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Mediale Parallelwelt
Wie sich Jugendliche im Netz informieren

Nachrichten erreichen junge Menschen heute größtenteils über soziale Netzwerke. Doch Twitter, WhatsApp oder Facebook sind auch Sammelbecken für bewusst verbreitete Fehlinformationen, die offenbar Panik auslösen sollen. Nicht nur Jugendliche stehen mehr denn je vor der Herausforderung, die übermächtige Informationsflut aus dem digitalen Äther irgendwie zu filtern, sondern auch Behörden und Medienanstalten.

Von Daniel Bouhs und Jörg Wagner |
    Ihm schwirrt der Kopf vor lauter Twitter-Vögelchen: Ein Bild des Street-Art-Künstlers "Alias", aufgenommen in Berlin-Mitte
    Ihm schwirrt der Kopf vor lauter Twitter-Vögelchen: Ein Bild des Street-Art-Künstlers "Alias", aufgenommen in Berlin-Mitte (dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg)
    Berlin, Alexanderplatz. Eine kurze Umfrage unter Jugendlichen. Über welche Kanäle haben sie vor einer Woche erfahren, dass im und am Münchener Olympia-Einkaufszentrum jemand wild um sich geschossen, und – laut Polizei – gezielt vor allem Jugendliche verletzt und getötet hat? Das Fernsehen spielte bei den Jugendlichen eine Rolle, vor allem aber soziale Netzwerke:
    "Ich habe von dem Vorfall in München über Facebook erfahren. Zuerst wurde ein Video geteilt und das habe ich mir dann angeguckt."
    "Als erstes über Twitter. Da waren so aktuelle Nachrichten."
    "Über WhatsApp, von meiner Stiefschwester."
    "Ich habe als erstes von den Anschlägen in München gehört als ich auf Instagram war. Da haben dann Leute darüber gepostet und geschrieben, wie leid ihnen das tut."
    "Also Twitter – da gucke ich eigentlich als erstes hin, ob da irgendwas steht, ob Leute irgendwas dazu schreiben oder so."
    Schon diese kleine Befragung zeigt: Nachrichten erreichen junge Menschen heute nicht zuletzt über soziale Netzwerke. Hier teilen sie Informationen – Meldungen von klassischen Medien beispielsweise, aber auch Informationen von anderen Internetnutzern. In soziale Netzwerke kann schließlich jeder Material einspeisen. Internetfähige Smartphones mit eingebauten Kameras machen das jederzeit von überall aus möglich. Nutzer können sich damit also von klassischen Medien emanzipieren. Sie können einen klaren Informationsfluss allerdings auch leicht verschmutzen, indem sie Falschmeldungen lancieren Was dann passiert, hat der vergangene Freitag in München eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
    Der Journalist Christian Jakubetz wohnt nur 500 Meter vom Tatort entfernt. Er hat für Deutsche Welle TV und den Nachrichtsender BBC World über den Amoklauf eines 18-Jährigen berichtet. Weil das Einkaufszentrum abgeriegelt war, hat auch er vor allem ins Netz geschaut. Der Informationscocktail dort in den sozialen Netzwerken war jedoch kaum genießbar, sagt er:
    "Das reichte von Einschätzungen, die schon sehr nah an dem waren, was sich später auch als Realität herausgestellt hat, bis hin zu völlig abstrusen Dingen. Also einer der ersten Tweets, die mir begegnet sind, war: 'Bombenanschlag am OEZ – ungefähr 250 Tote'. Nun war mir da relativ schnell klar, dass das gar nicht sein konnte. Schon allein deswegen nicht, weil man diese Zahl an Opfern nach dieser kurzen Zeit nach dem Amoklauf gar nicht hätte so präzise benennen können."
