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Macrons Visionen für Europa
"Angela Merkel wird nicht begeistert sein"

Der französische Präsident fordere tiefe Veränderungen in Europa, sagte Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Dlf. Doch in Deutschland seien viele seiner Ideen umstritten. Dort setze man eher auf Stabilität als auf Veränderungen. Nun sei aber die Regierung in Berlin gezwungen, Gegenvorschläge zu machen.

Claire Demesmay im Gespräch mit Christine Heuer |
    Emmanuel Macron
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will "eine breite, weite Diskussion in der EU lancieren und es kann sein, dass es ihm gelingt", sagte Claire Demesmay im Dlf. (pciture alliance/dpa/Foto: Thierry Roge)
    Christine Heuer: Über die Europarede von Emmanuel Macron und die deutschen Reaktionen darauf möchte ich jetzt sprechen mit Claire Demesmay, der Leiterin des Frankreich-Programms bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Abend, Frau Demesmay.
    Claire Demesmay: Guten Abend.
    Heuer: Macron hält seine wichtige Europarede zwei Tage nach der Bundestagswahl. Ist das der richtige Zeitpunkt gewesen?
    Demesmay: Das ist jedenfalls überhaupt kein Zufall. Er wollte in der Tat am Tag nach dem Wahlergebnis sprechen und seine Vorschläge für die Zukunft der EU präsentieren, um einen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen zu haben, damit seine Ideen zwischen den unterschiedlichen Parteien in Deutschland diskutiert werden. Er möchte nicht warten, weil er denkt, dass es sonst zu spät ist, und dadurch sieht man, wie dringend diese Geschichte für ihn ist und wie wichtig, wie ernst er die Reform der EU nimmt.
    "Einige seiner Vorschläge sind nicht unumstritten"
    Heuer: Nun soll Emmanuel Macron, das wird überliefert, gesagt haben: Wenn in Berlin die Liberalen an die Regierung kommen, dann sei er politisch tot. Ist es vielleicht schon zu spät, dass Macron Einfluss auf die Europapolitik der künftigen Regierung nehmen kann?
    Demesmay: Es ist jedenfalls so, dass einige seiner Vorschläge nicht unumstritten sind, und das gilt insbesondere für die Reform der Eurozone mit einem eigenen Budget für die Zone. Das ist etwas, was die FDP nicht will. Das hat Herr Lindner ganz klar gesagt, auch am Sonntagabend, und deswegen wird es schwierig sein für Macron.
    Heuer: Zumal ja nicht nur die FDP gegen dieses Budget für die Eurozone ist und auch gegen einen gemeinsamen Finanzminister, sondern auch die CSU das sehr kritisch sieht. Besteht eigentlich auch nur die geringste Chance, dass eine Jamaika-Koalition da am Ende tatsächlich mitzieht bei dem, was Macron da heute vorgeschlagen hat?
    Demesmay: Ich finde seine Ideen zwar kohärent, aber auch sehr ambitioniert für ein deutsches Publikum oder für die deutsche Politik. Es gibt in Deutschland den Willen, mit einem dynamischen Frankreich zusammenzuarbeiten. Das ist ganz klar. Aber es herrscht hier überhaupt kein Bedürfnis nach dem großen Wurf. Ich würde sagen, das Motto ist eher stabilisieren statt zu verändern. Aber Macron will auch die Politiker in Berlin oder auch in München zum Beispiel dazu zwingen, Stellung über die Zukunft der EU zu nehmen. Es ist so, dass sie jetzt nicht mehr einfach sagen können, es geht nicht. Sie müssen Gegenvorschläge machen.
    "Er möchte eine breite Diskussion in der EU lancieren"
    Heuer: Er schießt lieber ein bisschen übers Ziel hinaus, um diese Diskussion anzustoßen und zu beleben, und nimmt in Kauf, dass er dafür kritisiert wird?
    Demesmay: Ja, ich glaube schon. Er möchte eine breite, weite Diskussion in der EU jetzt lancieren und es kann sein, dass es ihm gelingt. Das ist sein erstes Ziel. Und interessanterweise verwendet er das gleiche Rezept wie in Frankreich im Wahlkampf. Damals war seine Hauptgegnerin Marine Le Pen mit einem starken EU-feindlichen Diskurs, und was er gemacht hat ist, sehr offensiv dagegen zu argumentieren. Er hatte einen offensiven Diskurs mit der Forderung verbunden nach weiteren Integrationsschritten. Das heißt, er hat die Wahl damit gewonnen im eigenen Land, und er versucht, das auch so in der EU zu projizieren, könnte man sagen.
