Mai 2015: Zerstörung

Im Mai reist »lyrix« in den hohen Norden und ist zu Gast im Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe. Dort hängt das Gemälde "Zerstörung" von Wenzel Hablik, das euch zusammen mit dem Gedicht "Der übersetzte Brand" von Volker Sielaff als Inspirationsquelle zum Thema Zerstörung dient.

    Naturkatastrophen wie das Erdbeben in Nepal Ende April hinterlassen ein unvorstellbares Ausmaß an Zerstörung. Bisher hat das verheerende Beben mehr als 7.000 Todesopfer gefordert und 600.000 Häuser zerstört, die Versorgungslage ist schwierig, vor allem Dörfer und entlegene Gebirgsregionen können nur schwer erreicht werden, es fehlt an Wasser, Essen und Medikamenten.
    Lebensräume und -grundlagen werden regelmäßig zerstört: Neben Naturkatastrophen lassen Kriege, gewalttätige Konflikte, Armut, Krankheiten, Terroranschläge und wirtschaftliche Krisen Menschen ohne alles zurück - sofern sie überhaupt überleben. Die Aufzählung erzeugt Ohnmacht und sie ist noch nicht einmal vollständig. Von vielen Krisen hören wir gar nichts, weil sie in den Medien nicht prominent vertreten sind oder sie geraten schnell in Vergessenheit, weil schon wieder eine neue Katastrophe die Berichterstattung bestimmt.
    Wie kann man weiterleben, wenn alles zerstört wurde, was einem wichtig war? Wenn man geliebte Menschen verloren hat? Wenn die Heimat in Trümmern liegt? Wenn die Folgen der Zerstörung noch jahrzehntelang zu spüren sind und sich ins kollektive Gedächtnis brennen? Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Feststeht, dass das Ausmaß der nach außen sichtbaren Zerstörung nicht annähernd so groß ist, wie das der seelischen. Nicht nur Menschenleben, Häuser, Städte und Natur werden zerstört, sondern auch Wünsche, Hoffnungen, Glaube und ganze Identitäten.
    Auch unser Exponat im Mai zeigt, dass die Zerstörung der Außenwelt noch viel erheblichere Schäden in der menschlichen Seele anrichten kann. Das Gemälde "Zerstörung" (Öl auf Leinwand, 1917, 130 mal 95 Zentimeter) von Wenzel Hablik zeigt zusammenstürzende Gebilde, bestehend aus bunten Säulen, Pfeilern und Kuben. Eine Feuerexplosion ist entweder Ursache oder Folge dieser Zerstörung. Nur wenige Baukörper stehen noch Stein auf Stein aufrecht, aber ihre offensichtliche Instabilität ist nur ein Zeichen dafür, dass die Zerstörung unaufhaltbar ist. Eine am unteren Bildrand sitzende menschliche Gestalt betrachtet das Szenario. Im Vergleich zu den Gebilden der einbrechenden Kulisse ist sie verhältnismäßig winzig dargestellt. Die Ohnmacht und das Unvermögen, die Zerstörung aufhalten zu können, werden damit deutlich.
    Das Bild "Zerstörung" malt Hablik in der Zeit des Ersten Weltkrieges, nachdem er selbst die Zerstörungswucht des Krieges als Kriegsmaler miterlebt hat. Es ist somit als Reaktion auf die erlebten Grausamkeiten zu verstehen, macht aber auch das metaphorische Zusammenstürzen der anfänglichen Kriegseuphorie und der damit verbundenen Hoffnung auf gesellschaftliche Erneuerung deutlich.
    Zur Person: Wenzel Hablik (1881-1934) wächst am Fuße des Erzgebirges auf und lebt bis zu seinem Tod im Schleswig-Holsteinischen Itzehoe. Seit seiner Kindheit sammelt er Kristalle. Ihre Gestalt und Beschaffenheit faszinieren ihn und sind Inspirationsquelle für seine Formsprache und seine utopischen Architekturentwürfe. Hablik ist ein Vertreter des Gesamtkunstwerks: er fertigt neben Malereien und Grafiken auch originelle kunsthandwerkliche Arbeiten aus Metall an, entwirft Möbel und komplette Raumgestaltungen.
    Neben dem Gemälde "Zerstörung" von Wenzel Hablik haben wir in diesem Monat das Gedicht "Der übersetzte Brand" von Volker Sielaff als Inspirationsquelle für euch ausgewählt:
    Der übersetzte Brand
    (für Charles Bernstein)

