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Lesen im Grünen unter Protest

Wie bringt man einen zärtlich-radikalen chinesischen Dissidenten, einen lange schon toten "schreibenden deutschen Kindersoldaten", die aufgestaute Wut des "entmündigten Souveräns", die mitunter ziemlich zwielichtige Abhängigkeit der Kultur von Sponsoren, den arabischen Frühling, gut zwei Dutzend literarischer Neuerscheinungen und das Glück eines entspannten kulturellen Wochenendes unter einen Hut? Man besucht das Erlanger Poetenfest.

Von Bernd Noack |
    Kaum eine andere deutschsprachige Veranstaltung rund um das Buch bietet eine derartige Themenvielfalt, einen so dicht gedrängten Stundenplan voller Lesungen, Diskussionen und Porträts, eine so verlässlich große Zahl von Autoren mit ihren in diesem Herbst erscheinenden neuen Werken wie das fränkische Festival. So war das auch in diesem Jahr - und doch war alles ein wenig anders. Denn bereits im Vorfeld wurde aus aktuellem Anlass - Fukushima, die Debatte über die Sicherheit der Kernenergie - beinahe mehr über den Hauptsponsor der Veranstaltung diskutiert als über das Programm selber. Denn immerhin 15.000 Euro lässt der Konzern "Areva", Weltmarktführer der Atomindustrie, für den Literaturmarathon springen und greift der veranstaltenden, finanziell notorisch knappen Stadt Erlangen, in der er sich als gewichtiger Arbeitgeber niedergelassen hat, unter die Arme.

    Ein Aufschrei aber ging nun durch die Szene, freilich ein wenig spät: Schließlich engagiert sich "Areva" bereits seit acht Jahren mit Geld und Logo für das Festival - und niemand hat sich bislang daran gestört. Jedoch: Lieber spät als gar nicht sagten sich engagierte Bürger und forderten "Poesie ohne Uranstaub".

    "Wir wollen den weltweit größten Atomkonzern Areva im Sponsoring ablösen durch ein Bürgersponsoring, indem wir Geld sammeln und die Stadt Erlangen dazu auffordern, das Areva-Sponsoring zu kippen, weil wir der Meinung sind, dass ein Atomkonzern, der sein Geld auf Kosten von Millionen Menschen und der Zukunft von Millionen Menschen macht, bei so einem Poetenfest nichts zu suchen hat"

    ,sagt der Nürnberger Mediziner Hannes Wandt, einer der Sprecher der Initiative, die es denn auch schaffte, dass das Thema Sponsoring kurzfristig ins Programm aufgenommen wurde. Da herrschte dann ein Andrang, wie man ihn sonst nur bei den literarischen Abenden mit F.C. Delius (der versprach, dass in seiner Büchnerpreisrede tatsächlich mal wieder Büchner vorkommen wird) oder dem chinesischen Autor Liao Yiwu erleben konnte. Ist Kultur käuflich, kann sie nur überleben, wenn sie Geld nimmt - ohne recht zu fragen, woher es kommt? Der Vertreter von "Areva" zumindest hielt sich und seinem Arbeitgeber zugute, dass man sich noch nie in die Inhalte des Festes eingemischt hätte: Gesponsert werde nur, um den Firmenstandort dauerhaft attraktiv zu machen für die Mitarbeiter.
    Das sei zynisch, meinten die Gegner dieses Engagements und kratzten gehörig am so sauber präsentierten Image von "Avera". Wie könne man einerseits zum Wohl der Menschen ein paar Tausend Euro springen lassen und andererseits deren Zukunft allein schon durch den Abbau von Uran riskieren und daran auch noch Millionen verdienen? "Der Geruch des Geldes" blieb im überfüllten Raum stehen und gewundert hat man sich letztlich nur darüber, dass in den vergangenen Jahren von den Autoren, die man doch eher links verorten müsse, keiner von sich aus gegen den Sponsor gewettert hat.

    In der Tat versteht zum Beispiel die diesjährige Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap die Erlanger Aufregung nicht so ganz und nimmt die Sache eher gelassen:

    "Ich bin natürlich gegen Atomstrom und gegen die Atomstromindustrie und für alternative Energiequellen, unbedingt. Ich verfolge auch mit Interesse und finde das auch richtig, dass das auch zur Sprache kommt und diskutiert wird, das find ich richtig. Andererseits: jeder, der Kultur sponsert, tut auch etwas Gutes. Es ist zweischneidig. Wenn die Energiewende wirklich funktioniert, freue ich mich schon, dass andere Konzerne die Kultur sponsern werden."

    Und auch Albert Ostermaier würde ungern auf derartige Fördergelder verzichten, warnt sogar vor einer gefährlichen Doppelmoral der Protestierer:

    "Ich denke, es ist ein ganz komplexer Vorgang. Auf der einen Seite ist die Initiative hier schon vorbildlich, wenn es denn gelänge, ein Festival ohne Atomkonzern zu finanzieren. Wenn man Festivals macht, weiß man, dass man einen unheimlichen Druck und Schwierigkeiten hat. Man sollte auf jeden Fall die Chance nehmen, Festivals zu machen, und dann inhaltliche Statements und Auseinandersetzungen zu machen. Ich finde es viel produktiver, wenn man dieses Geld hat - so wie es hier auch geschieht -, eine wirkliche Debatte zu initiieren, als nur sich moralisch zu erheben. Es ist ja ganz klar, dass man gegen Atomkraft ist, aber mir ist es manchmal ein bisschen zu wohlfeil: Alle fühlen sich als Gutmenschen. Ich mag's nicht, wenn man als Künstler immer so tut, als ob wir die besseren oder aufgeklärteren Menschen wären."

    Atomenergie einerseits, das Warten auf die Alternative, die Sonne also, andererseits: Zumindest am Samstag mussten die Veranstaltungen vom heimeligen Schlossgarten in die Säle verlegt werden, was der einzigartigen Atmosphäre des Festes immer einen Abbruch tut, seine Attraktivität aber kaum mindern kann. Die Revue der Neuerscheinungen mit Sibylle Lewitscharoff oder Eugen Ruge, Jan Koneffke oder Michael Kumpfmüller, Alissa Walser oder Andreas Meier, mit Romanthemen und -orten zwischen politischer Vergangenheit und zärtlicher Nachbarschaft, Löwenliebe und Philosophendämmerung, Klosterschule und Wohnzimmer, Ungarn und Rumänien, Deutschland Ost/West und Kärnten, wiedergefundener Sprache und verordnetem Verstummen - diese bunte Revue versprach auf jeden Fall schon mal einen äußerst spannenden Bücherherbst.

    Und während zum Todestag Kleist von seinen zahlreichen Biografen ob seines "sympathischen Jammerns" gelobt wurde, Illja Trojanow und Liao Yiwu (und heute Abend noch Peter Kurzeck) die literarische Lesung als Event für alle Sinne zelebrierten, die Sorgen um wuchernden Buchmarkt und gefährdete Bibliotheken ernst besprochen wurden - während das 31. Erlanger Poetenfest also trotz allem seinen ganz normalen, anregenden Gang ging, war es der Literaturkritiker Hajo Steinert, der sagte, warum das so ist: Es sei das Konservative, das dieses Fest so besonders mache. Niemand rede einem rein, nicht die Stadt, nicht die Verlage - und die Sponsoren schon gar nicht. Wir sind einfach frei, rief Steinert aus.