Der erfolgreiche Kleinunternehmer war brutal überfallen worden, sein Geschäft ging pleite, und der soziale Abstieg war unaufhaltsam, bis die Suttons dank staatlicher Opferentschädigung in einer anderen Stadt noch einmal neu anfangen können. Elliot, der seinen vormals tatkräftigen Vater täglich als apathischen Pflegefall vor Augen hat, sucht auch bei der überforderten Mutter keinen Rückhalt mehr. Statt als der verunsicherte Außenseiter, der er an seiner alten Schule war, über kurz oder lang zum Opfer perfider Schikanen zu werden, entscheidet er sich beim Eintritt ins Holminster Gymnasium zunächst für eine Strategie der Anpassung. Ein Gesicht in der Menge will er sein, wachsam, unauffällig. Und es klappt. Doch auch Holminster hat seine Hackordnung, seine bulligen Schläger und die schmächtigen, ungeschickten Jungs, deren Status als Versager im wörtlichen Sinne festgeklopft wird. Hinter diesem Extrem-Mobbing steckt ein subtiles "System" aus Spitzeln und unsichtbaren Tätern, den drei sogenannten "Wächtern". Sie sind die Auftraggeber, die sich wichtigtuerischer Handlanger bedienen, um eine Auswahl zu treffen, die Bestrafung zu veranlassen und so eine allgegenwärtige Kontrolle zu dokumentieren. "Hochgestochene Bezeichnungen für vertraute, hässliche Dinge", wie Elliot findet, als er in diese Geheimnisse eingeweiht wird. Er ist den Wächtern – drei smarten Vorzeigesportlern aus der elften Klasse –recht bald in der richtigen Weise aufgefallen, durch sein souveränes Auftreten und durch ein taktisch kluges Verhalten, das sich als systemkonform bewährt. Richard, der Wortführer des Triumvirats, will in Elliot daher seinen Nachfolger heranziehen und hämmert ihm aus George Orwells "1984" gerade die Maximen ein, die es auf ein Lehrbuch des Totalitarismus reduzieren. "Der Zweck der Kontrolle ist die Kontrolle. Der Zweck der Macht ist die Macht. Der Zweck der Folter ist die Folter. So einfach ist das."
Etwas Manisches, Irrwitziges hat dieser Richard, wenn er sein Gegenüber mit glühenden Augen wie ein Raubtier packt oder sein Blick visionär in die Ferne schweift. Wohldosiert hat Gardner hier den Habitus eines Führers ironisiert, belässt die Figur aber im Unberechenbaren. In einer idealen Verbindung aus psychologischer Analyse und Einfühlung ist dem Autor die Zeichnung Elliots gelungen, dessen Selbstüberwindung und virtuoses Rollenspiel ihn zu einer multiplen Person werden lassen. Das wird besonders deutlich an seinem Verhältnis zu Ben, einer Spiegelung des unsicheren "alten" Elliot. Gardner erweist sich als ein Meister der Figurenkonstellation, die er vollständig der Charakterisierung seines Protagonisten andient. Dessen Reflexionen, Erinnerungen und stumme Ermahnungen verdichten sich zu einer zwanghaften Selbstkontrolle, die schließlich zum Verlust des eigenen Ich führt. Elliots Unangreifbarkeit, der "kalte Stahl in ihm" hat ihn erst eigentlich zum Opfer gemacht, ihn um sein Leben gebracht. Diese Erkenntnis lässt ihn endlich zu sich selbst finden, zu einem neuen alten Elliot. Auch das vermag der Roman glaubwürdig zu erzählen.
Graham Gardner
Im Schatten der Wächter
Verlag Freies Geistesleben, 199 S., EUR 14,50