Mit wenig Gepäck haben wir unsere kleine Bleibe in der Rue des Lauriers in Pointe aux Cannoniers im Norden von Mauritius verlassen. Es ist noch früh, ein freundlicher und warmer Sonntagmorgen. Die Sonne hat die Straße schon längst in ein fröhlich-buntes Licht getaucht: Die roten und orangenen Blüten der Bougainvillea leuchten hinter grauen Mauern aus Lavagestein hervor, zwei Geckos huschen über den warmen Asphalt.
Als wir die Bushaltestelle an der Route Royale von Pointe aux Cannoniers erreicht haben, macht ein Bus, die Perle du Nord, abrupt vor uns Halt. Die Tür geht knarrend auf, einige Fahrgäste steigen aus, andere ein. Nur nach wenigen Sekunden fährt der Wagen krachend wieder los. Wir haben auf den roten Sitzen Platz genommen und suchen Halt an den kleinen Griffen des Vordersitzes, um nicht schon in der ersten Kurve in den Flur des Busses geschleudert zu werden. Ein Kontrolleur teilt sich die Arbeit mit dem Fahrer. Über seinem Bauch baumelt eine kleine Kasse, die mit Wechselgeld gefüllt ist und gleichzeitig das Ticket für die Reise ausdruckt.
Eigentlich wollten wir zunächst einen Abstecher nach Crève Coeur unternehmen. Ein winziger Ort, südöstlich von Port Louis, der kleinen Hauptstadt der Insel, gelegen. Einmal waren wir durch Crève Coeur mit dem Taxi gefahren. Bei offenem Fenster sahen wir kleine Plantagenfelder an uns vorbeiziehen: Ananasfrüchte wuchsen, zum Greifen nah, an den langen grünen Hochblättern der Pflanze. Allzu schnell war damals unser Taxi durch diesen Ort hindurch gehuscht. Wir wollten ihn wiedersehen, mit dem Bus.
- "Pour aller à Crève Coeur."
- "Crève Coeur? C´est ou ca? C´est beaucoup loin, so far! No, I think you have to go there and take the bus."
- "The other way?"
- "Oui."
- "Crève Coeur? C´est ou ca? C´est beaucoup loin, so far! No, I think you have to go there and take the bus."
- "The other way?"
- "Oui."
Zunächst fahren wir bis nach Port Louis. Dort befindet sich der Gare du Nord, einer der größten und wichtigsten Busbahnhöfe der Insel. Von dort, so sagte uns der Kontrolleur, gäbe es eine Umsteigemöglichkeit, um nach Crève Coeur zu gelangen.
- "De Crève Coeur, on peut aller à Centre Flacq?"
- "Non, non."
- "Non? Il faut retourner à Terre Rouge...et puis prendre un autre bus."
- "Merci."
- "Non, non."
- "Non? Il faut retourner à Terre Rouge...et puis prendre un autre bus."
- "Merci."
Schon nach den ersten gefahrenen Metern im Bus begreifen wir: Der Busfahrplan, den wir im Internet gefunden haben, besteht nur rein formal. Auf der Straße verliert er seine Gültigkeit. Nur die Busfahrer kennen Anschlüsse, Wege und Ziele. An der Ostküste haben wir ein einfaches Gästehaus reserviert, das wir am späten Nachmittag vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollen. Unser geplanter Umweg über Crève Coeur erscheint uns plötzlich als zu gewagt. Was, wenn wir keinen rechtzeitigen Bus zurück aus den Bergen bekommen? Kurzerhand disponieren wir um und steigen in den nächsten Bus nach Centre Flacq.
"Centre Flacq? Vous savez le numéro? Oui. Merci."
Es ist das erste Mal, dass wir Mauritius aus dieser Perspektive sehen. Eine Perspektive, die es uns zum ersten Mal ermöglicht, einen Blick hinter die Mauern zu werfen, die fast jedes Haus auf Mauritius vor allzu neugierigen Blicken schützen. Wir entdecken kleine Ziegen und Küken, Pagoden und Frauen, die auf Bambusstühlen Platz genommen haben. In den Händen eine Zigarette, in den Haaren bunte Lockenwickler. Selten erscheint uns Mauritius so authentisch wie auf dieser Reise mit dem Bus. Dann sind wir in Centre Flacq angekommen. Der Bus hält an, der Motor geht aus. Pause. Der nächste Bus nach Palmar, unserer Endstation, fährt erst in einer halben Stunde.
Dann steigen wir in den dritten Bus, der uns zu unserem kleinen Hotel nach Palmar bringen soll. Eine indische Hochzeitsgesellschaft steigt zu den Fahrgästen hinzu. Junge Frauen in bunt schimmernden Saris, Männer in blütenweißen leuchtenden Hemden. Als wir sie auf Französisch ansprechen, verstehen sie nichts. Sie reden noch nicht einmal Kreolisch. Eine Fahrt ins Innerste der Insel, dem Indien näher zu sein scheint als der europäische Kontinent.
Am Strand von Palmar hält der Bus wieder an. Der Motor geht aus, die Tür geht auf, alle gehen raus. Wollte der Busfahrer uns nicht Bescheid geben, wann wir aussteigen müssen? Per Anhalter stehen wir nun am Straßenrand, irgendwo im stets windigen Osten und halten Ausschau nach einem Taxi. Es ist später Nachmittag, allmählich sollte man nun seine Herberge erreichen, wenn man nicht von der plötzlich einfallenden Nacht überrascht werden will. Endlich hält ein Taxifahrer an. Als Tourist auf Mauritius den Bus zu nehmen, sei wirklich eine verrückte Idee, sagt er. Ohne Taxis sei man hier verloren.
Als wir endlich unser Guest House erreicht haben, fragt ein Angestellter des Hauses nach unserem Gepäck. Koffer? Sagt unser Taxifahrer, haben diese Herrschaften nicht. Sie sind aus purer Abenteuerlust hier. Für unseren Rückweg in unser Urlaubsquartier bietet er uns eine Fahrt in seinem Taxi zum Sondertarif an. Wir zögern nur kurz – und nehmen den Bus.