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Medizin und Ethik
Affen mit Alzheimer

Seit Jahrzehnten tritt die Forschung, was Krankheiten wie Schizophrenie oder Alzheimer angeht, auf der Stelle. Neurologen sagen: Versuche mit Affen könnten helfen. Trotz mancher ethischer Bedenken preschen insbesondere Labors in China vor. Ein Besuch bei den Affenkäfigen des Shenzhen Institute of Advanced Technologies im Süden Chinas.

Von Katrin Zöfel |
Ein Makake hinter einem Zaun
Tierversuche sind umstritten. (dpa / picture alliance / Pelaez Julio)
"I like monkeys. I think they are very cute. I am Ying Zou."
Ying Zou ist 28 Jahre alt, Tierärztin. Sie mag Affen, sagt sie.
"I am a veterinary for the monkey."
Seit zwei Jahren arbeitet sie hier am Shenzhen Institute of Advanced Technologies, kurz SIAT, in Shenzhen, einer boomenden, aufstrebenden Stadt im Süden Chinas.
"I think Shenzhen is a city, that are very friendly for young people."
Für junge Leute sei es gut hier, besser als auf dem Land. Die Stadt, fügt sie noch hinzu, habe ihre Existenz Deng Xiaoping zu verdanken, dem großen Staatsmann.
"Shenzhen I don’t know, if you know Deng Xiaoping, have you heard [of him] before? - Yes, this city, because of him."
Dann geht sie voraus in den Gebäudekomplex, in dem das Forschungsinstitut Affen hält, um an ihnen zu forschen.
"We are going to see the monkeys. Yes."
In einem edlen Hotelsessel, erschöpft und gleichzeitig hellwach, sitzt Bob Desimone. Es ist der letzte Abend einer Tagung, für die er Koryphäen aus der ganzen Welt nach Shenzhen geholt haben. Das Thema: Primaten in der Hirnforschung. Die Debatten waren intensiv, teils hitzig. Neuartige Techniken wühlen das Feld auf. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Unter den Forschern, genauso wie in der boomenden Stadt.
"Shenzhen hat einen Ruf als Innovationszentrum, eine Stadt, in der man weiß, wie man Dinge schnell anpackt."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Shenzen ist eine boomende Millionenmetropole in vielen Bereichen - auch in der Forschung. (Deutschlandradio / Steffen Wurzel)
Eine Stadt der Tat. In einem Land, in dem es noch keine öffentliche Debatte über Tierversuche gibt wie in Europa, schon gar keine Tierschützer, die Menschenrechte für Menschenaffen fordern wie in den USA. Ein Land, in dem es leicht ist, Versuche mit Affen zu machen. Bob Desimone ist Direktor des McGovern Institute for Brain Research am MIT in Boston. Vor drei Jahren war er zum ersten Mal in Shenzhen.
"I had colleagues here that I knew in Shenzhen who were doing neural science research. When I was visiting, we talked about all the resources in the area."
In der ganzen Region Guangdong ballen sich modernste Institute, vor allem aus der Biomedizin, der Genetik und der Stammzellforschung. Nicht zuletzt eine riesige Affenfarm nahe der Provinzhauptstadt Guangzhou mit rund 20.000 Makaken, gezüchtet allein für Forschungszwecke.
"So etwas könnten wir in den USA nur schwer genauso aufbauen. Wenn man aber wie wir genetisch veränderte Affen entwickeln will, ist das viel, viel leichter, wenn man auf so große Kolonien und all das Know-How zurückgreifen kann. Wir dachten uns: Vielleicht ist das hier der beste Ort, um zu erreichen, was wir wollen."
Genetisch veränderte Affen, das ist neu. Mäuse ja, Ratten auch, aber Affen, das war lange gar nicht möglich, und wenn, dann mühsam und unerschwinglich teuer. Genau das ändert sich gerade: die Technik wird besser. Neue gentechnische Werkzeuge, vor allem CRISPR Cas, Stammzellverfahren, Fortpflanzungsmedizin - überall Fortschritt. Die Konsequenz: Die Hirnforscher können von der Maus, bisher ihr Labortier Nummer eins, umsteigen auf Primaten.
"Von Mäusen können wir viel darüber lernen, wie das Gehirn grundsätzlich funktioniert, wie Nervenzellen kommunizieren und so weiter. Aber was einer Maus, die zum Beispiel ein Alzheimer-Gen trägt, gegen ihre Symptome hilft, nutzt Menschen in aller Regel schlicht und einfach: nichts."
