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Manuskript: Die Entmüllung der Meere

Kunststoffmüll dringt bis in die fernsten Winkel der Weltmeere, wird dort zum Risiko für Tiere, Ökosysteme und den Menschen. Ausmaß und Effekte der marinen Vermüllung werden noch erforscht, doch längst ist klar: Die Produktion steigt, und Jahr für Jahr gelangt mehr Müll in Flüsse, Seen und Ozeane.

Von Anja Krieger |
    "Moin, Tümmler, Anmeldung Dorschfischerei für heute, Ankunft Burgstaaken, zwischen 8 und 18 Uhr. Tschüss!"

    Früh am Morgen vor der Ostsee-Insel Fehmarn. Gunnar Gerth-Hansen und sein Kollege Frederik Otten haben mit ihrem Fischkutter gerade den Fangplatz erreicht.

    Otten: "Kann losgehen?"

    Gerth-Hansen: "Kann losgehen, ja."

    Otten: "Gut."

    Gerth-Hansen: "Mach mal an Deck alles klar!"

    Otten: "Ja."

    Die See ist glatt und klar. Das 400 Meter lange Netz aus Seilen und Metallketten rasselt hinunter zum Grund der Ostsee.

    "Mein Betrieb gehört zu den sogenannten Schleppnetzfahrzeugen, das heißt, wir bewegen uns mit Schleppnetzen auf See, fangen in der Hauptsache Kabeljau und Plattfisch."

    Im Sommer fährt Gerth-Hansen Touristen auf See, im Winter lebt er von der Fischerei. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute fängt ein Fischer nicht mehr bloß Fisch.

    "Und eben bei jedem Hol befinden sich auch regelmäßig Kleinstteile bis größere Teile an Müll in diesem Fisch, der halt rausgeholt werden muss."


    Die Entmüllung der Weltmeere. Strategien gegen Plastik im Ozean
    Von Anja Krieger

    Jedes Jahr produziert die globale Industrie über 280 Millionen Tonnen Kunststoff. In nur zwei Jahren kommt so ein Gewicht zusammen, das schwerer ist als alle Menschen auf der Erde zusammen.

    "Unter Plastikmüll leiden Meerestiere überall - weil sie ihn mit Nahrung verwechseln, oder sich darin verfangen. Ein weltweites Problem."

    Leicht, formbar, günstig, haltbar. Das Material unserer Zeit.

    "59 verschiedene Plastikteile hatte das Tier im Magen, darunter 30 Quadratmeter Plastikfolien, außerdem Gartenschläuche, Blumentöpfe, Kleiderbügel. 17 Kilo Müll hatten den Magen des Wals verstopft - Todesurteil."

    "Wenn man von diesem pazifischen Müllstrudel spricht, dann haben die Leute mittlerweile eine gigantische Fläche vor Augen, die absolut geschlossen ist mit Müll, wo man fast schon trockenen Fußes rübergehen kann. Und so sieht es dort nicht aus. Primär sehen Sie dort erstmal Wasser."

    Lars Gutow ist Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Der Meeresbiologe untersuchte eine Tierart, die auf Treibgut siedelt. Sie brachte ihn zum Müll.

    "Angefangen haben wir mit dem Thema Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre, als wir auf diese Asseln gestoßen sind, diese Meeresasseln. Da haben wir angefangen, treibende Objekte um Helgoland herum zu sammeln. Und da findet man wirklich alles Mögliche. Man findet Algen, man findet Holz, aber man findet eben auch sehr viel Plastikobjekte, Fischernetze, die verloren gegangen sind, oder sehr viel Verpackungsmüll."

    Gutow und seine Kollegen begannen, die treibenden Objekte systematisch zu dokumentieren. Zwischen 2006 und 2008 unternahmen sie Expeditionen in verschiedene Teile der Deutschen Bucht, bis weit nördlich von Helgoland.

