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Kuschelkurs mit der Türkei?
"Wir haben da schon die Daumenschrauben angesetzt"

Beim Treffen der Außenminister wird deutlich: Das eigentliche Problem ist, dass sich dieses Land wegbewegt hat von dem Weg, den es eingeschlagen hat, nämlich Richtung Europa, sagte Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im Dlf.

Niels Annen im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (rechts) und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Rittersaal der Kaiserpfalz in Goslar
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (rechts) und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Rittersaal der Kaiserpfalz in Goslar (picture alliance / Swen Pförtner / dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: Eine mögliche Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei, darüber möchte ich jetzt mit Niels Annen sprechen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Annen!
    Niels Annen: Ja, einen schönen guten Tag wünsche ich Ihnen auch!
    Büüsker: Herr Annen, tausche Deniz Yücel gegen Waffenexporte – hat dieser Vorschlag nicht ein ziemliches Geschmäckle?
    Annen: Ich hab, ehrlich gesagt, das überhaupt nicht so verstanden, denn der Außenminister Gabriel hat sich ja mit der Bundesregierung insgesamt in den letzten Wochen und Monaten intensiv eingesetzt für die Freilassung von Deniz Yücel, aber auch von den anderen inhaftierten deutschen Staatsbürgern. Ich glaube, Deniz Yücel ist zu einem Symbol dieser verheerenden türkischen Politik geworden, und deswegen steht, glaube ich, dieser Vorschlag auch so ein bisschen für die Gesamtheit der Gefangenen. Also es kann keine wirkliche Normalisierung geben, bevor Herr Yücel und die anderen deutschen Staatsbürger nicht freigelassen werden – so habe ich Sigmar Gabriel verstanden, und ich glaube, das ist auch der richtige Weg.
    Was ist eigentlich der Grund für die Spannung?
    Büüsker: Aber das ist dann ja das Signal, gebt uns unsere deutschen Staatsbürger und macht mit eurer eigenen Opposition, was ihr wollt, weil da sitzen ja nach wie vor viele auch im Gefängnis.
    Annen: Nein, das wäre natürlich ein Missverständnis. Man muss ja sich auch genau anschauen, was ist eigentlich passiert, was ist eigentlich der Grund für die Spannung zwischen Deutschland und der Türkei. Deniz Yücel und die anderen Inhaftierten, die sind ja sozusagen der Ausdruck einer Krise, die aber viele andere Bereiche ja auch betrifft. Ich glaube, das eigentliche Problem ist doch, dass sich dieses Land wegbewegt hat von dem Weg, den es eingeschlagen hat, nämlich Richtung Europa, eine stabile, eine lebendige Demokratie zu werden. Wir erleben heute das Gegenteil: Die Türkei bewegt sich weg von Europa, sie inhaftiert ja nicht nur deutsche, sondern auch eigene Staatsbürger, die Meinungsfreiheit, die demokratischen Grundrechte werden eingeschränkt. Und solange sich daran nichts ändert, wird diese Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei natürlich eine spannungsgeladene bleiben. Und es ist ja übrigens auch sehr, sehr viel eingesetzt worden an Druckmitteln – jetzt nicht nur die Frage der Unterbindung von Rüstungsexporten, was ich sehr richtig finde, es geht auch um die Frage der Hermes-Bürgschaften, die zum Teil gestoppt worden sind, die Kreditvergabe der Europäischen Investitionsbank, es sind Reisehinweise veröffentlicht worden. All das hat die türkische Seite unter Druck gesetzt und deutlich gemacht, wir meinen es ernst. Wir wollen den Dialog, aber wir haben klare Erwartungen an den Umgang zwischen diesen beiden Ländern.
    Büüsker: Aber wo sehen Sie denn, dass diese Maßnahmen tatsächlich erfolgreich waren?
    Annen: Na ja, wir konnten ja zumindest mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen, dass ja auch eine Reihe von deutschen Staatsbürgern freigelassen worden sind. Das ist ja nicht sozusagen zufällig geschehen, sondern das ist das Ergebnis intensiver Arbeit. Es ist übrigens auch das Ergebnis des persönlichen Einsatzes von Sigmar Gabriel. Diese Gespräche, über die Sie berichten heute in Goslar, vorher ja auch in Antalya, viele andere Gespräche, Telefonate, Auseinandersetzungen, die wir gehabt haben, haben ja immer auch das Ziel gehabt, die deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger freizubekommen. Also das ist das Ergebnis einer Politik, es ist aber auch – das will ich sagen – erst ein Zwischenschritt. Und ich bin froh darüber, dass sich die Rhetorik verändert hat, dass ganz offensichtlich die türkische Seite verstanden hat, dauerhaft macht es keinen Sinn, es sich mit Deutschland und der Europäischen Union zu verscherzen – aus politischen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und, das ist vielleicht kein diplomatischer Ausdruck, aber wir haben da schon die Daumenschrauben angesetzt in den letzten Wochen und Monaten.
    Keine Normalisierung von heute auf morgen
    Büüsker: Und was macht Sie da so sicher, dass die türkische Regierung das tatsächlich verstanden hat, allein die Freilassung von deutschen Staatsbürgern?
    Annen: Na, ich bin nicht wirklich hundert Prozent sicher, denn die, ich sag mal die Botschaften, die wir aus Ankara bekommen, die sind ja sehr unterschiedlich. Wir haben heute ganz offensichtlich ein konstruktives, ein positives Treffen zwischen Sigmar Gabriel und Herrn Cavusoglu, wo die Gemeinsamkeiten betont werden und wo auch etwas rhetorisch abgerüstet wird. Auf der anderen Seite ist der türkische Staatspräsident in Paris zu Gast gewesen und hat in völlig inakzeptabler Art und Weise französische Journalisten dort beschimpft, hat Ausdrucksweisen benutzt, wie wir sie leider ja auch in der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich kennen. [*]
    Ich stelle mich offen gesprochen darauf ein, dass es ein langer Weg ist. Und wir haben jetzt erste positive Signale, das sollten wir nicht unterbewerten. Es ist die vornehmste Aufgabe einer Regierung, sich um die eigenen Staatsbürger zu kümmern, gerade wenn sie offensichtlich ohne Grund willkürlich inhaftiert sind, wie das bei Herrn Yücel und anderen deutschen Staatsbürgern der Fall ist, aber das wird sich nicht von heute auf morgen normalisieren lassen. Ich glaube, die eigentliche Frage ist, findet die türkische Gesellschaft die Kraft, die demokratischen Kräfte, dieses Land wieder auf den Weg zu bringen in Richtung einer europäischen Perspektive, auf der Grundlage europäischer Werte. Und wenn das nicht der Fall sein sollte, dann werden wir, egal ob wir jetzt in den nächsten Wochen und Monaten weitere Freilassungen erleben oder nicht, weiterhin Probleme mit der Türkei haben. Und ich glaube, wir müssen auch über unsere eigenen Interessen sprechen. Die Türkei hat deutlich gemacht, sie orientiert sich auch in Richtung Russland und China, daran können wir auch kein Interesse haben, gerade in einer instabilen Region, in der sich die Türkei befindet, aber wir werden keine Kompromisse machen, wenn es um unsere grundsätzlichen Werte geht.
    Büüsker: Sagt Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Wir haben über das Treffen zwischen Außenminister Sigmar Gabriel und seinem türkischen Amtskollegen gesprochen. Danke, Herr Annen, für das Gespräch heute hier im Deutschlandfunk!
    Annen: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    [*] Der Interviewpartner hat sich nach eigener Aussage versprochen. Es muss natürlich heißen: "zwischen Deutschland und der Türkei"