Primaten, so argumentieren die Forscher, könnten das Feld regelrecht befreien: Wie nehmen wir die Welt wahr? Wie schafft das Hirn fokussierte Aufmerksamkeit und Konzentration? - Oder auch: Was genau führt zum Verfall bei Alzheimer oder Parkinson, oder zur Fehlentwicklung bei Autismus und Schizophrenie?
Desimones Besuch vor drei Jahren war der Startschuss: Er verstand sich gut mit den Chinesen: Sie hatten Affen und Know-How. Er viele ungelöste Forschungsfragen. Knapp ein Jahr später war die Kooperation besiegelt, die Neugründung des "Brain Cognition and Brain Disease Institute" als bilaterale Kooperation beschlossene Sache. Fördergelder der chinesischen Regierung flossen, Shenzhens Bürgermeister Qin Xu entschied höchstpersönlich, welches Gebäude das neue Institut beziehen sollte.
Und immer noch wird gebaut und erweitert, in der ganzen Stadt genauso wie auf dem Campus.
"We are now in the Brain Cognition and Brain Disease Institute."
Die junge Tierärztin Ying Zou. Alles hier im Affenhaus ist neu und schick. Ein Image-Video führt im Eingangsbereich vor, wie sauber, ordentlich und modern die Anlagen sind, untermalt von eingängiger, optimistisch stimmender Musik. Im Treppenhaus hängen Fotos, die hohen Besuch zeigen: Auch Eric Kandel, der berühmte Hirnforscher und Nobelpreisträger war hier.
Ying Zou öffnet code-gesicherte Türen, zieht sich Laborkittel, Mundschutz, Schürze, Handschuhe und Spuckschutz über. Durch eine verglaste Öffnung sind große Metallkäfige zu erkennen.
"Hier sind unsere Weißbüschelaffen, es sind neun. Fünf Männchen und vier Weibchen. Eins der Weibchen ist trächtig."
Besucher darf sie nicht mitnehmen hinter diese Tür. Die Tiere seien zu empfindlich. Aber sie selbst geht hinein und beschreibt, was sie sieht.
"Sie sind sehr hübsch. An den Ohren haben sie weiße, fedrige Fellbüschel. Die Tiere sind etwas größer als eine Männerhand. Sie sind sehr aktiv, springen und hüpfen umeinander herum. Und: Sie sind neugierig. Ich hab geschaut, wie’s ihnen geht. Das schwangere Weibchen ist ein bisschen schwach. Den andern geht’s gut. Ich glaube, jetzt sind sie enttäuscht. Sonst, wenn wir zu ihnen kommen, bekommen sie immer Futter."
Weißbüschelaffen, auch Marmosetten oder Krallenaffen
Herkunft: Südamerika
Merkmale: 18 bis 20 Zentimeter groß, gestreifter Schwanz, weiße Büschel am Ohr, sexuelle Reife mit 15 Monaten, Tragzeit 150 Tage, meist Zwillinge oder Drillinge
Lebensweise: Elternpaar mit Jungen, sehr sozial, halten Augenkontakt
Gehirn: ohne Furchen, einfach zu untersuchen, primitiver als bei Makaken
Forschung: Das Brain/MINDS-Projekt in Japan erstellt eine vollständige, strukturelle und funktionelle Karte ihres Gehirns.
"Wir haben auch vier Räume, in denen wir Makaken halten; wenn es geht, einfach direkt in den Räumen, ohne Käfig. Insgesamt bisher sechs Makaken. Die jüngsten sind 2 Jahre alt, der älteste neun Jahre alt."
Einige der Makaken tragen am Kopf einen Metallknopf. Die nötigen Operationen führen die Tierärzte selbst durch.
"Bei ihm hier haben wir den Knopf gerade erst vor drei Monaten eingesetzt. Wir brauchen diese Vorrichtung, um während der Experimente - zum Beispiel zur visuellen Wahrnehmung – seinen Kopf zu fixieren."