    "Wenn man diese Objekte gleichmäßig verteilen würde, dann würde man dort draußen zirka alle 150 Meter einem Stück Müll begegnen. Und das ist, finde ich, für eine Region, wo überhaupt gar keine Menschen leben, die ja diesen Müll generieren, ist das schon 'ne ganze Menge."

    Etwa 20.000 Tausend Tonnen Abfall gelangen jährlich in die Nordsee, schätzt das Umweltbundesamt. Als Verursacher gelten Schifffahrt und Fischerei, der Tourismus und der Eintrag von Land über Flüsse.

    "Und dann kommt eben hinzu, dass dieser Müll eben nicht gleichmäßig verteilt ist, sondern dann eben an solchen Frontensystemen oder bestimmten Strömungskanten zusammengetrieben wird und dort auch zur Gefahr wird für die Organismen."

    "Und so kommt es, dass die Vögel Plastikfragmente im Wasser mit Nahrung verwechseln. Da Plastik sich aber im Vogelmagen nicht zersetzt, landen die toten Eissturmvögel als unfreiwillige Helfer der Wissenschaft auf dem Seziertisch."

    Forscher fanden bei fast 95 Prozent der Exemplare, die tot an der Nordsee angespült wurden, Plastik im Magen - im Schnitt 30 Teile.

    Funde wie diese wiederholen sich weltweit. Kunststoff wird zur wachsenden Bedrohung für die Ozeane. Wasserproben belegen: In jedem der fünf großen Kreisströmungen der Weltmeere treibt schon Kunststoff. Der Müll sammelt sich und geht auf globale Wanderschaft, von Wirbel zu Wirbel. Das sagen neue Computersimulationen, die auf Daten von Forschungsbojen basieren. Eine weitere, sechste Region könnte entstehen, auf der der Müll rotiert - in der arktischen Barentsee.

    Das Plastik ist nicht nur weit bis in den Norden, sondern auch in Tausende Meter Tiefe vorgedrungen. Lars Gutows Kollegin Melanie Bergmann analysiert Fotos vom arktischen Tiefseeboden zwischen Spitzbergen und Grönland.

    "Das war erstmal nur ein Bauchgefühl, aber als ich die Bilder daraufhin untersucht hab, hat sich dann herausgestellt, dass es auch wirklich so ist. Zwischen 2008 und 2011 gab es einen ganz starken Anstieg. Es hat sich mehr als verdoppelt."

    83 Müllteile pro Fußballfeld, rechnet die Meeresbiologin hoch.

    "So richtig gut zuordnen konnte man das meistens nicht, das waren eher so Plastikfitzelchen, was meistens aussah wie Plastikverpackungen, weiß oder durchsichtige Plastiktütenteile, ganz selten auch mal so 'ne ganze Plastiktüte, eine Bierflasche hab ich gesehen, ein merkwürdiges schwarzes Material, was aussieht wie Dachpappe oder Teerpapier."

    Die sichtbaren Funde sind längst nicht alles. Eine noch größere Gefahr könnte von Mikroplastik ausgehen.

    "Da haben wir uns zum Beispiel einmal angeguckt, was in so einem Duschpeeling drin ist. Da sieht man, ja, Plastikpartikel in verschiedensten Farben und Größen, also das geht in den Mikrometer-Bereich, aber man findet die eben auch drei Millimeter großen Plastikbrocken sozusagen in diesem Peeling, obwohl vorne drauf steht, dass das eigentlich ein Meersalz-Peeling sein soll."

    Julia Hämer schreibt ihre Masterarbeit am Alfred-Wegener-Institut.

    "...ist aber eben mehr Plastik drin. Das haben wir uns einfach angeguckt, um zu sehen: Welche Größenordnungen finden wir denn eigentlich, die eingetragen werden, worauf können wir uns beziehen, wenn wir das erforschen."

