Ohne die Piloten, die Cockpit vertritt, bleiben die Flugzeuge mit dem Kranich am Heck und die Jets einiger Tochterunternehmen am Boden. Und anders als in der biblischen Geschichte unterschätzt die Lufthansa ihren kleinen Gegner auch nicht.
Sie geht gerichtlich gegen den Streik vor: Zur Stunde tagt das Arbeitsgericht Frankfurt. Es soll entscheiden, ob vier Tage Streik unverhältnismäßig sind. Gerade ist der Prozess unterbrochen worden für getrennte Beratungen.
Lufthansa zeigte sich heute auch sonst gut gerüstet – und die Kunden auch. Dank ausgefeilter Sonderflugpläne blieb heute das befürchtete Chaos an den Flughäfen aus. Mehr als die Hälfte der Maschinen konnte starten. Und viele Passagiere hatten sich nach Alternativen umgesehen. Für das Lufthansapersonal war es dennoch ein stressiger Tag. Übrigens auch für die Piloten, die nicht flogen. Sie gerieten unter Rechtfertigungsdruck.
Ludger Fittkau hat einen von ihnen getroffen.
"Ich bin verheiratet, bin 32 Jahre alt und fliege jetzt seit neun Jahren bei der Lufthansa."
Eigentlich hätte Alexander Gerhard Madjidi auch heute ins Cockpit steigen müssen:
"Ja, ursprünglich hätte ich heute mal nach Dallas fliegen sollen."
Doch das, was er heute seit dem frühen Morgen in der Abflughalle des Terminals 1 am Frankfurter Flughafen leistet, ist kaum weniger anstrengend als der Flug nach Texas. Der zierliche Mann informiert pausenlos Medien und Passagiere über den Verlauf des Streiks.
Madjidi ist in der Pilotenvereinigung Cockpit gewerkschaftlich engagiert, spricht auch für seine Kollegen, die nicht vor Kameras und Mikrofone wollen, die in der Abflughalle aufgebaut sind.
Immer wieder erklärt er geduldig, dass die Piloten sich vor allem gegen eine drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland wehren. Lufthansa Italia ist für Alexander Gerhard Majidi das Reizwort:
"Sie können sich ja vorstellen, dass wenn sie im europäischen Ausland neue Tochtergesellschaften gründen, die unter dem Namen Lufthansa operieren, dann ist es für die Kunden nicht mehr erkennbar, ob das Lufthansa ist oder nicht. Dann können sie ganz einfach Flüge, nehmen wir mal Lufthansa Italia, von Mailand nach Frankfurt durchführen, statt von Frankfurt nach Mailand und zurück. Das bedeutet, dass sie auf längere Sicht die komplette Lufthansaflotte substituieren können. Und das kann nicht sein, und das sieht auch der Vertrag so nicht vor."
Schlechter bezahlte italienische Konkurrenz - günstigere Piloten also – davor haben der junge Pilot und seine Kollegen in Frankfurt Angst. Alexander Gerhard Madjidi weiß allerdings auch, dass die Lufthansa in Italien nicht so einfach Piloten findet. Doch das beruhigt ihn nicht:
"Ja, das ist ja genau der nächste Punkt, der auch unsere Passagiere interessieren dürfte. Lufthansa hat also Auswahlgespräche bereits geführt in Italien und hat von über 100 Bewerbern drei geeignete Bewerber gefunden, nämlich einen Kapitän und zwei Kopiloten. Und wenn sie jetzt eine ganze Airline mit neuen Piloten berädern wollen und kriegen aber keine geeigneten Bewerber, dann haben sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie lassen es bleiben oder senken die Qualitätsanforderungen ab. Und das kann nicht im Interesse der Passagiere und des Unternehmens sein."
So offen und eloquent Alexander Gerhard Madjidi auf alle Fragen antwortet - bei der Frage nach dem, was er ver.dient, wird er etwas einsilbig:
"Wir wollen jetzt ganz bewusst keine Neid-Diskussion führen, was wir jetzt selber ver.dienen, tut jetzt auch in der Diskussion nichts zur Sache, weil wir eben gesagt haben, wir akzeptieren eine Null-Runde, wir haben auf zwölf Prozent Gehalt verzichtet über unsere bestehenden Tarifverträge als Krisenbeitrag, und wir haben darüber hinaus angeboten, produktiver zu werden, das heißt: Mehr arbeiten fürs gleiche Geld - das sind sehr weitreichende Zugeständnisse unsererseits -, und wir fordern im Gegenzug eben eine Arbeitsplatzsicherung. Beziehungsweise wir haben diese Arbeitsplatzsicherung bereits in den bestehenden Verträgen und wir erwarten einfach, dass diese Verträge auch eingehalten werden"
Den auch heute wieder oft gehörten Vorwurf, die Lufthansapiloten üben als kleine, gut bezahlte Elite im deutschen Flugverkehr eine unverhältnismäßig große Marktmacht aus, kontert Alexander Gerhard Madjidi mit dem Argument – die Piloten streiken auch für andere, weniger mächtige Berufsgruppen im Lufthansakonzern mit:
"Die anderen Berufsgruppen, die wissen ja auch, dass wir auch für ihre Anliegen indirekt mitkämpfen. Weil, das ist ja immer nur ein Schritt. Wenn sie eine neue Airline im Ausland gründen und die Pilotenarbeitsplätze auslagern, lagern sie natürlich auch die Kabinen- und Bodenarbeitsplätze aus. In Form von Wartungsbasen, die sie dann im Ausland gründen. Und das kann auch nicht im Interesse der Kolleginnen und Kollegen von Kabine und Boden sein."