Javaneraffen, auch Langschwanz-Makaken
Herkunft: Südostasien
Merkmale: 40 bis 60 Zentimeter groß, graubraunes Fell, Gesicht dunkel, sexuelle Reife mit 4 bis 6 Jahren, Tragzeit 180 Tage, ein Junges pro Schwangerschaft
Lebensweise: große Gruppen aus Männchen und Weibchen, komplexe Hierarchien
Gehirn: gefurcht, dem menschlichen ähnlicher als das von Weißbüschelaffen
Forschung: in China häufigste Art für Primatenversuche, nah verwandt mit Rhesusaffen, die in den USA und Europa gehalten werden.
"They are normal. All the monkeys here are normal."
Die Tiere sind bisher nicht genetisch verändert, sagt Ying Zou. Es geht erst einmal darum, das Affenhaus aufzubauen, Personal auszubilden und Erfahrung zu sammeln. Auch am Freigehege wird noch gebaut.
"Unsere genetisch veränderten Affen sind noch auf der großen Affenfarm bei Guangzhou. Die holen wir dann bald hierher."
Es steht alles auf Anfang in der Affenforschung in Shenzhen. Die Ziele sind ambitioniert.
"In den letzten fünf oder zehn Jahren haben wir durch genetische Studien viel darüber gelernt, welche Gene für Autismus, Schizophrenie oder Alzheimer eine Rolle spielen. Aber wir haben meist keine Ahnung, was diese Risikogene eigentlich in Gang setzen. Wenn wir ausprobieren könnten, wie sich das Gehirn und das Verhalten eines Affen verändern, wenn wir diese Gene bei ihm manipulieren, wäre das großartig."
Guoping Feng ist wie Bob Desimone Professor am Mc Govern Institute for Brain Research am MIT in Boston. Geboren und aufgewachsen ist er aber in China, seine Wurzeln sind hier.
"Immer mehr Forscher interessieren sich für die Arbeit mit transgenen Affen, weil wir mit Mäusen einfach nicht weiterkommen. Es geht uns erstens darum, wie das Gehirn funktioniert, wenn es gesund ist, und zweitens, was schiefläuft, wenn es krank wird. Hier in China wird diese Forschung massiv unterstützt: Von örtlichen Behörden, der Regierung, von wissenschaftlichen Institutionen und von den Geldgebern. Das Gehirn ist das nächste große Rätsel, das wir Menschen lösen müssen. Und China will dabei einen zentralen Part übernehmen. Europa, die USA, Japan, alle haben schon ein großes Hirnforschungsprojekt. China wird ein eigenes auflegen. Die Forschung mit Affen wird ein wichtiger Teil davon sein."
Fengs eigenes Forschungsgebiet sind Synapsen.
"Das sind die Stellen, an denen eine Nervenzelle mit der nächsten kommuniziert. Wir wissen, dass manche Gene, die bei Schizophrenie oder Autismus verändert sind, steuern, wie Synapsen sich entwickeln und funktionieren."
Ein Gen namens Shank3 taucht dabei immer wieder auf. Dabei gibt es die verschiedensten Mutationen: solche, die das Gen ganz zerstören, solche, die seine Wirkung extrem verstärken, und solche, die es nur leicht verändern. Jede scheint zu einem anderen Krankheitsbild zu führen. - Shank3 ist wichtig, soviel ist klar.
"So viel Klarheit ist ein echter Lichtblick für jemanden wie mich, der psychiatrische Krankheiten erforscht. Da können und müssen wir ansetzen. Wir können diese Mutationen jetzt in Affen einschleusen und dann schauen, was passiert. Die Synapsen müssten sich verändern. Die Signale, die im Gehirn über weitere Strecken hin und hergeschickt werden, werden andere sein, ganze Schaltkreise vermutlich gestört. Diese biologischen Details können wir dann abgleichen mit dem Verhalten der Tiere. Einige Makaken mit so einer Shank3 Mutation haben wir schon gemacht. Aber wir stehen noch ganz am Anfang. Wir müssen schauen, wie die Tiere sich entwickeln."
Vorerst leben sie auf der Affenfarm nahe Guangzhou.
"Sie werden nicht isoliert gehalten. Das wollen wir so! Sie werden von ihrer Mutter aufgezogen, leben von Geburt an in der Gruppe und spielen mit anderen jungen Affen. Wir machen gar nicht viel mit ihnen, wir beobachten sie, und zeichnen ihr Verhalten auf Video auf."