    Mikroplastik sickert nicht nur aus Kosmetika und Outdoor-Kleidung. Alles, was aus Plastik ist, zerfällt mit der Zeit. Unter den UV-Strahlen der Sonne und der Kraft der Wellen zerbricht Kunststoff im Meer zu immer winzigeren Teilen. Je nach Sorte gibt das Material dabei Giftstoffe ab, die in Form von Weichmachern oder Flammschutzmitteln enthalten sein können - Bisphenol A zum Beispiel, das im Verdacht steht, den Hormonhaushalt bei Menschen und Tieren zu stören. Auf ihrer Oberfläche scheinen die winzigen Plastikteile zudem giftige Substanzen wie das Insektizid DDT aus der Umwelt zu binden. Auch viele Strände sind von winzigen Plastikpartikeln durchsetzt. Selbst Wissenschaftler können sie nur durch eine spezielle Infrarot-Analyse vom Sand unterscheiden.

    "Ich weiß nicht, wie realistisch das ist, da wirklich ingenieurstechnisch Raffinessen sich auszudenken, wie man diese Mikropartikel vor allem aufhalten kann, weil die kriegt man, also die sieht man nicht, da sehe ich irgendwie keine Chance, wie man die wieder rauskriegen kann."

    "In diesem Sommer schauen wir unter die Oberfläche des pazifischen Ozeans. Hier treiben 100 Millionen Tonnen winziger Plastikteile. Mit dieser ökologischen Katastrophe beschäftigen wir uns für iGem, den größten studentischen Wettbewerb für synthetische Biologie. Wir wollen Organismen entwickeln, die die Ozeane reinigen. Zuerst bauen wir Organismen, die das Plastik sicher abbauen. Wir haben uns aber auch gefragt, ob man das Material als Ressource nutzen kann, statt es bloß zu vernichten. Also bauen wir einen zweiten Organismus, der die Kunststoffpartikel zu großen Klumpen zusammenklebt. Unsere Vision ist, den Müll in künstliche Inseln zu verwandeln. Sie können schon jetzt Land in unserer Plastikrepublik kaufen. Seien Sie Ihrer Zeit voraus und investieren Sie in die Zukunft!"

    Es ist Fünf Uhr am Nachmittag.
    "Ja, Frederik, schieb mal bisschen weiter rüber nach Backbord, ne? Ja, so ist gut."

    Die Fischer holen das schwere Schleppnetz aus dem Wasser ins Boot.

    Der Fang ist gut: Fast eine Tonne Plattfisch und Kabeljau. Mit dem Käscher schaufelt Gunnar Gerth-Hansen die Fische auf die Schlachtbank. Sein Kollege macht sich ans Ausnehmen. Die Eingeweide bekommen die Möwen. Auch in den Mägen der Fische hat Gerth-Hansen schon Müll gefunden.

    "Ja, heute war’s nicht so viel mit Müll, zwei Flaschen und ein Stück Kupferdraht, plastikummantelt, also wie gesagt, heute ganz wenig Müll, das ist letztendlich gut so."

    Gunnar Gerth-Hansen fischt nicht mehr nur Fische. Vor zwei Jahren schloss sich der Fischwirtschaftsmeister der Umwelt-Initiative Fishing for Litter an. Er kramt in einer weißen Tasche am Bug des Kutters. Hier sammelt er den Müll, den er aus dem Wasser holt.

    "Bei dieser Plastiktüte, auch von Seepocken angefressen, kann man sich ganz gut vorstellen, wenn ich da jetzt mal dran reiße, ganz brüchig geworden durch Windeinwirkung, durch Sonneneinstrahlung, in der Zone hier in den ersten drei, vier Metern."

    Plastikplanen, ein Stuhl, ein blauer Eimer.

    "Da kann ich mich dran erinnern, den haben wir aus der Seefahrtslinie, aus ‘ner Wasser-Schifffahrtstraße rausgeholt, das heißt, da, wo viel Container-Fracht ist und viel Schifffahrt ist."

