Eigentlich hat Guo-li Ming mit Viren nichts am Hut. Die Neurowissenschaftlerin von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore will die frühe Entwicklung des Gehirns verstehen.
"Wir arbeiten mit Stammzellen. Aus ihnen züchten wir Nervenstammzellen. Wenn wir diese Zellen dann in Suspension wachsen lassen, teilen sie sich und bilden von sich aus kleine, runde, in sich strukturierte Zellhaufen. Die sehen wie kleine Ballons. Im Innern dieser Ballons sitzen die Nervenstammzellen, die sich immer weiter teilen und Nervenzellen bilden. Außen herum sammeln sich die jungen Nervenzellen zu einer dünnen Haut. Das läuft ganz ähnlich ab, wie im jungen Gehirn eines Fötus."
Mithilfe dieser Zellballons untersucht Guo-li Ming, was passiert, wenn in der frühen Hirnentwicklung etwas nicht so klappt, wie es sollte. Die Berichte darüber, dass das Zika-Virus zu Mikrozephalie führen könnte, machten die Forscherin hellhörig. Ausschlaggebend war eine Studie aus Slowenien vor wenigen Wochen. Die Forscher dort konnten das Zika-Virus direkt im Gehirn eines Embryos nachweisen, der wegen schwerer Fehlbildungen abgetrieben worden war. Forscher in Brasilien fanden das Virus außerdem im Fruchtwasser Zika-infizierter Schwangerer.
"Wir dachten uns, jetzt müsste man genauer prüfen, ob und wie das Zika-Virus die frühe Hirnentwicklung tatsächlich beeinträchtigt. Dafür sind unsere Zellballons ideal."
Guo-li Ming tat sich mit Kollegen aus der Virologie zusammen, züchtete Zika-Viren und infizierte damit ihre Nervenzellhaufen.
"Wir rechneten damit, dass das Virus alle vorhandenen Zelltypen angreifen würde, also Stammzellen, Nervenstammzellen und reife Nervenzellen. Aber so war es nicht: Das Virus infiziert nur bestimmte Zellen besonders gut: die Nervenstammzellen."
Damit sind genau die Zellen betroffen, aus denen im Embryo alle Nervenzellen des präfrontalen Cortex, also des Vorderhirns, entstehen. Das ergibt Sinn, sagt Ganeshwarean Mochida, Kinderneurologe am Massachusetts General Hospital in Boston.
"Wenn die Nervenstammzellen durch das Zika-Virus geschädigt werden, können sie im Embryo nicht mehr dafür sorgen, dass sich genug Nervenzellen bilden. Das passt zum klinischen Bild von Mikrozephalie: Betroffene Babys kommen mit einem unterentwickelten Gehirn zur Welt, also tatsächlich mit viel zu wenigen Nervenzellen."
Guo-li Mings Studie liefert erste Hinweise, warum und wie das Zika-Virus die Hirnentwicklung Ungeborener schädigen könnte. Bis aber sicher geklärt ist, ob Zika-Virus und Mikrozephalie tatsächlich zusammenhängen, wird es noch dauern. Klar ist jetzt, dass die Zellballons als Werkzeug taugen, um diese Fragen zu untersuchen. Das sei ein wichtiger Schritt, sagt Rick Livesey von der Universität von Cambridge in Großbritannien. Er hat die Methode, aus Stammzellen Organoide im Labor nachzubilden, mit entwickelt.
"Die Kollegen haben wichtige Grundlagen gelegt und dafür gesorgt, dass dieses Wissen schnell öffentlich wird, sodass andere damit weiterarbeiten können."