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Libanon
Wanderungen durch den wilden Norden

Die Bergwelt im Norden des Libanons gilt als besonders schön. Die Organisation Lebanon Mountain Trail Association hat dort einen Wanderweg angelegt, auf dem sich dieses Gebiet wunderbar entdecken lässt - wären da nicht immer auch Gedanken an die Sicherheit.

Von Constanze Bayer |
    Blick auf ein maronitisches Kloster im Wadi Qadisha im Norden des Libanons
    Blick auf ein maronitisches Kloster im Wadi Qadisha im Norden des Libanons (AFP / Joseph Eid)
    Ich wandere durch einen riesigen Kräutergarten. Es duftet nach wildem Salbei und Thymian. Viele trockene Ästchen verfangen sich in meiner Hose, schnaufend trotte ich über den steilen Weg nach oben. Von den Strommasten mal abgesehen, wirkt diese Landschaft fast völlig unberührt. Soweit das Auge reicht, sind nur Hügel zu sehen, von grünen Sträuchern bewachsen. Dazwischen gibt es gelbe Farbkleckse, kleine Pflanzen, die an Sumpfdotterblumen erinnern. Ganz selten ragt auch ein trockener Baum in die Landschaft. Hinter der Kuppe liegt schon die nächste Stadt. Meine letzte Wanderetappe im Libanon geht zu Ende.
    Nur wenige Wochen vorher hatte mir Mirvat Bakkour bei einem Kaffee in Beirut von der Schönheit des Nordens vorgeschwärmt. Sie gehört zur Lebanon Mountain Trail Association. Die Organisation hat den 470 Kilometer langen Wanderweg vom Norden in den Süden aufgebaut. "Ich mag die Gegend rund um Akkar, es ist noch sehr wild und grün, weil dort nicht viele Leute hinfahren. Ich würde es lieber nicht empfehlen, damit es nicht überrannt wird. Nein, im Ernst: Ich würde gerne alle Sicherheitsbedenken beiseiteschieben, damit alle den Norden und auch den Süden entdecken."
    Bei dem Gespräch taucht das Wort Sicherheit das erste Mal auf. Denn der Libanon grenzt im Norden und Osten an das Bürgerkriegsland Syrien, im Süden an Israel. Dennoch will ich zwei Etappen abwandern: zuerst durch das Wadi Qadisha, das Heilige Tal. Von Beirut aus brauche ich anderthalb Stunden mit dem Auto, bevor ich in Kousba meinen lokalen Wanderführer, Elie, treffe.
    Elie ist jung, vielleicht Ende 20 oder Anfang 30, trägt einen Tagesrucksack und gute Schuhe. Englisch spricht er leider nur schlecht, mein Arabisch ist auch dürftig. Zum Heiligen Tal steigen wir erst mal Dutzende unregelmäßige Stufen den Berg hinunter, die Nadelbäume auf der anderen Seite liegen noch im Nebel. Es ist kühl. Der schmale Weg führt immer weiter nach unten zum Fluss. Wir biegen auf einen kleineren Pfad, als wir plötzlich vor einem Metalltor stehen. Auf einem Schild bittet man um Ruhe - schließlich ist das Kirchengelände: Saydet Hawqa.
    Gleich zwei Kapellen gibt es hier. "Diese Kirche ist alt." – "Weißt du, wie alt sie ist?" – "Ungefähr 500 Jahre. Diese hier ist neu. Ungefähr 100 Jahre alt." – "Es riecht gut hier, was ist das?" – "Auf Arabisch heißt es Bachour." – "Das kenne ich, Weihrauch."
    "Habith, so heißt es auf Arabisch, er ist allein hier, von Kolumbien. Sein Name ist Dario Escobar." – "Wie der Drogendealer?" – "Er ist hier seit 1999. Dario?" Später verstehe ich was Elie meint: In einem abgetrennten Teil des Klosters lebt ein Eremit. Andere Besucher hatten mehr Glück als ich – in Zeitungsartikeln und Blogs beschreiben sie witzige Unterhaltungen mit dem über 70-Jährigen, über das Leben, den Libanon und nicht zuletzt Fußball.
    Die nächste Kirche ist der Heiligen Marina gewidmet. Der Chor wurde direkt in den Felsen gehauen. Von den Wänden tropft es. Die Legende der Heiligen Marina erinnert an die der Päpstin: Als Mann verkleidet lebt sie in dem Kloster. Sie bekommt ein Kind. Über Umwege wird es als Findelkind in dem Kloster abgegeben und Marina vollbringt in den Augen der Mönche um sie herum ein Wunder: Sie zieht es mit ihrer eigenen Muttermilch groß. Das erzählt mir leider nicht mein Guide Elie. Ich lese es später im Reiseführer nach.
