Archiv

Luxemburg
Jodtabletten für den Gau

Luxemburg betreibt selbst kein Atomkraftwerk. Aber käme es im französischen Cattenom zu einem Gau, wären auch die Menschen im Nachbarland betroffen. Das Großherzogtum sähe deshalb am liebsten das AKW geschlossen. Doch solange das nicht geschieht, bereitet es sich auf den Ernstfall vor - mit neuen Regeln.

Von Tonia Koch |
    Blick auf das Kernkraftwerk Cattenom in Frankreich
    Blick auf das Kernkraftwerk Cattenom in Frankreich (dpa / picture alliance / Francois Lafite)
    Die Bevölkerung Luxemburgs soll sich künftig stärker als bisher an Vorsorgemaßnahmen im Rahmen des sogenannten Cattenom-Notfallplans beteiligen. Die luxemburgische Regierung hat deshalb rund eine halbe Million Menschen, die im Großherzogtum wohnen, schriftlich aufgefordert, sich in den Apotheken mit kostenlosen Jodrationen einzudecken. Das ministerielle Schreiben diene dabei als Abholschein und als Kontrollinstrument gleichermaßen, sagt der luxemburgische Innenminister Dan Kersch.
    "So dass wir nachher eine Kontrolle haben, welche Leute das gemacht haben und welche nicht."
    Dass die Katastrophenschützer von der alten Praxis abrücken, Jodtabletten in den Gemeinden zu lagern und erst im Notfall an die Bevölkerung auszugeben, begrüßen die Praktiker vor Ort, wie der Sicherheitsbeauftragte der Gemeinde Düdelingen Henri Glesener.
    "Genau die Leute, die vorgesehen waren, Pillen auszuteilen, Feuerwehrleute, Zivilschützer und so weiter, genau diese Leute werden andere Missionen haben, dringendere und wichtigere, als Pillen auszuteilen."
    Düdelingen ist eine von zehn luxemburgischen Gemeinden, die innerhalb eines Radius von 15 Kilometern um das Kernkraftwerk Cattenom liegen. Die Menschen dort sollten, je nach Schwere eines atomaren Zwischenfalls, schnellstmöglich in Notfallzentren im Norden des Landes evakuiert werden, erläutert der Innenminister.
    "Die Anzahl der Leute, um die es geht, sind etwa 60.000. Wir gehen davon aus, dass zwischen zehn und 20 Prozent der Leute evakuiert werden müssten. Die anderen würden das alleine machen."
    Auch auf deutscher Seite ändert sich für den Katastrophenschutz, der vom Landkreis organisiert wird, einiges. Der nördliche Landesteil im Dreiländereck zwischen Frankreich, Luxemburg und Deutschland ist in die sogenannte Mittelzone aufgerückt, die von zehn auf mindestens 20 Kilometer ausgedehnt wurde. Das bedeutet, dass beispielsweise der Landkreis Merzig schneller evakuieren muss. Geplant ist auch die Jodrationen ebenfalls vorsorglich und nicht erst im Katastrophenfall zu verteilen. Landrätin Daniela Schlegel-Friedrich.
    "Bei uns wird es in der Mittelzone dann auch zu der Verteilung der Jodtabletten an die Haushalte kommen, denn für die Verteilung der Jodtabletten gibt es ein 12-Stunden-Zeitfenster und innerhalb von 12 Stunden wird es wohl nicht möglich sein, über zentrale Punkte an alle Haushalte Jodtabletten zu verteilen."
    Mit Jodtabletten kann sich die Bevölkerung nicht vor sämtlichen radioaktiven Substanzen schützen, die bei einer Explosion unter Umständen freigesetzt werden. Aber sie beugen Schilddrüsenkrebs vor, vorausgesetzt, sie werden zum richtigen Zeitpunkt eingenommen. Dadurch, dass die Schilddrüse sozusagen mit gutem Jod gesättigt wird, kann sie das gefährliche Isotop Iod 131 nicht mehr aufnehmen.
    In Deutschland wird bei einem atomaren Zwischenfall eine Jodblockade in einem Radius bis zu 20 Kilometern automatisch vorgesehen. Darüber hinaus werden Schutzmaßnahmen erst angeordnet, wenn erkennbar ist, in welche Richtung sich die radioaktiven Stoffe ausbreiten. Jedes europäische Land ziehe augenblicklich andere Lehren aus Fukushima, eine Harmonisierung auf europäischer Ebene fehle gänzlich, bedauert Roger Spautz von Greenpeace Luxemburg.
    "In Luxemburg werden sie im ganzen Land verteilt, in Frankreich sind es fünf bis zehn Kilometer rund um eine Zentrale, in der Schweiz wollen sie jetzt in einem 50-Kilometer- Radius verteilen. Es kann aber gut sein, dass im Falle einer Katastrophe, die radioaktive Wolke 50 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt niedergeht."
    Da das Atomkraftwerk immer wieder mit Pannen auf sich aufmerksam macht, sei - jenseits aller Notfallpläne - das politische Ziel klar, sagt der luxemburgische Innenminister: "Zuallererst sind wird der Auffassung, Cattenom muss geschlossen werden."