Bevor Alexander Gerhard Madjidi aus der Abflughalle des Terminal 1 zum Tor 21 geht, wo sich weitere Streikende sammeln wollen, blickt der Pilot auf die große Anzeigentafel. Viele Lufthansaflüge sind annulliert. Doch neben dem Flugzeug, das er heute eigentlich nach Dallas/ Texas bringen sollte, leuchtet der grüne Punkt auf. Der Flieger wird in Kürze abheben. Alexander Gerhard Madjidi reagiert etwas bitter - Streikbrecher mag er nicht:
"Ja, dann fliegen dann andere – Managementpiloten halt."
Dennoch ist die Pilotenvereinigung Cockpit zufrieden mit dem ersten Streiktag. Drei weitere sollen noch folgen.
Bitter für die Lufthansa, denn das Unternehmen verliert mit jedem Streiktag rund 25 Millionen Euro. Das kann sich der Konzern nicht leisten – auch wenn es ihm immer noch besser geht als vielen Konkurrenten, die bereits am finanziellen Abgrund fliegen. Doch auch bei der Lufthansa gehen die Passagierzahlen zurück – immer mehr Geschäftsreisende fliegen Economy statt Business. Und von der Konkurrenz durch Billig-Fluglinien auf vielen Strecken ganz zu schweigen. Deshalb sieht sich auch Lufthansa mit Sparzwängen konfrontiert. Eben auch bei den Personalkosten, die immerhin rund ein Fünftel der Kosten ausmachen – nicht zuletzt wegen der hohen Pilotenvergütung. Und so geht ein alter Streit in eine neue Runde, wie Brigitte Scholtes berichtet:
Schon lange gärt es im Lufthansakonzern zwischen Management und Piloten. Die zentrale Bedeutung, die sie für das Unternehmen haben, beschreibt Cord Schellenberg, Luftfahrtexperte aus Hamburg:
"Es waren halt die Einzigen, die wussten, wie man das Flugzeug von A nach B bringt mit mäßiger technischer Unterstützung. Das ist über die Zeit immer mehr geworden. Und insofern ist natürlich aus dem Piloten, der als Einziger weiß, wie man ankommt, einer der wenigen geworden, die heutzutage wissen, wie man das Flugzeug beherrscht in der technischen Komplexität."
Deshalb haben die Piloten im Lauf der Jahre viele Privilegien erworben: Wer einmal als Lufthansapilot angenommen ist, steigt die Karriereleiter mit zunehmenden Berufsjahren automatisch immer weiter hoch – und damit steigt das Gehalt. Zwar müssen angehende Piloten einen Teil ihrer Ausbildung selbst bezahlen – das schlägt mit etwa 60.000 Euro zu Buche, aber fliegen sie erst einmal für die Lufthansa, können sie mit Gehältern zwischen 65.000 und in der Spitze 260.000 Euro rechnen. In dem aktuellen Streit geht es aber nicht vorrangig ums Geld, sondern darum, welche Rolle die Piloten im Luftfahrt-Konzern Lufthansa zukünftig spielen werden, ob sie auch auf strategische Unternehmensentscheidungen Einfluss haben werden. So haben beide Tarifparteien schon seit Jahren auf neue Entwicklungen mit entsprechenden Vereinbarungen reagiert, etwa auch auf die Zukäufe ausländischer Töchter, sagt der Verhandlungsführer der Vereinigung Cockpit, Thomas von Sturm:
"Wir haben diese Entwicklung grundsätzlich unterstützt, haben allerdings in den letzten zwei Jahren zunehmend festgestellt, dass diese Tochtergesellschaften auch dazu verwendet werden, Arbeitsplätze aus dem Zentrum des Konzerns dorthin zu verlagern. Wir haben mit der Lufthansa selber seit mehreren Jahren Absprachen über die Sicherung der Arbeitsplätze im Konzerntarifvertragsbereich. Diese Absprachen sind aus unserer Sicht zunehmend erodiert worden oder sogar gebrochen worden an verschiedenen Stellen."
So hatte Lufthansa im vergangenen Jahr die Tochter Lufthansa Italia gegründet, die aber nicht von den Piloten der Mutter bestückt wird, sondern von denen der Tochter - eben zu für die Lufthansa günstigeren Tarifbedingungen. Außerdem sind nach der Swiss Brussels und Austrian Airlines auch British Midlands neu im Konzern, die ebenfalls ein anderes Gehaltsgefüge haben. Hinzu kommt noch ein weiterer alter Konflikt: Schon 1992 hatten die Piloten mit ihrem Arbeitgeber ausgehandelt, dass nur Lufthansapiloten auf allen Flugzeugen mit mehr als 70 Sitzen eingesetzt werden dürfen. Daran habe sich die Lufthansa aber nicht mehr gehalten, beklagen die Flugzeugführer jetzt. Doch Lufthansa verweist darauf, dass die Fixkosten für solche kleinen Flugzeuge zu hoch seien.