    An dem Eimer kleben braune Klumpen aus feuchter Masse.

    "Seesterne, Seepocken, das siedelt sich da an. Da ist ein kleiner Seestern, der ist aber auch schon verendet. Drin haben sich Muscheln angesetzt. Also eine von diesen Miesmuscheln filtert bis zu 40 Liter Wasser pro Tag. Das heißt, alles, was sich jetzt hier von diesem blauen Fetteimer löst im Laufe der Zeit, wird halt eben gefiltert von diesen Muscheln. Da können Sie sich vorstellen, wie hoch belastet das Fleisch dieser Muschel ist, die sich da wirklich direkt an diesem Plastikmüll angesiedelt hat. Also, würd' ich jetzt vom Essen absolut abraten."

    Das Konzept von "Fishing for Litter” ist simpel: Wenn ein Fischer Müll im Netz hat, bringt er ihn an Land und kann ihn im Hafen kostenfrei entsorgen. Initiiert hat das Projekt die Meeresschutz-Organisation KIMO. In ganz Europa nehmen Kommunen teil, etwa in Schottland, England und den Niederlanden.

    "Dieses Projekt dient einmal dazu, wirklich aufzuräumen, wirklich auch quantitativ Müll aus Nord- und Ostsee zu entfernen, und ich sag immer, wirklich, jede Plastiktüte, die da nicht mehr treibt, ist 'ne gute Plastiktüte."

    Kim Detloff, Referent für Meeresschutz beim NABU. Der Naturschutzbund führt das Projekt Fishing for Litter in Deutschland durch.

    "Aber es dient natürlich auch, das Thema zu transportieren und es dient dazu, Daten zu erfassen."

    "Die recycelte Insel schafft eine selbsterhaltende Lebenswelt auf dem Ozean. 5000 Menschen finden in der urbanen Zone Platz, mit nachhaltiger Landwirtschaft und Seegras-Anbau. Natürliche Ressourcen sorgen für Nahrung, Energie, Transport und Komfort. Die gesamte Insel ist aus Plastikmüll aus dem Ozean konstruiert. Er wird zu hohlen Blöcken recycelt, auf denen die Insel treiben kann. Die Gewinnung wertvollen Lands bringt die Säuberung der Ozeane in Gang. Mit dem Prototyp beginnt eine neue Art nachhaltigen Lebens."

    Das globale Plastikproblem ist seit langem bekannt. Trotzdem gelangt immer mehr Müll ins Meer. Was soll man dagegen tun? Die Idee der Plastikinsel hatte der holländische Architekt Ramon Knoester. Über Blogs verbreitete sich sein Entwurf schnell im Internet.

    "Naja, ich denke, dass wenn Leute auf die Idee kommen, aus diesem Müll Inseln zu bauen, dann entsteht diese Idee daraus, dass diese Menschen Inseln von Müll vor Augen haben. Also ich weiß nicht, wofür die Holländer 'ne Insel aus Müll brauchen, das erschließt sich mir nicht. Dass wir was daraus machen, den Krempel aber trotzdem dort draußen lassen, mit all seinen Problemen, nämlich dass Chemikalien dort rauslecken, und Inhaltsstoffe und dass sich das Zeug irgendwie abbaut. Und um zu verhindern, dass es sich abbaut, müssen wir natürlich irgendwas anderes hinzusetzen und bringen da wieder was ins Meer. Das ist keine Lösung."

    Auch Boyan Slat, angehender Ingenieur aus Delft, hat sich etwas ausgedacht. Bei einem Vortrag präsentiert er eine Plattform, die den Müll aus dem Wasser filtern soll. Über das Internet kann der Rest der Welt dabei sein. In fünf Jahren, sagt er, könne er den riesigen Strömungswirbel im Nordpazifik reinigen.