    Das Wetter bleibt wechselhaft, es ist schwülwarm. Durch den Nebel zeigt Elie auf eines der Häuser auf der anderen Talseite. Dort wohnt er. Es steht einzeln auf einem kleinen Abhang. Ich erahne ein Haupthaus und ein Nebengebäude, sowie eine Art Stall. "Kommt man dort mit dem Auto hin?" – "Nein, nein." – "Nur zu Fuß?" – "Genau. Freunde schlafen oft bei uns." – "Wie viele Leute leben da?" – "Maximal 15." Einen dieser Freunde treffen wir bei einer anderen Kirche, Deir Qannoubine. Auch dieser ältere Mann führt Wanderer herum. Im Gegensatz zu Elie spricht er sehr gut Englisch.
    "Die Maroniten kamen aus Syrien, sie wurden von den Mamluken und den muslimischen Ottomanen verfolgt. Im 16. Jahrhundert wurden sie bei Byblos angegriffen und entschlossen sich, in dieses Tal zu fliehen. Sie machten dieses Kloster hier zu ihrem Hauptquartier." In Deir Qannoubine ist noch heute ein Konvent aktiv. Die Fresken an der Wand geben noch eine Ahnung von der Pracht des Baus. Das größte zeigt Maria als Himmelskönigin, neben ihr stehen zwei Heilige. Doch die Farbe aus dem 16. Jahrhundert blättert ab. "Die Mönche haben die Farben selbst gemacht. Aber sie sind erodiert wegen der Feuchtigkeit. Einst waren sie sehr schön. Sie versuchen sie wiederherzustellen, aber es ist sehr schwierig. Für die Kirchen hier wurde nur eine Wand gebaut, es ist eine natürliche Höhle, nur Felsen – und die sind feucht."
    Unter diesem Kirchenteil gibt es noch einen älteren. Der Raum, in dem wir stehen, ist kaum mehr als eine Höhle. Die Wände sind schwarz vom Ruß. Es riecht muffig und ist kalt. Hier versteckten sich vor allem die Oberhäupter der Maroniten, die Patriarchen. Unter einer Falltür erkenne ich eine kleine enge Höhle im Boden.
    Seit dem Ende der französischen Mandatszeit gehören die Maroniten zu den einflussreichsten Bevölkerungsgruppen des Libanons. "Der Patriarch hatte viel Einfluss auf die heutigen Grenzen des Libanons. Er hat fast alle maronitischen Gegenden der Region in den Libanon einbezogen. Es gibt aber ein christliches Tal in Syrien, das wollte er nicht. Würde das zum Libanon gehören, wäre die griechisch-orthodoxe Kirche die mächtigere gewesen."
    Auf dem Rückweg verabschiedet uns das Kloster Deir Qannoubine mit Gesang. Genau wie die Glocken kommt der Choral vom Band. Er ist in Syrisch-Aramäisch, der klassischen Sprache der Maroniten. Wie fast alle Bewohner des Tals ist auch mein Wanderführer Elie Maronit. Erst jetzt fällt mir der Rosenkranz auf, den er auf dem rechten Handgelenk tätowiert hat.
    Um bei der zweiten Wanderung nicht allein auf meine dürftigen Arabisch-Kenntnisse angewiesen zu sein, schließe ich mich einer Gruppe an. Einige der Wanderer wollen den kompletten Lebanon Mountain Trail abgehen – 470 Kilometer. Ihnen geht es nicht nur um die Strecke, sondern auch um die Kultur und Lebensweise der Menschen vor Ort. Auf dem Weg zum Anfang des Pfades ganz im Norden steht der Tourleiter Christian Akhrass im Gang des Busses und schaut konzentriert aus dem Fenster. "Wenn das Wetter gut ist, können wir vielleicht Krak des Chevaliers sehen."Mir wird dabei mulmig. Die dicken Mauern von Krak des Chevaliers aus dem 11. Jahrhundert stehen in Syrien. Sicherheit. Da ist wieder dieses Thema.