Im Mai vergangenen Jahres begann dann die aktuelle Tarifrunde, da ging es zunächst um diverse Vergütungs- und Manteltarifverträge. Doch auf Bitten der Konzernspitze kam dann im Sommer die Frage dazu, wie sich die Piloten am Sparprogramm "Climb 2011" beteiligen, mit dem Lufthansavorstand Christoph Franz die Kosten kräftig senken und bis 2011 bis zu einer Milliarde Euro einsparen will. Denn die Lufthansa hat die Wirtschaftskrise heftig zu spüren bekommen. Viele Geschäftsleute haben gespart und statt First- oder Businessclass eher Tickets der Economyclass gekauft. Und davon dürfte sich der Kranich nicht wieder ganz erholen, fürchtet Stefan Schöppner, Analyst der Commerzbank. Denn der Wettbewerbsdruck sei sehr hoch:
"Sie steht unter Wettbewerbsdruck aus dem Ausland, unter Wettbewerbsdruck von anderen Billigfliegern, die auch hier in Deutschland fliegen. Sie steht unter Druck, dass es strukturelle Probleme auf der Kurz- und Mittelstrecke gibt. Ich rechne nicht damit, dass auf der Kurz- und Mittelstrecke das alte Erlösniveau erreicht wird. Dazu bleiben zu viele Businessclass-Gäste aus, die auch nach der Krise lieber weiter im Flugzeug hinten sitzen werden."
Diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssten die Piloten zur Kenntnis nehmen, meint die Lufthansa. Denn vor allem im margenstarken Interkontinentalverkehr müsse sie sich mit kapitalkräftigen Wettbewerbern wie etwa Emirates aus Dubai oder Etihad aus Abu Dhabi messen. Und die nutzen jede Gelegenheit zum eigenen Wachstum, sie zahlen gut, mindestens so gut wie Lufthansa – wenn auch um den Preis, dass es gewerkschaftliche Mitbestimmung dort nicht gibt. Lufthansa muss also aus ihrer Sicht versuchen, ihre Position im lukrativen Langstreckengeschäft zu halten und auf den anderen Strecken Kosten einzusparen. Deshalb hält Luftfahrtexperte Schellenberg es auch für unwahrscheinlich, dass das Unternehmen einwilligt, die Tarifverträge der deutschen Piloten auf alle Flugzeugführer im Konzern auszudehnen und ihnen ein Mitspracherecht einzuräumen:
"Für die Piloten ist natürlich, je weniger Verträge es gibt und je besser dotiert sie sind, desto schöner. Also, ein Austrian-Airlines-Pilot oder ein Brussels-Airlines-Pilot wird vielleicht nichts dagegen haben, wenn man ihm sagt, du sollst zu den wunderbaren deutschen Bedingungen arbeiten. Nur dass natürlich der Wettbewerb sich nicht auf Deutschland beschränkt, sondern der Wettbewerb ist weltweit. Und da muss Lufthansa schauen, dass sie eine gewisse Flexibilität behält, das heißt, dass sie sich selber entscheiden kann: In welchen Ländern positioniere ich Flugzeuge bei welchen Gesellschaften und auch zu welchem Gehaltsgefüge?"
Lufthansa selbst argumentiert, das Wachstum des Konzerns komme auch dem Stammhaus zugute, die Zahl der in "Lufthansa Classic" eingesetzten Piloten sei in den letzten Jahren um knapp ein Fünftel gestiegen. Das bestätige zumindest die Zahl der bestellten Flugzeuge, meint Schellenberg:
"Wenn man sich die Bestelllisten der Lufthansa anschaut, ist das eigentlich kein Szenario. Denn die bestellten Flugzeuge vom Typ A-380 oder Boeing 747-800, also die richtig großen Langstreckenjets, die kommen alle zu Lufthansa Classic hier nach Deutschland, werden in Deutschland berädert und haben entsprechend auch deutsche Arbeitsbedingungen. Selbst die 'kleineren' Jets noch mit 150/ 180 Sitzplätzen, die Lufthansa zurzeit bei Airbus bestellt hat, gehen alle ins deutsche Luftfahrtregister, auch zur Lufthansa."
Wie die Tarifauseinandersetzung endet, ist noch unklar. Die wirtschaftlichen Verluste für den Lufthansakonzern beziffert dieser selbst auf 25 Millionen operatives Ergebnis pro Streiktag. Aber der weitgehende Ausfall eines Logistikunternehmens wirkt auch auf andere Bereiche, die gesamte Volkswirtschaft ist also betroffen, meint Eric Heymann, Branchenanalyst der Deutsche Bank Research, wenngleich man dies auch noch nicht genau beziffern könne:
"Die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten würde ich momentan als vernachlässigbar betrachten, einfach weil sowohl für Passagiere und als auch für Fracht zum größeren Teil Ausweichmöglichkeiten bestehen, sodass hier nicht dauerhaft Produktionsstätten geschlossen werden müssen. Natürlich kann bei einer Ausdehnung des Streiks die Exportnation Deutschland etwas in Mitleidenschaft gezogen werden, weil doch ein nennenswerter Anteil der wertmäßigen Exporte exportiert werden und hier die Lufthansa natürlich ein wichtiger Player ist."
Gewerkschaften sollen die Interessen ihre Mitglieder vertreten. Was aber, wenn die Mitgliederstruktur immer heterogener wird, sodass es nicht mehr möglich ist, alle Interessen unter einen Hut zu bringen? Dann geschieht dasselbe wie bei den Eisenbahnern oder im Gesundheitswesen. Dann gibt es für jede Berufsgruppe eine eigene Gewerkschaft, die nur noch die Interessen ihrer eigenen Klientel in den Blick nimmt. Dann wird der Arbeitskampf zum Machtkampf zwischen den Gewerkschaften. Michael Braun über Auswirkungen – und Grenzen dieser Taktik:
Sie sind eine Elite, schon der Zahl nach: Rund 108.000 Menschen beschäftigt die Lufthansa ohne die neuen Töchter. Davon gehören nur 4400 zum Cockpitpersonal. Doch berufsständisch organisiert sind die Piloten und Flugingenieure erst seit 1968. Denn, so heißt es in der Geschichte der Vereinigung Cockpit, damals sei es offensichtlich geworden,
"… dass es keine Gewerkschaft gab, die das Cockpit-Personal mit Sachverstand und Nachdruck vertreten konnte."
