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Lebenskünstler im All

Raumfahrt. - Bärtierchen gehören zu den wahren Überlebenskünstlern im Tierreich. Deshalb durften einige im September zwölf Tage in den Weltraum fliegen und werden jetzt auf der Erde untersucht, wie ihnen dieser Ausflug in Vakuum, Kälte und Weltraumstrahlung bekommen ist.

Von Cajo Kutzbach | 23.11.2007
    "Wenn man vor der Haustür irgend welche Ritzen im Boden hat, wenn man eine Mauer hat, dann finden sich meistens kleine Moospolster an den Wänden und in diesen kleinen Moospolstern leben Tiere und unter anderem auch die Bärtierchen. Das sind also ganz kleine Organismen in der Größe von einem Millimeter ungefähr. Man kann sich die Bärtierchen als kleine Gummibärchen vorstellen, aber nicht mit zwei Beinpaaren, wie wir es von den richtigen Bären her kennen, sondern mit vier Beinpaaren."

    Und diese im 18. Jahrhundert von einem Quedlinburger Pastor entdeckten Tiere mit dem lateinischen Namen Tardigrada, also "Langsamschreiter", untersucht der Biologe Ralph Schill am Institut für Biologie der Universität Stuttgart. Er koordiniert das Verbundprojekt Funcrypta, an dem vier Forschergruppen und eine Firma sich mit Bärtierchen befassen, denn die sind Überlebenskünstler. Schill:

    "Diese Bärtierchen, die haben eine erstaunliche Fähigkeit, dass sie also sehr tolerant sind gegenüber den übelsten Umwelteinflüssen, gegenüber hohen und niedrigen Temperaturen, gegenüber Strahlung Gammastrahlung, UV-Strahlung. Und um diese außergewöhnlichen Fähigkeiten letztendlich zu untersuchen, gab es dieses Weltraumexperiment."

    Die Bärtierchen bekamen dafür aber keinen Raumanzug, sondern, so Schill:

    "Diese kleinen Bärtierchen, die wurden getrocknet. Das ist die Fähigkeit, die sie auch besitzen: Man kann sie trocknen! Man hat sie also trocken in kleine Module verpackt und diese Module sind dann in einer Kapsel mit der Rakete in den Weltraum geflogen. Und dort öffnete sich dann ein Schieber und die Tiere wurden der Weltraumstrahlung, als auch dem Vakuum ausgesetzt. Und anschließend ging - nach zwölf Tagen - dieser Schieber wieder zu und die Tiere sind wieder in diesen Modulen zurück geflogen."

    Bärtierchen kommen in 1000 Arten von der Arktis bis in die Tiefsee und selbst in Wüsten vor. Wie lange sie getrocknet auf bessere Zeiten warten können, ist unklar. Zwölf Jahre haben Wissenschaftler nachgewiesen, aber vermutlich halten sie auch noch länger durch. Wenn sie eintrocknen, ziehen sie die Beine ein und bilden ein robustes Tönnchen, das dann - ohne Schaden zu nehmen - auch von einem Wüstensturm viele Kilometer weit verfrachtet werden kann. Ralph Schill interessiert aber etwas anderes:

    "Spannend ist wirklich, wie schaffen die Tiere das auszutrocknen, ohne dass sie sterben? Wie schaffen die das zu gefrieren, ohne dass sie sterben? Sie bleiben komplett intakt, das heißt die Augen, die Muskeln, die Beine, also alles, was ein Tier so hat. Und das Ziel von unseren Forschungsarbeiten ist letztendlich diese Mechanismen zu verstehen, wie man es schaffen kann, solche extremen Situationen zu beherrschen. Und dieses Verstehen soll dann letztendlich in eine Anwendung überführt werden. Das heißt, wir können vielleicht davon lernen, wie wir Impfstoffe besser stabilisieren, wie wir verschiedene Zellen besser weggefrieren können."

    Die jetzige Grundlagenforschung könnte in ferner Zukunft für die Lagerung von Impfstoffen, Medikamenten, Lebensmitteln etwa Tiefkühlkost, aber auch von Samen in Samenbanken eine wichtige Rolle spielen. Schill:

    "Aber dieser Schritt, das ist ein großer Schritt und der wird noch viele, viele Jahre dauern. Wir fangen an, sozusagen das Fundament zu legen mit diesen Bärtierchen, mit dieser eigentlich alten Tiergruppe, die in der Forschung aber erst seit wenigen Jahren wieder aufgetaucht ist."

    Normalerweise leben Bärtierchen drei bis höchstens vier Monate, es sei denn sie trocknen ein. Da aber die weltraumerfahrenen Bärtierchen getrocknet waren, muss sich Ralph Schill nicht beeilen. Er weiß zudem von früheren Versuchen, dass immer ein kleiner Teil der Eingetrockneten, so um fünf Prozent, nicht überleben. Vielleicht zeigt sich auch erst bei den Nachkommen, ob eine Schädigung im Weltraum erfolgt, oder ob Bärtierchen die geborenen Astronauten sind. Aber dazu müssen sie erst einmal Nachkommen bekommen. Schill:

    "Die Tiere sind seit ungefähr 14 Tagen wieder an der Universität Stuttgart angekommen. Und wir sind mit unseren Arbeiten dabei zu schauen, wie viele haben überlebt? Werden sie sich fortpflanzen, wenn sie überlebt haben? Wie sehen die künftigen Generationen aus? Aber für die Bekanntgabe der ersten Ergebnisse ist es noch ein bisschen zu früh."