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Mehr Fett, weniger Kohlenhydrate?
Fachleute kritisieren Ernährungsstudie

Esst mehr Fett und weniger Kohlenhydrate - so lautete das Fazit der sogenannten PURE-Studie. Kritiker, darunter auch deutsche Ernährungswissenschaftler, bemühen sich, die ihrer Ansicht nach zu pauschalen Aussagen der Studie zurechtzurücken - bisher allerdings vergeblich.

Von Volker Mrasek |
    Heisser Leberkäse
    Fleischkäse ist reich an gesättigten Fetten. Die Autoren der Studie empfehlen, mehr davon zu essen (imago/CHROMORANGE)
    37 Autoren. Über 130.000 Studienteilnehmer aus 18 verschiedenen Ländern. Ein Beobachtungszeitraum von gut zehn Jahren. Und schließlich: die Veröffentlichung im "Lancet", einem angesehenen Medizin-Fachjournal. Und dennoch: Deutsche Ernährungswissenschaftler üben herbe Kritik an der sogenannten PURE-Studie und dem riesigen Medienecho, das sie auslöste.
    So auch Jan Frank, Professor für Biofunktionalität der Lebensmittel an der Universität Hohenheim:
    "Das kann doch nicht sein, dass da wieder eine Studie herausgepickt wird und dann die Ernährungsempfehlungen der ganzen Welt in Frage gestellt werden."
    PURE. Das englische Kürzel steht für "Propective Urban Rural Epidemiology".
    Nur zwei westliche Industriestaaten wurden berücksichtigt
    Die Autoren der Studie raten allgemein dazu, sich fettreicher zu ernähren. Ja, sie sagen sogar, es sei sinnvoll, mehr gesättigte Fette zu sich zu nehmen, von denen es immer heißt, sie seien gerade nicht gesund. Den Anteil von Kohlenhydraten im Essen sollten wir dagegen lieber runterschrauben. Die Begründung: Beides mindere das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und könne sich lebensverlängernd auswirken. Und so fordern die Forscher in der Tat:
    "Im Licht dieser Erkenntnisse sollten globale Ernährungsempfehlungen überprüft werden."
    Das sieht Stefan Lorkowski völlig anders. Der Biochemiker lehrt an der Universität Jena und ist Vizepräsident der DGE, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:
    "Die Aussage 'Mehr Fett, weniger Kohlenhydrate' trifft für unsere Region in Deutschland und auch andere westliche Industrienationen überhaupt nicht zu. Wir sind in einer ganz anderen Ernährungssituation als die Bevölkerungsgruppen, die von einer höheren Fettzufuhr profitiert haben."
    Mit Schweden und Kanada seien nur zwei westliche Industriestaaten in der Studie berücksichtigt worden, kritisiert Jan Frank. Und die habe man dann auch noch in einen Topf mit zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern geworfen. Dort enthalte das Essen tatsächlich oft zu viel Kohlenhydrate:
    "Kohlenhydratreich heißt dort: Sehr einseitig, viel Reis, vielleicht viel Wurzel, die kohlenhydratreich sind. Und wenn ich bei so einer Ernährung dann mehr Fette und auch gesättigte Fette zu mir nehme, dann bedeutet das: Ich habe plötzlich eine Diversifizierung der Nahrung."
    Viele kritische Stimmen
    Das Essen wird also vielseitiger; die Fette liefern Nährstoffe, an denen es vorher mangelte:
    "Das heißt, ich habe eine ganz andere Ausgangslage, als wenn ich das Gleiche in einer Industrienation mache, wo dann die mehr gesättigten Fette eher ein Indikator für eine schlechte Ernährungsform sind."
    Doch beim Verbraucher kam die PURE-Studie ganz anders an. Denn in fast allen Medien hieß es: Gesättigte Fette sind gar so nicht schädlich - sie nutzen sogar! Und die sogenannte Low-Carb-Bewegung hat also doch recht, wenn sie behauptet, Kohlenhydrate seien eher schlecht - wir sollten weniger davon essen.
    "Das ist aber auch bei allen Studien dieser Art so: Man kommt mit der eigentlichen Studie groß raus, wird durch die Medien getragen. Die kritischen Stimmen dazu, die werden nicht so laut publiziert."
    Und solche Stimmen gibt es viele. Gut zwei Dutzend Forscher schrieben kritische Stellungnahmen an den Herausgeber des Lancet. Auch Stefan Lorkowski, zusammen mit einigen deutschen Fachkollegen. Darin bemängeln die Ernährungsexperten die ihrer Meinung nach zu pauschalen Aussagen der Studie. Es dauerte ein halbes Jahr, bis das Fachjournal die Briefe kürzlich abdruckte - wobei die Autoren gar nicht auf alle Einwände antworteten. Auch nicht auf den von Stefan Lorkowski.
    Wichtig ist die Art der aufgenommenen Kohlenhydrate
    Nach aktuellen Verzehrsstudien ernährt sich der deutsche Durchschnittsverbraucher zur Hälfte von Kohlenhydraten und zu einem Drittel von Fett. Dagegen dürften selbst die Autoren der PURE-Studie eigentlich nichts einzuwenden haben, so der Biochemiker:
    "Sie empfehlen selber eine Ernährung, die etwa 35 Prozent Fett enthält und etwa 50 Prozent Kohlenhydrate."
    Nur ist das in der Berichterstattung ziemlich untergegangen. In Deutschland gebe es kein Problem mit der Menge, sondern eher mit der Art der aufgenommenen Kohlenhydrate, sagt Lorkowski. Es werde noch immer zu viel Weißbrot gegessen. Empfehlenswerter seien Vollkornprodukte. Denn darin steckten weitaus mehr gesunde Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe.