Soweit das Auge reicht, zieht sich der Deich durch den Landstrich an der Unterweser. Eigentlich ist es nicht mehr als ein begrünter Erdwall, auf dem sich gut spazieren gehen lässt. Auffällig nur, wie gepflegt die Böschungen sind und wie mit dem Lineal gezogen sie gleichmäßig abfallen - flach und langsam zur einen Seite, etwas steiler dort, wo der Deich die Häuser vor Hochwasser schützt. Mächtig ist er, der Erdwall, wenn man am Fuß des Deiches steht. Sieben Meter ragt er in die Höhe. Und weil der Meeresspiegel steigt und die Sturmfluten zunehmen, soll er noch einmal erhöht werden - um einen Meter.
"Wir können aus dem ersten Stock schon nicht mehr über den Deich rübergucken, wir müssen ganz auf den Boden gehen, das wird dann schwierig, dann kann mal so eben nicht mehr in den Außendeich gucken."
Weyerer: "Schade eigentlich."
"Das ist nicht so schön, aber ein Fenster wird uns der Deichverband nicht einbauen."
Wolfram Friedrich; vor 42 Jahren ist er direkt hinter dem Deich geboren und lebt seither mit Ebbe und Flut, mit Hochwasser und im Glauben, dass der Deich hält. Fritz Friedrich, sein Vater, ist wie sein Sohn Schäfer, Deichschäfer.
F. Friedrich: "Jetzt soll er wieder erhöht werden, ja. Also ich bezweifele das, ob es muss. Andererseits wenn man sieht, wie hoch das Wasser jetzt schon wieder war, na ja, vielleicht ist es doch besser."
W. Friedrich: "Wasserstände sind wie Lotto spielen, man weiß nie, was auf einen zukommt. Kann man mal paar Jahre Glück haben, da kommt gar nichts. Jetzt hatten wir zwei Jahre hintereinander hohe Wasserstände gehabt, vor paar Wochen war drei Meter höher als normal, das ist zwei Meter unterhalb der Oberkante des Deichs."
Weyerer: "Da guckt man doch schon ab und zu rüber?"
"Ach, wegen drei Meter bekommt hier niemand Panik. Man verlässt sich, dass der Deich hält. Schwierig wird es, wenn es oben dran ist."
Ein paar Schritte nur trennen die Rückseite des Hauses vom Deichfuß. Wird der Schutzwall erhöht, muss er notgedrungen verbreitert werden. Manche Häuser, die dem wachsenden Deich zu dicht kommen werden, sind bereits aufgekauft und stehen leer. Die Friedrichs hoffen, dass ihnen eine Umsiedlung erspart bleibt. Ein Deich vis a vis dem Küchenfenster ist ihnen allemal lieber als eine lärmende Straße vor der Haustür oder eine Eisenbahnlinie hinterm Garten. An das Haus grenzt ein Zaun. Hinter dem Eisengatter beginnt das Reich der Schafe. Oben pfeift der Wind über die Deichkrone.
"Vom Wasser ist nicht viel zu sehen. Die Weser ist noch weit vom Deich entfernt. Man sieht Fischteichen und Treibsel, das alles was im Vorland an Schilf und Reet wächst zwischen den Deichen. Sogar Treibgut von der anderen Weserseite hierher treibt, weil die Sturmflut kommt bei uns nur in nordwestlichen Windlagen und vom Deich im Westen treibt alles weg und kommt an unserer Böschung an, was das Problem des Deichverbandes ist."
Weyerer: "Nicht bei jeder Flut kommt das Wasser bis an diesen Deich heran?"
"Wir haben in unserem Bereich einen Sommerdeich, der Wasserstände bis 1,80 Meter über dem mittleren Hochwasser aufhalten kann, sodass die Sommerfluten den großen Deich nicht erreichen. Hier im Außenbereich kann man sogar Ackerbau betreiben, Mais, Getreide, Kohl. Das ist dank dieser Sommerdeiche möglich."
Das Hochwasser ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits reichert es den überschwemmten Boden mit den nährstoffreichen Sedimenten an, anderseits zerstört die Wassergewalt den Ernteertrag, weil er die Maishalme bricht und der Schlamm die Früchte selbst als Tierfutter ungenießbar macht. Landwirt Gottfried Meier:
"Wir haben ja im Außendeich immer mit der Gefahr gelebt, dass das Überflutungsgebiet ist. Daran haben wir uns ja auch gewöhnt. Das hat ja dieses Land auch so fruchtbar gemacht. Das ist ja das fruchtbarste Land, das ich in der Gegend hier kenne."