    Eine mobile Methode schlägt Elie Ahovi vor. Das Schöpfnetz, das der junge Designer entworfen hat, soll in den Meeren ausschwärmen wie eine Drohne.

    "Man muss sich einfach mal vorstellen, wie so etwas funktionieren soll. Es sind ja Millionen von Tonnen dort draußen unterwegs, es kommen jährlich soundso viele, Tausende oder Millionen Tonnen hinzu. Was sollen denn das für Geräte sein, die das alles einsammeln? Also ich denke, das ist im wahrsten Sinne des Wortes, ist das 'ne Sisyphusarbeit."

    Wie gewaltig dieses Unterfangen wäre, illustriert die US-Umweltbehörde NOAA: Hätte man ein Jahr Zeit und 68 Schiffe - man würde doch nur ein Prozent des Nordpazifiks schaffen. Segler und Aktivist Charles Moore, der Entdecker des Müllwirbels, kalkuliert für die Säuberung aller fünf Kreisströmungen 1000 Boote, die rund um die Uhr das Wasser filtern – für 79 Jahre. Rein hypothetisch. Denn weder gibt es die Technik, noch hält sie Charles Moore für sinnvoll: Es würde Unmengen an Energie brauchen und nur die Oberfläche reinigen.

    "Manche sagen auch, Müll im Meer ist sexy, also wie gesagt, das Thema ist aktuell, es lässt sich gut verkaufen."
    Für Kim Detloff vom NABU zeigen die vielen Vorschläge vor allem eines: wie groß das Interesse der Öffentlichkeit am Thema Müll im Meer geworden ist.

    "Ich sehe es einfach erstmal positiv. Weil es hat zu lange ein Nischendasein gefristet, das Thema, wir müssen nur zurückdenken, dass das MARPOL-Abkommen aus den 70er-Jahren kommt. Also wissen wir eigentlich seit über 40 Jahren, Müll im Meer ist schädlich, und wir kriegen es nicht in den Griff."

    MARPOL, kurz für marine pollution, steht für das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe. 1988 wurde Anhang V hinzugefügt, der es verbietet, Kunststoffe im Meer zu entsorgen. Die Vereinbarung gilt als gescheitert.

    "Im Moment hat man natürlich manchmal den Eindruck, es entsteht so 'ne Art Wettrennen, und es ist so bisschen Aktionismus. Es gibt zum Beispiel Initiativen auch von der Kunststoffindustrie-Seite, Müll mit einem Sieb, einem Filter aus den Meeren abzuschöpfen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass man auch Lebewesen wie kleine Fische oder Planktonorganismen mit herausfiltert. Das heißt, man würde vielleicht mit dem angeblichen Lösungsansatz ökologisch mehr kaputtmachen als dass man den Meeren nutzt."

    "Wir müssen Mittel und Wege finden, um auch in Situationen, wo aus Versehen solche Abfälle weiterhin in die Ozeane gelangen, dafür zu sorgen, dass der Ozean mit ihnen fertig wird."

    Peter Orth, Geschäftsführer der Plattform für Kunststoff und Verwertung BKV. Der Chemiker arbeitet seit vielen Jahren für die Kunststoffindustrie.

    "Das heißt, dass sie gegebenenfalls unter den aquatischen Bedingungen des Salzwassers, der Bedingungen, die im Meer herrschen, zumindestens in einer berechenbaren Zeit oder vernünftigen Zeit, abgebaut werden. Das ist eine gigantische Herausforderung, das hört sich sehr einfach an. Und ich bin mir heute nicht sicher, ob wir das so gelöst kriegen."

    Ein neuer Kunststoff, der sich im Meer ganz einfach abbaut - Peter Orth ist nicht der einzige, der sich das wünscht. Es wäre zu praktisch. Doch die Abbaubarkeit lässt sich schwer vereinbaren mit den Eigenschaften, die ein Kunststoff haben soll: Fest, belastbar und haltbar soll er sein.

