Doch halt! Es könnte sich als Fehler herausstellen, diesen Solitär sozialistischer Stadtgestaltung links liegen zu lassen. Schließlich handelt es sich bei Eisenhüttenstadt um die - wie die DDR so stolz verkündete - erste sozialistische Stadt in Deutschland, um den einzigen Versuch, die Staatsideologie in ein geschlossenes Stadtbild zu gießen und sich damit ein städtebauliches Monument zu setzen. Eine Kunststadt ist dabei entstanden, eine Stadt, die das Land zwischen der alten Fischerstadt Fürstenberg an der Oder im Osten und dem mehrere Kilometer weiter westlich gelegenen Braunkohlenarbeiterdorf Schönfließ überbaut hat. Im Norden begrenzt das Stahlwerk die Ausdehnung der Stadt, im Süden machte sie vor dem Höhenzug der Diehloer Berge halt. Andreas Ludwig ist Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur in der DDR, das sich mit Erfolg in der Stadt etabliert hat, von der er sagt:
" Die Stadt ist einfach der Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Idealstadt zu bauen unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen und unter den Erfahrungen, die man mit neuen Städten ja bereits seit Jahrzehnten und eigentlich Jahrhunderten gemacht hatte. Die Stadtanlage hat etwas von dieser barocken, axialen Struktur, sehr repräsentativ. Man wollte tatsächlich zeigen, wie der Arbeiter im Sozialismus später einmal würde leben können. Leider hat man das nur drei Wohnkomplexe lang durchgehalten und dann ging irgendwann das Geld aus. Genauer gesagt, gab es die Parole von Chruschtschow auf der Allunionskonferenz der Bauschaffenden Ende 1954. Die Parole lautete: Schneller bauen, besser bauen, billiger bauen: Das ist der Beginn der Plattenbauweise, die dann auch hier in den sechziger Jahren sich durchgesetzt hat. "
Wohnkomplex - ein Wort, so typisch für die DDR wie Bückware oder Brigadefeier. Ein Wohnkomplex, im ostdeutschen Alltagsjargon bis heute ein WK, ist eine städtische Siedlungseinheit, größer als ein Quartier oder ein Straßenzug, kleiner als ein Stadtviertel. Die Wohnkomplexe eins bis vier in Eisenhüttenstadt wurden rechts und links entlang einer Straßenachse hochgezogen, die vom monumental geplanten, dann aber doch bescheidener realisierten Eingangstor des Hüttenwerkes zum Zentralen Platz der Stadt verläuft. Die Hauptachse führte nicht aus dem Zentrum heraus zu einem ausladenden Barockschloss, sondern zum Stahlwerk als Symbol der neuen herrschenden Klasse. Vordergründige Symbolik hat die DDR Zeit ihrer Existenz begleitet.. Wie schnell der DDR finanziell der Atem ausging, ist in Eisenhüttenstadt unter anderem daran zu erkennen, dass der Zentrale Platz nie wirklich gebaut wurde. Lediglich ein Gebäude am Rande wurde errichtet und bekam eine Funktion. Das Haus der Massenorganisationen, also der Parteien und des Gewerkschaftsverbandes FDGB, wurde frühzeitig umgewidmet und wird von der Stadtverwaltung bis heute als Rathaus genutzt, weil das eigentlich dafür vorgesehene Gebäude nie realisiert wurde. Ansonsten nichts als Leere auf dem Zentralen Platz, der ursprünglich nach dem Willen der Planer für Massenaufmärsche bestimmt war und auf dem heute - leicht vereinsamt - Autos parken.