    rundum die Maschine zu brennen begann
    und er wollte sie löschen, mit Schaum,
    was aber, schlug er Alarm, nicht gelang
    und Fische herum aus Übseen, Küsten
    "bedroht weil sie aufzählen alles in Dollar"
    und schicken ihr Brot, in die, es abzuwerfen
    wie Waffen aus einem Helikopter, Maschine.
    rundum die Maschine zu heizen begann
    sprang an die Bombe, aus Splittern kleben
    jedes Detail der Schale ein Unikat,
    "wo vieler Wälder Gesundheit wichtiger ist"
    rundum die Maschine zu weinen begann
    "ein ganzes Volk wird so zum Totalausfall"
    wie herzzerreißend ein einseifender Seeblick ist
    auf Verständlichkeit zu prüfen, und die Maschine
    auf Richtigkeit ihrer Berechnungen -- vertippen
    Sie sich mal und halten Eos der Morghen
    röte ein Auge zu, verletzter Buchstabe, Eh und Uh
    bis die Tinte verläuft in dem Spiegel, Es
    und alle Sonnen schauen zu.
    (aus Volker Sielaff, Glossar des Prinzen, Luxbooks 2015)
    Woran denkt ihr beim Thema Zerstörung? An gewaltige Formen der Zerstörung durch Katastrophen oder Kriege? Oder auch an Zerstörung "im Kleinen" - an seelische Gewalt, an destruktive Gedanken? Was lässt euch "zerstört" zurück? Wie kann man weiterleben, wenn alles zerstört wurde, was einem wichtig war?
    Wir freuen uns auf eure Einsendungen zum Thema Zerstörung!
    Hier findet ihr unsere E-Mail-Vorlage. Die aktuellen Wettbewerbsbedingungen könnt ihr online nachlesen.
    Volker Sielaff ist 1966 in der Lausitz geboren und lebt als Autor und freier Kulturjournalist in Dresden. Seine Gedichte sind in zahlreichen Zeitschriften und in einflussreichen Anthologien wie "Lyrik von Jetzt" erschienen und wurden ins Englische, Französische, Italienische, Dänische, Tschechische, Polnische, Ungarische und Arabische übersetzt. Im Herbst 2003 erschien sein erster Gedichtband "Postkarte für Nofretete" im Verlag zu Klampen (www.zuklampen.de). 2007 erhielt Volker Sielaff den Lessing-Förderpreis. Im Verlag luxbooks (www.luxbooks.de) erschienen 2011 sein Gedichtband "Selbstporträt mit Zwerg" und 2015 sein neuer Gedichtband "Glossar des Prinzen". Volker Sielaff rezensiert für den "Tagesspiegel" und die "Dresdner Neueste Nachrichten".
    Das Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe beherbergt seit 1995 den Nachlass des deutsch-böhmischen Künstlers Wenzel Hablik (1881-1934) und seiner Frau, der Webmeisterin Elisabeth Lindemann (1879-1960). Der Maler, Grafiker, Kunsthandwerker, Innenarchitekt und Visionär Hablik gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der expressionistischen Architektur in Deutschland und zählt zu den bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten Schleswig-Holsteins.
    Die Wenzel-Hablik-Stiftung als Träger des Museums verfügt über die umfangreichste Sammlung an Werken der Habliks. Die ständige Ausstellung des Museums präsentiert einen Querschnitt aus dem hablik’schen Gesamtkunstwerk und vermittelt mit Ölgemälden, Grafiken, zahlreichen Möbelensembles, kunsthandwerklichen Arbeiten, Kristall- und Muschelsammlungen sowie Textilarbeiten der Handweberei Hablik-Lindemann einen Einblick in alle Schaffensbereiche des Künstlerpaares. Darüber hinaus präsentiert das Museum regelmäßig Sonderausstellung zu Kunst, Architektur und Design. Zahlreiche Veranstaltungen, wie Vorträge, Lesungen, Workshops und Malkurse für Kinder ergänzen das Programm. Das Museum hat den Anspruch, ausgehend von Habliks Werk, Kunst und Kultur anschaulich und anspruchsvoll zu vermitteln und somit einen wichtigen Akzent in der norddeutschen Kulturlandschaft zu setzen.
    Die Unterrichtsmaterialien für Mai findet ihr HIER.