    "Die Zahl der nicht brauchbaren Informationen hat die Zahl der brauchbaren Dinge weit überstiegen"
    Diese und andere Fehlinformationen hatten sogar reale Folgen: In den sozialen Netzwerken, dem Kommunikationsinstrument vor allem junger Nutzer, hatten sich Meldungen verbreitet, wonach die Schießereien in der Münchner Innenstadt weitergehen würden. Diese Twitter-Nachrichten lösten Panik aus – obwohl sie schlicht falsch waren:
    "Offensichtlich schaukeln sich Gerüchte in so einer Situation unglaublich hoch, dass sogar aus dem Hofbräuhaus Leute aus dem Fenster geklettert sind und in Panik weggelaufen sind. Das Interessante an der ganzen Geschichte war, dass diese vermeintliche Schießerei am Marienplatz beziehungsweise der Innenstadt präzise geschildert wurde. Also, dass es dort teilweise Tweets gab, in denen Leute behauptet haben, die Täter haben die U-Bahn-Station verlassen und fingen dann wild zu schießen an."
    Auf einem iPhone sind Hashtags, die als Reaktion auf die Schießerei in München gepostet wurden, zu sehen. Über die Hashtags "#München" und "#offenetür" gewährten Bewohner der Stadt nach der Schießerei anderen Menschen Unterschlupf.
    Hashtags, die als Reaktion auf den Anschlag in München gepostet wurden. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Auch die Polizei hatte an diesem Abend zeitweise von mehreren Tätern gesprochen und sich später korrigiert. Journalist Jakubetz ist eigentlich ein großer Fan sozialer Netzwerke. In den vergangenen Jahren hat er Kollegen in etlichen Vorträgen dazu geraten, sich Kommunikationskanäle offensiv zu bedienen. Fernsehsender – von ARD über ZDF bis zu Privaten – haben das vergangenen Freitag auch eifrig getan. Der Amoklauf in München hat den Journalisten allerdings auch skeptisch werden lassen. Im Rückblick sagt Jakubetz ganz offen: Nein, soziale Netzwerke waren diesmal keine vernünftige Quelle.
    "Die Zahl der nicht brauchbaren Informationen hat die Zahl der brauchbaren Dinge weit überstiegen. Vor allen Dingen habe ich irgendwann festgestellt: Das zu verifizieren, was dort kommt, ist in dieser Situation schlicht und ergreifend nicht mehr möglich."
    Doch selbst wenn Material echt ist, ist es ungefiltert kaum für die Verbreitung geeignet. Fotos und Videos, die Augenzeugen in solchen Situationen machen und über ihre Smartphones direkt in soziale Netzwerke einspeisen, sind oft unverpixelt. In München hieß das: Schon Minuten nach den ersten Schüssen kursierten auf Plattformen wie Twitter Fotos von Opfern, darunter eine Leiche in ihrer Blutlache. Videos wiederum zeigten verängstigte Menschen, die dem Schützen gerade so entkommen waren. Solches Material, das bisweilen eindeutig nicht jugendfrei ist, erreicht über soziale Netzwerke gänzlich ungefiltert genau die, die es nicht erreichen sollte: junge Mediennutzer.
    Menschen, die in Extremsituationen ihr Smartphone zücken und anfangen zu fotografieren oder gar zu filmen – der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins kann das erst mal durchaus nachvollziehen.
    "Die meisten Menschen, die so etwas live erleben, wenn sie danebenstehen und reflexhaft zum Smartphone greifen, die machen das mutmaßlich nicht, weil sie sagen 'Und das stelle ich gleich sofort online', sondern es ist eine Reaktion auf eine ungewöhnliche Situation, auf die wir nicht vorbereitet sind. Das ist ungefähr so als wenn sie plötzlich mit ihrem Smartphone in der Natur etwas sehen, was sie völlig verblüfft. Das muss nicht nur etwas Traumatisches oder Schreckliches sein. Und dann gibt es natürlich noch jene, die dann im zweiten Schritt sich denken 'Okay – und das ist mein Zugang zu 15 Minuten Ruhm'."
