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Lena Elfrath: "Die Liebe ist ein Schmetterling"
Großstadtroman in Werbeclip-Ästhetik

Der Debütroman "Die Liebe ist ein Schmetterling" von Lena Elfrath versucht, große, rasante und freche Literatur zu sein. Doch es gelingt der Autorin nur selten, den herrschenden Zeitgeist und die gesellschaftliche Verrohung tatsächlich zu formulieren.

Von Felix-Emeric Tota |
    Die Rücklichter eines fahrenden Autos auf der Karl-Marx-Allee in Berlin.
    Oberflächen mögen optisch reizvoll sein, in der Literatur gilt das etwa für Charaktere nicht. Lena Elfraths Roman ist aber von ihnen geprägt. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    In vielen Romanen gestaltet sich die Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung als etwas Unerträgliches. Mal für die Helden, mal für die Leser. Schlimm für die Leser wird es in Lena Elfraths Debüt "Die Liebe ist ein Schmetterling". In einer namenlosen Großstadt streunen dort vier Ich-Erzähler durch ihre soziale Blase. Dabei suchen sie ebenso nach allgemeinem Sinn als auch nach sich selbst. Dabei sind sie keinesfalls Flaneure. Denn: Sie laufen auf der Stelle. Sie drehen sich nur um sich selbst. Lena Elfrath präsentiert in ihrem Roman: vier verschiedene Lebensmodelle und vier verschiedene Klischees.
    Das erste Klischee ist Fiona, ein Model mit einem Hang zum Hedonismus und zur Essstörung. Sie sucht Ekstase, Exzesse und ein Lebensgefühl:
    "Ich bin nicht naiv. Unser Leben ist unser Spiegel. Hinzukommen Auftreten, Style, Coolness bis zum Kater, mein Leben ist ein einziger sauguter Film, und ich bin Regisseur, Darsteller, Drehbuchschreiber und Ausstatter in einem."
    Achim, das zweite Klischee, ist ein Big Player in einem beliebigen Yuppiebranchen-Unternehmen. Narzisstisch und finanziell potent ausgestattet sitzt Achim am liebsten im VIP-Bereich eines Nachtclubs oder in seinem Sportwagen:
    "Ich meine, klar, Money ist nicht alles, es gehören auch Immobilien dazu, wie die Schweizer sagen. Man muss auch schon einen gewissen Lifestyle leben. Und ja, ich entspreche dem Klischee, bei den Mädels aller Altersklassen bin ich auch begehrt."
    Klischee Nummer drei ist Aline, eine Ehefrau, die langweilige Abendessen mit Freunden veranstaltet und permanent versucht, an allen Fronten die Fassade zu wahren und ihrem Mann zu gefallen:
    "Meine Familie wird das Arrangement lieben. Und meine Freundinnen, die gleich zum Tee und Kaffee eintreffen, auch. Ich habe ein perfektes Zuhause geschaffen. Es zeugt von Bildung, von Stil. Ich weiß, was sich gehört."
    Wenigstens sind die Kapitel kurz
    Klischee vier ist Maik. Ihn treibt es bei seiner Freiheitssuche vom Müsli in der WG-Küche auf die Straße. Er sucht sich hanebüchen-romantisiert ein authentisches, glückliches Aussteiger-Leben als Obdachloser:
    "Ich wollte ganz nach unten steigen, mich so richtig in den Bodensatz der Gesellschaft hineinlegen: obdachlos werden. […] Genau, Freiheit ist, wenn ich nichts zu verlieren habe."
    "Die Liebe ist ein Schmetterling" versucht, große, rasante und freche Literatur zu sein. Doch stützt sich Elfrath dabei auf erstaunlich nervige Charaktere. Sie pflegt einen prätentiös coolen Ton, um ihre ereignisarme, auf 437 Seiten aufgeblasene Geschichte zu erzählen.
    Wenigstens sind die Kapitel kurz. In ihnen stellt die Autorin Einsichten in die Protagonisten zusammen. Die Kapitel sind nach Themen benannt und heißen beispielsweise "Kleidung" oder "Essen", "Geld", "Sex" oder "Freundschaft". Zu diesen Themen halten die Erzähler ihre Monologe.
    Eine Entwicklung ist nicht erkennbar. Leider hat man die eindimensionalen Figuren sofort im ersten Kapitel verstanden, und man wartet vergeblich auf eine Charakterentwicklung. Elfraths Stimmen sind langweilig intoniert, schwach und auf allen erdenklichen Ebenen voller Plattitüden:
    "Ich kann nicht. Ich brauche einen Ort mit mehr Sonne, mehr Ausblick und weniger Leuten, die mir auf den Füßen herumtrampeln."