Angefangen hat alles 1950. Das Stahlwerk und die zunächst nur als Wohnstadt bezeichnete Arbeitersiedlung entstanden in einem kargen, typisch preußischen Kiefernwaldgebiet mitten in der Märkischen Streusandbüchse. Das Eisenhüttenkombinat Ost, kurz Eko, gibt dem Stahlwerk auch heute, unter wechselnder marktwirtschaftlicher Herrschaft, noch seinen Namen. Viele tausend Arbeiter mussten untergebracht werden. Das geschah zunächst in Baracken. Aber die SED mit ihrer erratischen Führung unter Walter Ulbricht blieb nicht konsequent bei der Sache. Das Projekt Eisenhüttenstadt verlor ab Mitte der Fünfzigerjahre an Schwung. Andreas Ludwig:
" Die Stadt war Aufbauschwerpunkt während des ersten Fünfjahrplans der Zentralplanwirtschaft, der ging von 1951 - 55, aber dann hat sich die Bedeutung der Stadt doch schrittweise relativiert. Sie ist zurückgegangen. Man hat im zweiten Fünfjahrplan auf Energieentwicklung, also Braunkohleentwicklung mit dem Stichwort Schwarze Pumpe und Hoyerswerda gelegt und dann eben die Chemieindustrie und später die Mikroelektronik entwickelt und diese Grundstoffindustrie Eisen- und Stahl hat nicht mehr die entscheidende Rolle gespielt."
Dennoch bleibt faszinierend, welch ein städtebaulicher Versuch in Eisenhüttenstadt gewagt wurde. Die Wohnkomplexe eins bis vier verraten einiges über die Unsicherheit der Stadtplaner in den Fünfzigerjahren. Der erste lehnte sich noch ganz an den Wohnungsbau der zwanziger an. Im zweiten, dem repräsentativsten, betonte die DDR die sogenannte nationale Bautradition, national in der Form, demokratisch im Inhalt, wie das genannt wurde, Neoklassizismus, wie man ihn auch in der Frankfurter Allee, der früheren Stalinallee in Berlin findet. Die Unsicherheit im Stil nach Stalins Tod 1953 manifestiert sich im dritten Wohnkomplex mit seinen deutschen Märchenhäusern. Da findet man allerlei Tiere und Blümchen in den Putz gekratzt und sogar falsches Fachwerk. Und im vierten WK schließlich kann man den Übergang zur industriellen Bauweise beobachten. Zwar waren das noch keine Plattenbauten, aber doch Häuser, die in Großblockbauweise entstanden, also aus Quadratmeter großen vorgefertigten Betonteilen zusammengesetzt wurden, allerdings in deutlich besserer Qualität als die späteren Platten. Diese vier Wohnkomplexe ergeben das eigentliche, das interessante Eisenhüttenstadt. Jörg Ihlow ist Stadtplaner in Eisenhüttenstadt und ebenso wie der Museumsdirektor Andreas Ludwig gelernter West-Berliner. Den Vergleich mit stalinistischem Zuckerbäckerstil weist Ihlow fast schon entrüstet von sich:
" Man hat sich schon an Stilelementen orientiert, die eigentlich zur Bautradition in Deutschland gehörten. Dazu gehören zum Beispiel stehende Fensterformate. Man hat sich damit auch schon bewusst versucht abzusetzen von dem internationalen Baustil des Bauhauses und der Hochhäuser, wo man also schon versucht hat, auch ganz bewusst die deutschen Bautraditionen aufzunehmen. Insoweit sieht es auch gar nicht so sehr viel anders aus als vielleicht das eine oder andere Gründerzeitgebäude. Die Bauhöhen sind natürlich anders, vor allem eine Belle Etage hat man dann natürlich logischerweise nicht mehr gebaut. Aber was so Stuckornamente angeht, was die Fensterornamentik, die Fensteraufteilung angeht, ist das schon - ich sag mal - gute deutsche Bautradition, die hier verbaut worden ist."