    In München setzte die Polizei dem unkontrollierten Nachrichtenstrom etwas entgegen: eigene Botschaften etwa auf Twitter. Auch das Fernsehen verbreitete diese weiter – hier beispielsweise die "Tagesschau".
    "Björn Staschen bei uns im Studio, er beobachtet für uns die sozialen Medien. Auch die Polizei informiert ja über Twitter. Was sagen denn die Behörden über die Lage? Die Behörden haben gerade eben getwittert, die Polizei in München, dass es Gerüchte gebe über eine zweite Schießerei in der City. Die Lage sei noch unklar. 'Bitte meidet öffentliche Plätze, sowie U- und S-Bahn.'"
    Das Ziel ist eindeutig: Kennzeichnung von Gerüchten als solche, konkrete Handlungsanweisungen zum Schutz der Bevölkerung. Und auch Mahnungen, den Tätern nicht zu helfen:
    "Die Polizei sagt auch in einem Tweet und bittet darum, keine Fotos oder Filme von polizeilichen Maßnahmen vor Ort online zu stellen, um die Täter nicht zu unterstützen, um den Tätern also keine Hinweise darauf zu geben, wonach eben gesucht wird, wo Polizisten sind. Auch das ein wichtiger Hinweis der Polizei München, die das über Twitter mitgeteilt hat."
    "Diese Bilder haben das Potenzial, zu traumatisieren"
    Dabei sind sich die Beamten durchaus bewusst, dass sie mit solchen Appellen nur bedingt gegen das Bedürfnis von Augenzeugen "antwittern" können, reflexartig mit den Smartphones das Gesehene zu "posten", also via Twitter, WhatsApp oder Facebook Berichte oder Filmaufnahmen zu teilen. Zumal die Polizei letztlich auch von den Amateuraufnahmen profitiert: Vergangene Woche forderte die Pressestelle der Münchner Polizei dazu auf, dass Augenzeugen ihr Material nur auf einer speziellen Seite der Polizei hochladen und eben nicht frei im Netz teilen sollen. Davor warnt Polizeisprecher Martins dringend – auch mit Blick auf andere Nutzer.
    "Diese Bilder haben das Potenzial zu traumatisieren. Und diese Bilder kriegen sie nie wieder aus dem Netz raus. Und das ist eine Verantwortung, die man in diesem Moment natürlich diesen Hobbyjournalisten – nenne ich sie jetzt mal – oder Freizeitfilmern wirklich vor Augen führen muss: weil diesen Schritt der Veröffentlichung kann man in der Regel nicht mehr rückgängig machen."
    Am Ende allerdings haben in München die deutlichen Appelle der Polizei nicht wirklich gefruchtet: Die heiklen Aufnahmen haben sich dennoch verbreitet und waren so für jedermann zugänglich – auch für junge Nutzer.Die versucht Leopold Grün fit zu machen für die Informationsflut im Digitalen. Grün ist Medienpädagoge der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, der FSF. Wie junge Leute in Krisenfällen kommunizieren, hat er vergangenen Freitag miterlebt – er war zufällig in der bayerischen Landeshauptstadt.
    "Ich war letzte Woche in München und wohnte bei einer Familie mit zwei Kindern, die hatten dann wiederum noch Kinder zu Besuch. Und da war das ganz einfach so: das war ein Miteinander, die haben das über whatsApp sozusagen sich verständigt über diese Tat, die ja noch überhaupt keinen Kontext hatte."
    Allerdings hat Grün in dieser Ausnahmesituation auch die positive Seite der sozialen Kanäle mitbekommen. Einerseits haben viele Münchner auf den Plattformen Schlafplätze angeboten – für die, die nicht mehr nach Hause kamen, weil Busse und Bahnen stundenlang stillstanden. Andererseits halfen die modernen Kommunikationsinstrumente auch seinen Freunden ganz praktisch weiter.
