Auch wenn die Brüder Goncourt die Wunschträume ihrer Leser zu wecken suchen, so ist doch das Porträt der Marquise de Pompadour nicht romanhaft. Die Brüder Goncourt stellen sich in ihrem Buch durchaus als ernsthafte Gelehrte vor, die alle damals zur Verfügung stehenden Quellen erforschten, um die Vielseitigkeit dieser Figur vorzufahren: ihr Mäzenatentum im Bereich der Kunst, ihren Eifluß bei der Besetzung von Beamtenstellen, den Ausbau ihrer persönlichen Stellung, indem sie, ein weiblicher Napoleon, ihre Familie mit Ämtern und Titeln versorgt, ihre außenpolitische Bedeutung, etwa als sie mit den Abgesandten der Kaiserin Maria Theresia das Bündnis mit Österreich aushandelt, das zum Siebenjährigen Krieg führt. Am wenigsten interessiert Edmond und Jules Goncourt das Verhältnis der Mätresse zum König selbst. Liebe ist hier und wahrscheinlich auch zur Zeit Ludwigs V. kein Gefühl, sondern eine Chance zur Macht. Es geht den Brüdern Goncourt um eine Charakterstudie und nicht um eine psychologische Analyse. Die Marquise de Pompadour ist eine auffällig schöne, aber hypernervöse Frau, die sich in Aktivitäten verzehrt, bis sie schließlich, abgemagert und erst vierzig Jahre alt, an einem blutigen Husten stirbt. Dabei kommt dieser Tod gerade recht, denn längst hat sie anderen kleinen Geliebten und neuerdings gar einer jungen Mätresse Platz machen müssen. Die Autoren genießen es, dem Aufstieg zur Macht die Qual der Unsicherheit auf dem Gipfel und die Pein des Niedergangs folgen zu lassen. Und in der Tat: was wäre ein Idol, das nicht zu leiden hätte! Die Marquise wird größer, indem ihr Schicksal zwischen Glanz und Elend hin- und widergeht. In solchem Zwielicht gedeiht die Bewunderung für abgelebte Zeiten am besten.
Die Brüder haben das Porträt der Mätresse mit dem ihnen eigenen rhetorisch raffinierten Pathos gezeichnet. Die Neuübersetzung von Ulrike Nikel - seit siebzig Jahren die erste - geht mit ihrem Text auf eine geradezu sträfliche Weise um. Nicht etwa, daß sie von der Eleganz der Brüder Goncourt aber auch nicht einen Schimmer wiederzugeben vermochte. Sie springt, ohne daß der Verlag an irgend einer Stelle darauf hinwiese, mit dem Text um, wie es ihr gerade in den Sinn kommt, läßt Satzteile aus und fügt schulmeisterlich erklärend ein: "Neben Voltaire", heißt es da bei ihr, aber nicht bei den Goncourts, "gehörte auch Rousseau zum Kreis der Favoritin". Wer den Stil der Brüder kennt, weiß, daß solch ein stupider Satz aus dem Referat eines Proseminaristen wie ein Klotz ist, der da der schwungvollen Karriere ihrer Sprache in den Weg geworfen wird.
Da der Verlag offensichtlich die Leselust heutzutage nicht allzu hoch einschätzt, mußte das Buch auf ein Drittel gekürzt werden (auch darauf gibt es keinen Hinweis), und außerdem blieb der Anhang des Originals weg, der so unwichtig für das Verständnis der Marquise nicht ist, obgleich er nur aus Registern besteht: dem Verzeichnis der von ihr gestochenen Kupfer, ihrer Auftritte bei Theateraufführungen und ihrer Kostüme, der Möbel und Kunstschätze, die sie hatte anfertigen lassen und schließlich ihrer Porträts. In diesem Katalog erscheint sie als das, was - diese Tragik zumindest betonen die Brüder Goncourt - nie erreicht zu haben, ihr Schmerz war: die Mäzenatin und Kunstliebhaberin, die den Stil ihrer Zeit prägte.
Statt dessen finden sich kurze Kommentare in einem Anhang der deutschen Übersetzung, die über die Verständnislücken hinweg helfen sollen, die bei der Lektüre der Biographie allenfalls entstehen könnten. In der Tat mußten es die Brüder Goncourt so genau mit der historischen Information ihres Leser nicht nehmen, waren doch die Umstände des Ancien Régime und ihr Personal noch sattsam bekannt. Die Nachfahren von Madame Pompadours Günstlingen flanierten mit den Brüdern auf den Pariser Boulevards. So weiß der heutige Leser nicht mehr, wie das Verhältnis einer Königin zu einer Mätresse, die selbst wie eine Königin herrschte, zu denken sei. Beide hielten Hof, beide luden zu Diners ein, beide hatten Anhänger, die Umwelt mußte beiden nach den Regeln einer ausgeklügelten Etiquette begegnen. Mit dem Wissen des Kommentars ausgestattet, scheint ihm schließlich der einzige und eigentliche Unterschied zwischen den beiden ersten Damen des Hofes der eines sprachlichen Rituals gewesen zu sein. Über die Königin durfte keiner sprechen, sie, als das Zentrum der Macht, umgab Stummheit, sie und ihr Tun waren tabu. Die Mätresse hingegen war der Skandal in dieser Ordnung, das, worüber gesprochen werden mußte, was sich rühmen oder beschimpfen ließ. Der Hof wäre erstarrt, wenn es sie nicht gegeben hätte. Und die Nachwelt hätte ein paar geschichtliche Daten, aber kein Leben, keine Biographie, keinen Traum.