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Liebe als Kommunikationsmittel

1968 umriss der gerade nach Bielefeld berufene Soziologe Niklas Luhmann mit berühmt gewordenen Worten sein künftiges Forschungsprojekt: "Theorie der Gesellschaft, Laufzeit: 30 Jahre, Kosten: keine." Als Konzept für ein Seminar im Sommersemester 1969 entstand bald darauf ein Text über ein Thema, das auf den ersten Blick soziologisch nicht gar so relevant klingt: die Liebe.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann |
    Was ist Liebe? Man sollte meinen, dass sich mit solch einer metaphysischen Frage der Soziologe Niklas Luhmann nicht beschäftigt. Indes gibt er darauf eine Antwort: Liebe ist ein Medium der Kommunikation. Das überrascht zunächst. Doch er will er damit ja nicht sagen, was Liebe im tiefsten metaphysischen Sinn des Wortes ist, was ihr Wesen, was sie wirklich ist. Luhmann beruft sich lieber auf George Bernard Shaw:

    "Ein Liebender ist (...) jemand, der den Unterschied zwischen einer Frau und anderen Frauen übertreibt (...)"

    Aber wie kann Luhmann Liebe als Kommunikationsmittel verstehen? Dient die Liebe etwa der Kommunikation?

    "Durch Individualisierung der Liebe als einer Beziehung zwischen persönlich bestimmten Geschlechtspartnern wird Indifferenz erreicht sowohl gegenüber der sexuellen Potenz anderer als auch gegenüber dem Meinen und Urteilen anderer. Nur die Liebenden selbst können ihre Liebe verstehen."

    Für Luhmann realisiert Liebe eine Kommunikationsweise zwischen zwei sich Liebenden. Ob das dritte wirklich nachhaltig ausschließt?

    Luhmann wurde als Systemtheoretiker berühmt. Es geht ihm somit um die Rolle, die die Liebe in sozialen Systemen spielt. Dabei will er nicht die Liebe empirisch beobachtend erfassen, das was die empirische Soziologie normalerweise betreibt, sondern nur mögliche Funktionsweisen gesellschaftlicher Systeme erklären. Für die Systemtheorie funktioniert die Gesellschaft primär durch Kommunikation, die soziale Ordnungen ermöglicht und entstehen lässt. Dabei geht es Luhmann nicht um die Inhalte von Kommunikation, also um die Intentionen der Beteiligten. Daher fragt er auch nicht, was sich Menschen in der Liebe erträumen, sondern danach was sie damit machen, wie Liebe also systemtheoretisch funktioniert.

    Während für viele die Liebe notorisch ein Problem darstellt, weil man entweder gerade niemand dazu hat, oder wenn doch, dass es dann mit der Liebe ständig hapert, für Luhmann löst die Liebe Probleme, wenn Liebe als Kommunikationsmittel beispielsweise die Abnabelung Jugendlicher von den Eltern befördert:

    "Es kann durchaus sein, dass der Durchbruch zu erster Unabhängigkeit von Eltern, die Erregung bei ersten erfolgsunsicheren Kontakten oder bei erster Anerkennung durch Geschlechtspartner mit Hilfe eines kulturellen Klischees als Liebe interpretiert wird - und dann zu Liebe gemacht wird. Wir zwingen uns nicht, das als Selbsttäuschung über das ‚eigentliche' Gefühl zu behandeln, sondern sehen in solchen Gefühlsdeutungen mehr oder weniger weittragende Effekte kultureller Sozialisierung. Uns interessiert nicht deren Verarbeitung im psychischen, sondern deren Funktion im sozialen System."

    Als Mittel vergleicht Luhmann Liebe mit anderen Kommunikationsmedien wie Geld, Wahrheit, Macht oder Kunst, die Entscheidungen in einer unübersichtlichen komplexen Welt mit einer Vielzahl von Angeboten und Möglichkeiten erleichtern. Denn keiner dieser angebotenen möglichen Wege vermag sich als zwingend zu präsentieren, leben wir nun mal nach Luhmann in einer Welt des Zufalls und der Kontingenz, somit auch der Gefahren, die die Liebe kommunikativ sowohl verstärkt wie eindämmen soll. Niklas Luhmann:

    "Soziale Systeme, die sich im Hinblick auf Liebe strukturieren, stellen sich selbst unter die Forderung kommunikativer Offenheit für nicht im voraus festgelegte Themen - also unter hohes Risiko. Das gesamte Erleben der Partner soll gemeinsames Erleben sein, jeder soll erzählen, was er täglich erlebt, soll seine Probleme vor dem anderen ausbreiten und sie mit ihm gemeinsam lösen. Es soll keine ‚Fronten' geben, keine Darstellungen, die aufgebaut, gehalten und verteidigt werden und hinter denen sich Verschwiegenes verbirgt. (...) Eine Frau läuft nicht das Risiko einer offenen Zurückweisung (‚Das geht Dich nichts an'), wenn sie fragt: ‚Warum kommst Du heute so spät?' Dass sie die Wahrheit erfährt, ist allerdings durch die Institution allein noch nicht gewährleistet."