    "Unter heutigen Bedingungen wird ein bioabbaubarer Kunststoff einen Kunststoff, der Werkstoff ist, der also klassischerweise sehr langlebig sein soll, und über sein gesamtes Leben konstant seine Funktion erfüllen muss, nicht ersetzen können."

    Joghurtbecher, Plastiktüten, Skistiefel - schon heute gibt es viele Produkte aus Biokunststoff. Die Biopolymerdatenbank der Fachhochschule Hannover verzeichnet Hunderte von Stoffen. Doch Bioplastik ist nicht gleich Bioplastik. Wolfgang Beier hat sich für das Umweltbundesamt intensiv mit den neuen Kunststoffen befasst.

    "Naja, der Begriff Biokunststoff ist ja leider auch relativ unscharf, nicht? Man versteht 'ne ganze Menge darunter. Also zum einen versteht man unter Biokunststoff Kunststoffe, die biologisch abbaubar sind, die sich also unter bestimmten Bedingungen zersetzen. Andererseits versteht man unter Biokunststoff auch Kunststoffe, deren Rohstoffbasis biologischer Natur ist. Pflanzen also."

    Generell haben Biokunststoffe gegenüber konventionellen Plastiksorten keinen Umweltvorteil, so Beiers Fazit. Bei einem Material, das sich nach kurzer Zeit von selbst auflöst, statt wieder verwertet zu werden, gehen wertvolle Energie und Ressourcen verloren. Auch in Forschung und Industrie ist die Erkenntnis angekommen. Heute geht der Trend weg von der Abbaubarkeit, hin zu Kunststoff auf Basis von Pflanzen statt Öl. Und der ist meist genauso hartnäckig wie alle anderen Sorten.

    "Ursprünglich wurden Biokunststoffe entwickelt, um das Vermüllungsproblem besser in den Griff zu kriegen, vielleicht sogar zu lösen. Aber das ist ein Irrweg, das funktioniert eben so nicht, weil diese Abbaubarkeit nicht schlagartig einsetzt, weil das auch ein Prozess ist, der über Monate, Jahre, und vielleicht sogar Dutzende Jahre geht."

    Besonders im Meer, wo es feucht, kalt und dunkel ist, zersetzen sich abbaubare Kunststoffe nur langsam. Die Aufschrift "100 Prozent kompostierbar” gilt nur für Bedingungen, die in industriellen Kompostanlagen herrschen.

    "Bioabbaubare Kunststoffe deshalb zu produzieren, damit die sich im Meer eher auflösen, das ist keine Lösung, weil sie müssten sich quasi schlagartig dort auflösen, um keine Gefahr für Meerestiere sein zu können und das wird nicht passieren - das geht nicht."

    Offenbar wird Bioplastik das Problem nicht lösen. Für den Industrie-Experten Peter Orth ist es auch gar nicht das Material, das wir angehen müssen, sondern unser Verhalten.

    "Der Wertstoff Kunststoff ist heute in unserer Gesellschaft, in unserem Leben omnipräsent und eigentlich auch unverzichtbar. All das, was wir im Moment als Problem sehen, ist zwar dinglich mit diesem Werkstoff verbunden, wird aber verursacht durch den Nutzer, durch den Verbraucher, durch denjenigen, der Kunststoff in die Hand nimmt, sich seiner Vorteile bedient, bei den Produkten, die er kauft, und dann irgendwann…unter sich lässt."

    Die Mentalität des achtlosen Wegwerfens ist für den Chemiker das eigentliche Problem, das es zu bekämpfen gilt. Genauso wie unzureichende Abfallwirtschaftssysteme. Auch in Europa gibt es noch wilde Deponien, von denen Plastikmüll ins Meer weht.

