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Lehren und Lernen im Mittelalter
Schüler und Meister

Wie wird Wissen am besten weitergegeben? Im Mittelalter stand dabei das besondere Verhältnis von Meister und Lehrer im Mittelpunkt. An der Universität Köln fand vergangene Woche eine Tagung zum Thema "Schüler und Meister - Wissen, Lehren und Lernen im Mittelalter" statt.

Von Ingeborg Breuer |
    Andreas Speer: "Wahrscheinlich ist es so, wie es heute auch ist. Jemand wird als Meister anerkannt, weil er etwas kann, was ich bei ihm lernen kann. Und das ist immer ein Prozess, der ist im Fluss, heute und damals. Und dann gibt es die Instanz, wo solches Wissen anerkannt wird, man bekommt ein Diplom, ein Zeugnis, einen Meisterbrief. Und genau diese Sachen fangen im Mittelalter in den Städten an."
    "Alles vernünftige Lehren und Lernen geschieht aus einer vorangehenden Erkenntnis", wusste schon Aristoteles. Und diese Erkenntnis muss man weiter geben an den Ungelehrten, schlussfolgerte wiederum der spätmittelalterliche Philosoph Meister Eckhard. Damit der Ungelehrte schließlich zum Gelehrten werde, denn sonst - würde ja niemand je gelehrt.
    Jochen Baumbach: "Diesem Verhältnis zwischen Meister und Schüler soll neu nachgeforscht werden. Wie diese Beziehungen geartet waren, genau dieser Frage widmet sich die Tagung."
    Professor Andreas Speer und sein wissenschaftlicher Assistent Jochen Baumbach waren die Veranstalter der großen Tagung über "Schüler und Meister" im Mittelalter, die vergangene Woche in Köln stattfand. Denn das Schüler-Lehrer-Verhältnis bestimmt darüber, wie und welches Wissen über die Generationen weiter gegeben wird. Diese Wissensorganisation war aber in unterschiedlichen Epochen und Kulturen verschieden. In der byzantinischen Kultur des Mittelalters etwa kannte man keine Universitäten nach westlichem Maßstab, das Lernen von Theologie und Philosophie vollzog sich in einer persönlichen Beziehung zwischen einem geistigen Lehrer und seinem Schüler. In den arabischen Ländern gab es seit dem 10. Jahrhundert die sogenannte Madrasas, Schulen, oft finanziert durch fromme Stiftungen, in denen der Stifter denn auch das Lehrprogramm festlegen konnte.
    Baumbach: "Lehrer und Schüler hatten einen besondere Beziehung, dass eben Lehrer auserwählt wurden, die sich auch ihre Schüler ausgewählt haben, aber das waren kleine Kreise, das war nicht in der Weise institutionalisiert wie hier in der Universität."
    Die Universität ist eine europäische Schöpfung. Hervorgegangen aus Kloster- oder Domschulen entwickelten sich seit dem Hochmittelalter - parallel zum Aufkommen der Städte - "Gemeinschaften", also "universitates" von Lehrenden und Lernenden. Für den Philosophen Andreas Speer, Direktor des Thomas-Instituts der Universität Köln, waren es geradezu Vorboten der Moderne:
    "Das Aufkommen der Städte, das Aufkommen der Universitäten, hier beginnt das, was wir die Moderne nennen, sowohl vom Verständnis der Organisation von Städten, die sich ihre Vertretungen selber wählen, wie auch der Universität, eine sich selbst organisierende Organisation von solchen, die etwas lernen wollen und solchen, die etwas lehren wollen."
    Andreas Speer schildert die mittelalterliche Entwicklung der Universitäten als einen überraschend vitalen Prozess. Zwar galt Christus als erster Lehrer als "magister humilitatis", also als Lehrer der Demut. Entsprechend stand das Lehren und Lernen im Zeichen der Bescheidenheit. Doch keineswegs war es durch strikte Unterweisung geprägt. Denn gerade durch das Fragen des Schülers konnte auch der Erkenntnisprozess voran getrieben werden.
    "Die Jugend war ja nicht so viel anders als heute, dieses Wechselspiel, dass jemand jung ist mit dem Impuls etwas zu lernen, aber auch Schwierigkeiten hat, sich etwas sagen zu lassen, diese Dynamiken, die haben wir in der gleichen Weise. Thomas von Aquin beschreibt etwa das Ideal des Lehrens und Lernens so, wenn letztlich auch der Lehrer vom Schüler etwas lernt, zum Beispiel durch eine intelligente Frage. Und das wird in den Universitäten institutionalisiert. Der Lehrer wird herausgefordert in der Disputation, dadurch dass ihm eine Frage gestellt wird, auf die er antworten muss."
    Zunächst studierte man die sieben freien Künste - Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musiktheorie, Grammatik, Logik und Rhetorik - dann konnte man mit Jura, Medizin oder Theologie fortfahren. Theologie hatte das größte Ansehen - und selbstverständlich dominierte die Wahrheit der Heiligen Schrift jegliche Erkenntnis.
    "In der Tat, die Religion ist in mittelalterlichen Gesellschaften eine Tatsache. Allerdings, was passiert? Die Religion muss sich selber rechtfertigen. Wenn die Theologie Wissenschaft wird an den Universitäten, dann hat sie auch zu demonstrieren, warum sie das ist: Die ganze kritische Reflexion: was heißt Autorität? Worauf gründet sich Autorität? Worauf gründet ein Argument? Auf der reinen Vernunft oder auf der Offenbarung? Das ist ein Unterschied. Das sind Debatten, Überlegungen, die sind alles andere als uniform."
    Keineswegs, so Andreas Speer, war die Religion lediglich ein trennendes Moment zwischen den mittelalterlichen Kulturen. Vielmehr gab es ein geradezu interkulturelles, ein arabisches, hebräisches, lateinisches Weiterstricken am hellenistischen Kulturerbe der Spätantike.
    "Im arabischen Bereich wurde sehr viel Logik betrieben und vieles aus der Antike übernommen",
    so Jochen Baumbach, wissenschaftlicher Assistent am Thomas-Institut in Köln. Er beschäftigt sich mit der Auslegung des Aristoteles durch den mittelalterlichen arabischen Philosophen Averroes. Mit diesen Aristoteles-Kommentaren übte Averroes großen Einfluss auf die christliche Philosophie des Mittelalters aus. Und die christlichen Wissenschaftler interessierten sich wiederum für den Koran, das Heilige Buch des Islam.
    "Man muss sich das Mittelalter vorstellen als einen intensiven kulturellen Austausch, der quer über das Mittelmeer läuft, der weit hinauf geht bis nach Persien und Samarkand. Erstaunlicherweise ist es so, dass die Religionen dem nicht im Weg stehen. Zum einen gibt es so etwas wie ein Interesse für die wechselseitigen Religionen, es gibt Religionsgespräche, der Koran wird zum ersten Mal im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt. Dann übersetzen die aber nicht nur den Koran, sondern mathematische Werke. Die Medizin kommt über Süditalien. Und das ist, was die Zeit charakterisiert."
    Das Mittelalter erstreckt sich vom 6. bis hinein ins 15. Jahrhundert. Diese lange Zeit, wie es oft geschieht, einfach mit dem Wort "finster" zu bezeichnen, findet Andreas Speer zwar bequem. Doch wird dies der Vielfalt des damaligen Wissens nicht gerecht.
    "Das ist ein Exklusionsdiskurs, der ist in dieser Absicht erfunden worden. Und der ist sehr bequem, weil wenn man auf einen solchen Exklusionsdiskurs aufspringt, dann muss man sich mit all diesen tausend Jahren nicht beschäftigen."