"In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Weservertiefung und wahrscheinlich auch der Anstieg des Meeresspiegels auf unsere Region hier auswirkt. Wir haben das Wasser schneller am Hauptdeich wie früher, dass wir im Herbst eher mit Überflutungen unserer Flächen rechnen müssen, dass wir unsere Tiere öfters schon mal im Oktober von den Flächen holen müssen, dass wir Angst um unseren Mais haben müssen, der noch draußen steht und dass wir jetzt auch wieder über unsere Saaten Wasser bekommen haben, was sicherlich negativ ist für den Ertrag."
Gottfried Meier zog vor 40 Jahren aus dem Dorf hinaus an den Deich. Im Dorf, erzählt er, war es zu eng geworden für die Landwirtschaft. Seither lebt er hinter dem Deich und bewirtschaftet die Flächen zwischen Deich und Fluss, die sogenannte Marsch.
"Wir stehen hier im Bereich zwischen Sommerdeich und Hauptwinterdeich, Hauptdeich. Das ist das vorgelagerte Gebiet, Hammelwaader Sand genannt, in diesem Bereich wird überwiegend Gemüse angebaut. Wir selber machen in der siebten Generation Gemüseanbau."
Jan Hotes baut auf 70 Hektar Kohl an: Weißkohl, Rotkohl, Wirsingkohl, Spitzkohl, Blumenkohl, Grünkohl: Die Erträge auf dem Vorland zwischen Hauptdeich und Fluss seien höher, obwohl weniger gedüngt werden muss. Der Boden hier draußen, sagt der Fachmann, sei wüchsiger.
"Das ist dem Fluss wohl irgendwann abgerungen worden vor 200, 300 Jahren. Es ist ehemalige Flussmarsch, wie auch hier, wo wir hier stehen. Dieses hier ist absolut der Weser entnommen worden durch Eindeichen, man hat immer wieder ein kleines Stück eingedeicht. Das ist hervorragender Boden, besonders geeignet für den Kohlanbau und es wird auch hier in einer ganz kleinen Region nur betrieben."
Der Deich, sagt Jan Hotes, gehört zu uns wie der Mond zur Nacht. Der Deich schützt sie, aber wie lange noch? Der Meeresspiegel steigt schneller als vermutet. Die Häufigkeit der Sturmfluten nimmt zu. Die Wellen laufen höher auf als noch vor 30 Jahren. Folgen der erwärmten Erdatmosphäre. Ist die Macht des Wassers noch zu bändigen?
"Das könnte passieren, wenn es so kommt, wie man es voraussagt, dass dieses Gebiet irgendwann wieder der Weser oder der Nordsee zurückgegeben werden muss. Das ist eine kleine Angst, die die Menschen in diesem Bereich alle haben."
Weyerer: "Ihre Existenzgrundlage wäre davon betroffen."
"Ja, wie müssten dann wohl aufhören als Landwirt."
Der Klimawandel wirkt sich besonders negativ an der Küste und den Flüssen aus. Umweltschützer und Klimaforscher fordern eine bessere Vorbereitung für den Ernstfall. Mit der Anregung, Deiche, wo immer möglich, zurückzuverlegen, stoßen die Umweltschützer und Klimaforscher vielerorts auf Unverständnis - zumal bei denen, denen der Schutz gilt. Wer unter den Deichanwohnern, deren Vorväter unter Einsatz ihres Lebens dem Meer Land entriss und es gegen Ebbe und Flut, gegen Sturmfluten und Orkanen verteidigte, würde dieses Stück Land dem Meer schon freiwillig zurückgeben? Gottfried Meier, der Landwirt aus Aschwarden, mit Sicherheit nicht.
"Die Stimmung ist so: Ich zahle noch für das Land, das ich im Außendeich gekauft habe, langfristiger Abtrag. Wenn man bedenkt, dass man das Land noch nicht mal ganz bezahlt hat und es jetzt wieder abgeben soll, wo ich es eigentlich an meinen Junior vererben möchte, kann ich mich mit dem Gedanken, das wieder abgeben zu müssen, gar nicht anfreunden. Das wäre für mich, wenn ich die Außendeichsflächen verliere, eine existenzmäßige Katastrophe. Unser Betrieb hat 125 Hektar, davon sind 75 Hektar im Außendeich, mehr als die Hälfte. Wenn wir die Außendeichsfläche verlieren, dann könnten wir zumachen."