    "Wir müssen versuchen, mit den Abfällen unserer Gesellschaft geregelt umzugehen und sie nach Möglichkeit nicht nur nicht in die Umwelt zu entlassen, uns ihrer bloß zu entledigen, sondern wir müssen sie auf hohem Niveau erfassen, einsammeln, sortieren, verwerten und die Produkte dieser Verwertung nach Möglichkeit wieder einsetzen."

    Wenn verhindert wird, dass Plastikmüll ins Meer gelangt, ist nicht nur der Umwelt geholfen – auch Material und Energie lässt sich damit sparen.

    "Das kann dann ein wiederverwerteter Kunststoff sein, wir sprechen da von einem Recyclat oder Regranulat, das kann aber auch so sein, dass bloß die Verbrennung übrig bleibt, so dass wir das Material zumindest energetisch nutzen und dadurch fossile Rohstoffe ersetzen."

    Nicht überall wird so viel recycelt wie in Deutschland. In einigen Ländern ist der Fluss immer noch der universale Abwasserkanal für alles, was die Menschen loswerden möchten. Umgekehrt sind Plastiktüten in Indien und Australien, in Bangladesch und Ruanda schon teilweise oder ganz verboten, in Deutschland gibt es sie nach wie vor. Hier könnte man etwas tun.

    "Wir wissen genug, um sofort handeln zu können. Wir wissen, dass sehr viele Meereslebewesen unter unserem Plastik - oder auch überhaupt Abfalleinträgen - leiden. Zum Beispiel 43 Prozent aller Walarten verschlucken regelmäßig Plastik. Fast alle Seevogelarten, alle Meeresschildkrötenarten, die sind besonders affin dafür. Also die Auswirkungen für die Lebewesen sind prägnant und darüber wissen wir genug."

    Stefanie Werner arbeitet am Umweltbundesamt im Bereich Meeresschutz. Die Biologin ist dort auch zuständig für die Umsetzung der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Die EU gibt vor, dass bis 2020 ein guter Umweltzustand der europäischen Gewässer erreicht werden soll. Die Initiative Fishing for Litter, an der die Fischer von Fehmarn teilnehmen, wird vom Umweltbundesamt unterstützt. Doch für Stefanie Werner ist es ein Projekt, das eigene ökologische Fragen aufwirft.

    "Hier muss man a) eine Umweltbilanz ausstellen, diese Grundschleppnetzfischerei ist auch bestimmt nicht gut für unsere Meere, das ist eine Fischerei, die unbedingt auch eingestellt werden müsste. Auf der anderen Seite werden da auch nur marginale Mengen an Land gebracht."

    Bei der Initiative "Fishing for Litter” bekommen die Fischer kein Geld und fahren nicht extra zum Müllfischen auf See. Im Mai 2011 ging ein anderer Vorschlag durch die Presse: Die Fischer sollten Müll statt Fische fangen und dafür Geld erhalten - um die Überfischung zu mildern. Die Idee hatte Maria Damanaki, die EU-Kommissarin für maritime Angelegenheiten und Fischerei. Schnell gab es Kritik: Fischern, die mit Schleppnetzen selbst den Seeboden zerstörten, könne man keine Subventionen geben. Die Europäische Kommission lässt zurzeit in einer Studie prüfen, ob und auf welche Weise Müllfischen ein echter Beitrag zur Lösung sein könnte.

    Für Melanie Bergmann, Tiefseeforscherin des Alfred-Wegener-Instituts, liegt eine ganz andere Lösung auf der Hand.

    "Es müsste meiner Meinung nach insgesamt zu einer Drosselung der Plastikproduktion kommen."

    Noch verbrauchen Europäer im Durchschnitt pro Kopf 30 Kilogramm Plastikverpackungen pro Jahr, ein großer Teil davon Tüten und Flaschen. Das sind die Produkte, die besonders häufig im Meer landen, erklärt Umweltberater Alexander Potrykus. Mit seinen Kollegen hat er für die europäische Kommission eine Studie verfasst.