Der repräsentative Charakter der Stadt wird unterstrichen durch drei breite Straßenachsen, die Eisenhüttenstadt in Nord-Süd-Richtung durchziehen. In der Frühphase der Stadtwerdung achteten die Planer darauf, dass die Straßen nicht einfach in der Landschaft enden. Sie sind in ihrem letzten Stück eben nicht mehr schnurgerade, sondern verlaufen in einer leichten Kurve, damit die Bebauung auf der äußeren Seite von weitem dem Auge einen Referenzpunkt bietet. Die Stadt wurde ganz bewusst als Kontrapunkt zur Landschaft gesehen. Sie sollte nach dem Willen ihrer Gründer ein Monolith werden. Damit unternahmen die Stadtplaner der frühen DDR auch den Versuch, sich von dem Streben ihrer Kollegen in der Bundesrepublik abzusetzen, Städte möglichst harmonisch in die Landschaft einzupassen.
Alles sollte anders sein in Eisenhüttenstadt. Das fängt bei der Namensgebung an. Was 1950 als Wohnstadt des Eisenhüttenkombinats begann, wandelte sich erst 1961 in Eisenhüttenstadt. Im Mai 1953 aber huldigte der starke Mann der DDR, Walter Ulbricht, am Eisenhüttenkombinat seinem gerade verstorbenen Vorbild:
" Im Auftrage der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vollziehe ich die feierliche Namensgebung des Eisenhüttenkombinats in Eisenhüttenkombinat Josef Wissarionowitsch Stalin und die erste sozialistische Stadt in der Deutschen Demokratischen Republik erhält den Namen Stalinstadt."
Das Märchen von der Arbeiterklasse als Elite der Gesellschaft haben in der DDR viele geglaubt, insbesondere natürlich Begünstigte. Und in Eisenhüttenstadt sollte deutlich werden, dass diese Elite besser lebt als der Rest. Praktisch lief das auf eine Bevorzugung bei der Vergabe der Mangelware Wohnung sowie auf eine bessere Versorgung im Alltag hinaus. So verwundert es nicht, dass im Herbst der friedlichen Revolution von 1989 von hier keine Impulse ausgingen. Man war damals zufrieden und ist es alles in allem auch heute noch. Die Hüttenstädter, wie sie sich selber nennen, leben gerne in ihrer Stadt. Und nach Jahren der Verunsicherung haben sie offenbar auch wieder einen stärkeren Gemeinsinn entwickelt. Das jedenfalls hat Ramona Trojahn beobachtet, die als Galeristin in der Lindenallee, der wichtigsten Meile der Stadt, eine Händlergemeinschaft ins Leben gerufen hat und sich auch sonst auf vielfältige Weise für ihre Kommune engagiert:
" Ich habe festgestellt, dass die Menschen in dieser Stadt wieder sich konzentrieren auf das, was wir eigentlich wirklich vorher hatten. Eine Harmonie in ihrem Umfeld, soziales Engagement, dass man hier wirklich wieder fragt, nicht, hast du Arbeit, sondern ein wirklich 'Wie geht es dir?' und dass, sag ich mal, meine lieben Mitbürger verstanden haben, was es doch heißt, was ein einzelner in der Masse doch auslösen kann. Und dieses kommt wirklich wieder zurück und sorgt natürlich für ein schönes, harmonisches Leben bei uns hier in der Stadt."
Das sagt eine Frau, die unter anderem auch in ihrer Kirchengemeinde aktiv ist. À propos: An Kirchen war bei der Planung von Eisenhüttenstadt natürlich nicht gedacht. Walter Ulbricht hatte klipp und klar festgelegt: Die Stadt bekommt zwei Türme, eines am Rathaus, das andere am Kulturhaus des Eko-Stahlwerks, mehr brauche man nicht. Für Gott und den Glauben sollte nach dem Willen des SED-Chefs kein Platz sein. Und dennoch: Mit den Arbeitern kamen auch einige Christen nach Eisenhüttenstadt. Um doch noch zu einer eigenen Kirche zu kommen, musste es der DDR wirtschaftlich allerdings erst einmal richtig schlecht gehen. Nach dem Treffen zwischen Erich Honecker und der evangelischen Kirchenleitung im März 1978 wurde dann das Sonderbauprogramm Kirchen für neue Städte aufgelegt, das besagte, die Kirche in der DDR durften bauen, die im Westen bezahlen. So bekam auch Eisenhüttenstadt 1981 sein Gemeindezentrum, allerdings ganz ohne Turm. Pfarrer Christoph Lange erklärt die Gründe:
" Dieses Gemeindezentrum ist ungewöhnlich. Es durfte damals von außen auf keinen Fall als Kirche oder kirchliches Gebäude zu erkennen sein. Also, es durfte kein Kreuz angebracht werden oder sonstiges kirchliches Symbol. Heute ist das inzwischen anders. Wir haben ein sechs Meter hohes Kupferkreuz davor auf der Wiese stehen auf dem Gelände und auch an der Eingansseite hier, an der südlichen Seite weist ein großes beleuchtetes Kreuz unübersehbar darauf hin, dass diese Gebäude ein kirchliches ist, eine Kirche ist, die Heimstatt der Friedenkirchgemeinde."