    "Das war nur erst mal extremer Aufruhr und es wurde geschaut wer, wo ist. Also, es ging ganz schnell um die Frage von Sicherheit, von Kumpels, von Freunden. Und danach gab es sofort die Kommunikation mit den Eltern. Also, die Mutter brachte wiederum ihre Information und es gab einen Austausch. Dann war klar: Er geht am nächsten Tag auf keinen Fall zum Fußballspiel. Egal, was hier los ist. Und insofern: Dort kam diese Parallelwelt zum Tragen, aber sie führte auch zusammen."
    Der Medienpädagoge arbeitet daran, dass junge Menschen einordnen und bewerten können, was sie an Informationshäppchen in sozialen Netzwerken erreicht. Das Schlagwort lautet: Medienkompetenz.
    "Wir entwickeln Arbeitsmaterialien für den täglichen Einsatz in der Schule. Ganz konkret mit der Bundeszentrale für politische Bildung haben wir eine interaktive DVD ROM 'Faszination Medien' erstellt. Und wir sind dafür zuständig, dass das wirklich in den Schulen eingesetzt wird. Wir machen Fortbildungen, wir gehen an den Schulen, aber auch in Multiplikatorenzentren, damit dieses Material nicht nur sozusagen in der Schrankwand verschwindet, sondern eingesetzt wird."
    Das klingt abstrakt, ist aber sehr konkret: Das Material erklärt Jugendlichen etwa, wie Gewalt in Medien wirkt. Zuerst mit einigen bekannten Beispielen aus Film, Fernsehen und Computerspielen – also den Medien, die Jugendliche konsumieren. Dazu kommen dann Thesen von Wissenschaftlern.
    "Beispielsweise gibt es ja ... das passt vielleicht auch zu dieser Frage von Amoklauf ... gibt es immer die Frage, wie wirken diese Bilder, die Gewalthandlungen zeigen? Und da gibt es ja verschiedene Thesen. Ja? Und die Wissenschaft ist sich da überhaupt nicht einig. Ist das eher hemmend? Löst das Angst aus? Oder stimuliert so etwas? Und danach gibt es Wissenschaftler, die erzählen mir dann, was die einzelne These, der man sozusagen der anhängen könnte, besagt."
    Gehören Computerspiele mit Gewaltszenen verboten oder nicht? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann will besonders gewaltverherrlichende Computerspiele verbieten, obwohl ein unmittelbarer Zusammenhang mit realen Gewalttaten bislang wissenschaftlich nicht einwandfrei nachgewiesen ist.
    Ein junger Mann spielt einen klassischen Egoshooter.
    Ein junger Mann spielt einen klassischen Egoshooter. (dpa/picture alliance/Lehtikuva Sari Gustafsson)
    Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, kurz FSF,will Jugendliche wappnen – damit sie "ihre" Medien Erwachsenen gegenüber fundiert verteidigen können. Auch die Landesmedienanstalten entwickeln Medienkompetenz-Programme, ebenso wie die Bundeszentrale für politische Bildung. Deren Präsident Thomas Krüger leitet auch das Deutsche Kinderhilfswerk und sitzt in der Kommission für Jugendmedienschutz. Auf seiner Agenda steht Medienkompetenz weit oben. Er bleibt dabei aber auch Realist: Wenn Erwachsene jungen Menschen erklären wollten, wie Medien funktionierten, sei das wie mit dem Gleichnis vom Hasen und dem Igel.
    "Eigentlich sind sie immer einen Medienschritt weiter als wir, die wir uns sozusagen die neuen Medien quasi als Erwachsene aneignen. Also, wenn wir einmal begriffen haben, wie Facebook funktioniert, dann bleiben wir die nächsten fünf Jahre bei Facebook, währenddessen die Kinder nach einem halben Jahr Whatsapp für sich entdeckt haben und natürlich sozusagen jedes Medium danach abklopfen, was ihnen am meisten etwas bringt und taugt. Man muss einfach sagen, dass Kinder in Sachen Medien immer 'up to date' sind, sich jede neue Sache sofort anschauen, ausprobieren, unterwegs sind und was es uns so schwerer macht, eigentlich in Sachen Medienkompetenz uns immer schon einen Schritt voraus sind."