    "Und dabei haben wir eben festgestellt, dass über die Hälfte des Marine Litter aus Plastik besteht, und davon wiederum auch über die Hälfte Plastikverpackungen sind, und dass der größte Anteil, oh Wunder, Tüten und Flaschen sind. Also haben wir den Schluss gezogen, wenn wir was erreichen wollen, wenn wir die größten Schlupflöcher schließen wollen, dann müssen wir was tun bei Tüten und Flaschen."

    Potrykus glaubt an die Macht der Verbraucher. Wenn sie ihren Konsum verändern, beeinflusst das auch die Produktion.

    "Der mündige Verbraucher, der hat diverse Möglichkeiten, sein Konsumverhalten zu ändern. Letztendlich muss es dazu führen, dass dieser hohe Verbrauch runtergeht."

    Die Produktion herunterfahren: Es gibt erste, kleine Schritte in diese Richtung. Der Hersteller Unilever gab unter dem Druck einer Mikroplastik-Kampagne nach und versprach, seine Kosmetikproduktion ab 2014 umzustellen. Mehr und mehr Länder schränken den Konsum von Plastiktüten ein. Doch weiter reichende Maßnahmen, die die immensen Produktionsmengen wirklich reduzieren könnten, sind nicht in Sicht.

    19 Uhr im Hafen von Fehmarn. Nach dem langen Tag verladen die Fischer ihren Fang. Auch der Müll kommt heute mit von Bord. Gunnar Gerth-Hansen hebt den schweren Sack vom Bug des Schiffs und schleift ihn hinter das Kühlhaus.

    "So, das ist der berühmte Container. Mal schauen, was sich da in letzter Zeit getan hat."

    Der Container ist halb voll. Ein alter Computer, Glasflaschen, Plastikplanen und viele andere Funde, die Gerth-Hansen und die anderen Fischer aus Burgstaaken in den letzten Monaten zusammengetragen haben. Gunnar Gerth-Hansen wirft seinen Beifang mit hinein. Etwa zehn Tage war er dafür auf See.

    "Hier ein Stück Tauwerk, auch Synthetik, Holz, ein Radschutz von einem Fahrrad, auch wieder ein Stück Plane, ‘ne große grüne Flasche, mal gucken, ob da noch Pfand drauf ist, nee, kann auch in Müll. Stück Holz, Flaschen, Schuhe, alte Öllappen, Stück Draht, Schirm einer Mütze, Plastikfetzen. So, wieder ‘n bisschen voller geworden..."

    "Ja, wir müssen den Eintrag verringern. Denn meiner Meinung nach sind alle Ansätze für das Einsammeln dieses Mülls im Meer aussichtslos, wenn man sich die Dimensionen des Ozeans vor Augen führt."

    "Wir kriegen die Meere nicht mehr sauber, und gerade die kleinen Mikro- und Nanopartikel kriegen wir nicht mehr aus den Meeren heraus, und deshalb geht es darum, an Land Lösungen zu entwickeln, wirklich Müllvermeidung, geschlossene Stoffkreisläufe, Recycling, innovatives Produktdesign, ich glaube, das sind die wirklich wichtigen Lösungsansätze."

    Drohnen, Bioplastik und plastikvertilgende Organismen: So aufregend diese Ideen klingen, die meisten sind keine Antwort auf das Müllproblem im Meer. Die echten Lösungen sind viel einfacher: Verweigern, vermeiden, verwerten.


    Die Entmüllung der Weltmeere
    Strategien gegen Plastik im Ozean
    Von Anja Krieger


    Produktion: Axel Scheibchen
    Redaktion: Christiane Knoll
    Fischernetze in Burgstaaken (Insel Fehmarn)
    Fischernetze in Burgstaaken (Insel Fehmarn) (Anja Krieger – Deutschlandradio)
    Möwen über der Ostsee
    Möwen über der Ostsee (Anja Krieger – Deutschlandradio)