    Abends bekomme ich einen ersten Eindruck von der vielfältigen libanesischen Küche: Immer neue Vorspeisen, so genannte Mezze, werden aufgetragen. Hummus ist dabei, Baba Ghanoush, eine Auberginenpaste, krümeliger Käse, frittierte Rollen, die mit Gemüse oder Fleisch gefüllt sind, verschiedene Salate, eine Art rohes Gehacktes und und und. Angeblich sind der libanesischen Küche 50 verschiedene Vorspeisen bekannt. Neben mir sitzt Laila Willis. Sie will die kompletten 470 Kilometer durchhalten. "Wenn man wie ich im Libanon lebt, sieht man meistens nur die urbane Seite. Wir wissen, dass das Land wunderschön ist, aber man kommt nicht zu den weniger ausgetretenen Pfaden. Das macht für mich den Reiz aus."
    Das Quartier für die Nacht in Andqet, ein ehemaliges Verwaltungsgebäude, hat mit dem versprochenen authentischen Charme nichts zu tun. Jeder legt eine Matratze auf den kalten, gefliesten Boden und rollt seinen Schlafsack aus. Aber hier im Norden, weit weg vom Lärm in Beirut, ist vor allem die Stille ein Erlebnis.
    Die Strecke am nächsten Tag ist relativ kurz, zehn Kilometer müssen wir schaffen, erklärt Nagy. Zuerst geht es über eine asphaltierte Straße, später wandern wir auf schmalen Trampelpfaden. Links und rechts stehen Mandelbäume. Christian zeigt mir eine Art Weidenkätzchen: Das sind wilde Pistazien. Es blüht der Klatschmohn, Alpenveilchen und Margeriten. In dieser Idylle kann man vergessen, dass der Bürgerkrieg in Syrien in Sichtweite ist. "Vor zwei Jahren hörten wir hier in dieser Gegend eine Menge Bomben in Syrien, am Himmel sah es aus wie Blitze – aber wir waren wandern. Es geht nicht nur um Syrien. Auch vor 1990, im Bürgerkrieg, sind wir in die Berge zum Wandern gefahren. 2006 während des Kriegs mit Israel waren wir wandern. Wir hören nicht auf, unser Leben zu leben, zu tun, was wir gerne tun."
    Die Wanderung steht jedes Jahr unter einem Thema. Dieses Mal geht es um das kulturelle und archäologische Erbe. Deswegen ist Alia Fares dabei. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Libanese. "Wir sind einer Gegend, wo sehr viele verschiedene Kulturen drüber gelaufen sind, und jede Kultur hat ihre Handschrift hinterlassen. Der Libanon bietet eine unglaubliche natürliche Vielfalt, an Wasserressourcen, also natürliche Ressourcen aus allen Ebenen findet man in diesem Land."
    Alia geht voran, als wir an einen kleinen Platz kommen. Marseba ist keine offizielle Ausgrabungsstelle, aber dennoch gepflegt. Vor uns ist eine riesige Amphore im Boden vergraben. "Diese Siedlung wurde wahrscheinlich während des 4. oder 5. Jahrhunderts nach Christus gegründet. Während der Römerzeit wurde die ganze Region sehr reich. Viele Siedlungen entstanden damals, sie haben entweder Wein oder Öl produziert. Die Strukturen hier, diese Mauern, deuten alle auf Ölproduktion hin."
    Solche Stätten gibt es tatsächlich viele im Libanon. Die wenigsten sind aber wissenschaftlich erforscht. "Wir haben ja einen Bürgerkrieg gehabt, in der Zeit haben leider Israel und Syrien viele Ausgrabungen erlebt und viele wissenschaftliche Publikationen sind daraus entstanden. Während der Libanon mit seinen Problemen beschäftigt war. In den letzten zehn, 20 Jahren nach 1991 hat der Libanon es geschafft, seine Antiquitätenverwaltung wieder aufzubauen ... Aber wir sind noch weit davon entfernt ein komplettes Bild zu bekommen."
    Bei unserer nächsten Station sitzen zwei Frauen auf dem Boden, vor sich mehrere Schüsseln und eine Art offenen, gewölbten Ofen. Aus einer Schüssel greifen sie Teig, den sie ähnlich einer Pizza formen. Aus einer anderen holen sie die Füllung, entweder dunkelgrün und oder milchig-weiß: Sie machen Manushe, entweder mit Zataar, einer Kräutermischung mit Thymian, oder mit Kischek, einer Art Käse. Während die Stücke backen, singen sie einen Schlager mit. Beide Varianten schmecken würzig, fast so wie die Luft vorher gerochen hat, und sie machen für Stunden satt. Später in Beirut fällt mir auf, dass ich bei meiner Wanderung nicht einmal Zedern gesehen habe. Dabei sind diese widerstandsfähigen Bäume das Nationalsymbol des Libanons.
    Für diesen Beitrag wurden keinerlei Unterstützungen von Reiseagenturen, Guides oder anderen Personen angenommen.