    Mit anderen Worten: Während neue Plattformen wie Instagram oder Snapchat für viele junge Nutzer bereits zum Alltag gehören und klassische Medien wie die Zeitung oder auch das Fernsehen zunehmend ablösen, haben viele Erwachsene von Instagram oder Snapchat noch nie etwas gehört, geschweige denn sich diese neuen Kanäle angesehen. Auf Augenhöhe mit Kindern und Jugendlichen dann darüber reden zu wollen, wie sich Informationen dort verbreiten und wie Echtes von Falschem unterschieden werden kann, kann also nicht funktionieren. Thomas Krüger mahnt dann auch:
    "Medienwelten existieren nebeneinander her - ohne, dass man irgendetwas wahrnimmt. Wir haben selber in unserer Arbeit in der Bundeszentrale genügend Erfahrungen damit gesammelt. Und unterm Strich muss man einfach sagen, braucht es für die Kinder Ansprechpartner. Und diese Ansprechpartner müssen sich mit den neuen Medien beschäftigen. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht Kinder brauchen Medienkompetenzausbildung, sondern Eltern und Lehrer brauchen Medienkompetenzausbildung, damit sie überhaupt ihre klassischen Funktionen wie Orientierung geben, Wissen vermitteln einsetzen können. Und das Riesendilemma ist, dass du heute Lehrer werden kannst in Deutschland, ohne dich auch nur einmal verpflichtend mit den Medien und Medienkompetenz-Fragen zu beschäftigen. Das heißt also: in den Kurrikula der Ausbildung von Lehrern kommt nicht zwingend Leistungsnachweise in medienpädagogischen Fragen vor. Und das muss sich ändern", sagt der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
    In den vergangenen Jahren sei viel passiert: Deutschlandweit gibt es Medienkompetenzzentren, häufig in Jugendzentren, dazu sogenannte Bildungsserver, auf denen Materialien für den Unterricht liegen. Thomas Krüger:
    "Was auffällig ist, ist, dass diese Sachen immer ja quasi outgesourced werden. Das heißt, sie werden sozusagen organisiert als Angebote und ich kann als Lehrer im Zweifel trotzdem so tun, als wenn es die Sachen nicht gibt. Das heißt, meine Routinen, das von mir Erprobte und Erlernte einsetzen, ohne dass ich mich auch nur einmal mit diesem Thema beschäftige, weil das machen ja diese Medienkompetenzzentren. Und das ist sozusagen ein kapitaler Irrtum. Man muss die Personen, die vor den Schülern stehen im Unterricht, die müssen sozusagen durch diese Schule durch und sich mit diesen Medienbildungsfragen beschäftigen."
    Für Krüger ist der Nachholbedarf in den Schulen immens. Nach Meinung des Münchner Journalisten Christian Jakubetz müssen aber auch viele Fernsehen-, Hörfunk- und Zeitungsredaktionen an ihren Angeboten arbeiten, wenn sie im Informationsmix junger Leute eine Rolle spielen wollen. Nur so hätten die klassischen Medien die Chance, mit ihren Fakten die massive Wand aus Gerüchten und Falschmeldungen zu durchbrechen:
    "Erstens gibt es ganz bestimmt diese mediale Parallelwelt. Die ist einfach existent. Und es wäre unsinnig, das in irgendeiner Weise abzustreiten. Das Zweite ist: Ich glaube, dass es überhaupt nicht damit getan ist, wenn sich etablierte Redaktionen heute einfach einen schicken Facebook-Account – obwohl, Facebook ist ja auch schon wieder out – oder einen hübschen Snapchat-Account zulegen und dort irgendetwas publizieren, ohne diese Art der Kommunikation, die dort betrieben wird, wirklich zu begreifen."
