Denkt an mich zurück, sagte er. Tausende Kilometer ging ich
ohne Brot, ohne Wasser, über Steine und Dornen,
um euch Brot und Wasser und Rosen zu bringen. Die Schönheit
- niemals verriet ich sie. Alles, was ich besaß, verteilte ich gerecht.
Für mich selber behielt ich nichts. Bettelarm. Mit einer Lilie vom Feld
erhellte ich unsere schlimmsten Nächte. Denkt an mich zurück.
Und seht mir diese letzte Traurigkeit nach.
Das ist der Anfang von Jannis Ritsos' Gedicht "Als Epilog". Ein passender Titel, denn es ist sein letztes Gedicht - geschrieben 1987, drei Jahre vor seinem Tod. Da ist Ritsos bereits schwer krank. Wie in vielen Texten spricht er von sich mal in der ersten, mal der zweiten oder dritten Person.
Das Gedicht zeigt einen selbstbewussten Autor, der um den Wert seines Werkes weiß - das vor allem im Zeichen der Schönheit steht. Und doch ist er alles andre als ein Schöngeist oder Ästhetizist. Seine Gedichte sind oft karg wie die griechische Landschaft; er verabscheut große Worte, nutzt die Sprache des Volkes - und schreibt über das, was andre übersehn: das Alltägliche, Kleine, scheinbar Unbedeutende.
Und: Ritsos ist, bei aller Suche nach Schönheit, Kommunist. Sein Werk tritt immer auch für den Mensch und dessen Freiheit ein, für Randfiguren und Unterdrückte. Über 30 Jahre galten seine Texte griechischen Regierungen als "gefährlich", konnte er nicht frei publizieren. Vor diesem Hintergrund versteht man die zweite Hälfte seines "Epilogs" - in dem es um einen "tiefroten Flicken" am Ärmel eines Mannes geht:
Ich würde gern
noch einmal mit dem dünnen Mondsichelchen
eine reife Ähre schneiden. Auf der Türschwelle stehen, schauen
und ein Getreidekorn ums andere mit den vorderen Zähnen zerkauen
in Bewunderung und Lobpreis für diese Welt, die ich verlasse,
in Bewunderung auch für Ihn, der den Hügel hinaufsteigt im
Sonnenuntergang ganz von Gold. Seht:
Am linken Ärmel hat er einen tiefroten viereckigen Flicken. Der
ist nicht sehr deutlich zu erkennen. Und das vor allem wollte ich
euch zeigen.
Vielleicht deshalb vor allem lohnte es sich, dass ihr an mich
zurückdenkt.
Jannis Ritsos wird am 1. Mai 1909 in Monovassiá geboren - als Sohn einer wohlhabenden, doch bald verarmten Familie. Der Vater verspielt das Vermögen, die Mutter stirbt an Tuberkulose, Ritsos' Schwester wird wahnsinnig - Tod und Krankheit prägen seine Jugend und sein Werk. Er beginnt früh zu schreiben, lebt von Gelegenheitsarbeiten.
Am 9. Mai 1936 wird ein Aufstand griechischer Arbeiter blutig niedergeschlagen - wie im Rausch schreibt Ritsos den Gedicht-Zyklus "Epitaphios", die Totenklage einer Mutter über ihren getöteten Sohn. Der Autor wird quasi über Nacht bekannt.
Doch in diesen Jahren kommt Griechenland nicht zur Ruhe. Im Krieg marschieren die Nazis ein, danach herrscht Bürgerkrieg, gefolgt von einer Diktatur. 1948 wird Ritsos als Kommunist verhaftet und interniert, später steht er unter Hausarrest. Erst 1974, als eine Demokratie errichtet wird, ist er wieder ganz frei. Er kehrt in seine Heimatstadt Monovassiá zurück und schreibt den gleichnamigen Gedichtzyklus, der jetzt auf deutsch erschien.
Der Ursprung
Hier sind unsere Wurzeln. Von diesem Balkon betrachtetest
du zum ersten Mal das Meer
zwischen zwei Sonnen am Morgen - die eine rosig, die andere schwarz -
du hattest ein Spiegelchen in der Tasche, einen Kamm, ein Taschentuch,
im Rücken die Schroffheit des Felsbergs, die den brennenden
Maßstab von Größe entfaltete;
es roch der Thymian und der Rost an den Riegeln der Quarantänestation.
Monovassiá, das auf einem hohen Felsen liegt, bedeutet wörtlich "einziger Zugang". Im byzantinischen Reich war der Ort eine wichtige Festung, Jahrhunderte lang versuchten feindliche Truppen, sie einzunehmen. So wurde der Ort zu einem griechischen Symbol für Standhaftigkeit, Überstehen - ein Mythos. Dort aufzuwachsen, in Ákra Minóa, wie der antike Name der Stadt heißt, prägte Ritsos tief.