Wenn man Guoping Feng zuhört, klingt es, als spräche er von ganz normalen Zootieren. Doch klar ist: Wenn sich herausstellt, dass diese jungen Primaten tatsächlich Symptome zeigen, die denen von Autismus beim Menschen ähneln, wenn sie sich von Artgenossen zurückziehen, wie aufgezogen im Kreis herumlaufen, den eigenen Kopf gegen das Käfiggitter schlagen und überängstlich oder aggressiv reagieren, dann werden sie zur Untersuchung ins Affenhaus nach Shenzhen geholt werden. Dann werden sie Gedächtnistests absolvieren, ihr Hirn wird mit verschiedenen Scanmethoden durchleuchtet, ihre Blutwerte kontrolliert werden, und am Ende wird man auch Proben aus ihrem Gehirn nehmen, unters Mikroskop legen, einzelne Zellen in vitro kultivieren, und dabei vor allem die Synapsen ins Visier nehmen.
Einige Makaken werden dabei sterben.
"So können wir klären, was diese eingeschleuste Mutation bewirkt und wie sie zu den Krankheitsbildern führt, die wir vom Menschen kennen."
Der Einladung zur Konferenz von Guoping Feng, Bob Desimone und ihren chinesischen Kollegen sind Forscher aus der ganzen Welt gefolgt. Im Publikum sitzen Forscher aus China, Japan, den USA, nur wenige aus Europa.
Zum Auftakt loben Vertreter der chinesischen Akademien der Wissenschaften und vom Forschungsministerium die Höchstleistungen ihrer Landsleute. Mit Statistiken belegen sie, wie Jahr für Jahr die Zahl der Studien in renommierten Journals steigt.
Einen der Eröffnungsvorträge hält Weizhi Ji. Er gehört zu den wichtigsten Experten des Landes für Versuche mit Primaten. Ji startet ein Video. Der Käfig ist klein, der junge Makakenaffe darin versteckt sich ängstlich vor seinen Artgenossen. Er trägt eine Genveränderung, die für Autismus typisch ist. Verhalten und Entwicklung ähneln den menschlichen Symptomen, sagt Ji. Am Ende des Vortrags steht ein Forscher auf, er kommt aus den Staaten: "Mr. Ji, wenn wir soziales Verhalten untersuchen, dann sollten die Haltungsbedingungen doch so sein, dass sie den Tieren keine Angst machen, oder?" Ji weist den Einwand zurück: Dieser Käfig diene nur kurzzeitigen Tests. Sonst habe der genmanipulierte Makake durchaus ausreichend Platz.
"Ich leite das Yunnan Key Laboratory of Primate Biomedical Research an der Universität in Kunming. Ich arbeite seit 35 Jahren mit Affen."
Jis Institut in Kunming gehört zu den ältesten Primatenzentren des Landes. Dort wartet man nicht auf Kooperationen, sondern hat längst mit der Arbeit begonnen.
"Wir haben auch transgene Parkinson-Affen. Dafür haben wir in den Makaken drei Gene ausgeschaltet. Sie sind erst ein, zwei Jahre alt und damit für Symptome noch zu jung"
Was Weizhi Ji da ganz lapidar berichtet, ist in Forscheraugen eine Sensation. Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, mehrere Gene in Affen gleichzeitig zu manipulieren. Dabei sind bei Parkinson zum Beispiel mindestens zehn Gene involviert.
"So far technology cannot at one times to mark out or mark in the more 10 genes at one times, so we have to improve our techniques."
Zehn auf einmal, das gelingt selbst mit den neuesten Techniken noch nicht. Drei Gene, findet Ji, seien aber immerhin ein Anfang. Er weiß nur noch nicht, ob er die richtigen herausgegriffen hat.
"Ich muss noch zwei, drei Jahre abwarten, bis die Tiere Symptome entwickeln. Parkinson tritt eben erst im Alter auf. Bis dahin überwachen wir die Blutwerte und untersuchen, wie das Gehirn sich entwickelt und verändert. Mit etwas Glück finden wir Marker, die die Krankheit schon früh anzeigen könnten."
Kein Parkinson-Medikament, kein Draht im Kopf kann bisher mehr, als Symptome lindern und in manchen Fällen zumindest das Fortschreiten der Krankheit stoppen.
Der Tenor unter Forschern: Wir kommen mit der Behandlung zu spät, dann, wenn schon zu viele Nervenzellen und Strukturen zerstört sind. Weizhi Ji ist sich sicher: seine Versuche werden helfen, das Problem zu lösen.
Primaten, nur für Forschungszwecke gezüchtet, allein in China: 300.000 Tiere.