    Jakubetz geht sogar so weit, dass er sich selbst in die eigene Kritik einschließt. Schließlich berät ausgerechnet er Medien darin, im Netz – wie er sagt - eine gute Figur abzugeben und neue Kanäle richtig zu bespielen.
    "Also wenn ich jetzt zynisch zu mir selber wäre, dann würde ich sagen: Es ist ja absurd, dass man sich einen 51-Jährigen irgendwie als Berater für Kanäle ins Haus holt, die gerne von 15-Jährigen frequentiert werden. Und ich würde jetzt auch nicht von mir behaupten wollen, dass ich alles verstehe, was bei Snapchat gerade passiert. Also ich glaube, dieses Gap, diese Lücke zwischen dem Publikum, das jetzt heranwächst, das mit Social Media sozialisiert worden ist, und den Redaktionen ist riesengroß."
    Gleichzeitig versuchen immer mehr Medienunternehmen, ihre sozialen Kanäle auszubauen. Die "Tagesschau" etwa hat ein Social-Media-Team aufgebaut, das Fernseh-Inhalte nicht einfach in soziale Netzwerke kopiert, sondern sie dem Duktus der modernen Plattformen anpasst – bisweilen bis an die Grenze der Seriosität. Die stundenlangen Sondersendungen im Ersten zum Münchner Amoklauf etwa wurden auf Facebook live gestreamt – mit hunderttausenden Abrufen.
    Und auch im Deutschlandfunk arbeitet die Nachrichtenredaktion rund um die Uhr bimedial. Die sozialen Medien sind auch hier schon lange beides – Quellen und Verbreitungskanäle, betont DLF-Nachrichtenchef Marco Bertolaso:
    "Dieser Weg wird auch weitergehen, der muss weitergehen . In einem Newslab dafür gegründet, da suchen wir neue Formen der Informationsverbreitung, jenseits dessen, was wir schon haben, also wie Facebook oder Twitter. Wir wollen rausfinden: Wie machen wir unsere Nachrichtenapp dlf24 besser? Wir wollen erfahren, ob wir zu WhatsApp müssen. Wir wollen aber auch herausbekommen, ob wir für unsere Nachrichten noch viel besser das Wissen von unseren Hörern und Nutzern einsetzen können, das die uns besser machen können interaktiv."
    Unkritische Konsum-Jugend? Ein Zerrbild
    Dennoch finden junge Nutzer offensichtlich auch selbstständig den Weg zu klassischen Medien, wenn sie - wie am vergangenen Freitag - verlässliche Informationen suchen. Jedenfalls zeigt auch das die kleine Umfrage in Berlin: Hier haben – zumindest einige – Jugendliche ihre ganz eigene Medienstrategie. Sie nehmen das, was ihnen in sozialen Netzwerken begegnet, nicht unbedingt ernst, sondern hinterfragen es.
    "Ich habe auf Twitter halt rumgeguckt, weil da waren ja ganz viele Informationen. Aber man muss halt abwarten. Man sollte nicht alles glauben, was halt so geschrieben wird. Ich habe dann Fernsehen eingeschaltet bei den Nachrichten und da nochmal geguckt, weil da war das dann auch Thema Nummer eins. Und da wurden ja auch noch mal ein paar Sachen bestätigt."
    "Ich hab' dann im Internet geguckt nochmal und hab' dann mir dann verschiedene Artikel angeguckt und hab' halt geguckt, was davon bei den meisten zutrifft und dann das halt als Information genommen."
    "Na, wenn ich Sachen höre, die mir irgendwie komisch vorkommen, dann schaue ich auch noch mal im Internet oder so, weil manche übertreiben dann halt auch und was gar nicht stimmt. Und dann schaue ich schon in anderer Sache noch mal oder schalte auf einen anderen Sender, was die dazu sagen dann."
    Am Beitrag Mitwirkende: Lotte Barthelmes