Gottfried Meier aber vertraut dem Deich. Hätte er sonst sein neues Haus hinter dem Deich gebaut? Natürlich, bei Sturmfluten schlafen sie unruhiger. Oder gar nicht. Und schleppen stattdessen Sandsäcke. Die Bewohner hinter den Deichen sind sich einig: Die wichtigste Aufgabe, um den gemeinsamen Lebensraum zu erhalten und zu sichern, sind der Deichbau und dessen Pflege. Früher galt: "Wer nich will dieken, der mut wieken!” - Wer nicht deichen will, muss weichen.
"Wir können aus dem ersten Stock schon nicht mehr über den Deich rübergucken, wir müssen ganz auf den Boden gehen, das wird dann schwierig, dann kann mal so eben nicht mehr in den Außendeich gucken."
Weyerer: "Schade eigentlich."
"Das ist nicht so schön, aber ein Fenster wird uns der Deichverband nicht einbauen."
Wolfram Friedrich; vor 42 Jahren ist er direkt hinter dem Deich geboren und lebt seither mit Ebbe und Flut, mit Hochwasser und im Glauben, dass der Deich hält. Fritz Friedrich, sein Vater, ist wie sein Sohn Schäfer, Deichschäfer.
F. Friedrich: "Jetzt soll er wieder erhöht werden, ja. Also ich bezweifele das, ob es muss. Andererseits wenn man sieht, wie hoch das Wasser jetzt schon wieder war, na ja, vielleicht ist es doch besser."
W. Friedrich: "Wasserstände sind wie Lotto spielen, man weiß nie, was auf einen zukommt. Kann man mal paar Jahre Glück haben, da kommt gar nichts. Jetzt hatten wir zwei Jahre hintereinander hohe Wasserstände gehabt, vor paar Wochen war drei Meter höher als normal, das ist zwei Meter unterhalb der Oberkante des Deichs."
Weyerer: "Da guckt man doch schon ab und zu rüber?"
"Ach, wegen drei Meter bekommt hier niemand Panik. Man verlässt sich, dass der Deich hält. Schwierig wird es, wenn es oben dran ist."
Ein paar Schritte nur trennen die Rückseite des Hauses vom Deichfuß. Wird der Schutzwall erhöht, muss er notgedrungen verbreitert werden. Manche Häuser, die dem wachsenden Deich zu dicht kommen werden, sind bereits aufgekauft und stehen leer. Die Friedrichs hoffen, dass ihnen eine Umsiedlung erspart bleibt. Ein Deich vis a vis dem Küchenfenster ist ihnen allemal lieber als eine lärmende Straße vor der Haustür oder eine Eisenbahnlinie hinterm Garten. An das Haus grenzt ein Zaun. Hinter dem Eisengatter beginnt das Reich der Schafe. Oben pfeift der Wind über die Deichkrone.
"Vom Wasser ist nicht viel zu sehen. Die Weser ist noch weit vom Deich entfernt. Man sieht Fischteichen und Treibsel, das alles was im Vorland an Schilf und Reet wächst zwischen den Deichen. Sogar Treibgut von der anderen Weserseite hierher treibt, weil die Sturmflut kommt bei uns nur in nordwestlichen Windlagen und vom Deich im Westen treibt alles weg und kommt an unserer Böschung an, was das Problem des Deichverbandes ist."
Weyerer: "Nicht bei jeder Flut kommt das Wasser bis an diesen Deich heran?"
"Wir haben in unserem Bereich einen Sommerdeich, der Wasserstände bis 1,80 Meter über dem mittleren Hochwasser aufhalten kann, sodass die Sommerfluten den großen Deich nicht erreichen. Hier im Außenbereich kann man sogar Ackerbau betreiben, Mais, Getreide, Kohl. Das ist dank dieser Sommerdeiche möglich."
Das Hochwasser ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits reichert es den überschwemmten Boden mit den nährstoffreichen Sedimenten an, anderseits zerstört die Wassergewalt den Ernteertrag, weil er die Maishalme bricht und der Schlamm die Früchte selbst als Tierfutter ungenießbar macht. Landwirt Gottfried Meier:
"Wir haben ja im Außendeich immer mit der Gefahr gelebt, dass das Überflutungsgebiet ist. Daran haben wir uns ja auch gewöhnt. Das hat ja dieses Land auch so fruchtbar gemacht. Das ist ja das fruchtbarste Land, das ich in der Gegend hier kenne."
"In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Weservertiefung und wahrscheinlich auch der Anstieg des Meeresspiegels auf unsere Region hier auswirkt. Wir haben das Wasser schneller am Hauptdeich wie früher, dass wir im Herbst eher mit Überflutungen unserer Flächen rechnen müssen, dass wir unsere Tiere öfters schon mal im Oktober von den Flächen holen müssen, dass wir Angst um unseren Mais haben müssen, der noch draußen steht und dass wir jetzt auch wieder über unsere Saaten Wasser bekommen haben, was sicherlich negativ ist für den Ertrag."
