"Aisha liebte Ali und opferte sich für ihn. Wir werden unsere Hände nicht mit Blut beflecken, denn wir sind Brüder. Sunniten, Schiiten und Alawiten müssen nicht kämpfen", singt der junge Khaled in seinem Lied. Mit ihm auf der Theaterprobebühne in Tripoli stehen 15 junge Frauen und Männer. Seit sechs Monaten kennen sie einander, seit sechs Monaten kämpfen sie nicht mehr gegeneinander. Denn die meisten Darsteller kommen aus zwei verfeindeten Vierteln. Sie sind Alawiten aus Jabbal Mohsen und Sunniten aus Bab al-Tabbeneh. Noch vor einem halben Jahr hätte der 24-jährige Tareq in Tripoli niemals auch nur mit einem Alawiten gesprochen. Zu tief saß der Hass:
"Wir glaubten, dass das keine guten Menschen sind. Sie bekämpften uns und töteten unsere Nachbarn und Verwandten. Deshalb wurde ich auch gewalttätig: Sie schossen auf mich, ich schoss auf sie."
Ihr Proberaum liegt direkt an der Scharia Souria; nur eine enge Straße, die Jabbal Mohsen und Bab al-Tabbeneh trennt. Überall sieht man Einschusslöcher in den Fassaden der Häuser, liegen gestapelte Sandsäcke oder Blechtonnen – denn die Kämpfe könnten jeden Moment wieder auflodern. Das Ziel des Theaterprojekts: Die jungen Erwachsenen sollten ihre Ängste verarbeiten können. Der libanesische Regisseur Lucien Bourjeily wollte deshalb zuerst eine Tragödie inszenieren; doch er wurde eines bessern belehrt.
"Sie wollten Spaß im Theater haben. Ihre Realität ist düster genug. Es stellte sich schnell heraus, dass alle denselben Humor haben und dieselben Witze erzählen. Dadurch fanden sie zueinander. Also übersetzte ich das für die Bühne."
Ein Syrienkrieg in Miniaturformat
Heraus kam ein Stück im Stück. Auf der Bühne sieht man Darsteller, die für einen Auftritt proben. Ständig unterbricht der unzufriedene Regisseur, gespielt von Khodor. Zwischen ihm und seinen Schauspielern entstehen aberwitzige Diskussionen. Hinter der Komödie verbirgt sich dann doch eine Tragödie. Khodors Darsteller spielen "Ali und Aisha" - eine Adaption von Shakespeares "Romeo und Julia" - basierend auf der wahren Liebesgeschichte von Aisha aus Bab al-Tabbeneh und Ali aus Jabbal Mohsen:
"Ich liebte meine Freundin und wollte sie heiraten. Ich hielt bei ihrer Familie um ihre Hand an. Als sie nicht zustimmten, entführte ich Aisha mit ihrem Einverständnis. Ihre Familie drohte mir danach. Einige wollten mich sogar umbringen."
Seit dem Beginn des Krieges in Syrien vor über vier Jahren hat sich die Lage für die jungen Darsteller dramatisch verschlechtert. Hunderte Menschen starben bereits in den Kämpfen in Tripoli. Dort wütet an manchen Tagen ein Syrienkrieg in Miniaturformat: Alawiten auf Seiten des Assad-Regimes kämpfen gegen Sunniten, die die syrische Opposition unterstützen. Lea Baroudi, die mit ihrer Organisation MARCH, das Theaterprojekt ins Leben rief, kennt weitere Gründe für den Konflikt:
"Es sind die Armut, das Fehlen von Bildungsmöglichkeiten und Sozialprojekten, die Extremismus und Gewalt in die Viertel bringen. Es braucht endlich politische Entscheidungen, um die Situation in diesen sozial benachteiligten Gegenden zu verbessern."
Ende Juli wird das Theaterstück am Regierungssitz des libanesischen Premierministers aufgeführt. Alle Darsteller hoffen, dass das die Politiker aufrütteln wird, endlich eine Lösung für Tripoli zu finden. Bis dahin versuchen die jungen Erwachsenen aus eigener Kraft, einen Dialog zwischen den Vierteln herzustellen. Sie planen ein Kulturcafé für Jugendliche und weitere Theaterprojekte. Gleichaltrige aus beiden Vierteln sollen so einander kennenlernen und die alten Vorurteile über Bord werfen. Wie Ali und Khodor, die nun ziemlich beste Freunde sind.
"Ali und ich sind beide ähnlich durchgeknallt und waren uns sofort sympathisch. Nun besuchen wir uns gegenseitig in unseren Vierteln. Im Ramadan haben wir einmal bei ihm und einmal bei mir zu Hause das Fastenbrechen gemeinsam begangen. Wir sind seit dem Projekt unzertrennlich."