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Massaker an schwarzen französischen Soldaten

70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist das ganze Ausmaß der Verbrechen, die von der deutschen Wehrmacht verübt wurden, noch nicht bekannt. Dass diese Armee schon 1940 aus rassistischen Motiven mordete und die Genfer Kriegskonvention systematisch verletzte, ist in Deutschland nahezu unbekannt.

Von Albrecht Kieser |
    Nach den Dokumenten, die Raffael Scheck in seiner Untersuchung vorlegt, liquidierte die Wehrmacht am 24. Mai 1940 zum ersten Mal Unbewaffnete. In Aubigny, einem Dorf am Südufer der Somme im Norden Frankreichs, erschossen Angehörige der 13. Infanterie Division fünfzig verwundete Afrikaner. Sie waren von ihren sich zurückziehenden französischen Einheiten zurückgelassen worden.

    Die französische Armee hatte etwa 100.000 Afrikaner aus den Kolonien rekrutiert und nach Frankreich geholt. Die größte Gruppe stammte aus Westafrika. Als "Tirailleurs Sénégalais" wurden die aus diesen Männern gebildeten Einheiten bekannt. Raffael Scheck kommt zu dem Schluss, dass Wehrmachtseinheiten innerhalb nur eines Monats, zwischen dem 24. Mai und dem 24. Juni 1940, kurz nach der Kapitulation Frankreichs, mindestens 3000 schwarze Soldaten Frankreichs ermordeten, obwohl die sich bereits ergeben hatten oder verwundet waren und nicht mehr im Kampf standen.

    Die Massaker gingen nur zum geringen Teil auf das Konto selbstständig operierender Einheiten. Es gab zwar keinen zentralen Mordbefehl, aber zumeist wurden die Liquidierungen von deutschen Offizieren befohlen oder nachträglich legitimiert. Das belegen Aufzeichnungen der Wehrmacht und Augenzeugen. So berichtet zum Beispiel laut Raffael Scheck ein weißer französischer Offizier:
    "Nach ihrer Entwaffnung werden die Soldaten rasch auseinander getrieben: die Weißen auf die eine Seite, die Schwarzen auf die andere. Während die Deutschen Erstere zunächst nicht weiter beachten, müssen sich alle Tirailleurs, die noch dazu in der Lage sind, also auch Verletzte, sofern sie noch gehen können, am Straßenrand aufstellen. Dort werden sie mit Maschinengewehren niedergemäht. Wer zu fliehen versucht, wird zur Zielscheibe deutscher Scharfschützen, die mit Karabinern bewaffnet sind. Auf Befehl eines deutschen Offiziers wird eine Gruppe von verletzten Senegalesen auf die Straße geschleppt. Der Offizier zieht seine Pistole und jagt den Schwarzen, die auf der Erde liegen, unter wüsten Beschimpfungen einem nach dem anderen eine Kugel in den Kopf. Dann brüllt er den gefangenen weißen Soldaten zu: 'Erzählt das in Frankreich!'"
    Die beteiligten Soldaten und Offiziere handelten aus tiefem Hass. Raffael Scheck verweist zur Erklärung auf die jüngere Geschichte: als Frankreich 1918 bis 1923 das Rheinland besetzt hielt und dabei auch schwarze Soldaten zum Einsatz kamen, schürten die nationalistischen Kreise in Deutschland den Rassenhass gegen Schwarze. Untermenschen seien das, Tiere, Wilde, die das reine Blut der Deutschen besudelten. Kinder aus Verbindungen zwischen deutschen Frauen und afrikanischen Männern wurden als Rheinlandbastarde beschimpft; viele wurden nach der Machtübernahme der Nazis zwangssterilisiert. Der "Völkische Beobachter" knüpfte in seiner Kriegspropaganda im Mai 1940 an diese bekannten Darstellungen an:

    "Auch heute wieder hat Frankreich die grausamen schwarzen Bestien aus dem Urwald auf uns losgelassen und wiederum haben sie ihren tierischen Instinkten freien Lauf gelassen. Ein Teil dieser Untermenschen ist bereits in deutschen Gefangenenlagern untergebracht."
    Je mehr die Wehrmachtseinheiten von dieser NS-Ideologie durchsetzt waren, umso häufiger verübten sie Morde an wehrlosen schwarzen Soldaten. Scheck nennt als Beispiele das Infanterieregiment Großdeutschland und die SS-Division Totenkopf.

    Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen Soldaten hatten in keinem einzigen Fall ein gerichtliches Nachspiel. Obwohl nach internationalem Recht Kriegsverbrechen, ahndete weder die Wehrmacht selbst die Taten, noch kam nach Kriegsende irgendein verantwortlicher Offizier oder Soldat vor ein Gericht. Das hatte nur bedingt mit der schwierigen Beweislage zu tun. Die "Ereignisse" wurden im damaligen Bewusstsein von Armee und Gesellschaft gar nicht als Morde begriffen sondern als gerechtfertigte Bestrafung schwarzer "illegitimer" und "bestialischer" Kämpfer.

    Die 1958 eingerichtete "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg hat bis heute kein einziges Verfahren zu den damaligen Kriegsverbrechen eröffnet. Vor drei Jahren hat Raffael Scheck der Ludwigsburger Staatsanwaltschaft seine Unterlagen übergeben. Vor zwei Jahren legte das Rheinische Journalistenbüro der "Zentralen Stelle" weitere Hinweise und Dokumente vor. In einer kurzen Mitteilung qualifizierte der zuständige Staatsanwalt die Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Frankreich damals so:
    "Nach den bisherigen Feststellungen wird der Nachweis derartiger, Mord qualifizierender Tatumstände, allenfalls für einige Vorfälle, die hinreichend konkretisiert werden können, gelingen, während in der Mehrzahl der Fälle - zumindest "in dubio" - mangels Konkretisierung die Tat lediglich als Kriegsverbrechen von der Qualität lediglich des Totschlages zu bewerten sein wird, der seinerseits bereits seit langem der Verjährung unterliegt."
    Seit dieser Bewertung hat sich in Ludwigsburg nichts mehr geregt. Auf eine erneute Nachfrage vor vier Wochen reagierte die Aufklärungsstelle für nationalsozialistische Verbrechen nicht. Raffael Scheck hat von den zuständigen Institutionen eine entschiedenere Resonanz auf seine Untersuchung erwartet. Aber es sei wohl so, wie auch in anderen Bereichen der Aufarbeitung historischer Verbrechen: erst wenn die öffentliche Diskussion in Gang komme und das kollektive Verständnis sich wandele, reagiere auch die Obrigkeit.

    Im Buch "Hitlers afrikanische Opfer" steckt die initiale Kraft, die das Schweigen über die Wehrmachtsmorde an schwarzen Soldaten aufzulösen vermag.

    Albrecht Kieser über das Buch von Raffael Scheck: "Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten". Erschienen beim Assoziations-Verlag, mit 196 Seiten, zum Preis von 20 Euro.