Labore, die transgene Primaten züchten oder nutzen wollen: Dutzende weltweit
Bereits entwickelt: Makaken und Weißbüschelaffen mit Genveränderungen für Autismus, Parkinson und Huntington
Angedacht: Schizophrenie, Alzheimer, bipolare Störungen.
Außerdem: transgene Tiere für Grundlagenforschung mit Optogenetik
Versuchszahlen mit Primaten: In China steigend. In Europa und den USA rückläufig.
Auch in Europa hadern Forscher mit der schlechten Erfolgsbilanz bei Hirnkrankheiten. Allein die Suche nach einem Mittel gegen den offensichtlichsten Defekt bei Alzheimer, die Amyloid-Plaques, hat eine Milliarde US-Dollar verschlungen, ohne Erfolg. Mammut-Projekte wie das Human Genom Projekt oder das Jahrzehnt des Gehirns – ohne nennenswerte Impulse für die Psychiatrie. Was sich neuerdings bei den genmanipulierten Affen tut, beobachten die Experten nun mit einer Mischung aus vorsichtiger Euphorie und Skepsis. Wird der neue Ansatz endlich den lange ersehnten Durchbruch bringen?
"Transgene Affen sind ja potentiell eine ganz wichtige Technik in den biomedizinischen Wissenschaften, und insofern haben wir mit Pilotstudien angefangen, um auch diese Technik am DPZ einzusetzen."
Am DPZ, dem deutschen Primatenzentrum in Göttingen, leitet Stefan Treue die kognitiven Neurowissenschaften. Wer in Deutschland mit Affen experimentieren will, muss hohe Hürden nehmen. Trotzdem will Treue die neue Technik ins Land holen. Die Göttinger liegen im Vergleich zu China weit zurück. Denn zunächst müssen sie den Genehmigungsbehörden beweisen, dass sie die Methode beherrschen. Das kostet Jahre. Erst dann können sie anfangen, sich um Alzheimer oder Parkinson zu kümmern. Schneller ginge es in Kooperationen mit den Chinesen. Doch als kleines europäisches Institut wäre das viel schwieriger als für die Amerikaner vom MIT. Außerdem:
"Also wir haben sicherlich nicht alle Informationen, die wir gerne hätten, weil das System natürlich viel weniger transparent ist, als dass es bei uns ist, bei uns sind im Prinzip an jedem Standort die gleichen Standards. Das wissen wir so für China nicht.
Vor wenigen Monaten erschien eine Studie der Shanghai Institutes for Biological Sciences über Affenversuche zu Autismus. Auch der amerikanische Fernsehsender CNN berichtete und stellte in Frage, ob die Affen in Shanghai tiergerecht gehalten werden. Das Forschungsinstitut reagierte mit Abschottung. Keiner der Forscher aus Shanghai spricht mehr mit Journalisten. Es ist nicht leicht, zu beurteilen, welche Regeln in China eigentlich gelten.
"Was ich beobachte ist, dass die Chinesen sich in den letzten Jahren sehr bemüht haben ihre Tierschutzstandards anzuheben. Das hat sicherlich nicht jeden Standort erreicht, das hat nicht jeden Mitarbeiter erreicht, das hat nicht jede Methode, die in China eingesetzt wird, erreicht. Aber die Chinesen haben erkannt, dass sie in internationalen Kooperationen dauerhaft nur Ansprechpartner bleiben können, wenn sie sich beim Tierschutz deutlich verbessern."
Tierschützer demonstrieren am 20.12.2014 in Tübingen gegen den Einsatz von Affen in der Forschung am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik.
In Deutschland ist der Widerstand gegen Tierversuche deutlich größer. (picture alliance / dpa - Michael Latz)
Die großen Zentren, an denen Hirnforschung auch mit Affen betrieben wird, sind in Deutschland Göttingen, Bremen, Frankfurt, Tübingen. Gerade Tübingen hat schwere Zeiten hinter sich, mit heftigen Auseinandersetzungen zwischen Forschern und Tierversuchsgegnern. Auf Nachfrage erfährt man, dass man sich auch hier viel von den genetisch veränderten Primaten verspricht, aber angesichts enormer bürokratischer Hürden kaum Spielräume sieht.