Datum meiner Geburt: möglicherweise 903 vor Christus -
gleichermaßen möglich
903 nach Christus. Ich studierte Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft an der zeitgenössischen Hochschule des Befreiungskampfes.
Mein Beruf: Worte, Worte - mir blieb nichts anderes übrig.
Auf dem Standesamt gaben sie mir in den letzten Jahren
das unwahrscheinlichste Datum meiner Geburt: 1909.
Ich habe mich damit eingerichtet und lasse es so. Schließlich,
im Jahr 3909, setzte ich mich auf meinen Hocker, wollte eine Zigarette rauchen. Nun waren plötzlich die Schmeichler da, verneigten sich tief,
steckten an meine Finger glänzende Ringe.
Die Ahnungslosen wußten nicht, dass ich selbst sie gefertigt hatte aus ihren leeren Patronenhülsen, die noch im Bergland lagen.
Jedenfalls das einzig gewisse: Ort meiner Geburt: Ákra Minóa.
Jannis Ritsos ist einer der großen Neuerer der griechischen Lyrik. In der Nachfolge von Kavafis verabschiedete er den "hohen Ton" aus der Dichtung, verband Tradition und Moderne, Volkslied und Mythos. Und: Ritsos ist ein "Dichter der Dinge", die er respektvoll beschreibt, deren Freundschaft er preist. Sie lehren, anwesend zu sein, sind Zeugen auch unseres Lebens. Im folgenden Gedicht geht es um nichts weiter als einen Morgenrock. Jannis Ritsos liest es selbst - es ist eine der wenigen Aufnahmen seiner Stimme in deutschen Radioarchiven:
Erinnerung
Ein warmer Duft war in den Achseln ihres Morgenrocks haften geblieben.
Der Morgenrock am Haken des Korridors wie ein geschlossener Vorhang.
Was jetzt noch geschah, war in einer anderen Zeit.
Das Licht wechselte die Gesichter, alle unbekannt.
Und wenn jemand ins Haus wollte,
hob jener leere Morgenrock langsam, verbittert die Arme
und schloß stumm wieder die Tür.
Jannis Ritsos: Monovassiá
Gedichte in Griechisch und deutsch von Jannis Ritsos
Bibliothek Suhrkamp
ohne Brot, ohne Wasser, über Steine und Dornen,
um euch Brot und Wasser und Rosen zu bringen. Die Schönheit
- niemals verriet ich sie. Alles, was ich besaß, verteilte ich gerecht.
Für mich selber behielt ich nichts. Bettelarm. Mit einer Lilie vom Feld
erhellte ich unsere schlimmsten Nächte. Denkt an mich zurück.
Und seht mir diese letzte Traurigkeit nach.
Das ist der Anfang von Jannis Ritsos' Gedicht "Als Epilog". Ein passender Titel, denn es ist sein letztes Gedicht - geschrieben 1987, drei Jahre vor seinem Tod. Da ist Ritsos bereits schwer krank. Wie in vielen Texten spricht er von sich mal in der ersten, mal der zweiten oder dritten Person.
Das Gedicht zeigt einen selbstbewussten Autor, der um den Wert seines Werkes weiß - das vor allem im Zeichen der Schönheit steht. Und doch ist er alles andre als ein Schöngeist oder Ästhetizist. Seine Gedichte sind oft karg wie die griechische Landschaft; er verabscheut große Worte, nutzt die Sprache des Volkes - und schreibt über das, was andre übersehn: das Alltägliche, Kleine, scheinbar Unbedeutende.
Und: Ritsos ist, bei aller Suche nach Schönheit, Kommunist. Sein Werk tritt immer auch für den Mensch und dessen Freiheit ein, für Randfiguren und Unterdrückte. Über 30 Jahre galten seine Texte griechischen Regierungen als "gefährlich", konnte er nicht frei publizieren. Vor diesem Hintergrund versteht man die zweite Hälfte seines "Epilogs" - in dem es um einen "tiefroten Flicken" am Ärmel eines Mannes geht:
Ich würde gern
noch einmal mit dem dünnen Mondsichelchen
eine reife Ähre schneiden. Auf der Türschwelle stehen, schauen
und ein Getreidekorn ums andere mit den vorderen Zähnen zerkauen
in Bewunderung und Lobpreis für diese Welt, die ich verlasse,
in Bewunderung auch für Ihn, der den Hügel hinaufsteigt im
Sonnenuntergang ganz von Gold. Seht:
Am linken Ärmel hat er einen tiefroten viereckigen Flicken. Der
ist nicht sehr deutlich zu erkennen. Und das vor allem wollte ich
euch zeigen.