Gottfried Meier zog vor 40 Jahren aus dem Dorf hinaus an den Deich. Im Dorf, erzählt er, war es zu eng geworden für die Landwirtschaft. Seither lebt er hinter dem Deich und bewirtschaftet die Flächen zwischen Deich und Fluss, die sogenannte Marsch.
"Wir stehen hier im Bereich zwischen Sommerdeich und Hauptwinterdeich, Hauptdeich. Das ist das vorgelagerte Gebiet, Hammelwaader Sand genannt, in diesem Bereich wird überwiegend Gemüse angebaut. Wir selber machen in der siebten Generation Gemüseanbau."
Jan Hotes baut auf 70 Hektar Kohl an: Weißkohl, Rotkohl, Wirsingkohl, Spitzkohl, Blumenkohl, Grünkohl: Die Erträge auf dem Vorland zwischen Hauptdeich und Fluss seien höher, obwohl weniger gedüngt werden muss. Der Boden hier draußen, sagt der Fachmann, sei wüchsiger.
"Das ist dem Fluss wohl irgendwann abgerungen worden vor 200, 300 Jahren. Es ist ehemalige Flussmarsch, wie auch hier, wo wir hier stehen. Dieses hier ist absolut der Weser entnommen worden durch Eindeichen, man hat immer wieder ein kleines Stück eingedeicht. Das ist hervorragender Boden, besonders geeignet für den Kohlanbau und es wird auch hier in einer ganz kleinen Region nur betrieben."
Der Deich, sagt Jan Hotes, gehört zu uns wie der Mond zur Nacht. Der Deich schützt sie, aber wie lange noch? Der Meeresspiegel steigt schneller als vermutet. Die Häufigkeit der Sturmfluten nimmt zu. Die Wellen laufen höher auf als noch vor 30 Jahren. Folgen der erwärmten Erdatmosphäre. Ist die Macht des Wassers noch zu bändigen?
"Das könnte passieren, wenn es so kommt, wie man es voraussagt, dass dieses Gebiet irgendwann wieder der Weser oder der Nordsee zurückgegeben werden muss. Das ist eine kleine Angst, die die Menschen in diesem Bereich alle haben."
Weyerer: "Ihre Existenzgrundlage wäre davon betroffen."
"Ja, wie müssten dann wohl aufhören als Landwirt."
Der Klimawandel wirkt sich besonders negativ an der Küste und den Flüssen aus. Umweltschützer und Klimaforscher fordern eine bessere Vorbereitung für den Ernstfall. Mit der Anregung, Deiche, wo immer möglich, zurückzuverlegen, stoßen die Umweltschützer und Klimaforscher vielerorts auf Unverständnis - zumal bei denen, denen der Schutz gilt. Wer unter den Deichanwohnern, deren Vorväter unter Einsatz ihres Lebens dem Meer Land entriss und es gegen Ebbe und Flut, gegen Sturmfluten und Orkanen verteidigte, würde dieses Stück Land dem Meer schon freiwillig zurückgeben? Gottfried Meier, der Landwirt aus Aschwarden, mit Sicherheit nicht.
"Die Stimmung ist so: Ich zahle noch für das Land, das ich im Außendeich gekauft habe, langfristiger Abtrag. Wenn man bedenkt, dass man das Land noch nicht mal ganz bezahlt hat und es jetzt wieder abgeben soll, wo ich es eigentlich an meinen Junior vererben möchte, kann ich mich mit dem Gedanken, das wieder abgeben zu müssen, gar nicht anfreunden. Das wäre für mich, wenn ich die Außendeichsflächen verliere, eine existenzmäßige Katastrophe. Unser Betrieb hat 125 Hektar, davon sind 75 Hektar im Außendeich, mehr als die Hälfte. Wenn wir die Außendeichsfläche verlieren, dann könnten wir zumachen."
Gottfried Meier aber vertraut dem Deich. Hätte er sonst sein neues Haus hinter dem Deich gebaut? Natürlich, bei Sturmfluten schlafen sie unruhiger. Oder gar nicht. Und schleppen stattdessen Sandsäcke. Die Bewohner hinter den Deichen sind sich einig: Die wichtigste Aufgabe, um den gemeinsamen Lebensraum zu erhalten und zu sichern, sind der Deichbau und dessen Pflege. Früher galt: "Wer nich will dieken, der mut wieken!” - Wer nicht deichen will, muss weichen.