt. Alle sind Anhänger der Santeria, auch meine Großmutter. Wir sind alle katholisch getauft. Das ist notwendig, damit man dieser Religion angehören darf. Gott nennen wir Olofi."
Seit Anfang der 1990er Jahre hat die Zahl der Santeros stark zugenommen. Ein Grund ist, dass Anhänger der Santeria aber auch anderer Religionsgemeinschaften in Kuba nicht mehr beruflich benachteiligt werden. Religion widersprach den ethischen Vorstellungen des Sozialismus. Auf die Frage, ob es heute möglich sei, Mitglied der Kommunistischen Partei und gleichzeitig Anhänger der Santeria zu sein, meint Silvio:
"Schau mich an. Ich bin Mitglied der kommunistischen Partei. Es gibt Tausende Santeros. Es gibt auch Polizisten oder Staatsbeamte. Claro. Alle wollen doch gerettet werden. Nur manche Katholiken mögen die Santeria nicht, weil wir auch Tiere opfern. Also, wenn wir Probleme haben, dann sagte der Babalao, wir sollen ein Huhn opfern. Das empfinden die Katholiken als etwas Schlechtes."
Und tatsächlich sieht man an Flussmündungen oder auch an Bäumen immer wieder geopferte Hühner, aber auch andere Gaben wie Hühnerknochen. Die Santeria ist allgegenwärtig, wie Papst Franziskus oder Che Guevara.
"Die Santeria ist keine homogene Religion"
"Die Santeria ist sehr vielfältig. Das ist keine homogene Religion. Für die Anhänger der Santeria ist die katholische Kirche allerdings eine Art Reverenz-Religion. Sie müssen katholisch getauft sein. Und sie sind bei uns auch sehr präsent, wenn es um ihre Totenklagen geht. Solch eine enge Verbindung von katholischer Kirche und Santeria gibt es nur noch im Nordosten von Brasilien", sagt Monsignore Jose Felice Perez.
Er ist Sekretär der kubanischen Bischofskonferenz, mit Sitz in Havanna. In Lateinamerika gebe es viele synkretistische Strömungen, besonders in der Karibik. In Guatemala und in Mexiko haben sich die Maya-Kulte mit dem Katholizismus vermischt. Die kubanische Santeria wurde jedoch hauptsächlich von den afrikanischen Religionen geprägt.
"Als die Indios, die Ureinwohner hier verschwunden waren, hat man die afrikanischen Sklaven hier her geholt. Sie mussten dann auf den Plantagen arbeiten. Das ist der Unterschied zu den anderen Ländern. Wir sehen die Santeria nicht nur kritisch. Wir respektieren die Volksfrömmigkeit. Man muss ja zuerst die Personen sehen, die Menschen. Was man eben als Kirche tun muss, ihnen Jesus Christus nahe zu bringen. Aber die Virchen de la Caridad einigt alle Cubaneros."
Geduldet von der Partei hat sich die Santeria inzwischen sogar zu einem privaten Geschäftszweig entwickelt, wie Taxi-Unternehmen oder Casas particulares für Touristen. Überall gibt es Läden, die mit Zubehör für die Santeria handeln, so zum Beispiel in einer schmalen Straße in der Altstadt von Havanna. Da steht San Lazaro neben der Virgen de la Caridad in verschiedenen Größen. Aber auch kleine Muscheln, Steine, Holzstücke oder Werkzeuge liegen in den Regalen. Eisen symbolisiert Oggun oder eben Petrus, erklärt der Händler.
"Wir verkaufen Ketten und, auch die Ton-Gefäße, in denen die Heiligen wohnen, alles, was zu einem Orisha gehört. Wir verkaufen auch Kleidung. Weiße Kleider, aber auch in anderen Farben. Denn später tragen die Leute Kleider in den Farben des Heiligen."
Doch für viele Santero-Anhänger ist ihre Religion ein ziemlich teures Unterfangen geworden, gerade auch wegen der Kleiderordnung. Felicia, eine Germanistin aus Havanna, erzählt, wie ihre katholische Mutter in den 1990er Jahren zunehmend religiös wurde. Ihr Vater hingegen lehnte als Kommunist alle religiösen Kulte ab.