Der eigenständige Berufsverband blieb zwar noch bis zum Jahr 2000 in einer Tarifgemeinschaft mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft DAG. Aber als die in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di aufging, wurde Cockpit tarifvertraglich selbstständig und als Gewerkschaft tätig. Und dies 2001 gleich mit einer donnernden Forderung von 35 Prozent.
Anders und doch ähnlich verlief die Geschichte des Marburger Bundes. Den gab es schon seit 1947 als gewerkschaftliche Vertretung der angestellten und beamteten Ärzte. Aber lange Jahre waren die Ärzte auch in einem Tarifverbund mit der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, der ehemaligen ÖTV, verbunden. Doch im September 2005 entzog die Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft der ÖTV-Nachfolgerin ver.di die Verhandlungsvollmacht. Wie die Piloten einen Tarifvertrag für Piloten wollten, wollten die Ärzte arztspezifische Tarifverhandlungen.
Auch die Lokführer gelten wie die Piloten als Elite ihrer Branche. Das zeigten sie in ihrem langen Konflikt mit der Deutschen Bahn AG in den Jahren 2007 und 2008. Doch den Vorwurf, die Gewerkschaft der Lokführer GdL koche ihr eigenes Süppchen auf Kosten der Solidarität aller, ließ der GdL-Vorsitzende Claus Weselsky nicht gelten. Zur Lokführerszene sagte er selbstbewusst:
"Die GdL existiert bereits 140 Jahre. In den nächsten Jahren sehen wir keine Entstehung von tarifmächtigen und streikfähigen Gewerkschaften, die in der Lage sind, mittels Tarifkämpfen die Tariflandschaft zu zersplittern."
Die Lokführer waren zwar schon lange vor ver.di da. Aber ähnlich wie die Ärzte des Marburger Bundes und die Piloten wollten sie die Tarifgemeinschaft mit anderen Branchengewerkschaften wie etwa Transnet aufbrechen. Es sei kein Zufall, dass die genannten Berufsgruppen aus dem öffentlichen Dienst kommen und zum großen Teil sich nicht mehr von der Großgewerkschaft ver.di vertreten lassen wollen, weiß der emeritierte Frankfurter Politologe Josef Esser.
"Es hängt a) damit zusammen, dass dieser Zusammenschluss ver.di, der ja versucht hat, alle öffentlichen Dienstleistungsgewerkschaften unter ein Dach zu bringen, nicht in der Lage ist, diese unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Berufsgruppen angemessen zu repräsentieren. Und es hängt zweitens damit zusammen, dass natürlich im öffentlichen Dienst besonders viel gespart worden ist, besonders viel rationalisiert worden ist, die klassischen Pfründe der Beamten oder Angestellten im öffentlichen Dienst immer stärker durch die Haushaltsnot der öffentlichen Kassen eingeschränkt wird, sodass hier bestimmte privilegierte Gruppen sich auch aus dem Solidarverband mit den anderen entfernen und auf eigene Faust sich durchsetzen."
Auch bei der Chemie, bei der IG Metall und bei der IG Bau hat es Fusionsprozesse gegeben. Die Baugewerkschaft hat die früher selbstständige Gewerkschaft der Gartenbauer aufgenommen. Die IG Metall sog 1998 die Gewerkschaft Textil-Bekleidung auf. Zwei Jahre später schloss sich auch die Gewerkschaft Holz und Kunststoffe der IG Metall an.
Doch anders als ver.di überstand die IG Metall den Fusionsprozess, ohne zu zerfasern. Denn auch die fusionierten neuen Mitglieder änderten den Charakter als Massengewerkschaft nicht. Bei ver.di aber kamen Straßenfeger und Piloten, Kofferträger und Ärzte zusammen. Da markierten die Eliten ihre Schlüsselstellung, traten aus Tarifverbünden aus. Denn wenn Piloten, Ärzte oder Lokführer streiken, bricht das ganze angeschlossene System zusammen.
Arbeitgeber können solche Abspaltungen nicht als Zersplitterung von Gewerkschaftsmacht feiern. Was sie können, ist, sich im Ausland umtun, um dort Konkurrenz für die einheimischen Eliten heranzuholen. Genau das hat Lufthansa gemacht. Und die Vereinigung Cockpit kann sich nicht mit gleichen Mitteln wehren. Sie kann sich nicht mit ausländischen Partnern zusammentun, erläutert Professor Hartmut Kliemt von der Frankfurt School of Finance and Management:
"Die Wirkung wäre durchaus überraschend, weil dann nämlich die Interessen der Piloten in anderen Ländern, die zu geringeren Gehältern arbeiten wollen, möglicherweise auch für die Lufthansa, eine Rolle spielen würden. Also, es hätte einen vollkommen kontraproduktiven Effekt gegenüber dem, was die Piloten im Moment wollen. Die vertreten legitime Interessen aus ihrer Sicht. Die Frage ist nur, ob wir ihnen das gestatten wollen, auch gegenüber den langfristigen Überlebensinteressen des Unternehmens Lufthansa."
So verlegt sich Cockpit eben nicht auf die Solidarität mit den ausländischen Piloten. Sondern darauf, den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt für Piloten zu unterbinden. Bisher war die Macht der Spartengewerkschaft dazu groß genug.