Statt eines Glockenturmes steht ein großes Stahlgerüst auf dem Rasen neben dem Gemeindehaus. Es trägt drei Glocken. Das Stahlgerüst ließ ursprünglich im Leipziger Zentralstadion zum Kirchentag 1954 zwei Glocken erschallen, als die Losung noch hieß: Seid fröhlich in Hoffnung! Heute haben beide christlichen Konfessionen ihre Gotteshäuser und mehr Gemeindeglieder als noch zu DDR-Zeiten. Das ist umso bemerkenswerter, als die Einwohnerzahl Eisenhüttenstadts dramatisch gesunken ist, von mehr als 53 000 m Jahre 1990 auf weniger als 35 000 heute. Mit den Veränderungen im Stahlwerk ist das nicht zu erklären, denn dort und in ausgegründeten Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen sind immer noch 6 000 Menschen beschäftigt, immerhin fast die Hälfte der Belegschaftsstärke von Eko vor dem Ende der DDR. Aber die Abwanderung ist ungebrochen und hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Neue Unternehmen siedeln sich nicht an, das Land Brandenburg hat nicht eine einzige Institution hier hergebracht. Im Gegenteil, um den Erhalt des Amtsgerichts musste jahrelang gestritten werden. Und als Bindeglied zum polnischen Nachbarn taugt Eisenhüttenstadt auch nicht, weder wirtschaftlich noch kulturell. Es gibt keine Oderbrücke hier und keinen Grenzübergang in der Nähe. Andreas Ludwig vom Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR sieht die Lage von Eisenhüttenstadt heute so:
" Also, es ist richtig isoliert, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Das einzige, was die Stadt hat, ist tatsächlich dieser Anspruch, eine Gesamtplanung zu entwickeln, die zukunftsweisend sein sollte, aus den frühen fünfziger Jahren. Es gab dann natürlich konkurrierende Stadtentwürfe, und die zehn Jahre zwischen 1950 und 1960, die sieht man hier eigentlich gebaut vor sich. In vier verschiedenen Nachbarschaftseinheiten, Wohnkomplexe hieß das in der DDR, und diese Kernstadt ist eigentlich heute vor allem von kulturellem und von touristischem Interesse, was der Stadt dazu verhelfen könnte, ihr nicht vorhandenes Image in den westlichen Bundesländern und ihr zum Teil auch schlechtes Image in den östlichen Bundesländern eigentlich ins Positive zu wenden."
Was einen historischen Wert hat, das heißt, was Auskunft geben kann über eine kurze Epoche in einem kleinen Teil Deutschlands, wird bleiben - Eisenhüttenstadt aus den Fünfzigerjahren. Alles Spätere versank in der Beliebigkeit der DDR-Stadtplanung. So ist es auch kein Wunder, dass der zuletzt, also in den Achtzigerjahren, in Eisenhüttenstadt hochgezogene Wohnkomplex, der WK VII, als erster abgerissen wurde. 5000 von 25 000 Wohnungen In Eisenhüttenstadt sind der Abrissbirne bereits zum Opfer gefallen, die meisten davon im WK VII. Die Erklärung für den frühen Tod der späten Bauten ist nur zum Teil darin zu suchen, dass die Stadt vom Rande her in Richtung Zentrum schrumpft. Die Qualität der letzten Plattenbauten in der DDR war so lausig, dass die Wohnungen darin auch durch aufwendige Sanierungen nicht mehr marktfähig zu machen waren. Verschwindet die Schrottarchitektur, wertet es das auf, was bleibt - zum Vorteil von Eisenhüttenstadt.