"Das hat viel Geld gekostet, das kostet sehr viel Geld, ist halt teuer. Später hat sie damit aufgethört. Aber ich glaube, sie ist immer noch religiös, sie glaubt an etwas."
Auch ihr Vater habe sich verändert. Er trage inzwischen sogar ein Kruzifix, erzählt Felicia.
"Ich denke, früher wurde das als eine Schwäche empfunden. Also die Männer, die der kubanischen Partei angehört haben, sollten an nichts Anderes glauben als an die Revolution und an den Kommunismus.
Santeria ist auch Gegenstand der Wissenschaft geworden
Als Ende der 1970er Jahre die ersten Caribic-Festivals in Santiago de Cuba gefeiert wurden, habe kaum jemand die synkretistischen Kulte der Santeria erforscht, sagt Carlos Lloga Dominguez von der Casa Caribe, ein Kulturzentrum in einem Villenviertel von Santiago. Er ist einer der wenigen Religionswissenschaftler, die sich speziell mit den verschiedenen Strömungen der Santeria beschäftigen, wie beispielsweise Voodoo.
"Die Religion ist in Kuba sehr stark verwurzelt. Um die kubanische Kultur verstehen zu können, muss man auch die Religion verstehen. Ganz abgesehen, dass es in bestimmten Zeiten hieß, die Religionen hätten keine Bedeutung mehr, sie wären nicht wichtig. Im Gegenteil, die Religiosität war immer präsent."
Bis dahin, dass die Santeros in der Siera Maestra ihre Orishas angerufen haben. Sie sollten dafür sorgen, dass der Aufstand gegen die Batista-Diktatur siegreich verlaufen möge. Selbst von Fidel Castro wird erzählt, er sei heimlicher Santero gewesen.
Während seiner ersten großen Rede nach dem Sieg der Revolution am 8. Januar 1959 in Havanna, habe sich eine weiße Taube auf seine Schulter gesetzt. Sie symbolisiert den Weltenschöpfer Obatalá. Für Santeros galt der Commandante seither als Auserwählter.
"Religion sei Opium für das Volk war ein Missverständnis"
Seit den 1980er Jahren habe sich auch in der kommunistischen Partei ein Sinneswandel vollzogen, bestätigt Carlos Lloga Dominguez die Entwicklung. Alle Religionen könnten frei ausgelebt werden. Konflikte habe es in der Vergangenheit vor allem mit der katholischen Hierarchie gegeben. Aber auch das sei spätestens seit dem Besuch von Papst Johannes Paul II. 1988 bei der Virgen in El Cobre vorbei gewesen.
"Aber die populären Glaubensrichtungen sind nie in diesen Konflikt geraten, die haben stillschweigend weiter gemacht, die Zeiten mit Marx, wo man gesagt hat, Religion sei Opium für das Volk, das war ein Missverständnis. Seit den 80er-Jahren hat man eine andere Einstellung, nämlich die, dass Religion und Politik sehr gut koexistieren können, dass es auch der Religion darum geht, etwas Besseres zu schaffen."
Gerade in Krisenzeiten, in denen viele Menschen das Land verlassen wollen. Und so verteidigt auch Carlos Samper Almaguer, Vizechef des Büros der kommunistischen Partei für religiöse Angelegenheiten, die Santeria als etwas Urkubanisches. Seine Schlussfolgerungen sind allerdings etwas anders.
"Die Santeria hat großen Zulauf bekommen. Die Religiosität ist nach 1991 hier auf Kuba gewachsen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass sich die politischen und sozialen Bedingungen verbessert haben. Von mir muss ich sagen, dass ich keinen religiösen Glauben habe, ich bin zwar kein Atheist, aber gehöre auch keiner Religionsgemeinschaft an. Aber ich schätze die Werte jeder Religionsgemeinschaft hier auf Kuba, weil ich glaube, dass sie alle zur ethischen Verbesserung der Gesellschaft beitragen. Es gibt viele Religions-Gemeinschaften. Keine wird vom Staat bevorzugt. Alle sind gleich und mir sind sie alle gleich sympathisch."