Am Frankfurter Arbeitsgericht haben sich beide Parteien zu Beratungen zurückgezogen. Wann es ein Ergebnis oder Urteil geben wird, ist zurzeit noch nicht abzusehen. So lange aber geht der größte Streik in der Geschichte der Lufthansa weiter.
Sie geht gerichtlich gegen den Streik vor: Zur Stunde tagt das Arbeitsgericht Frankfurt. Es soll entscheiden, ob vier Tage Streik unverhältnismäßig sind. Gerade ist der Prozess unterbrochen worden für getrennte Beratungen.
Lufthansa zeigte sich heute auch sonst gut gerüstet – und die Kunden auch. Dank ausgefeilter Sonderflugpläne blieb heute das befürchtete Chaos an den Flughäfen aus. Mehr als die Hälfte der Maschinen konnte starten. Und viele Passagiere hatten sich nach Alternativen umgesehen. Für das Lufthansapersonal war es dennoch ein stressiger Tag. Übrigens auch für die Piloten, die nicht flogen. Sie gerieten unter Rechtfertigungsdruck.
Ludger Fittkau hat einen von ihnen getroffen.
"Ich bin verheiratet, bin 32 Jahre alt und fliege jetzt seit neun Jahren bei der Lufthansa."
Eigentlich hätte Alexander Gerhard Madjidi auch heute ins Cockpit steigen müssen:
"Ja, ursprünglich hätte ich heute mal nach Dallas fliegen sollen."
Doch das, was er heute seit dem frühen Morgen in der Abflughalle des Terminals 1 am Frankfurter Flughafen leistet, ist kaum weniger anstrengend als der Flug nach Texas. Der zierliche Mann informiert pausenlos Medien und Passagiere über den Verlauf des Streiks.
Madjidi ist in der Pilotenvereinigung Cockpit gewerkschaftlich engagiert, spricht auch für seine Kollegen, die nicht vor Kameras und Mikrofone wollen, die in der Abflughalle aufgebaut sind.
Immer wieder erklärt er geduldig, dass die Piloten sich vor allem gegen eine drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland wehren. Lufthansa Italia ist für Alexander Gerhard Majidi das Reizwort:
"Sie können sich ja vorstellen, dass wenn sie im europäischen Ausland neue Tochtergesellschaften gründen, die unter dem Namen Lufthansa operieren, dann ist es für die Kunden nicht mehr erkennbar, ob das Lufthansa ist oder nicht. Dann können sie ganz einfach Flüge, nehmen wir mal Lufthansa Italia, von Mailand nach Frankfurt durchführen, statt von Frankfurt nach Mailand und zurück. Das bedeutet, dass sie auf längere Sicht die komplette Lufthansaflotte substituieren können. Und das kann nicht sein, und das sieht auch der Vertrag so nicht vor."
Schlechter bezahlte italienische Konkurrenz - günstigere Piloten also – davor haben der junge Pilot und seine Kollegen in Frankfurt Angst. Alexander Gerhard Madjidi weiß allerdings auch, dass die Lufthansa in Italien nicht so einfach Piloten findet. Doch das beruhigt ihn nicht:
"Ja, das ist ja genau der nächste Punkt, der auch unsere Passagiere interessieren dürfte. Lufthansa hat also Auswahlgespräche bereits geführt in Italien und hat von über 100 Bewerbern drei geeignete Bewerber gefunden, nämlich einen Kapitän und zwei Kopiloten. Und wenn sie jetzt eine ganze Airline mit neuen Piloten berädern wollen und kriegen aber keine geeigneten Bewerber, dann haben sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie lassen es bleiben oder senken die Qualitätsanforderungen ab. Und das kann nicht im Interesse der Passagiere und des Unternehmens sein."
So offen und eloquent Alexander Gerhard Madjidi auf alle Fragen antwortet - bei der Frage nach dem, was er ver.dient, wird er etwas einsilbig:
"Wir wollen jetzt ganz bewusst keine Neid-Diskussion führen, was wir jetzt selber ver.dienen, tut jetzt auch in der Diskussion nichts zur Sache, weil wir eben gesagt haben, wir akzeptieren eine Null-Runde, wir haben auf zwölf Prozent Gehalt verzichtet über unsere bestehenden Tarifverträge als Krisenbeitrag, und wir haben darüber hinaus angeboten, produktiver zu werden, das heißt: Mehr arbeiten fürs gleiche Geld - das sind sehr weitreichende Zugeständnisse unsererseits -, und wir fordern im Gegenzug eben eine Arbeitsplatzsicherung. Beziehungsweise wir haben diese Arbeitsplatzsicherung bereits in den bestehenden Verträgen und wir erwarten einfach, dass diese Verträge auch eingehalten werden"
Den auch heute wieder oft gehörten Vorwurf, die Lufthansapiloten üben als kleine, gut bezahlte Elite im deutschen Flugverkehr eine unverhältnismäßig große Marktmacht aus, kontert Alexander Gerhard Madjidi mit dem Argument – die Piloten streiken auch für andere, weniger mächtige Berufsgruppen im Lufthansakonzern mit:
"Die anderen Berufsgruppen, die wissen ja auch, dass wir auch für ihre Anliegen indirekt mitkämpfen. Weil, das ist ja immer nur ein Schritt. Wenn sie eine neue Airline im Ausland gründen und die Pilotenarbeitsplätze auslagern, lagern sie natürlich auch die Kabinen- und Bodenarbeitsplätze aus. In Form von Wartungsbasen, die sie dann im Ausland gründen. Und das kann auch nicht im Interesse der Kolleginnen und Kollegen von Kabine und Boden sein."