" Die Stadt ist einfach der Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Idealstadt zu bauen unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen und unter den Erfahrungen, die man mit neuen Städten ja bereits seit Jahrzehnten und eigentlich Jahrhunderten gemacht hatte. Die Stadtanlage hat etwas von dieser barocken, axialen Struktur, sehr repräsentativ. Man wollte tatsächlich zeigen, wie der Arbeiter im Sozialismus später einmal würde leben können. Leider hat man das nur drei Wohnkomplexe lang durchgehalten und dann ging irgendwann das Geld aus. Genauer gesagt, gab es die Parole von Chruschtschow auf der Allunionskonferenz der Bauschaffenden Ende 1954. Die Parole lautete: Schneller bauen, besser bauen, billiger bauen: Das ist der Beginn der Plattenbauweise, die dann auch hier in den sechziger Jahren sich durchgesetzt hat. "
Wohnkomplex - ein Wort, so typisch für die DDR wie Bückware oder Brigadefeier. Ein Wohnkomplex, im ostdeutschen Alltagsjargon bis heute ein WK, ist eine städtische Siedlungseinheit, größer als ein Quartier oder ein Straßenzug, kleiner als ein Stadtviertel. Die Wohnkomplexe eins bis vier in Eisenhüttenstadt wurden rechts und links entlang einer Straßenachse hochgezogen, die vom monumental geplanten, dann aber doch bescheidener realisierten Eingangstor des Hüttenwerkes zum Zentralen Platz der Stadt verläuft. Die Hauptachse führte nicht aus dem Zentrum heraus zu einem ausladenden Barockschloss, sondern zum Stahlwerk als Symbol der neuen herrschenden Klasse. Vordergründige Symbolik hat die DDR Zeit ihrer Existenz begleitet.. Wie schnell der DDR finanziell der Atem ausging, ist in Eisenhüttenstadt unter anderem daran zu erkennen, dass der Zentrale Platz nie wirklich gebaut wurde. Lediglich ein Gebäude am Rande wurde errichtet und bekam eine Funktion. Das Haus der Massenorganisationen, also der Parteien und des Gewerkschaftsverbandes FDGB, wurde frühzeitig umgewidmet und wird von der Stadtverwaltung bis heute als Rathaus genutzt, weil das eigentlich dafür vorgesehene Gebäude nie realisiert wurde. Ansonsten nichts als Leere auf dem Zentralen Platz, der ursprünglich nach dem Willen der Planer für Massenaufmärsche bestimmt war und auf dem heute - leicht vereinsamt - Autos parken.
Angefangen hat alles 1950. Das Stahlwerk und die zunächst nur als Wohnstadt bezeichnete Arbeitersiedlung entstanden in einem kargen, typisch preußischen Kiefernwaldgebiet mitten in der Märkischen Streusandbüchse. Das Eisenhüttenkombinat Ost, kurz Eko, gibt dem Stahlwerk auch heute, unter wechselnder marktwirtschaftlicher Herrschaft, noch seinen Namen. Viele tausend Arbeiter mussten untergebracht werden. Das geschah zunächst in Baracken. Aber die SED mit ihrer erratischen Führung unter Walter Ulbricht blieb nicht konsequent bei der Sache. Das Projekt Eisenhüttenstadt verlor ab Mitte der Fünfzigerjahre an Schwung. Andreas Ludwig:
" Die Stadt war Aufbauschwerpunkt während des ersten Fünfjahrplans der Zentralplanwirtschaft, der ging von 1951 - 55, aber dann hat sich die Bedeutung der Stadt doch schrittweise relativiert. Sie ist zurückgegangen. Man hat im zweiten Fünfjahrplan auf Energieentwicklung, also Braunkohleentwicklung mit dem Stichwort Schwarze Pumpe und Hoyerswerda gelegt und dann eben die Chemieindustrie und später die Mikroelektronik entwickelt und diese Grundstoffindustrie Eisen- und Stahl hat nicht mehr die entscheidende Rolle gespielt."