Peter Thier, Leiter der kognitiven Neurologie am Hertie-Institut in Tübingen versucht gerade Kooperationen mit Japan, eventuell auch mit China anzubahnen. Besonders optimistisch ist er aber nicht. In einer E-Mail schreibt er (vollständige Version):
"Ich muss realistischerweise befürchten, dass wir mit Blick auf entscheidende Entwicklungen abgehängt werden dürften."
Doch wird, wer sich nicht an Versuchen mit transgenen Affen beteiligt, wirklich abgehängt? Am Ernst-Strüngmann-Institut in Frankfurt arbeitet einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher: Wolf Singer. Er hat in seiner Karriere schon viele Hoffnungen von Wissenschaftlern wie Blasen zerplatzen sehen. Er weiß auch, dass es ein immenser Unterschied ist, ob für einen Flop Millionen von Zellen in Petrischalen verbraucht werden oder eben Affen. Jetzt werden wieder angesichts neuer Techniken große Versprechen gemacht. Der Erfolg ist auch diesmal nicht garantiert. Das macht die ethische Abwägung so kompliziert.
"Wenn wir Schaden/Nutzen Abwägungen machen müssen, müssten wir eigentlich in der Lage sein, anzugeben welchen Nutzen präzise das, was ich morgen zu entdecken hoffe, bringen wird. Kann ich aber nicht. Muss ich aber. Weil die Gesellschaft das von mir verlangt."
Zwei Tage lang haben sich die Forscher in Shenzhen die Köpfe heiß geredet. Feng und Desimone wollen bis zum Herbst mit den Ergebnissen eine Art Weißbuch schreiben. Nicht alles, was möglich ist, soll auch gemacht werden. Wenig Tierverschleiß, bei möglichst hohem Erkenntnisgewinn, das soll die Richtschnur sein.
"Jetzt einfach blind drauf los Dutzende von transgenen Affenlinien zu züchten, einfach nur weil wir’s können, und alle Gene, die irgendwie interessant sein könnten auszuprobieren, wäre unethisch, eine Verschwendung. Da müssen wir vorsichtig sein."
John Morrison leitet das California National Primate Research Centre in Davis, Kalifornien. Auch er war bei der Konferenz dabei. Das Herzstück seiner Arbeit ist eine große Makakenkolonie, in der viele alternde Tiere leben.
"Vieles geschieht in unseren Kolonien einfach so. Dafür brauchen wir nicht extra transgene Tiere. Wir müssen nur genau hinschauen. Wir wissen, dass ganz früh bei der Entstehung von Alzheimer, bestimmte Synpasen, also Nervenverbindungen verloren gehen, und zwar die, die wichtig fürs Lernen sind. Was wir nicht wissen, und da könnten uns transgene Affen weiterhelfen: wann und warum setzt sich dieser Verfall fort – über den Verlust von ein paar Synapsen hinaus?"
Bei Patienten mit der Diagnose Alzheimer ist der Verfall schon sehr weit fortgeschritten, die Frage, warum und wie die Krankheit begonnen hat, ist dann kaum noch zu klären; Ganz ähnlich bei Parkinson oder auch bei Schizophrenie. Sicher ist: es gibt Gene, die statistisch gesehen, bei Alzheimer-Patienten gehäuft auftreten. Diese in Affen zu übertragen, und so nachzuvollziehen, was ein Gehirn für den Verfall anfällig macht, das ist der Vorschlag von John Morrison.
Solche Affen mit Alzheimer gibt es noch nicht. Noch wird heftig gestritten, wie man aus der unübersichtlichen Zahl von Genen, die eine Rolle spielen könnten, die richtigen herausfischen soll.
Ying Zou schließt die Tür des Affenhauses hinter sich. Gerade hat sie einem Makaken eine Wasserflasche weggenommen, das Tier hat sie völlig zerbissen.
"Ich mag sie ja, aber manchmal sind sie wie Kinder, sie machen lauter Mist." Für sie, die junge Tierärztin, ist es ein Traumjob in einer Traumstadt. "Shenzhen ist einfach schön, schon allein weil das Klima so gut ist. Es ist immer warm, nie heiß und nie wirklich kalt.
Eine Stadt, die boomt und wächst und risikofreudige Forscher anzieht. Bis sich zeigt, ob sich ihre hochfliegenden Hoffnungen erfüllen, wird es dauern. Bob Desimone weiß, dass alle auf seinen Erfolg warten.
I think everyone's, you know, waiting to see if we have some success.