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Lisa Anzuelos: "Ein Augenblick Liebe"
Credo der Enthaltsamkeit

Mit "Ein Augenblick Liebe" erzählt Regisseurin Lisa Azuelos die Geschichte eines Strafverteidigers und einer Schriftstellerin, die eine besondere Affäre beginnen. Sie geben sich ihren Fantasien und Träumen hin und hadern gleichzeitig mit ihren moralischen Ansprüchen und gesellschaftlichen Zwängen. Der Film baut eine enorme Spannung auf, bis ein entscheidender Satz fällt.

Von Rüdiger Suchsland |
    Wer kennt das nicht: Die kleinen Lügen des Alltags, das Handy, das mal schnell weggesteckt wird, damit keiner liest, wer anruft, das Gesprächsthema, das gewechselt wird. Die Frage: Woran denkst du gerade und das Gefühl des Ertapptseins?
    Trotzdem: eine funktionierende Beziehung. Doch dann ist da plötzlich noch jemand. Zumindest im Kopf.
    Diese moderne Version des 50-Jahre-alten Doris-Day-Songs gibt gewissermaßen die Richtung vor: Dies ist ein Film über Leidenschaft, Wagnisse, Ausbrüche - im Ergebnis aber genauso ein Plädoyer für Entsagung und Verzicht. Bürger, bleib' bei deinen Leisten. Am Ende sind es die Kinder, die Sachzwänge, die sogenannte Vernunft.
    "Mein bester Freund Pierre" - "Guten Abend Elsa" - "Freut mich auch sehr."
    Das Milieu ist sehr bürgerlich. Pierre und Elsa, der Strafverteidiger und die Schriftstellerin, zwei Erfolgsmenschen, er glücklich verheiratet, sie gut geschieden, lernen sich auf der Party eines gemeinsamen Freundes kennen.
    Aber Pierre und Elsa dürfen, können, sollen, wenn es nach dem Film geht, kein Paar werden. Dabei sind sie es doch schon längst: Denn im Kino siegt am Ende doch immer die Sinnlichkeit über die Moral, die Verführungskraft der Bilder über die große Erzählung.
    "Hast Du Feuer?"
    Das Rauchen verbindet und so lange es zumindest im Kino noch nicht verboten wird, so lange wird die Glut des Tabaks auch immer wieder das Feuer der Leidenschaft und der Liebe entfachen.
    Abenteuer im Kopf
    Der Film ist noch keine zwei Minuten alt, da flirten die zwei Hauptfiguren was das Zeug hält. Von jetzt an können beide einander nicht vergessen. Da im Kino der Zufall von der Regie gesteuert wird, treffen sie sich bald wieder ganz zufällig. Auch dann tauschen sie keine Telefonnummern, andererseits küssen sie sich. Sie sind vernünftig, es soll den Gefühlen zum Trotz nichts Dauerhaftes aus der kurzen Bekanntschaft werden.
    "Damit eine Geschichte niemals aufhört, darf sie gar nicht erst beginnen."
    Mit diesem Satz vermarktet der deutsche Verleih Lisa Azuelos' "Ein Augenblick Liebe" - und auch, wenn er im französischen Original so gar nicht fällt, so trifft der Satz den Film doch gut. Dies ist mehr als nur Unterhaltung. Der Film selbst praktiziert mit visuellen Mitteln das Nachdenken über Fiktion und deren tiefere Bedeutung, über das Leben, das man lebt und das Leben, die vielen Leben, die man auch leben könnte, die man sich vorstellt, in Tagträumen, Wünschen, Spekulationen, Bewerbungen, Liebesaffären.
    Das Kino hat diese Offenheit des Daseins, und unseren Möglichkeitssinn, immer wieder gefeiert: Denken wir nur an "Lola rennt!" oder "Smoking/ Non smoking", einem Film, in dem auch eine Zigarette Schicksal spielt.
    So geht es hier um die Macht der Fantastik und der Fantasie. Denn Pierre und Elsa sind füreinander bestimmt, sie haben eine heiße Affäre, haben tollen Sex, erleben die Eifersucht ihrer bisherigen Partner.
    Spiel mit den erzählerischen Ebenen
    Aber auf welcher Realitätsebene sie das alles tun, das ist eine Weile nicht so klar. Dann hat man es kapiert: Alles nur ausgedacht: Die wahren Abenteuer sind im Kopf.
    Und so ist die zweite Bedeutung des Satzes:
    "Damit eine Geschichte niemals aufhört, darf sie gar nicht erst beginnen."
    Eine sehr konservative: Träum nicht, lieber Zuschauer, bleib' bescheiden. Ein Enthaltsamkeitscredo für die Eltern der puritanischen "Twilight"-Generation.
    Um nicht missverstanden zu werden: "Ein Augenblick Liebe" ist sehr gute Kino-Unterhaltung. Dies ist so ziemlich das Beste, was derzeit im Autorenkino möglich ist: In Zeiten von Wellness-Filmen wie "Monsieur Claude" und "Ziemlich beste Freunde", die tun, als seien sie Kunst, obwohl sie doch nur seichter Schmarren sind, ist dies ein Lichtblick.
    Man sieht großartige Schauspieler: Sophie Marceau und François Cluzet, zwei Stars des Französischen Kinos.
    Aber was will der Film, was leistet er? Er drückt sich ein bisschen um eine klare Haltung: Auf der sinnlichen Ebene präsentiert er die Vorzüge einer Affäre, ohne je zu moralisieren. In der Moral der Erzählung stellt er sich aber eindeutig gegen diese Affäre, gegen den Ausbruch und die Revolutionierung aller Gefühlsverhältnisse. Sehr konservativ, sehr zeitgemäß und vielleicht doch ein bisschen melancholisch stimmend.