Dennoch bleibt faszinierend, welch ein städtebaulicher Versuch in Eisenhüttenstadt gewagt wurde. Die Wohnkomplexe eins bis vier verraten einiges über die Unsicherheit der Stadtplaner in den Fünfzigerjahren. Der erste lehnte sich noch ganz an den Wohnungsbau der zwanziger an. Im zweiten, dem repräsentativsten, betonte die DDR die sogenannte nationale Bautradition, national in der Form, demokratisch im Inhalt, wie das genannt wurde, Neoklassizismus, wie man ihn auch in der Frankfurter Allee, der früheren Stalinallee in Berlin findet. Die Unsicherheit im Stil nach Stalins Tod 1953 manifestiert sich im dritten Wohnkomplex mit seinen deutschen Märchenhäusern. Da findet man allerlei Tiere und Blümchen in den Putz gekratzt und sogar falsches Fachwerk. Und im vierten WK schließlich kann man den Übergang zur industriellen Bauweise beobachten. Zwar waren das noch keine Plattenbauten, aber doch Häuser, die in Großblockbauweise entstanden, also aus Quadratmeter großen vorgefertigten Betonteilen zusammengesetzt wurden, allerdings in deutlich besserer Qualität als die späteren Platten. Diese vier Wohnkomplexe ergeben das eigentliche, das interessante Eisenhüttenstadt. Jörg Ihlow ist Stadtplaner in Eisenhüttenstadt und ebenso wie der Museumsdirektor Andreas Ludwig gelernter West-Berliner. Den Vergleich mit stalinistischem Zuckerbäckerstil weist Ihlow fast schon entrüstet von sich:
" Man hat sich schon an Stilelementen orientiert, die eigentlich zur Bautradition in Deutschland gehörten. Dazu gehören zum Beispiel stehende Fensterformate. Man hat sich damit auch schon bewusst versucht abzusetzen von dem internationalen Baustil des Bauhauses und der Hochhäuser, wo man also schon versucht hat, auch ganz bewusst die deutschen Bautraditionen aufzunehmen. Insoweit sieht es auch gar nicht so sehr viel anders aus als vielleicht das eine oder andere Gründerzeitgebäude. Die Bauhöhen sind natürlich anders, vor allem eine Belle Etage hat man dann natürlich logischerweise nicht mehr gebaut. Aber was so Stuckornamente angeht, was die Fensterornamentik, die Fensteraufteilung angeht, ist das schon - ich sag mal - gute deutsche Bautradition, die hier verbaut worden ist."
Der repräsentative Charakter der Stadt wird unterstrichen durch drei breite Straßenachsen, die Eisenhüttenstadt in Nord-Süd-Richtung durchziehen. In der Frühphase der Stadtwerdung achteten die Planer darauf, dass die Straßen nicht einfach in der Landschaft enden. Sie sind in ihrem letzten Stück eben nicht mehr schnurgerade, sondern verlaufen in einer leichten Kurve, damit die Bebauung auf der äußeren Seite von weitem dem Auge einen Referenzpunkt bietet. Die Stadt wurde ganz bewusst als Kontrapunkt zur Landschaft gesehen. Sie sollte nach dem Willen ihrer Gründer ein Monolith werden. Damit unternahmen die Stadtplaner der frühen DDR auch den Versuch, sich von dem Streben ihrer Kollegen in der Bundesrepublik abzusetzen, Städte möglichst harmonisch in die Landschaft einzupassen.