    In der Literatur gibt es viele unsympathische Protagonisten. Ob Humbert Humbert in Nabokovs "Lolita", der namenlose Ich-Erzähler aus Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" oder Alex Böhm aus Thomas Klupps "Paradiso". Die Makel solcher Figuren machen sie haptisch, treiben ihre Geschichte voran und sie bleiben den Lesern auch Jahre oder Jahrzehnte später in Erinnerung. Anders verhält es sich in "Die Liebe ist ein Schmetterling".
    Überambitioniert greift Lena Elfrath auf gleich vier unerträglich unsympathische Helden zurück. Unerträglich gestaltet sich das, weil sich Elfraths Figuren in keiner einzigen Zeile von ihrem Klischee lösen. Die Figuren sind nicht mehr als farblose Beispieltypen, die noch uninteressanter und unsympathischer werden, je mehr Elfrath von ihnen erzählt. Sie haben zwar alle individuelle, klar erkennbare Stimmen, doch es eint sie, dass sie jeweils nur in der übertriebenen Klischee-Rhetorik ihres sozialen Milieus sprechen:
    "Später in meinem Büro überfliege ich Johannes‘ Protokoll von der gestrigen Präsentation, aber mein Brain will nicht so wie ich. Was geht hier vor? Was für Infos meint der Boss? Das Miststück ändert was und sagt mir nicht einmal Bescheid. No way, sag ich da nur. Wenn jemand versucht, mich zu verarschen, bekommt er es mit mir zu tun. Das Telefon klingelt. Auf dem Display steht die Nummer meines Kollegen Andreas von der Förderung. Der ist ein Guter, da kann man rangehen.
    'Hello, Andreas.'
    'Wieso bist du noch im Büro? Wir sind zum Essen verabredet in der Kantine, remember?'
    'Scheiße, fast vergessen.'
    'Mach los, ich hab nicht ewig Zeit.'
    'Endlich mal jemand, der auch keine Zeit hat. Bis gleich.'"
    Cover Lena Elfrath - Die Liebe ist ein Schmettertling
    Cover Lena Elfrath - Die Liebe ist ein Schmettertling (Weissbooks Verlag, Deutschlandradio)
    Hauptambition 'flotte Schreibe'
    Eine Hauptambition von Elfrath scheint das gewesen zu sein, was man als "flotte Schreibe" bezeichnen würde. Dabei tauchen zeilenweise manchmal sogar sehr schöne sprachliche Ideen und Sätze auf, die die alltägliche Tristesse der Leben zeigen, in denen sich die Protagonisten wiederfinden:
    "Ich muss nicht wie andere Ordner wälzen, vor meinem Bildschirm leise schnarchen, vor dem Telefon wegrennen und am Kaffeeautomaten anstehen."
    Doch diesen raren Momenten folgen ausnahmslos immer Plattitüden und Beschreibungen von Befindlichkeiten, die man hunderte Male schon genauso flach gelesen und nicht ernst genommen hat:
    "Es wäre der größte Horror für mich, jeden Tag zu wissen, was am nächsten Tag passiert. Und nächste Woche, und nächstes Jahr. Andere nennen das Sicherheit, ich nenne es Gefängnis."
    Elfrath versucht sich bei ihrem literarischen Multi-Selfie durchaus an einer Gesellschaftskritik. Doch so ernst sie sich dabei nimmt und so sehr sie einen Zeitgeist und die gesellschaftliche Verrohung formulieren will, so sehr scheitert sie daran. Sie kann sich nicht von den auf 400 Seiten aufgeblasenen Allgemeinplätzen lösen: Kapitalismus ist schlecht. Kleinbürgerlichkeit auch. Intoleranz und Egoismus sowieso. Ja, das wusste man auch schon vor "Die Liebe ist ein Schmetterling". Der Roman versucht nicht nur, die menschliche Oberflächlichkeit zu beschreiben, sondern bleibt selbst oberflächlich.
    Das, was gerade die Gattung Roman leisten kann, nämlich soziale Missstände, Enge und Freiheitsdrang luzide darzustellen, das gelingt Elfrath in keiner Weise. Ihr Debüt geht weder bei den Figuren in die Tiefe, noch bei den von ihnen beweinten Problemen. Sieht man sich einen Werbungclip für Sportwagen oder Schnapspralinen im Fernsehen an, hat man denselben Erkenntnisgewinn über die Freiheits- und Selbstsuche unserer Zeit.
    Und diesen Werbeclip hat man wenigstens schneller hinter sich als diesen irrelevanten, beliebigen Roman.
    Lena Elfrath: "Die Liebe ist ein Schmetterling"
    Weissbooks.w, Frankfurt am Main 2016, 437 Seiten, 24 Euro