Bevor Alexander Gerhard Madjidi aus der Abflughalle des Terminal 1 zum Tor 21 geht, wo sich weitere Streikende sammeln wollen, blickt der Pilot auf die große Anzeigentafel. Viele Lufthansaflüge sind annulliert. Doch neben dem Flugzeug, das er heute eigentlich nach Dallas/ Texas bringen sollte, leuchtet der grüne Punkt auf. Der Flieger wird in Kürze abheben. Alexander Gerhard Madjidi reagiert etwas bitter - Streikbrecher mag er nicht:
"Ja, dann fliegen dann andere – Managementpiloten halt."
Dennoch ist die Pilotenvereinigung Cockpit zufrieden mit dem ersten Streiktag. Drei weitere sollen noch folgen.
Bitter für die Lufthansa, denn das Unternehmen verliert mit jedem Streiktag rund 25 Millionen Euro. Das kann sich der Konzern nicht leisten – auch wenn es ihm immer noch besser geht als vielen Konkurrenten, die bereits am finanziellen Abgrund fliegen. Doch auch bei der Lufthansa gehen die Passagierzahlen zurück – immer mehr Geschäftsreisende fliegen Economy statt Business. Und von der Konkurrenz durch Billig-Fluglinien auf vielen Strecken ganz zu schweigen. Deshalb sieht sich auch Lufthansa mit Sparzwängen konfrontiert. Eben auch bei den Personalkosten, die immerhin rund ein Fünftel der Kosten ausmachen – nicht zuletzt wegen der hohen Pilotenvergütung. Und so geht ein alter Streit in eine neue Runde, wie Brigitte Scholtes berichtet:
Schon lange gärt es im Lufthansakonzern zwischen Management und Piloten. Die zentrale Bedeutung, die sie für das Unternehmen haben, beschreibt Cord Schellenberg, Luftfahrtexperte aus Hamburg:
"Es waren halt die Einzigen, die wussten, wie man das Flugzeug von A nach B bringt mit mäßiger technischer Unterstützung. Das ist über die Zeit immer mehr geworden. Und insofern ist natürlich aus dem Piloten, der als Einziger weiß, wie man ankommt, einer der wenigen geworden, die heutzutage wissen, wie man das Flugzeug beherrscht in der technischen Komplexität."
Deshalb haben die Piloten im Lauf der Jahre viele Privilegien erworben: Wer einmal als Lufthansapilot angenommen ist, steigt die Karriereleiter mit zunehmenden Berufsjahren automatisch immer weiter hoch – und damit steigt das Gehalt. Zwar müssen angehende Piloten einen Teil ihrer Ausbildung selbst bezahlen – das schlägt mit etwa 60.000 Euro zu Buche, aber fliegen sie erst einmal für die Lufthansa, können sie mit Gehältern zwischen 65.000 und in der Spitze 260.000 Euro rechnen. In dem aktuellen Streit geht es aber nicht vorrangig ums Geld, sondern darum, welche Rolle die Piloten im Luftfahrt-Konzern Lufthansa zukünftig spielen werden, ob sie auch auf strategische Unternehmensentscheidungen Einfluss haben werden. So haben beide Tarifparteien schon seit Jahren auf neue Entwicklungen mit entsprechenden Vereinbarungen reagiert, etwa auch auf die Zukäufe ausländischer Töchter, sagt der Verhandlungsführer der Vereinigung Cockpit, Thomas von Sturm:
"Wir haben diese Entwicklung grundsätzlich unterstützt, haben allerdings in den letzten zwei Jahren zunehmend festgestellt, dass diese Tochtergesellschaften auch dazu verwendet werden, Arbeitsplätze aus dem Zentrum des Konzerns dorthin zu verlagern. Wir haben mit der Lufthansa selber seit mehreren Jahren Absprachen über die Sicherung der Arbeitsplätze im Konzerntarifvertragsbereich. Diese Absprachen sind aus unserer Sicht zunehmend erodiert worden oder sogar gebrochen worden an verschiedenen Stellen."
So hatte Lufthansa im vergangenen Jahr die Tochter Lufthansa Italia gegründet, die aber nicht von den Piloten der Mutter bestückt wird, sondern von denen der Tochter - eben zu für die Lufthansa günstigeren Tarifbedingungen. Außerdem sind nach der Swiss Brussels und Austrian Airlines auch British Midlands neu im Konzern, die ebenfalls ein anderes Gehaltsgefüge haben. Hinzu kommt noch ein weiterer alter Konflikt: Schon 1992 hatten die Piloten mit ihrem Arbeitgeber ausgehandelt, dass nur Lufthansapiloten auf allen Flugzeugen mit mehr als 70 Sitzen eingesetzt werden dürfen. Daran habe sich die Lufthansa aber nicht mehr gehalten, beklagen die Flugzeugführer jetzt. Doch Lufthansa verweist darauf, dass die Fixkosten für solche kleinen Flugzeuge zu hoch seien.
Im Mai vergangenen Jahres begann dann die aktuelle Tarifrunde, da ging es zunächst um diverse Vergütungs- und Manteltarifverträge. Doch auf Bitten der Konzernspitze kam dann im Sommer die Frage dazu, wie sich die Piloten am Sparprogramm "Climb 2011" beteiligen, mit dem Lufthansavorstand Christoph Franz die Kosten kräftig senken und bis 2011 bis zu einer Milliarde Euro einsparen will. Denn die Lufthansa hat die Wirtschaftskrise heftig zu spüren bekommen. Viele Geschäftsleute haben gespart und statt First- oder Businessclass eher Tickets der Economyclass gekauft. Und davon dürfte sich der Kranich nicht wieder ganz erholen, fürchtet Stefan Schöppner, Analyst der Commerzbank. Denn der Wettbewerbsdruck sei sehr hoch:
"Sie steht unter Wettbewerbsdruck aus dem Ausland, unter Wettbewerbsdruck von anderen Billigfliegern, die auch hier in Deutschland fliegen. Sie steht unter Druck, dass es strukturelle Probleme auf der Kurz- und Mittelstrecke gibt. Ich rechne nicht damit, dass auf der Kurz- und Mittelstrecke das alte Erlösniveau erreicht wird. Dazu bleiben zu viele Businessclass-Gäste aus, die auch nach der Krise lieber weiter im Flugzeug hinten sitzen werden."
Diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssten die Piloten zur Kenntnis nehmen, meint die Lufthansa. Denn vor allem im margenstarken Interkontinentalverkehr müsse sie sich mit kapitalkräftigen Wettbewerbern wie etwa Emirates aus Dubai oder Etihad aus Abu Dhabi messen. Und die nutzen jede Gelegenheit zum eigenen Wachstum, sie zahlen gut, mindestens so gut wie Lufthansa – wenn auch um den Preis, dass es gewerkschaftliche Mitbestimmung dort nicht gibt. Lufthansa muss also aus ihrer Sicht versuchen, ihre Position im lukrativen Langstreckengeschäft zu halten und auf den anderen Strecken Kosten einzusparen. Deshalb hält Luftfahrtexperte Schellenberg es auch für unwahrscheinlich, dass das Unternehmen einwilligt, die Tarifverträge der deutschen Piloten auf alle Flugzeugführer im Konzern auszudehnen und ihnen ein Mitspracherecht einzuräumen:
"Für die Piloten ist natürlich, je weniger Verträge es gibt und je besser dotiert sie sind, desto schöner. Also, ein Austrian-Airlines-Pilot oder ein Brussels-Airlines-Pilot wird vielleicht nichts dagegen haben, wenn man ihm sagt, du sollst zu den wunderbaren deutschen Bedingungen arbeiten. Nur dass natürlich der Wettbewerb sich nicht auf Deutschland beschränkt, sondern der Wettbewerb ist weltweit. Und da muss Lufthansa schauen, dass sie eine gewisse Flexibilität behält, das heißt, dass sie sich selber entscheiden kann: In welchen Ländern positioniere ich Flugzeuge bei welchen Gesellschaften und auch zu welchem Gehaltsgefüge?"
Lufthansa selbst argumentiert, das Wachstum des Konzerns komme auch dem Stammhaus zugute, die Zahl der in "Lufthansa Classic" eingesetzten Piloten sei in den letzten Jahren um knapp ein Fünftel gestiegen. Das bestätige zumindest die Zahl der bestellten Flugzeuge, meint Schellenberg:
"Wenn man sich die Bestelllisten der Lufthansa anschaut, ist das eigentlich kein Szenario. Denn die bestellten Flugzeuge vom Typ A-380 oder Boeing 747-800, also die richtig großen Langstreckenjets, die kommen alle zu Lufthansa Classic hier nach Deutschland, werden in Deutschland berädert und haben entsprechend auch deutsche Arbeitsbedingungen. Selbst die 'kleineren' Jets noch mit 150/ 180 Sitzplätzen, die Lufthansa zurzeit bei Airbus bestellt hat, gehen alle ins deutsche Luftfahrtregister, auch zur Lufthansa."
Wie die Tarifauseinandersetzung endet, ist noch unklar. Die wirtschaftlichen Verluste für den Lufthansakonzern beziffert dieser selbst auf 25 Millionen operatives Ergebnis pro Streiktag. Aber der weitgehende Ausfall eines Logistikunternehmens wirkt auch auf andere Bereiche, die gesamte Volkswirtschaft ist also betroffen, meint Eric Heymann, Branchenanalyst der Deutsche Bank Research, wenngleich man dies auch noch nicht genau beziffern könne:
"Die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten würde ich momentan als vernachlässigbar betrachten, einfach weil sowohl für Passagiere und als auch für Fracht zum größeren Teil Ausweichmöglichkeiten bestehen, sodass hier nicht dauerhaft Produktionsstätten geschlossen werden müssen. Natürlich kann bei einer Ausdehnung des Streiks die Exportnation Deutschland etwas in Mitleidenschaft gezogen werden, weil doch ein nennenswerter Anteil der wertmäßigen Exporte exportiert werden und hier die Lufthansa natürlich ein wichtiger Player ist."
Gewerkschaften sollen die Interessen ihre Mitglieder vertreten. Was aber, wenn die Mitgliederstruktur immer heterogener wird, sodass es nicht mehr möglich ist, alle Interessen unter einen Hut zu bringen? Dann geschieht dasselbe wie bei den Eisenbahnern oder im Gesundheitswesen. Dann gibt es für jede Berufsgruppe eine eigene Gewerkschaft, die nur noch die Interessen ihrer eigenen Klientel in den Blick nimmt. Dann wird der Arbeitskampf zum Machtkampf zwischen den Gewerkschaften. Michael Braun über Auswirkungen – und Grenzen dieser Taktik:
Sie sind eine Elite, schon der Zahl nach: Rund 108.000 Menschen beschäftigt die Lufthansa ohne die neuen Töchter. Davon gehören nur 4400 zum Cockpitpersonal. Doch berufsständisch organisiert sind die Piloten und Flugingenieure erst seit 1968. Denn, so heißt es in der Geschichte der Vereinigung Cockpit, damals sei es offensichtlich geworden,
"… dass es keine Gewerkschaft gab, die das Cockpit-Personal mit Sachverstand und Nachdruck vertreten konnte."