Alles sollte anders sein in Eisenhüttenstadt. Das fängt bei der Namensgebung an. Was 1950 als Wohnstadt des Eisenhüttenkombinats begann, wandelte sich erst 1961 in Eisenhüttenstadt. Im Mai 1953 aber huldigte der starke Mann der DDR, Walter Ulbricht, am Eisenhüttenkombinat seinem gerade verstorbenen Vorbild:
" Im Auftrage der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vollziehe ich die feierliche Namensgebung des Eisenhüttenkombinats in Eisenhüttenkombinat Josef Wissarionowitsch Stalin und die erste sozialistische Stadt in der Deutschen Demokratischen Republik erhält den Namen Stalinstadt."
Das Märchen von der Arbeiterklasse als Elite der Gesellschaft haben in der DDR viele geglaubt, insbesondere natürlich Begünstigte. Und in Eisenhüttenstadt sollte deutlich werden, dass diese Elite besser lebt als der Rest. Praktisch lief das auf eine Bevorzugung bei der Vergabe der Mangelware Wohnung sowie auf eine bessere Versorgung im Alltag hinaus. So verwundert es nicht, dass im Herbst der friedlichen Revolution von 1989 von hier keine Impulse ausgingen. Man war damals zufrieden und ist es alles in allem auch heute noch. Die Hüttenstädter, wie sie sich selber nennen, leben gerne in ihrer Stadt. Und nach Jahren der Verunsicherung haben sie offenbar auch wieder einen stärkeren Gemeinsinn entwickelt. Das jedenfalls hat Ramona Trojahn beobachtet, die als Galeristin in der Lindenallee, der wichtigsten Meile der Stadt, eine Händlergemeinschaft ins Leben gerufen hat und sich auch sonst auf vielfältige Weise für ihre Kommune engagiert:
" Ich habe festgestellt, dass die Menschen in dieser Stadt wieder sich konzentrieren auf das, was wir eigentlich wirklich vorher hatten. Eine Harmonie in ihrem Umfeld, soziales Engagement, dass man hier wirklich wieder fragt, nicht, hast du Arbeit, sondern ein wirklich 'Wie geht es dir?' und dass, sag ich mal, meine lieben Mitbürger verstanden haben, was es doch heißt, was ein einzelner in der Masse doch auslösen kann. Und dieses kommt wirklich wieder zurück und sorgt natürlich für ein schönes, harmonisches Leben bei uns hier in der Stadt."
Das sagt eine Frau, die unter anderem auch in ihrer Kirchengemeinde aktiv ist. À propos: An Kirchen war bei der Planung von Eisenhüttenstadt natürlich nicht gedacht. Walter Ulbricht hatte klipp und klar festgelegt: Die Stadt bekommt zwei Türme, eines am Rathaus, das andere am Kulturhaus des Eko-Stahlwerks, mehr brauche man nicht. Für Gott und den Glauben sollte nach dem Willen des SED-Chefs kein Platz sein. Und dennoch: Mit den Arbeitern kamen auch einige Christen nach Eisenhüttenstadt. Um doch noch zu einer eigenen Kirche zu kommen, musste es der DDR wirtschaftlich allerdings erst einmal richtig schlecht gehen. Nach dem Treffen zwischen Erich Honecker und der evangelischen Kirchenleitung im März 1978 wurde dann das Sonderbauprogramm Kirchen für neue Städte aufgelegt, das besagte, die Kirche in der DDR durften bauen, die im Westen bezahlen. So bekam auch Eisenhüttenstadt 1981 sein Gemeindezentrum, allerdings ganz ohne Turm. Pfarrer Christoph Lange erklärt die Gründe:
" Dieses Gemeindezentrum ist ungewöhnlich. Es durfte damals von außen auf keinen Fall als Kirche oder kirchliches Gebäude zu erkennen sein. Also, es durfte kein Kreuz angebracht werden oder sonstiges kirchliches Symbol. Heute ist das inzwischen anders. Wir haben ein sechs Meter hohes Kupferkreuz davor auf der Wiese stehen auf dem Gelände und auch an der Eingansseite hier, an der südlichen Seite weist ein großes beleuchtetes Kreuz unübersehbar darauf hin, dass diese Gebäude ein kirchliches ist, eine Kirche ist, die Heimstatt der Friedenkirchgemeinde."