    Liebe versteht Luhmann nicht als Naturphänomen, auch nicht als moralische Idee, sondern als eine sozial integrierende Funktion mit sich wandelnden Ausdrucksmöglichkeiten. Dass man Liebe zu einer Universalie erklärt, die alle Menschen angeht, universalisiert keineswegs ihren Charakter als Kommunikationsmittel, sondern im Gegenteil führt zu einer absoluten Verengung: Man soll nicht alle Frauen lieben, sondern nur eine. Man soll nur mit einer auf eine bestimmte Art und Weise kommunizieren. Das löst nicht nur Probleme, es erzeugt auch welche; denn als kommunikativ äußerst wichtig präsentiert sich die Frage, wie man das beweist. Zu Zeiten Luhmanns jedenfalls noch durch das Angebot der Ehe, was vor allem den Umkehrschluss zulässt: Wer das ablehnt, liebt nicht. Und wenn man heiratet, dann darf man das nicht hinterfragen und schon gar nicht darf das die Mitwelt. Man mag sich noch so wundern, wie zwei zusammenfanden, mögliche peinliche Gründe (aus Geld, aus Not, etc.) verdrängt man seit etwa dem 18. Jahrhundert dadurch, dass man Liebe zur Leidenschaft deklariert:

    "Passion ist keine Entschuldigung, wenn ein Jäger eine Kuh erschießt. Die Lage wendet sich jedoch, wenn Passion als Institution Anerkennung findet und als Condition sozialer Systeme erwartet, ja gefordert wird - wenn erwartet wird, dass man einer Passion verfällt, für die man nichts kann, bevor man heiratet. Dann wird die Symbolik der Passion verwendet, um institutionalisierte Freiheiten zu decken, das heißt abzuschirmen und zugleich zu verdecken. Passion wird dann zur institutionalisierten Freiheit, die nicht als solche gerechtfertigt zu werden braucht. Freiheit wird als Zwang getarnt."

    Nun, zwischenzeitlich betrachten es viele Zeitgenossen nicht mehr als verwerflich, aus steuerlichen Gründen, zwecks der Erbschaft oder eines Aufenthaltsrechts zu heiraten. Wenn man um der Kinder willen heiratet, wird mangelnde Passion selten angemahnt.

    Ob Liebe Probleme löst oder schafft, natürlich wird sie dabei durch die Sexualität unterstützt, und zwar nach Leibeskräften, kann Kommunikation für Luhmann schließlich auch nichtsprachlich erfolgen:

    "Sexualität gewinnt für die Liebe eine Basisfunktion, die vergleichbar ist der Funktion, die physischer Zwang für politische Macht, die intersubjektiv zwingende Gewissheit der Wahrnehmung für wissenschaftliche Wahrheit, (...) erfüllt. (...) Eine so fundierte Kommunikation kann den Organismus gleichsam mitüberzeugen."

    Umgekehrt dient aber die Liebe auch der Sexualität. Wenn letztere gerade nicht stattfindet, weil der Partner fern ist, bestärkt die Liebe den Wartenden darin, dass der Sexualpartner schon wiederkommen wird. Insofern hat für Luhmann die Liebe eine Art Überbrückungsfunktion, halluziniert also Kommunikation, die gerade fehlt.

    Auch hinsichtlich der Ehe hat sich die Liebe - so Luhmann - als ein weitgehend stabilisierender Faktor erwiesen trotz jener Unkenrufe aus dem 19. Jahrhundert, die Ehe könnte nur auf die religiöse Institution und elterliche Gewalt gegründet werden - so Friedrich Nietzsche. Dass die Liebe die Ehe zerstört, weil sie von einem Partner zum nächsten treibt, wie es Ulrich Beck in den achtziger Jahren diagnostiziert, konnte Luhmann noch nicht ahnen, bleiben 1969 die wohl langsam steigenden Scheidungszahlen soweit bescheiden, dass Luhmann sie noch nicht als Gefährdung der Ehe wahrnimmt. Auch das kam ja bekanntlich anders, wenn man heute vor allem an die gesunkenen Geburtenzahlen denkt. Überhaupt durchweht den Text ein prä-68er Hauch. Der damals 40-jährige Professor lebte jenseits jener wilden Kommunen von Fritz Teufel und Uschi Obermeier. Insofern muss man die eine oder andere kommunikative Wirkungsweise der Liebe heute umdeuten. Aber Liebe als Medium der Kommunikation zu begreifen, erscheint allemal intelligenter, als sie metaphysisch zu verklären.

    Niklas Luhmann: Liebe. Eine Übung. Suhrkamp, Hardcover 95 S., Frankfurt/M. 2008, 8 Euro