Der eigenständige Berufsverband blieb zwar noch bis zum Jahr 2000 in einer Tarifgemeinschaft mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft DAG. Aber als die in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di aufging, wurde Cockpit tarifvertraglich selbstständig und als Gewerkschaft tätig. Und dies 2001 gleich mit einer donnernden Forderung von 35 Prozent.
Anders und doch ähnlich verlief die Geschichte des Marburger Bundes. Den gab es schon seit 1947 als gewerkschaftliche Vertretung der angestellten und beamteten Ärzte. Aber lange Jahre waren die Ärzte auch in einem Tarifverbund mit der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, der ehemaligen ÖTV, verbunden. Doch im September 2005 entzog die Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft der ÖTV-Nachfolgerin ver.di die Verhandlungsvollmacht. Wie die Piloten einen Tarifvertrag für Piloten wollten, wollten die Ärzte arztspezifische Tarifverhandlungen.
Auch die Lokführer gelten wie die Piloten als Elite ihrer Branche. Das zeigten sie in ihrem langen Konflikt mit der Deutschen Bahn AG in den Jahren 2007 und 2008. Doch den Vorwurf, die Gewerkschaft der Lokführer GdL koche ihr eigenes Süppchen auf Kosten der Solidarität aller, ließ der GdL-Vorsitzende Claus Weselsky nicht gelten. Zur Lokführerszene sagte er selbstbewusst:
"Die GdL existiert bereits 140 Jahre. In den nächsten Jahren sehen wir keine Entstehung von tarifmächtigen und streikfähigen Gewerkschaften, die in der Lage sind, mittels Tarifkämpfen die Tariflandschaft zu zersplittern."
Die Lokführer waren zwar schon lange vor ver.di da. Aber ähnlich wie die Ärzte des Marburger Bundes und die Piloten wollten sie die Tarifgemeinschaft mit anderen Branchengewerkschaften wie etwa Transnet aufbrechen. Es sei kein Zufall, dass die genannten Berufsgruppen aus dem öffentlichen Dienst kommen und zum großen Teil sich nicht mehr von der Großgewerkschaft ver.di vertreten lassen wollen, weiß der emeritierte Frankfurter Politologe Josef Esser.
"Es hängt a) damit zusammen, dass dieser Zusammenschluss ver.di, der ja versucht hat, alle öffentlichen Dienstleistungsgewerkschaften unter ein Dach zu bringen, nicht in der Lage ist, diese unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Berufsgruppen angemessen zu repräsentieren. Und es hängt zweitens damit zusammen, dass natürlich im öffentlichen Dienst besonders viel gespart worden ist, besonders viel rationalisiert worden ist, die klassischen Pfründe der Beamten oder Angestellten im öffentlichen Dienst immer stärker durch die Haushaltsnot der öffentlichen Kassen eingeschränkt wird, sodass hier bestimmte privilegierte Gruppen sich auch aus dem Solidarverband mit den anderen entfernen und auf eigene Faust sich durchsetzen."
Auch bei der Chemie, bei der IG Metall und bei der IG Bau hat es Fusionsprozesse gegeben. Die Baugewerkschaft hat die früher selbstständige Gewerkschaft der Gartenbauer aufgenommen. Die IG Metall sog 1998 die Gewerkschaft Textil-Bekleidung auf. Zwei Jahre später schloss sich auch die Gewerkschaft Holz und Kunststoffe der IG Metall an.
Doch anders als ver.di überstand die IG Metall den Fusionsprozess, ohne zu zerfasern. Denn auch die fusionierten neuen Mitglieder änderten den Charakter als Massengewerkschaft nicht. Bei ver.di aber kamen Straßenfeger und Piloten, Kofferträger und Ärzte zusammen. Da markierten die Eliten ihre Schlüsselstellung, traten aus Tarifverbünden aus. Denn wenn Piloten, Ärzte oder Lokführer streiken, bricht das ganze angeschlossene System zusammen.
Arbeitgeber können solche Abspaltungen nicht als Zersplitterung von Gewerkschaftsmacht feiern. Was sie können, ist, sich im Ausland umtun, um dort Konkurrenz für die einheimischen Eliten heranzuholen. Genau das hat Lufthansa gemacht. Und die Vereinigung Cockpit kann sich nicht mit gleichen Mitteln wehren. Sie kann sich nicht mit ausländischen Partnern zusammentun, erläutert Professor Hartmut Kliemt von der Frankfurt School of Finance and Management:
"Die Wirkung wäre durchaus überraschend, weil dann nämlich die Interessen der Piloten in anderen Ländern, die zu geringeren Gehältern arbeiten wollen, möglicherweise auch für die Lufthansa, eine Rolle spielen würden. Also, es hätte einen vollkommen kontraproduktiven Effekt gegenüber dem, was die Piloten im Moment wollen. Die vertreten legitime Interessen aus ihrer Sicht. Die Frage ist nur, ob wir ihnen das gestatten wollen, auch gegenüber den langfristigen Überlebensinteressen des Unternehmens Lufthansa."
So verlegt sich Cockpit eben nicht auf die Solidarität mit den ausländischen Piloten. Sondern darauf, den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt für Piloten zu unterbinden. Bisher war die Macht der Spartengewerkschaft dazu groß genug.
Am Frankfurter Arbeitsgericht haben sich beide Parteien zu Beratungen zurückgezogen. Wann es ein Ergebnis oder Urteil geben wird, ist zurzeit noch nicht abzusehen. So lange aber geht der größte Streik in der Geschichte der Lufthansa weiter.