Statt eines Glockenturmes steht ein großes Stahlgerüst auf dem Rasen neben dem Gemeindehaus. Es trägt drei Glocken. Das Stahlgerüst ließ ursprünglich im Leipziger Zentralstadion zum Kirchentag 1954 zwei Glocken erschallen, als die Losung noch hieß: Seid fröhlich in Hoffnung! Heute haben beide christlichen Konfessionen ihre Gotteshäuser und mehr Gemeindeglieder als noch zu DDR-Zeiten. Das ist umso bemerkenswerter, als die Einwohnerzahl Eisenhüttenstadts dramatisch gesunken ist, von mehr als 53 000 m Jahre 1990 auf weniger als 35 000 heute. Mit den Veränderungen im Stahlwerk ist das nicht zu erklären, denn dort und in ausgegründeten Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen sind immer noch 6 000 Menschen beschäftigt, immerhin fast die Hälfte der Belegschaftsstärke von Eko vor dem Ende der DDR. Aber die Abwanderung ist ungebrochen und hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Neue Unternehmen siedeln sich nicht an, das Land Brandenburg hat nicht eine einzige Institution hier hergebracht. Im Gegenteil, um den Erhalt des Amtsgerichts musste jahrelang gestritten werden. Und als Bindeglied zum polnischen Nachbarn taugt Eisenhüttenstadt auch nicht, weder wirtschaftlich noch kulturell. Es gibt keine Oderbrücke hier und keinen Grenzübergang in der Nähe. Andreas Ludwig vom Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR sieht die Lage von Eisenhüttenstadt heute so:
" Also, es ist richtig isoliert, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Das einzige, was die Stadt hat, ist tatsächlich dieser Anspruch, eine Gesamtplanung zu entwickeln, die zukunftsweisend sein sollte, aus den frühen fünfziger Jahren. Es gab dann natürlich konkurrierende Stadtentwürfe, und die zehn Jahre zwischen 1950 und 1960, die sieht man hier eigentlich gebaut vor sich. In vier verschiedenen Nachbarschaftseinheiten, Wohnkomplexe hieß das in der DDR, und diese Kernstadt ist eigentlich heute vor allem von kulturellem und von touristischem Interesse, was der Stadt dazu verhelfen könnte, ihr nicht vorhandenes Image in den westlichen Bundesländern und ihr zum Teil auch schlechtes Image in den östlichen Bundesländern eigentlich ins Positive zu wenden."
Was einen historischen Wert hat, das heißt, was Auskunft geben kann über eine kurze Epoche in einem kleinen Teil Deutschlands, wird bleiben - Eisenhüttenstadt aus den Fünfzigerjahren. Alles Spätere versank in der Beliebigkeit der DDR-Stadtplanung. So ist es auch kein Wunder, dass der zuletzt, also in den Achtzigerjahren, in Eisenhüttenstadt hochgezogene Wohnkomplex, der WK VII, als erster abgerissen wurde. 5000 von 25 000 Wohnungen In Eisenhüttenstadt sind der Abrissbirne bereits zum Opfer gefallen, die meisten davon im WK VII. Die Erklärung für den frühen Tod der späten Bauten ist nur zum Teil darin zu suchen, dass die Stadt vom Rande her in Richtung Zentrum schrumpft. Die Qualität der letzten Plattenbauten in der DDR war so lausig, dass die Wohnungen darin auch durch aufwendige Sanierungen nicht mehr marktfähig zu machen waren. Verschwindet die Schrottarchitektur, wertet es das auf, was bleibt - zum Vorteil von Eisenhüttenstadt.