Seit gut drei Jahren ist das Burka-Verbot in Frankreich in Kraft. Seit April 2011 hat die Polizei über 1.100 Frauen kontrolliert, bei denen der Gesichtsschleier nur die Augen frei ließ. Die meisten mussten ein Bußgeld von 150 Euro zahlen. Die Beobachtungsstelle für Laizismus – das ist eine staatliche Behörde, die Frankreichs Regierung berät - hat jetzt das Profil dieser Frauen skizziert: Fast alle sind jünger als 30 Jahre, fast alle sind in Frankreich geboren und viele sind zum Islam konvertiert.
Noch präziser weiß es Agnès de Féo. Die Soziologin forscht seit fünf Jahren am Pariser Institut für Sozialwissenschaften über Frauen, die den Ganzkörperschleier tragen, sie hat 150 von ihnen befragt.
"Häufig sind es ganz moderne Frauen, die sich beispielsweise scheiden lassen, weil sie mit ihrem Mann Konflikte haben. Viele sind nicht bereit, den Haushalt allein zu machen. Sie verlangen, dass der Mann mit anpackt, weil der Prophet das auch getan hat. Außerdem verweigern sie sich dem Blick der Männer, wollen sich nicht wie ein Objekt begucken lassen, ganz nach dem Motto: Mein Körper gehört mir. Sie sind also erstaunlich feministisch."
Geklagt hat eine "gute französische Staatsbürgerin"
Als emanzipierte Frau sieht sich auch die Klägerin vor dem Europäischen Gerichtshof. Die 24-Jährige will anonym bleiben, aber ihre Rechtsanwälte beschreiben sie als eine "gute französische Staatsbürgerin" mit Universitätsabschluss. Niemand habe ihr den Ganzkörperschleier aufgezwungen, betonen sie. In ihrer Beschwerde heißt es: Das Burka-Gesetz verletzte Grundrechte der Meinungs- und Religionsfreiheit. Die Burka sei kein Zeichen für Extremismus, sondern eine rein private Angelegenheit.
Der französische Staat ist anderer Ansicht.
"Wir haben ein Gesetz, das das Parlament verabschiedet hat. Ich habe dafür gestimmt. Es verbietet den Ganzkörperschleier im öffentlichen Raum. Dieser Schleier, der die Identität der Frau leugnet, hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen," sagte Manuel Valls, als er noch Innenminister war, im französischen Fernsehen. Heute ist er Regierungschef. Damit brachte er die Position auf den Punkt, die Frankreich auch jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertritt.
Das Gesetz sei das Ergebnis einer langen demokratischen Debatte, argumentierte die Vertreterin Frankreichs vor den Straßburger Richtern. Sein Gesicht zu zeigen, sei eine Mindestanforderung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Das Burka-Verbot sei nötig, um die Gleichheit und die Würde der Frauen zu gewährleisten. Manche Frauen, so die Juristin wörtlich, "können sich auf das Gesetz berufen, um sich diesem Zwang zu entziehen, der ihnen häufig von den Männern der Familie auferlegt wird".
Den Behörden zufolge gab es in Frankreich vor der Verabschiedung des Burka-Verbots rund 2.000 Frauen, die einen Vollschleier trugen. Durch das Gesetz habe sich die Zahl halbiert.
Den Behörden zufolge gab es in Frankreich vor der Verabschiedung des Burka-Verbots rund 2.000 Frauen, die einen Vollschleier trugen. Durch das Gesetz habe sich die Zahl halbiert.
Kritiker beklagen Zunahme der Islamfeindlichkeit
Lila Charef arbeitet als Rechtsanwältin für das "Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich". Sie betont, dass das Gesetz nicht nur für unbeugsame Burka-Trägerinnen Konsequenzen hat.
"Unser Kollektiv hat festgestellt, dass islamfeindliche Akte seit der Verkündung des Gesetzes im Oktober 2010 erheblich zugenommen haben. Unsere Statistiken zeigen es ganz deutlich: Jedes Mal, wenn die Politik die religiösen Zeichen, den Islam und die Muslime ins Rampenlicht stellt, nehmen die islamfeindlichen Angriffe deutlich zu."
Lila schare, rechnet damit, dass die Straßburger Richter die Klage zurückweisen und Frankreich nicht verurteilen werden.
Große Sorgen macht dem Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit aber eine andere Entwicklung: Es befürchtet, dass es nicht beim Burka-Verbot bleiben wird.
"Regelmäßig wird der Ruf nach neuen Gesetzen laut, die das Tragen des muslimischen Kopftuchs einschränken sollen: an den Universitäten, für Mütter, die ihre Kinder beim Schulausflug begleiten wollen, und sogar für Tagesmütter, die bei sich zuhause Kinder hüten, wie es eine Senatorin verlangt. Was wollen diese Lobbys? Uns scheint, dass sie insgeheim auch das islamische Kopftuch aus dem öffentlichen Raum verdrängen wollen."
Und diese Vermutung scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen: Einer Erzieherin hat ihre Arbeit in einer privaten Kinderkrippe verloren, weil sie darauf bestand, das islamische Kopftuch tragen.