    Heuer: Nun ist es aber doch so mit Blick auf Deutschland - und es geht ja, wenn wir heute über die Rede von Macron reden, auch immer darum, dass er ja den deutsch-französischen Motor wieder mächtig anwerfen möchte. Und ist es nicht so, dass er da sehr stark auf die Sozialdemokraten gesetzt hat, die nach allem, was wir heute absehen können, nicht mehr in der Regierung sein werden?
    Demesmay: Ich denke schon, dass eine Große Koalition für ihn wirklich die beste Option gewesen wäre, weil die SPD für zum Beispiel ein Budget der Eurozone war und ist. Das wäre für ihn viel, viel einfacher gewesen. Trotzdem will er das weiter versuchen, weil das ist Teil von seinem Programm, auch Teil von seinem Programm in Frankreich. Er hat nicht nur Wahlkampf mit Strukturreformen in Frankreich gemacht, was er auch jetzt tut, sondern auch mit Reformen in der EU, und er kann das einfach nicht jetzt vergessen. Er muss weitermachen, er hat keine Wahl.
    "Angela Merkel wird nicht begeistert sein"
    Heuer: Wie ist denn das mit Angela Merkel? Wie sehr kann sich Emmanuel Macron in der Situation, die jetzt in Berlin, in Deutschland entstanden ist, eigentlich noch auf die Kanzlerin verlassen mit seinem europapolitischen Kurs?
    Demesmay: Er weiß, dass Angela Merkel eher vorsichtig ist in der Europapolitik, und was er jetzt vorschlägt ist ein Gegenmodell. Das ist ein zukunftsorientiertes Modell mit tiefen Veränderungen, mit viel mehr Solidarität in der EU, und sein Motto ist, mehr europäische Souveränität. Seine Erklärung ist, es gibt viele Probleme, die nicht gelöst werden, die Nationalstaaten können sie nicht mehr lösen, deswegen brauchen wir das europäische Level. Das heißt, er will ganz viel verändern mit einer militärischen Interventionstruppe in der EU, mit einer europäischen Asylbehörde und mit einem Budget für die Eurozone. Das ist extrem viel und als Gesamtpaket denke ich nicht, dass Angela Merkel besonders begeistert ist. Aber sie braucht auch ein starkes Frankreich, um den Zusammenhalt in der EU zu sichern. Mal sehen, wie weit sie da gehen wird, und vor allem, wie weit sie gehen kann.
    "Teile seines Programms wird er umsetzen können"
    Heuer: Wie stark glauben Sie, wenn man das alles bedenkt, kann Macron sich am Ende mit seinen Ideen durchsetzen? Wie stehen seine Chancen?
    Demesmay: Es ist noch so früh in den Koalitionsverhandlungen, dass man sich überhaupt nicht festlegen kann. Aber was er machen will ist ein Plan für die nächsten zehn Jahre. Das muss nicht gleich kommen. Ich denke, dass er gewisse Teile von diesem Programm umsetzen kann, zum Beispiel mit diesem EU-Verteidigungsfonds, oder mit der Schaffung einer echten Grenzpolizei für die gesamte EU, weil da gibt es gemeinsame Interessen, nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich. Andere Länder sind dafür sehr interessiert. Das gilt auch für den Vorschlag, eine Staatsanwaltschaft im Kampf gegen den Terrorismus zu schaffen. Es sind Projekte, die sehr konkret sind und wo man ein dringendes Bedürfnis sieht. Insofern kann er damit überzeugen.
    Mit anderen Sachen wie mit einem größeren Budget für die Eurozone, das ist viel schwieriger, weil es sind da rote Linien und dafür braucht er auch die Öffentlichkeit. Und wir wissen heute, dass es sehr schwierig sein wird, die Öffentlichkeit nicht nur in Deutschland für solche Ideen zu gewinnen.
    Heuer: Claire Demesmay, Leiterin des Frankreich-Programms bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) war das im Interview mit dem Deutschlandfunk und ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Frau Demesmay.
    Demesmay: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.