Vielleicht deshalb vor allem lohnte es sich, dass ihr an mich
zurückdenkt.
Jannis Ritsos wird am 1. Mai 1909 in Monovassiá geboren - als Sohn einer wohlhabenden, doch bald verarmten Familie. Der Vater verspielt das Vermögen, die Mutter stirbt an Tuberkulose, Ritsos' Schwester wird wahnsinnig - Tod und Krankheit prägen seine Jugend und sein Werk. Er beginnt früh zu schreiben, lebt von Gelegenheitsarbeiten.
Am 9. Mai 1936 wird ein Aufstand griechischer Arbeiter blutig niedergeschlagen - wie im Rausch schreibt Ritsos den Gedicht-Zyklus "Epitaphios", die Totenklage einer Mutter über ihren getöteten Sohn. Der Autor wird quasi über Nacht bekannt.
Doch in diesen Jahren kommt Griechenland nicht zur Ruhe. Im Krieg marschieren die Nazis ein, danach herrscht Bürgerkrieg, gefolgt von einer Diktatur. 1948 wird Ritsos als Kommunist verhaftet und interniert, später steht er unter Hausarrest. Erst 1974, als eine Demokratie errichtet wird, ist er wieder ganz frei. Er kehrt in seine Heimatstadt Monovassiá zurück und schreibt den gleichnamigen Gedichtzyklus, der jetzt auf deutsch erschien.
Der Ursprung
Hier sind unsere Wurzeln. Von diesem Balkon betrachtetest
du zum ersten Mal das Meer
zwischen zwei Sonnen am Morgen - die eine rosig, die andere schwarz -
du hattest ein Spiegelchen in der Tasche, einen Kamm, ein Taschentuch,
im Rücken die Schroffheit des Felsbergs, die den brennenden
Maßstab von Größe entfaltete;
es roch der Thymian und der Rost an den Riegeln der Quarantänestation.
Monovassiá, das auf einem hohen Felsen liegt, bedeutet wörtlich "einziger Zugang". Im byzantinischen Reich war der Ort eine wichtige Festung, Jahrhunderte lang versuchten feindliche Truppen, sie einzunehmen. So wurde der Ort zu einem griechischen Symbol für Standhaftigkeit, Überstehen - ein Mythos. Dort aufzuwachsen, in Ákra Minóa, wie der antike Name der Stadt heißt, prägte Ritsos tief.
Datum meiner Geburt: möglicherweise 903 vor Christus -
gleichermaßen möglich
903 nach Christus. Ich studierte Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft an der zeitgenössischen Hochschule des Befreiungskampfes.
Mein Beruf: Worte, Worte - mir blieb nichts anderes übrig.
Auf dem Standesamt gaben sie mir in den letzten Jahren
das unwahrscheinlichste Datum meiner Geburt: 1909.
Ich habe mich damit eingerichtet und lasse es so. Schließlich,
im Jahr 3909, setzte ich mich auf meinen Hocker, wollte eine Zigarette rauchen. Nun waren plötzlich die Schmeichler da, verneigten sich tief,
steckten an meine Finger glänzende Ringe.
Die Ahnungslosen wußten nicht, dass ich selbst sie gefertigt hatte aus ihren leeren Patronenhülsen, die noch im Bergland lagen.
Jedenfalls das einzig gewisse: Ort meiner Geburt: Ákra Minóa.
Jannis Ritsos ist einer der großen Neuerer der griechischen Lyrik. In der Nachfolge von Kavafis verabschiedete er den "hohen Ton" aus der Dichtung, verband Tradition und Moderne, Volkslied und Mythos. Und: Ritsos ist ein "Dichter der Dinge", die er respektvoll beschreibt, deren Freundschaft er preist. Sie lehren, anwesend zu sein, sind Zeugen auch unseres Lebens. Im folgenden Gedicht geht es um nichts weiter als einen Morgenrock. Jannis Ritsos liest es selbst - es ist eine der wenigen Aufnahmen seiner Stimme in deutschen Radioarchiven:
Erinnerung
Ein warmer Duft war in den Achseln ihres Morgenrocks haften geblieben.
Der Morgenrock am Haken des Korridors wie ein geschlossener Vorhang.
Was jetzt noch geschah, war in einer anderen Zeit.
Das Licht wechselte die Gesichter, alle unbekannt.
Und wenn jemand ins Haus wollte,
hob jener leere Morgenrock langsam, verbittert die Arme
und schloß stumm wieder die Tür.
Jannis Ritsos: Monovassiá
Gedichte in Griechisch und deutsch von Jannis Ritsos
Bibliothek Suhrkamp